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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Geld und Macht
  • Date: Mon, 29 Dec 2014 00:01:10 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Wann "Kapitalismus" anfing, hängt unmittelbar mit der Frage zusammen, was Kapitalismus ist.

Richtig.

Deiner Meinung nach, zeichnet sich Kapitalismus dadurch aus, dass es eine Passivseite in der Bilanz gibt, deren Positionen als "Kapital" bezeichnet werden,

Durch Forderungen gegen einen Schuldner, die zu Zahlungszwecken an Dritte weitergereicht oder mit diesen verrechnet werden können.

demnach kann Kapitalismus erst mit Einführung der Doppelten Buchführung entstanden sein, also irgendwann im 15. Jahrhundert.


Nein, Forderungen wie die obige und sogar Banken lassen sich schon für das antike Athen nachweisen, siehe Cohen: Ancient Economy and Society: A Banking Perspective (für Mesopotamien meineswissens ebenfalls, da weiß ich aber nicht so genau Bescheid).
Da du dich am Kapitalbegriff des HGB orientierst, kann Kapitalismus in Deutschland wohl erst seit seiner Einführung also 1897 existieren.

Nein, s.o.

Ich denke, es ist leicht einzusehen, dass solche Formalien nicht zweckdienlich sind.

Sie stammen von Dir.

Sinnvoller ist es, nach den fundamentalen Merkmalen des Kapitalismus zu fragen,

Richtig.

und dann zu prüfen, wann diese hervortreten.

Wann, wie, warum, durch wen, aus welchen Gründen.

Und das herausragende Merkmal der Kapitalismus ist eben, dass es auf der einen Seite große Anhäufungen von (Real-)Kapital gibt, die zu einem bestimmten (Produktions-)Zweck eingesetzt werden, und auf der anderen einen großen "Haufen" von Leuten, die (fast) nichts haben und sich notgedrungen an diesem Einsatzzweck beteiligen (müssen).

In Deiner und Marx' Definition von "Kapitalismus", ja. Aus meiner Sicht richtig für den modernen Lohnarbeiterkapitalismus und auch den antiken "Kaufsklavenkapitalismus" (Athen und Rom), nicht aber gleichermaßen für den Handelskapitalismus z.B. der Hanse-Zeit, auch nicht für den Genossenschaftskapitalismus der Kibbuzim.

In other words, ich differenziere zwischen unterschiedlichen Formen von "Kapitalismus".

Ein weiteres Kennzeichen ist die Tatsache, dass die Herrscher (schon immer eine kleine "Elite") über dieses (Real-)Kapital ohne weiteres Zutun den größten Teil der "Früchte" abgreifen, und der "Rest" (schon immer die übergroße Mehrheit) sich entsprechend mit dem Rest begnügen muss.

Ok, wer waren dann diese "Herrscher" während der Hansezeit, wer war der ausgebeutete Rest? Oder war das dann aus Deiner Sicht kein Kapitalismus?

Besonders perfide wird dieses System, wenn dieser Rest so klein ist, dass man davon nicht leben kann, und sich die vielen bei den wenigen verschulden müssen. Das ist sozusagen der Nachbrenner, der das System zementiert und von der ursprünglichen Frage ablenkt, warum die Verhältnisse eigentlich so sind, wie sie sind, denn es gibt ja eine oberflächliche Erklärung - nämlich die Verschuldung.

Wie kam es aber dazu, dass es zu dieser ungleichen Verteilung gekommen ist,

Ja, genau darum geht es Marx bei der "ursprünglichen Akkumulation".

hat das wirklich etwas Schulden und Sparen zu tun?

Wer hat das behauptet? Ich nicht, Marx nicht. Das behaupten bestenfalls Neoklassiker anhand völlig fiktiver Parabeln.

Das erscheint mir eine pazifistische Träumerei zu sein.

Mir auch, Marx auch.

Wie es wirklich im Kern zu Ungleichverteilung kommt, kann man in jedem Löwenrudel beobachten - das Prinzip des Stärkeren, nackte Gewalt.

Das ist eine Analogie, keine historische Erklärung.

Woher kommt die Gewalt? Stammesgesellschaften sind sehr stabil und entwickeln aus sich selbst heraus - obwohl Gewalt bekannt ist und genutzt wird - keine extrem ungleiche Güterverteilung, auch keine staatlichen Strukturen mit Herrschern.

Die Frage hier wäre die nach der erstmaligen historischen Entstehung staatlicher Strukturen (hazy area).

Nachdem die Weibchen die Beute geschlagen haben, nimmt sich das größte Männchen den "Löwenanteil". Warum? Weil es sonst auf die Fresse gibt. Die nächste Stufe lässt sich dann bei Schimpansen beobachten, da werden Allianzen geschmiedet, siehe: http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2003/07/05/a0269

Viel weiter hat es die Menschheit seither auch nicht gebracht.

Das ganze Muster zieht sich durch, und hat wenig bis nichts mit "Sparen" oder "Schulden", doppelter Buchführung oder pseudoreligiösen Analogien zu tun (die übrigens nur in der deutschen Sprache funktionieren, im englischen ist bspw. "debt" nicht gleichbedeutend mit "guilt"), sondern einfach nur mit brutaler Gewalt. Das ist auch heute nicht anders. Wer es im Selbstversuch mal ausprobieren will, braucht sich nur zu verschulden, und den Schuldendienst einzustellen: Erst wird einem alles genommen, danach wird man eingesperrt, und wer sich dagegen wehrt, macht Bekanntschaft mit den Knüppel, wie bei den Schimpansen.

Also entwickelt sich bei Löwen, Schimpansen und Stammesgesellschaften automatisch eine Güterverteilung mit 1% at the top und 90% Have-Nots unten?

Wenn einem diese Offensichtlichkeit zu "uninspirierend" ist,

Sie ist nicht uninspirierend, sondern einfach eine vage Analogie ohne jede historische Analyse.

für den kann man vielleicht den Beginn des Kapitalismus doch verorten, wo "Geld und Macht" getrennt wurden.

Aha. Beginn des Kapitalismus für Schlauies?

Lange Zeit ging das eine mit dem anderen einher. Der Herrscher gab das Geld aus, und prägte zu diesem Zwecke sein Konterfei auf jede einzelne Münze. Die Adligen waren die mächtigen und reichen gleichzeitig, und wenn einer außerhalb dieses Kreises reich geworden sein sollte, nahmen es ihm die Mächtigen einfach ab (siehe Löwenrudel oder Putin) oder nahmen ihn in den Kreis des Adels auf - je nach politischen Geschick des Neureichen. Die Sichtweise auf die Dinge war sehr realwirtschaftlich orientiert, der Mächtige gründete seine Macht (und damit seinen Reichtum) auf Ländereien, Minen, Wälder, Bevölkerung, Bauwerke, etc. Das Geld diente im wesentlich der Organisation.

Wozu wurde "Geld" (Warengeld?) gebraucht? Die Naturalabgaben konnten doch auch direkt abgepresst werden (Zehnter, Zehntscheuern etc.).

Irgendwann entschieden sich die Mächtigen aber unverständlicherweise auf ihr Privileg zu verzichten und stattdessen die Entstehung eines "Geldadels" zuzulassen, bei dem sie nun um Geld nachsuchten.

Das ist Deine story? Kannst Du das mal mit ein paar historischen Daten unterfüttern?

Ich kann mir das nur so erklären, dass sie feststellten, dass es unter ihren Bürgern einige geschickte Kaufleute gab, die sehr gut darin waren, begehrte Güter heranzuschaffen oder herzustellen. Hierzu brauchten sie aber ihrerseits eine bestimmte Ausstattung mit Gütern und Geld. Statt es ihnen einfach nach Altvätersitte wegzunehmen, "liehen" sich die Mächtigen das Geld von ihnen. Dabei stellten wohl beide Seiten fest, dass dies ein sehr auskömmliches Geschäft war. Die Herrschenden brauchten sich nicht ständig um neues Geld (im Sinne von Münzen) zu kümmern und dafür die Nachbarn zu überfallen, sondern sie konnten mit dem gegebenen Bestand beliebig viel mehr beschaffen - und zwar eleganterweise ohne Gewaltanwendung - und für die reichen war es sehr angenehm, dass auch sie nun mit den Schuldscheinen auf die Mächtigen ihre Geschäfte immer weiter ausdehnen konnten. Irgendwann kehrten sich dann schleichend die Machtverhältnisse um, und die ehemals Mächtigen wurden zu Abhängigen. Wenn man also dem obigen Ansatz nicht folgen will, ist das der Moment, in dem "Kapitalismus" enstand.

Du fabulierst.
So gesehen, ist es richtig, dass ein Rechtssystem, welches "Eigentum" schützt, ein Schuldwesen, dokumentiert bspw. in der doppelten Buchführung, Begleiterscheinungen des Kapitalismus sind,

Testen wir es doch direkt. Was muß man Deiner Meinung nach tun, um "Kapitalismus" irgendwo, wo er "gewünscht wird", erfolgreich herzustellen? Wie wurde er tatsächlich dort, wo er erfolgreich hergestellt wurde, hergestellt? Z.B. in D im 19. Jhdt. oder in Südkorea (nach WK II)?

aber der fundamentale Unterschied zu vorher ist eben, dass nun nicht mehr die Reichen den Mächtigen dienen,

Im Feudalsystem des Mittelalters haben die Reichen den Mächtigen gedient? Wer waren die Reichen, wer die Mächtigen?

sondern jetzt die (scheinbar) Mächtigen den Reichen.


Aufstieg der Bourgeoisie, Abstieg des Adels? Und wo bleiben die Lohnarbeiter (Marx: Verwandlung feudaler in kapitalistische Exploitation)?

Kapitalismus beginnt demnach also dort, wo Geld und Macht getrennt sind, und das Geld die Macht übernimmt.


Nettes storytelling. "Das Geld" übernimmt die Macht? Wer soll das sein? Du meinst, die "vermögenden freien Bürger"? Oder diejenigen, die Geld "schöpfen" können? Das könnte ja dann der Staat Deiner Meinung nach am besten, wieso macht er es nicht?

Sorry, das klingt für mich alles reichlich vage, es fehlen die konkreten historischen Belege.

Auf meinen Hinweis auf die Rolle der Lohnarbeit (im Vergleich zur vorangegangenen Leibeigenschaft) und die Frage nach ihrer Entstehung bist Du überhaupt nicht eingegangen.

Verstehe nicht wirklich, worauf Du hinauswillst.

Und Du vermutlich nicht, worauf ich hinauswill. Da werde ich wohl noch mal einen anders angelegten Versuch starten müssen.




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