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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Geld = auf Rechtskonstruktion basierendes soziales Beziehungsgeflecht

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Geld = auf Rechtskonstruktion basierendes soziales Beziehungsgeflecht


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Geld = auf Rechtskonstruktion basierendes soziales Beziehungsgeflecht
  • Date: Fri, 16 May 2014 19:11:29 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Ergänzung hierzu:

/Die ersten Kreditzahlungsmittel der Geschichte waren "Wechsel". Sie wurden zu "zirkulationsfähigen" Zahlungsmitteln, weil der B dem C versprach, für den Fall der Nichtleistung des A selbst zu haften. Das ähnelt einer Bürgschaft. Der C weiß dann: wenn A nicht leistet oder selbst bei Zwangsvollstreckung nicht die vereinbarte Leistung erbringen kann, dann kann er sich an B schadlos halten. Der C weiß auch, daß der B dies natürlich vermeiden will und sich deshalb von der Leistungsfähigkeit des A überzeugt hat, bevor er von diesem ein IOU akzeptiert hat.

Dieser Schritt ist entscheidend und epochemachend in der Geschichte. Denn nun kann C das IOU eines Dritten akzeptieren, den er nicht einmal zu kennen braucht: durch die Haftungskette, in der auch der B in Haftung genommen werden kann, entsteht plötzlich die Möglichkeit ANONYMISIERTER Schuldverhältnisse. Das ist der entscheidende Schritt zu "Business"-Beziehungen: formalisierten Beziehungen, die NICHT mehr nur auf persönlicher Verwandtschaft oder Bekanntschaft beruhen.

Gesellschaften, die kein Eigentums- Vertrags- und Schuldrecht haben, das obiges ermöglicht, müssen für die Gestaltung ihrer Beziehungen auf direkte, persönliche Beziehungen zurückgreifen (was aus der Sicht des "Business" dann wie "Vetterleswirtschaft" oder gar "Korruption" aussehen mag, aber einfach die normale Beziehungsform bei Abwesenheit von Eigentums- und Vertragsrecht (Zivilrecht) darstellt. Verwandtschaftliche Reziprozität auf der Basis direkter Beziehungen stellen die Urform menschlicher Beziehungen dar und sind frei von "Bussiness Considerations".

Der Sozialismus z.B., dem diese formalisierten Rechtsbeziehungen zwischen "freien und gleichen Rechtspersonen" fehlte, beruhte sehr stark auf solchen direkten persönlichen Bekanntschaften:

http://web.gc.cuny.edu/Anthropology/docs/INTL-ENC.doc/

Und der Postsozialismus noch ebenso ("Sistema" - informelle Netzwerke, im Westen oft "Korruption" genannt), siehe z.B. die Quellen, die ich hier zusammengestellt habe:

https://wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik/Quellen/sortiert_nach_person#Ledeneva.2C_Alena_V.

https://wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik/Quellen/sortiert_nach_person#Vinogradova.2C_Elena

Entscheidend ist der Schritt von einer Namensforderung (nur der konkret benannte Gläubiger kann vom Schuldner eine Leistung fordern) zu einer ("zirkulationsfähigen") Inhaberforderung (jeder beliebige Halter der Forderung kann vom Schuldner eine Leistung fordern). Dies wird erreicht durch die Haftungskette: B haftet gegenüber dem C für den A, wenn A ausfällt. Das Verhältnis zwischen dem C und dem A wird damit anonym - exakt das ist bei rein persönlichen Beziehungen nicht möglich, und dies macht eine der wichtigsten Essenzen des "Business" = bürgerlicher "Geldwirtschaft" aus. Durchsetzbare, formalisierte Verpflichtungsbeziehungen zwischen Personen können als Dokumente anonym weitergereicht werden.

Wenn man den Wechsel als Zahlungsmittel (oder analog auch "Giralgeld", oder jedes beliebige "Finanzinstrument") verstehen will, muß man verstehen, daß er eine Rechtskonstruktion ist, die Beziehungen zwischen drei (oder mehr) Personen und dem Staat herstellt und für diese Personen (per Vertrag) bestimmte Erwartungen in Bezug auf Pflichten und mögliche Folgen ihres Versäumens und damit bestimmte Handlungsmotive etabliert (der Schuldner wird versuchen, wie versprochen zu leisten, um die Vollstreckung zu vermeiden; der Erstgläubiger wird versuchen, die Leistungsfähigkeit des Schuldners genau zu überprüfen und ihm nur Kredit zu geben, wenn er von dieser überzeugt ist, etc.).

Der Staat ist von vorneherein Teil des Beziehungsgeflechts, weil er den Rechtspersonen ("freie und gleiche Eigentümer") fürs Einklagen und Vollstrecken ihrer Forderungen sein (an bürgerliches Recht gebundenes) Gewaltmonopol zur Verfügung stellt. Selbstjustiz ist ausgeschlossen, die Vollstreckung kann nicht der Gläubiger selbst, sondern nur der Gerichtsvollzieher übernehmen. Da der Staat die Bereitstellung dieser Leistung finanzieren muss, muss er Steuern erheben.

Ein abstraktes Wort wie "Vertrauen" für sich allein genommen ist viel zu unspezifisch, um dieses formalisierte (bürg. Recht!) Geflecht zwischen Rechtspersonen und dem Staat zu beschreiben. Es zeigt auch, wie jede Vorstellung einer "Deckung" von Geld oder Forderungen mit Gütern eine irreführende, falsch vereinfachende Metapher ist, die das Entscheidende ausblendet: die Personen selbst und die ihnen aus dem vertraglichen Beziehungsgeflecht erwachsenden (subjektiven, "geistigen") Erwartungen und Handlungsmotive. Schon allein deshalb ist Quantitätstheorie nichts als oberflächliche Motorhaubenbenbeleuchterei, ohne die Existenz des darunterliegenden Motors auch nur wahrzunehmen.

Die Erwartungen und Motive sind mit dem obigen noch längst nicht erschöpfend beschrieben - dazu muß die Geschichte noch viel präziser erzählt werden und z.B. auch der mentale Prozess präziser beschrieben werden, nach dem der Gläubiger die erwartete Leistungsfähigkeit des Schuldners beurteilt und den erwarteten Wert seiner haftenden Sicherheiten einschätzt, was dann die "Kreditwürdigkeit" des Schuldners aus seiner Sicht ausmacht.

Sobald man dies tut, gelangt man bald zum Verständnis von "credit cycles" und der "inherent instability of credit". Und diese "Theorie" hat dann notwendigerweise die Form einer Geschichte, mit Akteuren, die unter den Prämissen bestimmter rechtlich garantierter und durchsetzbarer Verpflichtungen begründet handeln.

Aber dazu später (muss weg).




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