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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- Subject: [AG-GOuFP] Gerechtes Geld? Teil 1
- Date: Mon, 28 Sep 2015 19:44:23 +0200
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Gerechtes Geld?
1.) Der rechtsphilosophische Ansatz
Ist unser Geld gerecht? – So fragt der Rechtsphilosoph. Er betrachtet Geld
aus
rechtsethischer Sicht und legt dabei normative Maßstäbe an. Er fragt, wie
das
Geld sein soll.
Der Ökonom dagegen ist in erster Linie Wirklichkeitswissenschaftler. Für
ihn
klingt die Frage nach dem gerechten Geld ziemlich naiv: Möge doch der
idealistische Geldverbesserer, denkt er sich, erst einmal zusehen, wie
komplex
und schwierig zu durchschauen die Welt des Geldes ist, ehe er
dahergelaufen
kommt und dieser monetären Welt beibringen will, wie sie gestaltet sein
solle!
Der Ökonom träumt also keinen idealistischnormativen Traum vom
gerechten
Geld. Er ist Realist. Er findet das Geld vor. Er verfolgt die
geschichtlichen und
erforscht die gegenwärtigen Erscheinungsformen des Geldes. Er schaut dem
Geld die Funktionen ab, die es in der Volkwirtschaft und für die
Wirtschaftssubjekte
hat. Auf dieser empirischen Grundlage macht er sich Gedanken über
gesetzmäßige
Zusammenhänge und konzipiert seine Theorien.
Doch auch der Ökonom bleibt bei der schieren Faktizität seines
Forschungsgegenstandes
nicht stehen. Er beschreibt nicht nur die Funktionen und Wirkungsweisen des
Geldes,
sondern macht sich auch Gedanken darüber, ob das Geld seine Funktionen
schlecht, gut
oder bestens (“optimal”) erfüllt. Er fragt z. B., ob das Geld “neutral”
wirkt oder ob es
Verzerrungen in die Preisgefüge und Verteilungsströme der Volkswirtschaft
bringt. (1)
Schließlich versucht er auch, Kriterien anzugeben, an denen optimales Geld
gemessen
werden kann.(2)
So kommen der Rechtsphilosoph und der Ökonom einander doch noch näher:
Beide
müssen die tatsächlichen Wirkungsweisen und Funktionszusammenhänge der
monetären Welt so gut wie irgend möglich kennen und ihren Forschungen
zugrundelegen.
Aber beide bleiben nicht hängen am Geld, wie es ist, sondern fragen weiter
danach, wie
es beschaffen sein soll. Am Ende wird sich sogar zeigen, dass gerechtes
Geld und optimales
Geld weitgehend auf dasselbe hinauslaufen.
(1) Hayek, F. A. v., Über “neutrales Geld”, in: Zeitschrift für
Nationalökonomie
4 (1933), S. 658 ff.; Koopmans, J. G., Zum Problem des neutralen
Geldes,
in Hayek, F. A. v. (Hrsg.), Beiträge zur Geldtheorie, Wien 1933; Lutz, A.
L.,
On Neutral Money, in; Roads to Freedom, Essays in Honor of F. A. v.
Hayek,
London 1969, S. 105-116; Niehans, J., Theorie des Geldes 1980, S. 18 ff.,
122 ff.
(2) Hayek, F. A. v., Denationalization of Money, 2. Aufl., London
1978;
Engels, W., Optimal Monetary Unit, Frankfurt und New York 1981;
Bericht im Hinblick auf das “elektronische Geld” bei Godschalk,
H., Computergeld, 1983, S. 294 ff.
2.) Ungerechtigkeiten des unstabilen Geldes
2.1.) Inflation und Deflation
Eine unerwartete Inflation schädigt Geldschuldgläubiger und begünstigt
Schuldner.
Bei erwarteter Inflation hält sich umgekehrt der Geldschuldgläubiger auf
Kosten
seines Schuldners schadlos durch hohe Zinsen, die einen Inflationsausgleich
enthalten.
Ähnlich wirkt die Deflation. Inflation und Deflation schlagen gleichermaßen
ungerecht
in die kunstvoll ausbalancierten Rechtsbeziehungen der Menschen
untereinander ein
und bringen sie aus dem Gleichgewicht.(3) Sie untergraben zudem die
Rechtssicherheit
und belasten die Menschen mit hemmenden Ungewissheiten über die
Währung.
Zwischen den Auswirkungen der Inflation und denen der Deflation gibt es –
abgesehen
von unterschiedlichen ökonomischen Folgen – einen rechtlich bedeutsamen
Unterschied:
Während die Entwertung von Geldforderungen durch Inflation typischerweise
langfristig
angelegte Gelder betrifft, also marginales Vermögen, das der Betroffene bei
Anlegung
übrig hatte, trifft die Deflation typischerweise denjenigen, der sich Geld
hat borgen müssen,
weil er zu wenig hatte: Also belastet die Inflation eher marginal, die
Deflation eher existentiell,
so dass sich im Hinblick auf die Gerechtigkeit ein paar Prozente Deflation
sehr viel schlimmer
auf die von der Veränderung der Hauptschuld Betroffenen auswirken als die
gleichen Prozente
Inflation.
Auch das Geld im Portemonnaie oder in der Kasse entwertet sich bei
Inflation. Doch dieser
Kassenschwund bleibt weit hinter den soeben beschriebenen Ungerechtigkeiten
des
Wertschwundes bei Geldforderungen zurück. Selbst wenn jemand bei 5%
Inflation hohe
Beträge für zwei Wochen im Portemonnaie mit sich herumschleppt, so büßt er,
bis er
es ausgibt, nur etwa 2 Promille an Kaufkraft ein. Das sind Verluste, die
einerseits kaum
ins Gewicht fallen und denen man andererseits ausweichen kann, wenn man
nicht zu
viel „Kasse hält“. Wer aber eine Hypothekenforderung oder eine
Kommunalobligation
mit einer Laufzeit von 10 Jahren besitzt, bei dem schlägt die Inflation im
Verlaufe der
Zeit ganz erheblich zu Buche. Deshalb sind auch die Möglichkeiten
eingeschränkt, der
Geldentwertung dadurch auszuweichen, dass man, statt Geld in der Kasse
bereitzuhalten,
es in Geldforderungen verwandelt. Je langfristiger die Rechtsverhältnisse
sind, in denen
die Geldeinheit bei der Zumessung, Zuteilung, Auseinandersetzung und
Entschädigung
den Maßstab abgibt, desto verheerender wirkt sich die Inflation aus.
Man muss also bei den Gerechtigkeitsproblemen wie in der Geldtheorie(4)
einen
wichtigen Unterschied beachten:
a.) Das Geld ist einerseits ein Instrument und Mittel, das sowohl beim
Tausch
als auch bei der Schuldtilgung faktische Tauschmacht verkörpert und das
man deshalb gern in der Kasse bereithält. Es ist mithin Liquiditäts-,
Schuldtilgungs- und Tauschmittel.
b.) Die Währung ist andererseits die Maßeinheit, in der Kaukraftschulden
und
Wertanteile von Vermögen gemessen und berechnet werden. Die
Währungseinheit
ist Liquiditäts-, Tauschkraft- und Kalkulationsmaßstab.
Die Ungerechtigkeit von unstabilem Geld hängt also aufs engste damit
zusammen,
dass man einen Maßstab braucht, mit dem Kaufkraft gemessen werden
kann.
So wie man beim Wiegen von Kartoffeln das Kilogramm und beim Ausmessen
von
Vorhangstoff das Meter verwendet, so wird Kaufkraft in “Euro”, “Schweizer
Franken”,
“US-Dollar” oder “Rubel” (in “Währungseinheiten”) gemessen. Dem entspricht
es,
dass Art. 73 Nr. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland
“Währung,
Maß, Gewicht und Zeitbestimmung (...) in einem Atemzug nennt”.(5)
“Unstabile Währung” heißt also nichts anderes als “unzuverlässiges
Maßsystem für
Kaufkraft”. Eine Schrumpfung des Maßstabes bei Inflation wirkt genau so
willkürlich
und ungerecht, wie wenn bei Lieferung von bestelltem toff nach Jahr und Tag
ein
kürzerer Maßstab verwendet wird, als beim Kauf zugrunde gelegt war. Die
Entwertung
des Tauschmittels, das sich jeweils nur kurz in meiner Kasse befindet, wäre
durchaus
erträglich, könnte man in Kaufkraftschulden ausweichen, die mit einem
stabilen Maßstab
gemessen werden.
(3) Zu dem Problem der Auswirkungen unstabiler Währung: Bettermann, K. A.,
“Die
Geldentwertung als Rechtsproblem”, ZRP 1974, 13 ff.; ders., Über Inhalt,
Grund und
Grenzen des Nominalismus, RdA 1975, 2ff.; Duden, K., Empfehlen sich
Bestimmungen
über die Wertsicherung? in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages
1, 1953,
S. 1-63; Papier, H.-J., Rechtsprobleme der Inflation, in JuS 1974, 477 ff.;
Pfleiderer, O.,
Der Sinn des Nominalprinzips, in: Das Inflationsproblem heute –
Stabilisierung oder
Anpassung, 1974, S. 92; Reuter, D., Nominalwertprinzip und Geldentwertung,
Zeitschrift
für Handelsrecht 1974, 482 ff.; Simitis, S., Inflationsbekämpfung im Zivil-
und Arbeitsrecht.
In: Kötz/Reichert/Facilides (Hrsg.), Inflationsbewältigung im Zivil- und
Arbeitsrecht, 1976,
S. 49 ff.; Suhr, D., Die Geldordnung aus verfassungsrechtlicher Sicht, in
Starbatty, I.,
Geldordnung und Geldpolitik in einer freiheitlichen Gesellschaft, 1982, S.
91 ff.- Ein
Problem für sich sind die steuerrechtlichen Ungerechtigkeiten der
Inflation.
(4) Etwa Stützel, W., Das Mark-gleich-Mark-Prinzip in unserer Wirtschaft,
1979, s. 12 ff.
(5) Stützel, w., Währung in offener Weltwirtschaft, 1973, S. 181
2.2.) Der währungsrechtliche “Anschluss- und Benutzungszwang”
Die Folgen einer unstabilen Währung treffen besonders hart, wenn der
Bürger
(wie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland) währungsrechtlich dazu
gezwungen wird
a.) sowohl die unstabile Währung als Maßstab
b.) als auch das auf die Währungseinheit lautende Zahlungsmittel als
Schuldtilgungsmittel
zu verwenden.(6) Dabei wird der Bürger durch
eine Art von währungsrechtlichem “Anschluss-
und Benutzungszwang”(7) genötigt, sich an das staatliche Währungs- und
Zahlungssystem
auf Gedeih und Verderb anzuschließen, auch wenn dieses System alles andere
als stabil ist
und durchaus zuverlässigere Maßstäbe zur Verfügung stehen (nämlich
Kaufkraftindizes, wie
zur Zeit den relativ zuverlässigen Maßstab abgeben, an dem wir die
Unzuverlässigkeit des
gesetzlichen Kaukraftmaßstabes messen und ablesen können). Diese
Überlegungen sprechen
freilich nicht gegen den Benutzungszwang überhaupt, sondern betreffen nur
den Fall, dass
er mit unstabiler Währung zusammentrifft.
(6) WährungsG – Erstes Gesetz zur Neuordnung des Geldwesens: Gesetz Nr. 61
der
amerikanischen (Amtsblatt, Ausgabe J, S. 6) und britischen (Amtsblatt Nr.
25, S. 848)
Militärregierung vom 20.6.1948, Verordnung Nr. 158 der französischen
Militärregierung
(Journal Officiel Nr. 173, S. 1506) vom 18.6.1948.
(7) Von “Geldschuld-Maßstabs-Benutzungszwang” spricht Stützel, W., Über
unsere
Währungsverfassung, 1975, S. 35 f., und zwar anlässlich eines Plädoyers für
Freiheit
in der Wahl des Schuldmaßstabes.
3.) Ungerechtigkeiten des stabilen Geldes
3.1.) Wahrnehmungs- und Erkenntnisprobleme
Jedermann sieht leicht, dass unstabiles Geld ungerecht wirkt. Dass jedoch
unser Geld
auch dann ungerecht sein soll, wenn man stabile Währungsverhältnisse
unterstellt,
geht nicht so schnell in den Kopf: Dient uns doch die stabile Währung
geradezu als
Ideal und Maßstab, an dem wir erkennen und abschätzen, wie ungerecht eine
unstabile
Währung ist! Die Behauptung: “Auch stabiles Geld ist ungerecht!” muss daher
auf
Kopfschütteln stoßen. Gibt es denn neben dem unstabilen Geld und dem
stabilen Geld
überhaupt eine dritte Möglichkeit? – Scheinbar nicht; doch der Schein
trügt.
Weil wir uns die dritte, gerechtere Möglichkeit nicht vorzustellen
vermögen, können
wir uns auch nur sehr schwer ein Bild davon machen, inwiefern unser Geld
auch dann
noch ungerecht ist, wenn es als stabil gedacht wird. Dieses Unvermögen
beruht jedoch
nicht darauf, dass die Wirklichkeit so arm an monetären
Gestaltungsmöglichkeiten wäre,
sondern hat andere Gründe:
a.) Erstens die Trägheit unserer eigenen Gedanken,
b.) zweitens die blindmachende Wirkung der täglichen Gewohnheiten im Umgang
mit den Geld und
c.) drittens die tiefeingeschliffenen Denk- und Wahrnehmungsgewohnheiten
gerade derjenigen, die
sich als Wirtschaftswissenschaftler professionell mit dem Geld befassen und
am ehesten dazu
berufen wären, alle geldtechnischen Varianten herauszufinden und
vergleichend auf ihre
Funktionstauglichkeit zu prüfen.
Fortsetzung folgt
LG Winnie
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