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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] DDR und Sozialismus, was: Soros: Europas Zukunft ...

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] DDR und Sozialismus, was: Soros: Europas Zukunft ...


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] DDR und Sozialismus, was: Soros: Europas Zukunft ...
  • Date: Sat, 17 May 2014 08:12:06 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hallo Thomas,

erstmal wollte ich mich für den scharfen Ton entschuldigen. Ich wollte weder die DDR schlecht machen noch Dich persönlich angreifen.

Ich finde einfach nur wichtig, beim Analysieren der "bürgerlichen Gesellschaft" den Vergleich mit andere Gesellschaftsformen zu machen - sowohl mit Stämmen, als auch mit redistributiven Feudal-/Abgabensystemen, als auch mit dem Realsozialismus.

Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu sehen, hilft m.E., die Gesellschaft, in der man selber lebt, klarer zu verstehen. Es hilft auch, keine der verschiedenen Gesellschaftsformen allzusehr zu idealisieren.

Insofern fände ich es auch wichtig, sich die ökonomische Funktionsweise des Realsozialismus anzuschauen und hab auf einige zentrale Unterschiede hingewiesen, die ich sehe.

Du bestreitest diese ("es gab in der DDR Eigentum") bzw. siehst ihre Bedeutung anders. Ich denke, das wäre eine längere (wichtige) Diskussion.

Kurz zu dem, was Du schreibst:

Wenn ein kapitalistischer Mischkonzern eine defizitäre Sparte stützt,
dann geht auch ein nicht-profitabler Geschäftsbereich nicht bankrott,
z.B. Bosch seine Solarsparte.

Ja. Aber ist das die Regel bei kleinen und mittleren Betrieben (der Mehrzahl der Betriebe)? Oder eher bei Großbetrieben? Auch beim staatlichen Bailout geht es ja v.a. um Großbetriebe, nach dem Motto "too big to fail". Die haben dann enorme Macht über die Regierung.

Mir geht es auch nicht um den Bankrott, sondern um die Motivstruktur, die seine Möglichkeit für kleine und mittlere Unternehmen schafft. Das Bankrottrisiko kann im Kapitalismus höher oder niedriger sein, es schafft aber ein Motiv für betriebswirtschaftliche Effizienz und v.a. für Kundenfreundlichkeit und Kundenservice: die Kunden als Halter des knappen Geldes müssen umworben werden. Man freut sich über sie, weil sie knapp sind - man kann es sich nicht leisten, sie Schlangestehen zu lassen. Das sind "Käufermärkte" mit "Kunden" als "Königen".

In der DDR gab es schlicht kein Bankrottrisiko für die Betriebe. Oder siehst Du das anders?

Um die wirtschaftliche Entwicklung der DDR zu begreifen, muss man auch
die Perioden differenziert betrachten. Bis 1972 gab es einen
Mittelstand. Mir bekannt sind die Strickereien in Apolda, deren
Eigentümer sogar Millionäre waren, weil sie moderne Strickmaschinen
gekauft hatten ...

Gekauft wann, von wem und womit (wie bezahlt)?

Letztlich musst sich die DDR sehr wohl auf dem Weltmarkt behaupten und
gleichzeitig die Bevölkerung materiell zufrieden genug halten.

Natürlich mußte man exportieren, wenn man importieren wollte.

Ich schrieb:
"V.A. bei den Innovationen tat sich kaum etwas. Man kann VW Golf und
Wartburg vergleichen - oder VW Golf und Moskvitch, oder Dacia (80er).

Im Sozialismus gab es (soweit ich es nach den Infos, die ich habe,
beurteilen kann) wenig Freiheit und Innovation, dafür aber relativ große
soziale Sicherheit. "

Du hast geantwortet:
Golf hat eine moderne Massenproduktion von Ford erhalten, das war ja die
Idee des Marshall-Plans - von der US-Regierung bezahlte Aufträge für
US-Unternehmen.

Ja. D war ein besetztes und zerstörtes Land, und die Besatzer verhielten sich unterschiedlich. Die Sowjets demontierten, die Amis vergaben Kredite für den Wiederaufbau, weil sie Angst hatten, Europa könne sozialistisch werden.

Nicht zu vergessen war der Beutezug der US-Truppen, welche zuerst
ankamen, und die bei Zeiss, Motorenwerken NSU, die
Produktionskapazitäten in Kisten packten und nach Oberkochen,
Ingolstadt, etc. mitnahmen. Zudem wurden die Ingenieure abgeworben und
bis in die 50er über die Grenze schleusten. Was die Amerikaner daließen,
transportierte die SU in großem Umfang als Reparationen ab.

dazu Wikipedia:

"Davon betroffen waren 2.000 bis 2.400 der wichtigsten und
bestausgerüsteten Betriebe innerhalb der Sowjetischen Besatzungszone.
Bis März 1947 wurden zudem 11.800 km Eisenbahnschienen demontiert und in
die SU verbracht. Damit wurde das Schienennetz bezogen auf den Stand von
1938 um 48 % reduziert. Der Substanzverlust an industriellen und
infrastrukturellen Kapazitäten durch die Demontagen betrug insgesamt
rund 30 % der 1944 auf diesem Gebiet vorhandenen Fonds. Ab Juni 1946
(SMAD-Befehl Nr. 167) begann sich die Form der Reparationen von
Demontagen auf Entnahmen aus laufender Produktion im Rahmen der
Sowjetischen Aktiengesellschaften zu verlagern. Diese Entnahmen aus
laufender Produktion betrugen zwischen 1946 und 1953 jährlich zwischen
48,0 und 12,9 % (durchschnittlich 22 %) des Bruttosozialprodukts.[4] Die
Reparationen endeten nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953. [...]
eine Gesamtsumme von mindestens 54 Milliarden Reichsmark bzw. Deutsche
Mark (Ost) zu laufenden Preisen bzw. auf mindestens 14 Mrd. US-Dollar zu
Preisen des Jahres 1938."

Schon richtig, aber mir ging es ja um die unterschiedlichen Form der sozialen Beziehungen in Kapitalismus und Sozialismus (hie "Vertrag" mit Vermögenshaftung, dort staatlicher Plan plus informelle persönliche Beziehungen) und deren Folgen für Effizienz und Innovativität der Produktion. Die Menschen selbst waren und sind in einem sozialistischen System nicht weniger innovativ oder erfindungsreich als in einem kapitalistischen. Nur gelingt die industrielle Umsetzung im Sozialismus oft nicht, weil kein Interesse an kostensenkenden Innovationen besteht wie in kapitalistischen Betrieben, und die Innovateure sich die Köpfe an der Nomenklatura einrennen, während sie im Kapitalismus Entrepreneure werden können.

Die Überwachungsmaschinerie, das Misstrauen das Staates gegenüber den
Bürgern war m.E. einer der wesentlichen Gründe für den Zusammenfall,
aber wir wollten ja hier wirtschaftliche Systeme vergleichen.

Ja, wobei ja beide nicht unabhängig voneinander sind.

Auch am Beispiel Japan und Korea widerlegst du dich selbst. Die waren
zunächst praktisch sozialistisch organisiert. Bei Aufbau von "großer
"Infrastruktur gibt es viel Argumente für eine staatliche
Planwirtschaft, siehe auch Übertragungsnetze heutzutage.

Was genau meinst Du mit "praktisch sozialistisch"? Es gab kein Privateigentum an Produktionsmittel? Sorry - da hab ich andere Informationen. Daß der Staat die entscheidende Rolle beim Installieren von Kapitalismus zwecks nachholender Modernisierung spielen muß, ist klar. Das war auch in Preußen 1806ff. so. Das aber hat mit Sozialismus nichts zu tun, sondern ist Schaffung von Kapitalismus "von oben".

Was die Innovation angeht liegst du sehr falsch. Das Erfinderwesen wurde
stark gefördert, schon in den Schule (mit Wettbewerben wie Messe der
Meister von Morgen). Das Beispiel FORON zeigt sehr gut, wieviel
Innovationskraft ehemalige VEB hatte und nach der Wende noch massiv
ausbauen konnten. Ein Wissenschaftler fühlt sich in einem sozial
abgesicherten System tendenziell am wohl. Das heutige System der
Antragschreiberei, das "publish-or-perish" ist doch innovationstötend.

Klar, alles richtig. Innovation war hoch geschätzt, kam aber u.a. aus den Gründen, die ich oben genannt habe, nicht als kostensenkende Innovationen in den Betrieben an, weil dafür kein Bedarf bestand.

Das "System der Antragschreiberei" ist ja ein "planwirtschaftliches". Kann der Innovator Entrepreneur werden, sieht das anders aus - er ist dann aber betriebswirtschaftlichen Restriktionen unterworfen und muß sich einen soliden Businessplan überlegen.

Erst mit der Halbleitertechnik hat der Westen den Osten wirklich
abgehängt. Bis in die 80er waren z.B. Zeissprodukte auf dem Weltmarkt
konkurenzlos gut.

Halbleitertechnik - ok, und Zeiss - klar (wobei das ja ein altes Unternehmen war, das aus kapitalistischen Zeiten stammte, mit entsprechenden Traditionen).

Worin bestanden Deiner Meinung nach die entscheidenden Systemunterschiede (BRD-DDR), auf der Ebene des ökonomischen Systems?

Beste Grüße - und sorry nochmal, ich wollte Dich nicht persönlich angreifen oder die DDR schlechtmachen. Wahrscheinlich kam das "Besserwessi-mäßig" rüber ... das tut mir leid.

Aber eine Auseinandersetzung mit der Funktionsweise des Realsozialismus im Vergleich zum Kapitalismus halte ich schon für enorm wichtig.




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