ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Christoph Mayer <CU_Mayer AT Menschen-gerechte-Gesellschaft.de>
- To: Patrik Pekrul <patrik.pekrul AT hotmail.de>, "ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de" <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht
- Date: Sun, 28 Dec 2014 18:53:43 +0100
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Sehr guter Beitrag wie schon so oft, Patrick.
Mal eine Ergänzung zur Entstehung unseres Kapitalismus:
1100 nach Christus herrschte auf dem Land die „Hörigkeit“ gegenüber den Fürsten. Parallel aber entstanden/ gab es freie Städte, die eine Art Konkurrenzmodell darstellten.
Um 1150 entstand, vermutlich mehr zufällig, der Brackteatentaler als Währung. Er war so dünn gepresst, dass er nach 1 Jahr eingeschmolzen und ausgetauscht werden musste.
Der Bischof von Marburg (Damals war weltliche und kirchliche Macht oft vereint) hatte die Idee, 10 erhaltene Taler gegen 7 neue einzutauschen. Die 3 übrigen ließ er auch prägen aber behielt sie zur Finanzierung der Verwaltung. [ Walker, Karl, „die Geschichte des Geldes“; http://www.tauschring-ww.de/GG/Walker_Geschichte.pdf ]
Auf diese Weise nahm er elegant Steuern ein. Gleichzeitig hat jeder versucht, vor dem Stichtag des Ersatzes, seine Taler gegen andere Werte einzutauschen, investierte in Häuser oder spendete Geld an bedürftige.
Das Modell machte in ganz Europa Schule, in 20.000 Seelen-Gemeinde Köln entstand der Kölner Dom in dieser Zeit aus Spendengeldern.
Das Handwerk blühte auf, weil Arbeit stärker gewichtet war als Geldbesitz und letzteres sehr schnell verfiel. Die Kleidung der Stadtbürger konnte sich mit der des Adels messen. Es war ein glänzendes Zeitalter.
Mit der Zeit wurden die Bischöfe und Herrscher jedoch immer gieriger und wechselten 2x pro Jahr 10 Taler gegen 6 neue, was 2x 40%, also einer 80% Steuer entsprach. Vermutlich entstand daraus der Wunsch nach einer stabilen, nicht manipulierbaren Währung, dem „ewigen Pfennig“. Auch flüchtete Geld vor der Widerrufung von einer Stadt zur anderen. Um 1400 verschwand der Brackteatentaler und die Nebenwirkung war ein Niedergang der Wirtschaft. Ab ca. 1350 kam auch die Pest und ein sehr dunkles Zeitalter begann.
Dann begann der "Allmende-Raub“. [ Spät, Patrick, „Ich habe was, was Du nicht hast, 22.11.2014; http://www.heise.de/tp/artikel/43/43293/1.html ], ein Auszug:
"Seit dem 15. Jahrhundert eigneten sich die weltlichen Landherren in Deutschland und vor allem in England die Gemeindeflächen an. Die Allmende, also das vormals gemeinschaftliche Eigentum, wurde der Bevölkerung gewaltsam entrissen: Fortan gab es keine freien Wasserbrunnen mehr, keine Wälder, in denen jedermann jagen oder Brennholz und Kräuter sammeln durften, keine freien Gewässer zum Fischen und keine freien Weideflächen für die Tiere. Vor allem die Wälder waren damals enorm wichtig, ja, vielleicht so wichtig wie heute das Erdöl: Die Wälder lieferten Brennholz, vitaminreiche Beeren und Kräuter, Eicheln zur Schweinemast und hier und da etwas Wild zum Essen. Doch durch den gewaltsamen Allmende-Raub wurde die Natur zum Privateigentum. Das Wort "privat" kommt vom lateinischen "privare", was so viel heißt wie berauben, entziehen, vorenthalten. Und genau das geschah damals in Europa."
Jean-Jaques Rousseau sah die Ursache in der Erfindung von Landbesitz in England (Start um 1450), also dem Eigentum an vorher gemeinschaftlichem Besitz. Daraus entstand die Leibeigenschaft der Bauern bei den Lehnsherren. Vorher scheint es zwar Herrschaft über aber nicht Besitz an Ländereien gegeben zu haben. Im 16. Jahrhundert, der Zeit Luthers, führten diese Umstände zum Bauernkrieg. Die Robin Hood-Sage entsprang in dieser Zeit, er war in der Geschichte der Verteidiger des freien Waldes. Vermutlich war damals die Entstehung des Begriffs „Eigentum“ in ihrer erweiterten Bedeutung als Fortschritt gefeiert worden und begann die Europäische Gesellschaft zu verändern. Auch bröckelte durch Martin Luthers Bibel-Übersetzung und seine Thesen 1517 dann die Herrschaftsbegründung der Adeligen und Kirchenoberen durch Gott. Verbreitung fand alles durch den 1458 beginnenden Buchdruck.
In Deutschland brach 1495 die Zeit der Fugger, Welser und Patrizier an. Fugger [ http://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_Fugger ] schuf durch Baumwollhandel mit Italien ein Vermögen. Ab 1493 erwarb er zunehmend Eigentum an Silberminen. Er wurde mittelfristig zum Monopolist für Kupfer und Silber. Durch die Schürfrechte erschlich er sich wohl die Herrschaft. Das Prägerecht hatten zwar die Adeligen aber sie hatten wohl nicht begriffen, dass die Schürfrechte an Metall bedeutender für die Währung war als das Prägerecht. Damals gab es auch ein Bankwesen. Fugger betrieb auch eine Bank und verlieh Geld. Zusammen mit den Harburgern beeinflusste er die Europäische Politik und bestimmte letztlich, wer Kaiser wurde.
Mit der Entdeckung Amerikas 1492 startete auch die Kolonialisierung der Welt v.a. durch England und Spanien. Auch das war eine Folge des neuen Eigentumsbegriffs. Englische Bürger konnten dort Land als ihres in Besitz nehmen weil sie aus einer Gesellschaft kamen, die Bodenbesitz bestimmte und schützte. Für die Ureinwohner Amerikas war es Frevel wenn ein Mensch sich anmaßte, Mutter Erde oder ein Stück von ihr zu besitzen.Für das Englische „Proletariat“ war Amerika nun das Land, das Freiheit von dem unmenschlichen System im eigenen Land versprach, viele wanderten aus.
Um 1350 begann die Buchführung, um 1500 entstand die heute verwendete „Doppelte Buchführung“ [ http://de.wikipedia.org/wiki/Buchführung#Doppelte_Buchf.C3.BChrung_.E2.80.93_Grundlagen ]. Die später erfolgende Anwendung dieser eigentlich für realwirtschaftliche Unternehmen gedachten Buchungsgrundsätze auf Banken schuf dann zu Guthaben immer Schulden auf der „Passiva“-Seite der Buchführung. Die Guthaben - Schulden - Entsprechung war geschaffen. Das war auch die Grundlage für die heutige Kreditgeldschöpfung.
Um 1700 war bereits die Hälfte Englands in privatem Besitz. Durch die Erfindung der Spinnmaschine 1764 und der Dampfmaschine 1769 wurde der Bedarf an Weideland für den Hauptexportartikel Wolle immer größer, was dazu führte, dass der Bevölkerung hektarweise Land entrissen wurde und Gebäude eingerissen wurden, um die Schafweide zu vergrößern. Bauern wurden vertrieben und zu Vagabunden, das Proletariat entstand. Sie wurden zu billigen Arbeitskräften in den Städten, sie waren die ersten Lohnarbeiter. Lohnarbeit galt damals als unehrenhaft, heute wird sie als selbstverständlich angesehen. Die Bauern wurden per Gesetz von Edward VI. 1547 zu Sklaven, falls sie sich weigerten, freiwillig zu arbeiten („als Müßiggänger denunziert“). Damit wurden auch Bettler zu Handelsware, die im Falle eines Fluchtversuchs mit einem „S“ auf Stirn und Wangen gebrandmarkt wurden. [ Karl Marx, "Das Kapital“ ] Angeblich gab es vor dieser Zeit 156 Feiertage pro Jahr und an Arbeitstag war 5 bis 6 Stunden lang. Das klingt auch logisch, denn wer nur für Eigenbedarf + wenige andere eine Landwirtschaft bestellen muss, braucht keine 40 Wochenstunden an Aufwand.
Ich finde, wenn man diese Entwicklungen mal in Zusammenhang bringt, entsteht ein sehr interessantes Bild. Leider lernt man in Geschichte (zumindest war es bei mir so) nur unzusammenhängende Abläufe, vor allem Schlachten und Kriegsergebnisse.
Am 26.12.2014 um 10:45 schrieb Patrik Pekrul <patrik.pekrul AT hotmail.de>:
Am 25.12.2014 um 23:33 schrieb moneymind <moneymind AT gmx.de>:
Wenn in einem Diskussionsfaden "Geld und Macht" nicht mal von einem Quantum-Ökonomen, der die Lohnzahlung in den Mittelpunkt seiner gesamten Theorie stellt, irgendwo auch nur eine Frage nach dem Ursprung, der Funktion und dem gegenwärtigen Zustand der Lohnarbeiterklasse gefragt wird, dann hat offensichtlich jahrzehntelanges neoklassisches brainwashing auf ganzer Linie gesiegt.
Wann "Kapitalismus" anfing, hängt unmittelbar mit der Frage zusammen, was Kapitalismus ist. Deiner Meinung nach, zeichnet sich Kapitalismus dadurch aus, dass es eine Passivseite in der Bilanz gibt, deren Positionen als "Kapital" bezeichnet werden, demnach kann Kapitalismus erst mit Einführung der Doppelten Buchführung entstanden sein, also irgendwann im 15. Jahrhundert. Da du dich am Kapitalbegriff des HGB orientierst, kann Kapitalismus in Deutschland wohl erst seit seiner Einführung also 1897 existieren.
Ich denke, es ist leicht einzusehen, dass solche Formalien nicht zweckdienlich sind.
Sinnvoller ist es, nach den fundamentalen Merkmalen des Kapitalismus zu fragen, und dann zu prüfen, wann diese hervortreten. Und das herausragende Merkmal der Kapitalismus ist eben, dass es auf der einen Seite große Anhäufungen von (Real-)Kapital gibt, die zu einem bestimmten (Produktions-)Zweck eingesetzt werden, und auf der anderen einen großen "Haufen" von Leuten, die (fast) nichts haben und sich notgedrungen an diesem Einsatzzweck beteiligen (müssen). Ein weiteres Kennzeichen ist die Tatsache, dass die Herrscher (schon immer eine kleine "Elite") über dieses (Real-)Kapital ohne weiteres Zutun den größten Teil der "Früchte" abgreifen, und der "Rest" (schon immer die übergroße Mehrheit) sich entsprechend mit dem Rest begnügen muss.
Besonders perfide wird dieses System, wenn dieser Rest so klein ist, dass man davon nicht leben kann, und sich die vielen bei den wenigen verschulden müssen. Das ist sozusagen der Nachbrenner, der das System zementiert und von der ursprünglichen Frage ablenkt, warum die Verhältnisse eigentlich so sind, wie sie sind, denn es gibt ja eine oberflächliche Erklärung - nämlich die Verschuldung.
Wie kam es aber dazu, dass es zu dieser ungleichen Verteilung gekommen ist, hat das wirklich etwas Schulden und Sparen zu tun? Das erscheint mir eine pazifistische Träumerei zu sein. Wie es wirklich im Kern zu Ungleichverteilung kommt, kann man in jedem Löwenrudel beobachten - das Prinzip des Stärkeren, nackte Gewalt. Nachdem die Weibchen die Beute geschlagen haben, nimmt sich das größte Männchen den "Löwenanteil". Warum? Weil es sonst auf die Fresse gibt. Die nächste Stufe lässt sich dann bei Schimpansen beobachten, da werden Allianzen geschmiedet, siehe: http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2003/07/05/a0269
Viel weiter hat es die Menschheit seither auch nicht gebracht.
Das ganze Muster zieht sich durch, und hat wenig bis nichts mit "Sparen" oder "Schulden", doppelter Buchführung oder pseudoreligiösen Analogien zu tun (die übrigens nur in der deutschen Sprache funktionieren, im englischen ist bspw. "debt" nicht gleichbedeutend mit "guilt"), sondern einfach nur mit brutaler Gewalt. Das ist auch heute nicht anders. Wer es im Selbstversuch mal ausprobieren will, braucht sich nur zu verschulden, und den Schuldendienst einzustellen: Erst wird einem alles genommen, danach wird man eingesperrt, und wer sich dagegen wehrt, macht Bekanntschaft mit den Knüppel, wie bei den Schimpansen.
Wenn einem diese Offensichtlichkeit zu "uninspirierend" ist, für den kann man vielleicht den Beginn des Kapitalismus doch verorten, wo "Geld und Macht" getrennt wurden.
Lange Zeit ging das eine mit dem anderen einher. Der Herrscher gab das Geld aus, und prägte zu diesem Zwecke sein Konterfei auf jede einzelne Münze. Die Adligen waren die mächtigen und reichen gleichzeitig, und wenn einer außerhalb dieses Kreises reich geworden sein sollte, nahmen es ihm die Mächtigen einfach ab (siehe Löwenrudel oder Putin) oder nahmen ihn in den Kreis des Adels auf - je nach politischen Geschick des Neureichen. Die Sichtweise auf die Dinge war sehr realwirtschaftlich orientiert, der Mächtige gründete seine Macht (und damit seinen Reichtum) auf Ländereien, Minen, Wälder, Bevölkerung, Bauwerke, etc. Das Geld diente im wesentlich der Organisation.
Irgendwann entschieden sich die Mächtigen aber unverständlicherweise auf ihr Privileg zu verzichten und stattdessen die Entstehung eines "Geldadels" zuzulassen, bei dem sie nun um Geld nachsuchten. Ich kann mir das nur so erklären, dass sie feststellten, dass es unter ihren Bürgern einige geschickte Kaufleute gab, die sehr gut darin waren, begehrte Güter heranzuschaffen oder herzustellen. Hierzu brauchten sie aber ihrerseits eine bestimmte Ausstattung mit Gütern und Geld. Statt es ihnen einfach nach Altvätersitte wegzunehmen, "liehen" sich die Mächtigen das Geld von ihnen. Dabei stellten wohl beide Seiten fest, dass dies ein sehr auskömmliches Geschäft war. Die Herrschenden brauchten sich nicht ständig um neues Geld (im Sinne von Münzen) zu kümmern und dafür die Nachbarn zu überfallen, sondern sie konnten mit dem gegebenen Bestand beliebig viel mehr beschaffen - und zwar eleganterweise ohne Gewaltanwendung - und für die reichen war es sehr angenehm, dass auch sie nun mit den Schuldscheinen auf die Mächtigen ihre Geschäfte immer weiter ausdehnen konnten. Irgendwann kehrten sich dann schleichend die Machtverhältnisse um, und die ehemals Mächtigen wurden zu Abhängigen. Wenn man also dem obigen Ansatz nicht folgen will, ist das der Moment, in dem "Kapitalismus" enstand.
So gesehen, ist es richtig, dass ein Rechtssystem, welches "Eigentum" schützt, ein Schuldwesen, dokumentiert bspw. in der doppelten Buchführung, Begleiterscheinungen des Kapitalismus sind, aber der fundamentale Unterschied zu vorher ist eben, dass nun nicht mehr die Reichen den Mächtigen dienen, sondern jetzt die (scheinbar) Mächtigen den Reichen.
Kapitalismus beginnt demnach also dort, wo Geld und Macht getrennt sind, und das Geld die Macht übernimmt.
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