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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: thomas <pazeterno AT web.de>
- To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] DDR und Sozialismus, was: Soros: Europas Zukunft ...
- Date: Sat, 17 May 2014 20:40:19 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
On 17/05/14 10:12, moneymind wrote:
> Hallo Thomas,
>
> erstmal wollte ich mich für den scharfen Ton entschuldigen. Ich wollte
> weder die DDR schlecht machen noch Dich persönlich angreifen.
ich bitte sogar darum, die DDR schlecht zu machen, insbesondere die
Überwachungsdiktatur!
>
> Ich finde einfach nur wichtig, beim Analysieren der "bürgerlichen
> Gesellschaft" den Vergleich mit andere Gesellschaftsformen zu machen -
> sowohl mit Stämmen, als auch mit redistributiven
> Feudal-/Abgabensystemen, als auch mit dem Realsozialismus.
>
> Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu sehen, hilft m.E., die
> Gesellschaft, in der man selber lebt, klarer zu verstehen. Es hilft
> auch, keine der verschiedenen Gesellschaftsformen allzusehr zu
> idealisieren.
>
> Insofern fände ich es auch wichtig, sich die ökonomische Funktionsweise
> des Realsozialismus anzuschauen und hab auf einige zentrale Unterschiede
> hingewiesen, die ich sehe.
>
> Du bestreitest diese ("es gab in der DDR Eigentum") bzw. siehst ihre
> Bedeutung anders. Ich denke, das wäre eine längere (wichtige) Diskussion.
>
> Kurz zu dem, was Du schreibst:
>
>> Wenn ein kapitalistischer Mischkonzern eine defizitäre Sparte stützt,
>> dann geht auch ein nicht-profitabler Geschäftsbereich nicht bankrott,
>> z.B. Bosch seine Solarsparte.
>
> Ja. Aber ist das die Regel bei kleinen und mittleren Betrieben (der
> Mehrzahl der Betriebe)? Oder eher bei Großbetrieben? Auch beim
> staatlichen Bailout geht es ja v.a. um Großbetriebe, nach dem Motto "too
> big to fail". Die haben dann enorme Macht über die Regierung.
>
Genau darum geht es bei der Kontroverse um den Eigentumsbegriff. Die
demokratische Bürgergesellschaft konstituiert sich aus der gegenseitigen
Garantie zwischen Bürger und Staat, die dem Bürger seine individuellen
Rechte und dem Staat die Macht, diese zu garantieren, zusichert.
Kontrovers wird es, wenn individuelle Rechte kollidieren; wie z.B. das
Recht auf Vertragsfreiheit mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung,
wenn ein Arbeitgeber einem politischen unangenehm gesinnten Arbeitnehmer
kündigt.
Dann muss der demokratische Prozess eine Rechtsnorm etablieren, die
einen Ausgleich herstellen kann. Wenn nun der demokratische Prozess aber
gerade wegen Eigentumskonzentration (Ungleichverteilung) zu Gunsten des
Eigentums (und damit auch zugunsten des Arbeitgebers) durch die
Vermögenden beeinflusst wird, dann wird dieser Ausgleich nicht oder
nicht mehr vollständig herbeigeführt. Das führt in einen Zustand, wo der
Staat de facto nicht mehr die Rechte aller Bürger garantiert. Diese
"Outlaws" werden in Folge dessen die Beziehung zum Staat aufkündigen,
ihn bekämpfen und beseitigen wollen (politischer Extremismus).
Aus diesem Grund ist der Eigentumsbegriff dem politischen Prozess
unterzuordnen, denn wie das BVerfG feststellt, ist die Bundesrepublik
eine Demokratie mit Volkssouveränität. D.h. das Volk kann kraft seiner
Beteiligungsmöglichkeiten der Umverteilung Grenzen setzen und Eigentum
explizit verpflichten.
> Mir geht es auch nicht um den Bankrott, sondern um die Motivstruktur,
> die seine Möglichkeit für kleine und mittlere Unternehmen schafft. Das
> Bankrottrisiko kann im Kapitalismus höher oder niedriger sein, es
> schafft aber ein Motiv für betriebswirtschaftliche Effizienz und v.a.
> für Kundenfreundlichkeit und Kundenservice: die Kunden als Halter des
> knappen Geldes müssen umworben werden. Man freut sich über sie, weil sie
> knapp sind - man kann es sich nicht leisten, sie Schlangestehen zu
> lassen. Das sind "Käufermärkte" mit "Kunden" als "Königen".
>
> In der DDR gab es schlicht kein Bankrottrisiko für die Betriebe. Oder
> siehst Du das anders?
Letztlich ist der Grund, warum ein Unternehmen funktioniert und
erfolgreich ist in der Leistung seiner Mitarbeiter*innen und der
Integration dieser Leistungen (Leitung) begründet. Die Angst vor dem
Bankrott spielt da nur eine perifere Rolle. Die eigentliche Motivation
des Einzelnen ist eine sehr tiefgehende Fragestellung der Psychologie,
die hier jeden Rahmen sprengen würde.
Der gesellschaftliche "Kitt", wie Buschbeck sagt, der DDR war eine
Vision. Jede Staatsform bedarf einer Rechtfertigung, in der DDR war es
eine Vision, die Ideologie wurde, die Wahn wurde und sich selbst in die
Tiefe zog. Der gesellschaftliche Kitt unserer Gesellschaft ist die
individuelle Freiheit. Wir müssen aufpassen, nicht in die selbe
(Ideologie-Wahn-)Falle zu tappen.
>
>> Um die wirtschaftliche Entwicklung der DDR zu begreifen, muss man auch
>> die Perioden differenziert betrachten. Bis 1972 gab es einen
>> Mittelstand. Mir bekannt sind die Strickereien in Apolda, deren
>> Eigentümer sogar Millionäre waren, weil sie moderne Strickmaschinen
>> gekauft hatten ...
>
> Gekauft wann, von wem und womit (wie bezahlt)?
>
>> Letztlich musst sich die DDR sehr wohl auf dem Weltmarkt behaupten und
>> gleichzeitig die Bevölkerung materiell zufrieden genug halten.
>
> Natürlich mußte man exportieren, wenn man importieren wollte.
>
>> Ich schrieb:
>> "V.A. bei den Innovationen tat sich kaum etwas. Man kann VW Golf und
>> Wartburg vergleichen - oder VW Golf und Moskvitch, oder Dacia (80er).
>>
>> Im Sozialismus gab es (soweit ich es nach den Infos, die ich habe,
>> beurteilen kann) wenig Freiheit und Innovation, dafür aber relativ große
>> soziale Sicherheit. "
>>
>> Du hast geantwortet:
>> Golf hat eine moderne Massenproduktion von Ford erhalten, das war ja die
>> Idee des Marshall-Plans - von der US-Regierung bezahlte Aufträge für
>> US-Unternehmen.
>
> Ja. D war ein besetztes und zerstörtes Land, und die Besatzer verhielten
> sich unterschiedlich. Die Sowjets demontierten, die Amis vergaben
> Kredite für den Wiederaufbau, weil sie Angst hatten, Europa könne
> sozialistisch werden.
>
>> Nicht zu vergessen war der Beutezug der US-Truppen, welche zuerst
>> ankamen, und die bei Zeiss, Motorenwerken NSU, die
>> Produktionskapazitäten in Kisten packten und nach Oberkochen,
>> Ingolstadt, etc. mitnahmen. Zudem wurden die Ingenieure abgeworben und
>> bis in die 50er über die Grenze schleusten. Was die Amerikaner daließen,
>> transportierte die SU in großem Umfang als Reparationen ab.
>>
>> dazu Wikipedia:
>>
>> "Davon betroffen waren 2.000 bis 2.400 der wichtigsten und
>> bestausgerüsteten Betriebe innerhalb der Sowjetischen Besatzungszone.
>> Bis März 1947 wurden zudem 11.800 km Eisenbahnschienen demontiert und in
>> die SU verbracht. Damit wurde das Schienennetz bezogen auf den Stand von
>> 1938 um 48 % reduziert. Der Substanzverlust an industriellen und
>> infrastrukturellen Kapazitäten durch die Demontagen betrug insgesamt
>> rund 30 % der 1944 auf diesem Gebiet vorhandenen Fonds. Ab Juni 1946
>> (SMAD-Befehl Nr. 167) begann sich die Form der Reparationen von
>> Demontagen auf Entnahmen aus laufender Produktion im Rahmen der
>> Sowjetischen Aktiengesellschaften zu verlagern. Diese Entnahmen aus
>> laufender Produktion betrugen zwischen 1946 und 1953 jährlich zwischen
>> 48,0 und 12,9 % (durchschnittlich 22 %) des Bruttosozialprodukts.[4] Die
>> Reparationen endeten nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953. [...]
>> eine Gesamtsumme von mindestens 54 Milliarden Reichsmark bzw. Deutsche
>> Mark (Ost) zu laufenden Preisen bzw. auf mindestens 14 Mrd. US-Dollar zu
>> Preisen des Jahres 1938."
>
> Schon richtig, aber mir ging es ja um die unterschiedlichen Form der
> sozialen Beziehungen in Kapitalismus und Sozialismus (hie "Vertrag" mit
> Vermögenshaftung, dort staatlicher Plan plus informelle persönliche
> Beziehungen) und deren Folgen für Effizienz und Innovativität der
> Produktion. Die Menschen selbst waren und sind in einem sozialistischen
> System nicht weniger innovativ oder erfindungsreich als in einem
> kapitalistischen. Nur gelingt die industrielle Umsetzung im Sozialismus
> oft nicht, weil kein Interesse an kostensenkenden Innovationen besteht
> wie in kapitalistischen Betrieben, und die Innovateure sich die Köpfe an
> der Nomenklatura einrennen, während sie im Kapitalismus Entrepreneure
> werden können.
>
>> Die Überwachungsmaschinerie, das Misstrauen das Staates gegenüber den
>> Bürgern war m.E. einer der wesentlichen Gründe für den Zusammenfall,
>> aber wir wollten ja hier wirtschaftliche Systeme vergleichen.
>
> Ja, wobei ja beide nicht unabhängig voneinander sind.
>
>> Auch am Beispiel Japan und Korea widerlegst du dich selbst. Die waren
>> zunächst praktisch sozialistisch organisiert. Bei Aufbau von "großer
>> "Infrastruktur gibt es viel Argumente für eine staatliche
>> Planwirtschaft, siehe auch Übertragungsnetze heutzutage.
>
> Was genau meinst Du mit "praktisch sozialistisch"? Es gab kein
> Privateigentum an Produktionsmittel? Sorry - da hab ich andere
> Informationen. Daß der Staat die entscheidende Rolle beim Installieren
> von Kapitalismus zwecks nachholender Modernisierung spielen muß, ist
> klar. Das war auch in Preußen 1806ff. so. Das aber hat mit Sozialismus
> nichts zu tun, sondern ist Schaffung von Kapitalismus "von oben".
Funfact: Dänemark hatte in den 70ern den Sozialismus ausgerufen,
woraufhin die DDR-Führung sich genötigt sah, sich als
*realexistierenden* Sozialismus zu bezeichnen.
>
>> Was die Innovation angeht liegst du sehr falsch. Das Erfinderwesen wurde
>> stark gefördert, schon in den Schule (mit Wettbewerben wie Messe der
>> Meister von Morgen). Das Beispiel FORON zeigt sehr gut, wieviel
>> Innovationskraft ehemalige VEB hatte und nach der Wende noch massiv
>> ausbauen konnten. Ein Wissenschaftler fühlt sich in einem sozial
>> abgesicherten System tendenziell am wohl. Das heutige System der
>> Antragschreiberei, das "publish-or-perish" ist doch innovationstötend.
>
> Klar, alles richtig. Innovation war hoch geschätzt, kam aber u.a. aus
> den Gründen, die ich oben genannt habe, nicht als kostensenkende
> Innovationen in den Betrieben an, weil dafür kein Bedarf bestand.
>
> Das "System der Antragschreiberei" ist ja ein "planwirtschaftliches".
> Kann der Innovator Entrepreneur werden, sieht das anders aus - er ist
> dann aber betriebswirtschaftlichen Restriktionen unterworfen und muß
> sich einen soliden Businessplan überlegen.
>
>> Erst mit der Halbleitertechnik hat der Westen den Osten wirklich
>> abgehängt. Bis in die 80er waren z.B. Zeissprodukte auf dem Weltmarkt
>> konkurenzlos gut.
>
> Halbleitertechnik - ok, und Zeiss - klar (wobei das ja ein altes
> Unternehmen war, das aus kapitalistischen Zeiten stammte, mit
> entsprechenden Traditionen).
>
> Worin bestanden Deiner Meinung nach die entscheidenden
> Systemunterschiede (BRD-DDR), auf der Ebene des ökonomischen Systems?
>
> Beste Grüße - und sorry nochmal, ich wollte Dich nicht persönlich
> angreifen oder die DDR schlechtmachen. Wahrscheinlich kam das
> "Besserwessi-mäßig" rüber ... das tut mir leid.
>
> Aber eine Auseinandersetzung mit der Funktionsweise des Realsozialismus
> im Vergleich zum Kapitalismus halte ich schon für enorm wichtig.
>
- Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab, (fortgesetzt)
- Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab, moneymind, 15.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab, thomas, 16.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab, moneymind, 16.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab, thomas, 16.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab, thomas, 16.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] DDR und Sozialismus, was: Soros: Europas Zukunft ..., moneymind, 17.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] DDR und Sozialismus, was: Soros: Europas Zukunft ..., Ex-SystemPirat, 17.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab, moneymind, 17.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] DDR und Sozialismus, was: Soros: Europas Zukunft ..., Rudi, 17.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] kein Bashing, nur Plädoyer für Systemvergleich, moneymind, 17.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] DDR und Sozialismus, was: Soros: Europas Zukunft ..., thomas, 17.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab, moneymind, 17.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab, thomas, 17.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab, moneymind, 18.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab, thomas, 18.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab, moneymind, 18.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab, Rudi, 19.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] George Soros: Europas Zukunft hängt jetzt von Deutschland ab, thomas, 19.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemvergleich, wasGeorge Soros: Europas Zukunft ..., moneymind, 18.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemvergleich, wasGeorge Soros: Europas Zukunft ..., Marco Schmidt, 18.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemvergleich, wasGeorge Soros: Europas Zukunft ..., Ex-SystemPirat, 19.05.2014
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