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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab
  • Date: Sun, 18 May 2014 13:50:04 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hi Thomas,

Letztlich ist Innovation nirgends anonym durchsetzbar, außer vielleicht im Softwarebereich (-> GitHub)

Mich würde dann interessieren, wie Du Dir erklärst, daß fast alle industriellen Innovationen aus kapitalistischen Systemen kamen (und in den sozialistischen Systemen dann "nur" kopiert wurden).

Und vor allem, wie erklärst Du Dir, daß es mit dem "einholen und überholen" des Kapitalismus (auf dem Feld der Produktivkräfte, also auch Innovationen) nicht klappte, obwohl das das erklärte Ziel war, das sich aus der Marx'schen Theorie ergeben hatte (Rationalität des Einzelbetriebs - geplante Arbeitsteilung - auf die Gesamtgesellschaft anwenden und so die "Anarchie des Marktes" samt seiner Krisen beseitigen)? Und das aus der Sicht der Marx'schen Theorie auch leicht hätte erreicht werden können (Produktivkraftentfesselung durch bewußte Planung der im Markt sich "anarchisch" entwickelnden Arbeitsteilung?

Kornai hat dafür eine m.E. sehr plausible Erklärung gegeben (hab auf der wiki-Quellenseite dazu einiges verlinkt https://wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik/Quellen/sortiert_nach_person#Kornai.2C_J.C3.A1nos, das ggf. der Diskussion wert wäre)

Ich werde dazu noch etwas schreiben, da ich meine, daß eines der großen Versäumnisse der Linken bis heute darin besteht, daß nie eine ernsthafte Aufarbeitung des Sozialismus und seiner Verbindung zur Marx'schen Theorie stattgefunden hat - denn da gibt es eine direkte Verbindungslinie, und die Marx'sche Fehlprognose hinsichtlich der Kapazität einer Planwirtschaft zur Produktivkraftentfesselung wurzelt direkt darin, daß Marx nicht verstanden hat, wie Kapitalismus Innovationen produziert - v.a. nicht, welche Rolle Kredit und Geld dabei einnehmen).

Für sozialliberal Gesinnte wäre es auch deshalb sehr wichtig, um den neoliberalen "Sozialismus"-Vorwürfen etwas entgegenhalten zu können.

An denen ist zwar nicht GAR NICHTS dran. Es gibt m.E. durchaus Gemeinsamkeiten zwischen einer (redistributiven) sozialistischen Planwirtschaft und dem Staatssektor in einer kapitalistischen Ökonomie, wie z.B. eine gewisse Ineffizienz und mangelnde Kundenorientierung (ich habe z.B. letztes Jahr auf der KfZ-Zulassungsstelle 2 Stunden gewartet ...), aber der Staatssektor hat eben im Kapitalismus auch eine gesamtwirtschaftliche Funktion der antizyklischen Steuerung der Marktprozesse auf monetärem Weg (via Fiskalpolitik), die verhindert, daß der Markt sich permanent selbst unterminiert.

Diese blenden Marktfundamentalisten gewohnheitsmäßig aus, weil für sie per Definitionem (per Dogma) der Markt stets perfekte Ergebnisse produziert und jede Fehlfunktion "daher" immer nur auf den Staat zurückzuführen ist (ein Attributionsmuster, das leider mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat, sondern deren Erkenntnis gerade verhindert, dabei aber natürlich massiv die Interessen der Vermögenden (des Bündnisses zw. Finanzkapital und Realkapital) bedient - besonders im Hinblick auf die Deregulierung der Finanz- und Arbeitsmärkte).

Die genaue Herausarbeitung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Staatssektors in einer kapitalistischen Ökonomie und einer sozialistischen Planwirtschaft wäre m.E. ein wichtiges Thema innerhalb der generellen Aufarbeitung der ökonomischen Funktionsweise und Geschichte des Realsozialismus - beides m.E. ein echtes "Muß" für liberalsozial Gesinnte.

Es ging mit also um alles andere als um "DDR-Bashing" - sorry, wenn das bei Dir so ankam.

/Geoffrey Lloyd mit Nathan Sivin: "The Way and the Word" /

das interessiert mich sehr, hast du das als e-book?

Leider nicht, ich hatte es nur aus der hiesigen Unibibliothek ausgeliehen und hab mir ein paar Seiten daraus kopiert (auf Papier). Aber Du kannst hier einen Blick reinwerfen:

http://books.google.de/books?id=PwB_IH0blNYC&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false

Aus einer Rezension:

/"The Chinese were collaborative, the Greeks competitive; in China agreement was sought out or else assumed to exist, in Greece rivalry flourished and was promoted; the Chinese contemplated, the Greeks reasoned. Greek thought is marked by ‘strident adversariality’ and ‘rationalistic aggressiveness’. The turbulent Greeks had to make their way in the ‘competitive hurly-burly of the Hellenic world’, whereas in gentle China an intellectual’s concern ‘was first and foremost persuading a ruler or his surrogates to want their advice’." (Quelle http://www.lrb.co.uk/v25/n20/jonathan-barnes/spiv-v-gentleman)/

Lloyd führt das auf die unterschiedlichen Sozialstrukturen zurück (freie Bürger und Demokratie in Griechenland, Kaiser mit Feudalsystem in China).

Ich würde Dir empfehlen, v.a. mal ins zusammenfassende 6. Kapitel reinzulesen.

Lloyd hat auch in anderen Büchern den Vergleich zwischen dem antiken Griechenland und dem antiken China gemacht, z.B. in "Adversaries and Authorities: Investigations into ancient Greek and Chinese Science http://books.google.de/books?id=3820gVEQu1AC&printsec=frontcover&dq=inauthor:%22Geoffrey+Ernest+Richard+Lloyd%22&hl=de&sa=X&ei=ELJ4U-r_Aamx0QWDw4HIBA&ved=0CGoQ6AEwBg#v=onepage&q&f=false"; in oder in dem wie ich finde hochinteressanten und exzellenten "Demystifying Mentalities http://books.google.de/books?id=6MfAZvbmBecC&printsec=frontcover&dq=lloyd+demystifying+mentalities&hl=de&sa=X&ei=BbJ4U5X9NonJ0AXYl4DIDA&ved=0CEcQ6AEwAA#v=onepage&q=lloyd%20demystifying%20mentalities&f=false";.

Vergleichende Wissenschaftsgeschichte und -Theorie at its best!

Einen Zusammenhang zwischen Gesellschaftsform (Eigentum/Freiheit/Gleichheit, Geldwirtschaft, Demokratie) und Denkform (Philosophie, Religionskritik, (Proto-)Wissenschaft) der antiken Griechen arbeitet auch Richard Seaford in "Money and the Early Greek Mind http://www.amazon.com/Money-Early-Greek-Mind-Philosophy/dp/0521539927"; heraus (Buchbesprechung mit Inhaltsangabe hier https://ndpr.nd.edu/news/23014-money-and-the-early-greek-mind-homer-philosophy-tragedy/).

Ähnliches hatten auch einige Marxisten wie Alfred Sohn-Rethel ("Warenform und Denkform") oder Rudolf Wolfgang Müller ("Geld und Geist") versucht, blieben aber recht vage. Ich hatte mal versucht, dem nachzugehen und fand Lloyds Arbeiten da noch am aufschlußreichsten. Aus meiner Sicht ist der Schlüsselbegriff zum Verstehen des Zusammenhangs von Gesellschaftsform und Denkform im Fall der Griechen bzw. der westl. Zivilisation das Ideal der "Gleichheit". Nicht zufällig behandeln bürgerliche Gesetze alle Bürger als gleiche, und ist gleichzeitig das wissenschaftliche Ideal der westlichen Naturwissenschaften die Herausarbeitung "allgemeiner Gesetze" gewesen.

M.E ließe sich ggf. sogar genereller zeigen, daß Gesellschaften ihren Blick auf die Natur typischerweise analog ihrer gesellschaftlichen Grundstruktur strukturieren - nicht zuletzt, um diese Sozialstruktur dann umgekehrt als "natürlich" erscheinen lassen und so rechtfertigen und stabilisieren zu können (z.B. "Naturrecht").

Traditionale Naturerklärungen (Stämme) folgen dem Muster von Familienstrukturen (Götterfamilien sind "zuständig" für die verschiedenen Naturphänomene), etc.

Das jeweilige Naturbild (bzw. im Westen das "Wissenschaftsmodell" bzw. "Wissenschaftsideal") hat also auch ideologische, die Sozialstruktur stabilisierende Funktionen und nicht nur reine "Erkenntnisfunktionen". Zum Thema der unsinnigen Anwendung solcher naturwissenschaftlichen Ideale auf die Sozialwissenschaften ließe sich noch vieles sagen. In der Ökonomie sind abstrakte Modelle aber angemessen, da die Gesellschaftsstruktur selbst eine ist, die auf abstrakten Gesetzen (für gleiche Bürger) basiert. Etc.

Ok ... sorry, bißchen abgeschweift.

Gruß+Ciao.




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