ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Patrik Pekrul <patrik.pekrul AT hotmail.de>
- To: moneymind <moneymind AT gmx.de>
- Cc: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht
- Date: Mon, 29 Dec 2014 08:54:55 +0100
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Am 29.12.2014 um 01:01 schrieb moneymind <moneymind AT gmx.de>:
Und das herausragende Merkmal der Kapitalismus ist eben, dass es auf der einen Seite große Anhäufungen von (Real-)Kapital gibt, die zu einem bestimmten (Produktions-)Zweck eingesetzt werden, und auf der anderen einen großen "Haufen" von Leuten, die (fast) nichts haben und sich notgedrungen an diesem Einsatzzweck beteiligen (müssen).
In Deiner und Marx' Definition von "Kapitalismus", ja. Aus meiner Sicht richtig für den modernen Lohnarbeiterkapitalismus und auch den antiken "Kaufsklavenkapitalismus" (Athen und Rom), nicht aber gleichermaßen für den Handelskapitalismus z.B. der Hanse-Zeit, auch nicht für den Genossenschaftskapitalismus der Kibbuzim.
In other words, ich differenziere zwischen unterschiedlichen Formen von "Kapitalismus".
Wie es wirklich im Kern zu Ungleichverteilung kommt, kann man in jedem Löwenrudel beobachten - das Prinzip des Stärkeren, nackte Gewalt.
Das ist eine Analogie, keine historische Erklärung.
Woher kommt die Gewalt? Stammesgesellschaften sind sehr stabil und entwickeln aus sich selbst heraus - obwohl Gewalt bekannt ist und genutzt wird - keine extrem ungleiche Güterverteilung, auch keine staatlichen Strukturen mit Herrschern.
Im übrigen lebt nur ein winziger Bruchteil der Menschheit in Stammesgesellschaften, und auch die meist nur so lange, bis sie in Kontakt mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung kommen. Danach lösen sich diese Strukturen meist innerhalb einer Generation in Luft auf. Übrigens kann man archäologisch bis in die Steinzeit nachweisen, dass es schon immer so gut wie überall "Klassenunterschiede" gab, die sich bspw. in der Güterausstattung niederschlagen (anderes lässt sich archäologisch schwer nachweisen).
Die Frage hier wäre die nach der erstmaligen historischen Entstehung staatlicher Strukturen (hazy area).
Also entwickelt sich bei Löwen, Schimpansen und Stammesgesellschaften automatisch eine Güterverteilung mit 1% at the top und 90% Have-Nots unten?
Wenn ein Rudel also aus bis zu 30 Tieren besteht, und dem Alpha-Männchen alles "gehört", dann kann man sagen, dass ca 3% des Rudels über grob 100% der Ressourcen "herrscht" - wobei das eine extrem vermenschelnde Herangehensweise ist. Das gleiche Problem stellt sich bei den Schimpansen. Bei Stammesgesellschaften gibt es sicher auch mehr als den einen Idealtypus - es sind nicht alles Buschleute.
Wenn einem diese Offensichtlichkeit zu "uninspirierend" ist,
Sie ist nicht uninspirierend, sondern einfach eine vage Analogie ohne jede historische Analyse.für den kann man vielleicht den Beginn des Kapitalismus doch verorten, wo "Geld und Macht" getrennt wurden.
Aha. Beginn des Kapitalismus für Schlauies?Lange Zeit ging das eine mit dem anderen einher. Der Herrscher gab das Geld aus, und prägte zu diesem Zwecke sein Konterfei auf jede einzelne Münze. Die Adligen waren die mächtigen und reichen gleichzeitig, und wenn einer außerhalb dieses Kreises reich geworden sein sollte, nahmen es ihm die Mächtigen einfach ab (siehe Löwenrudel oder Putin) oder nahmen ihn in den Kreis des Adels auf - je nach politischen Geschick des Neureichen. Die Sichtweise auf die Dinge war sehr realwirtschaftlich orientiert, der Mächtige gründete seine Macht (und damit seinen Reichtum) auf Ländereien, Minen, Wälder, Bevölkerung, Bauwerke, etc. Das Geld diente im wesentlich der Organisation.
Wozu wurde "Geld" (Warengeld?) gebraucht? Die Naturalabgaben konnten doch auch direkt abgepresst werden (Zehnter, Zehntscheuern etc.).Irgendwann entschieden sich die Mächtigen aber unverständlicherweise auf ihr Privileg zu verzichten und stattdessen die Entstehung eines "Geldadels" zuzulassen, bei dem sie nun um Geld nachsuchten.
Das ist Deine story? Kannst Du das mal mit ein paar historischen Daten unterfüttern?Ich kann mir das nur so erklären, dass sie feststellten, dass es unter ihren Bürgern einige geschickte Kaufleute gab, die sehr gut darin waren, begehrte Güter heranzuschaffen oder herzustellen. Hierzu brauchten sie aber ihrerseits eine bestimmte Ausstattung mit Gütern und Geld. Statt es ihnen einfach nach Altvätersitte wegzunehmen, "liehen" sich die Mächtigen das Geld von ihnen. Dabei stellten wohl beide Seiten fest, dass dies ein sehr auskömmliches Geschäft war. Die Herrschenden brauchten sich nicht ständig um neues Geld (im Sinne von Münzen) zu kümmern und dafür die Nachbarn zu überfallen, sondern sie konnten mit dem gegebenen Bestand beliebig viel mehr beschaffen - und zwar eleganterweise ohne Gewaltanwendung - und für die reichen war es sehr angenehm, dass auch sie nun mit den Schuldscheinen auf die Mächtigen ihre Geschäfte immer weiter ausdehnen konnten. Irgendwann kehrten sich dann schleichend die Machtverhältnisse um, und die ehemals Mächtigen wurden zu Abhängigen. Wenn man also dem obigen Ansatz nicht folgen will, ist das der Moment, in dem "Kapitalismus" enstand.
Du fabulierst.
Nettes storytelling. "Das Geld" übernimmt die Macht? Wer soll das sein? Du meinst, die "vermögenden freien Bürger"? Oder diejenigen, die Geld "schöpfen" können? Das könnte ja dann der Staat Deiner Meinung nach am besten, wieso macht er es nicht?
Sorry, das klingt für mich alles reichlich vage, es fehlen die konkreten historischen Belege.
Ein Beispiel:
Am 28.12.2014 um 18:53 schrieb Christoph Mayer <CU_Mayer AT Menschen-gerechte-Gesellschaft.de>:
In Deutschland brach 1495 die Zeit der Fugger, Welser und Patrizier an. Fugger [ http://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_Fugger ] schuf durch Baumwollhandel mit Italien ein Vermögen. Ab 1493 erwarb er zunehmend Eigentum an Silberminen. Er wurde mittelfristig zum Monopolist für Kupfer und Silber. Durch die Schürfrechte erschlich er sich wohl die Herrschaft. Das Prägerecht hatten zwar die Adeligen aber sie hatten wohl nicht begriffen, dass die Schürfrechte an Metall bedeutender für die Währung war als das Prägerecht. Damals gab es auch ein Bankwesen. Fugger betrieb auch eine Bank und verlieh Geld. Zusammen mit den Harburgern beeinflusste er die Europäische Politik und bestimmte letztlich, wer Kaiser wurde.
"Jakob Fugger – ein erster, früher Kapitalist. Einer, der seine wirtschaftliche Macht rigoros einsetzte, der als erster deutscher Kaufmann in den Grafenstand erhoben wurde, der die öffentliche Kritik herausforderte. Handelsgesellschaften waren ein neues Phänomen im ausgehenden 15., frühen 16. Jahrhundert. Viele Zeitgenossen beäugten sie mit Misstrauen. Sie verkannten die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit, Kapitalien zusammenzufassen, sahen nicht die Notwendigkeit eines ausgebildeten Kreditwesens. Man empörte sich über die „Monopolien“, protestierte im ganzen Reich. Politisch aber hatte sich diese frühe Kapitalismuskritik nicht durchsetzen können. Vielleicht weniger aus ökonomischer Einsicht, denn aus schierer Not: Die stets kreditbedürftigen Fürsten – die Habsburger allen voran – waren längst ein Bündnis mit den Finanzmächtigen eingegangen.
...
In Italien lernte er den Wechsel kennen: Ein abstraktes, vom zugrundeliegenden Schuldgeschäft unabhängiges Zahlungsversprechen, das vorzüglich als Kreditpapier und zur kurzfristigen Wertanlage taugte. Die Fugger beherrschten ihr Bankgeschäft. Zwischen Antwerpen und Venedig, Prag und Toledo wurde über den Wechselplatz Nürnberg rege gehandelt, nach allen Regeln der neuen Kunst. Nicht nur in barer Münze nämlich, sondern durch Wechsel eben und andere Formen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs.
Und so begann er also, der frühe Kapitalismus. Denn die bedeutenden Handelsgesellschaften der Zeit beließen es nicht beim Handel, schon gar nicht beim Warenhandel. Sie beteiligten sich in großem Stil am führenden Gewerbe, investierten in Edelmetall-Unternehmungen. Und sie drangen in den Geldhandel vor. Die großen Handelsherren der oberdeutschen Städte wurden zu den maßgebenden, wirtschaftlich wie politisch höchst einflussreichen Bankiers der Epoche. Und der Mächtigste unter ihnen, der bedeutendste war: der Augsburger Jakob Fugger.
Und so begann er also, der frühe Kapitalismus. Denn die bedeutenden Handelsgesellschaften der Zeit beließen es nicht beim Handel, schon gar nicht beim Warenhandel. Sie beteiligten sich in großem Stil am führenden Gewerbe, investierten in Edelmetall-Unternehmungen. Und sie drangen in den Geldhandel vor. Die großen Handelsherren der oberdeutschen Städte wurden zu den maßgebenden, wirtschaftlich wie politisch höchst einflussreichen Bankiers der Epoche. Und der Mächtigste unter ihnen, der bedeutendste war: der Augsburger Jakob Fugger.
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Als Gegenleistung für die Kredite, die Konzernchef Jakob Fugger Herzögen, Königen und Kaisern gewährte, genoss er den militärischen und rechtlichen Schutz seiner Schuldner. Sein Unternehmen durfte Bodenschätze der adeligen Ländereien ausbeuten und mehrte den Reichtum durch Beteiligung an Silber- und Kupferminen nur noch weiter. Für Kaiser Maximilian I., durch seine vielen Unternehmungen ständig in Geldnöten, wurde die Familie Fugger schier unentbehrlich. Vom Geld der Augsburger Kreditgeber hingen Erfolg und Misserfolg diplomatischer oder militärischer Umtriebe ab. Das Geld aus Augsburg entschied über Amt und Würden."
Das war eben der Zeitpunkt, an dem "die (scheinbar) Mächtigen den Reichen dienten".
Auf meinen Hinweis auf die Rolle der Lohnarbeit (im Vergleich zur vorangegangenen Leibeigenschaft) und die Frage nach ihrer Entstehung bist Du überhaupt nicht eingegangen.
Verstehe nicht wirklich, worauf Du hinauswillst.
Und Du vermutlich nicht, worauf ich hinauswill. Da werde ich wohl noch mal einen anders angelegten Versuch starten müssen.
Die herrschende Klasse hat irgendwann festgestellt (sie lernt ja auch), dass es wesentlich effizienter ist, den Arbeitenden die Krümmel zu lassen, die von der Tafel abfallen und ihnen einzureden, dass dies "Wohlstand" bedeutet als ihnen unter großen Aufwand auch noch die entreissen zu wollen - wenn man so will eine Frage von Grenznutzen und - kosten. Dabei tritt ein Interessanter Effekt ein: Indem man den zwischen denjenigen, die große und kleine Krümmel differenziert, sorgt man dafür, dass diejenigen mit den größeren Krümmeln diejenigen mit den kleineren Krümmeln in Schach halten, um ihr "Vermögen" zu schützen. Das ist die "Funktion der Lohnarbeiterklasse". Es ist einfach viel einfacher - und produktiver - als die Unterdrückung nach Altvätersitte.
Es gilt nach wie vor der Spruch: "Niemand ist mehr Sklave, als der, der sich für frei hält, ohne es zu sein." (Johann Wolfgang von Goethe)
Aus der Vogelperspektive der Geldelite ein lustiges Sandkastenspiel der kleinen, die sich um das Schippchen kloppen. Wenn man Gesellschaft erst einmal so organisiert hat, braucht man gar nicht mehr eingreifen, sondern kann das bequem aus der Ferne verfolgen und nur aktiv werden, wenn irgendetwas fundamentales passiert - also einer der Kleinen deutlich hervortritt. Dann gibt es eine binäre Logik, fördern oder vernichten. Siehe auch Ted Turner: "Either lead, follow or get out of the way".
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, (fortgesetzt)
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, moneymind, 12.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Axel Grimm, 15.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Marco Schmidt, 15.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Axel Grimm, 16.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Gerhard, 23.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Marco Schmidt, 23.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, moneymind, 25.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Patrik Pekrul, 26.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Christoph Mayer, 28.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, moneymind, 29.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Patrik Pekrul, 29.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, moneymind, 12.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Gerhard, 20.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Patrik Pekrul, 12.12.2014
- [AG-GOuFP] Neues aus der Anstalt, Christoph Mayer, 13.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Christoph Mayer, 13.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Comenius, 14.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Axel Grimm, 15.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Patrik Pekrul, 15.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Amos Comenius, 16.12.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht, Axel Grimm, 16.12.2014
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