ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
Listenarchiv
- From: Ex-SystemPirat <systempirat AT live.de>
- To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] "Geldsystem", Finanzsektor
- Date: Sun, 9 Mar 2014 11:41:42 +0100
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Am 09.03.2014 00:40, schrieb Arne Pfeilsticker:
Am 06.03.2014 um 01:45 schrieb moneymind <moneymind AT gmx.de
<mailto:moneymind AT gmx.de>>:
Hallo Arne,
danke für Deine Antwort.
Du schreibst:
* To big to fail.
* Too interconnected to fail
* Auflösung der Machtkonzentration des Bankensektors
* Keine Bankenruns
* Stabilisierung der Finanzmärkte
* Billigere und vielfältigere Finanzierung der Realwirtschaft
* Stop der Ausbeutung der Realwirtschaft durch den Finanzsektor
Ok - sehe ich alles auch als Teilprobleme an, die gelöst werden
müssen. Der Finanzsektor muß m.E. stark reguliert werden, ähnlich wie
das nach der Weltwirtschaftskrise und WK II gemacht wurde.
Hallo Wolfgang,
genau hier scheiden sich die Geister. Ich bin kein Freund von
Regulierungen, weil dadurch die Wirtschaftsteilnehmer in einen Konflikt
gestoßen werden. In extremen Situationen lautet der Konflikt: Entweder
ich verstoße gegen die Regeln, oder ich verschwinde vom Markt oder
erleide einen signifikanten Verlust.
Die Notwendigkeit viele Regeln aufstellen zu müssen ist für mich ein
Zeichen, dass die Struktur des Systems nicht optimal ist.
Was wir brauchen sind m.E. Systeme, in denen das eigene Interesse im
Gleichklang mit dem Gemeinwohl steht. Ich plädiere für Systemstrukturen,
in denen das gewünschte Verhalten auf „natürliche“ Weise entsteht.
*Beispiel:*
Wenn man nicht möchte, dass Fahrzeuge auf dem Gehweg parken, dann kann
man wie folgt vorgehen:
Regelungsansatz: Verbotsschilder aufstellen und die Einhaltung durch
Politessen überwachen.
Strukturansatz: Durch bauliche Maßnahmen, wie z.B. hohe Bordsteine
und/oder Poller, das Parken mehr oder weniger unmöglich machen.
Das scheint mir eher ein sehr gutes Beispiel für den hier üblichen völlig willkürlichen Gebrauch von Begriffen auf grundlegender Ebene zu sein.
Warum soll das eine ein Regelungsansatz im Unterschied zu einem Strukturansatz sein? Wenn man diese Begriffe auf so grundlegender Ebene gebraucht, sollte man schon erläutern, wie sie aufeinander bezogen sind.
Brauchen Regelungen keine Strukturen, so dass sie sich durch dieses Merkmal von einem Strukturansatz unterscheiden können?
Wenn ich diese beiden Beispiele fundieren wollte, würde ich die erste als kommunikative Lösung, die zweite als Lösung durch physischen Zwang (Gewalt) bezeichnen.
Wie man bei der Lösung durch physischen Zwang das eigene Interesse (ich nehme mal an, sein Auto abstellen zu wollen) im Gleichklang mit dem Gemeinwohl konstruieren soll, ist mir echt schleierhaft.
In meinem Vorschlag Währungsinfrastruktur in öffentlicher Hand gibt es
fast keine Regel und alle Teilnehmer sind gleichberechtigt.
Das gewünschte Verhalten wird durch bedingte Transparenz, automatischer
Qualitätskontrolle und den sog. empfohlene, standardisierten und
ausgewogenen Verträgen erreicht.
http://wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik/GFO_2.0/EPMS#Empfohlene.2C_standardisierte_und_ausgewogene_Vertr.C3.A4ge
Es fehlen m.E. aber in Deiner Liste enorm wichtige Dinge, wie die
Verteilungsfrage und die Frage von Arbeitsmärkten, Vollbeschäftigung,
Konjunkturpolitik, die Frage des Verhältnisses von Markt und Staat
nicht nur bei der Geldschöpfung, sondern auch bei der Fiskalpolitik, etc.
Die von dir angesprochenen Punkte sind auch nach meiner Meinung enorm
wichtig. - Aber, meine Anregung ist, dass wir je nach Problem und
Aufgabengebiet das hierfür geeignete Werkzeug wählen.
Beispielsweise habe ich auf der ThinkTwice-Konferenz auch ein Vorschlag
zum Abbau der Arbeitslosigkeit gemacht, der gar nichts mit dem
Währungssystem zu tun hat:
http://thinktwice.pp-international.net/PPI/TT2014.nsf/session.xsp?action=openDocument&documentId=3E6BC55DD0F51DF7C1257C60007F2739
Gute Anregung. Meistens war ich bisher zu faul dazu.
Auf den Vortragsfolien zur ThinkTwice Konferenz habe ich am Ende eine
Gegenüberstellung der charakteristischen Eigenschaften vom
derzeitigen System, Bitcoins und meinem Vorschlag (Cooperative
Currency Infrastructure):
http://wiki.piratenpartei.de/Datei:ThinkTwice_2014_Euro_-_Fundamental_reforms_instead_of_Fix_Packs.pdf
Ich schrieb:
Du erwähnst da nur „die Finanzkrisen der letzten Jahre", erklärst
aber nicht, wie diese aus
Deiner Sicht zustande kamen.
Du hast geantwortet:
Dazu habe ich ein Paper geschrieben: Ursachen und Chancen der
Finanzkrise. Es bezieht sich primär auf die Finanzkrise 2007/2008.
Es ist über die Seite bearbeitete Themen verfügbar:
http://wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik/Aufbereitete_Themen#Finanzm.C3.A4rkte
Danke - sieht interessant aus. Sind diese papers auch auf Deiner
Mitgliederprofil-Seite verlinkt, sodaß ich sie bei Bedarf dort schnell
wieder finden kann?
Ja, aber auch Gocht.
Beziehst Du Dich mit Deinen Vollgeld-Ideen auf Fisher und Huber?
Darüber hinaus habe ich schon als Student gekocht, dass durch die
Einführung der EDV und damit verbundenen Einführung des Girokontos für
Jedermann, Schritt für Schritt die Geldschöpfung und der damit
verbundene Geldschöpfungsgewinn dem Staat durch die Banken entzogen
wurde. - Und keine Schein hat’s interessiert.
Den Begriff Geldsystem verwende ich meistens synonym mit Währungssystem.
Wau! - Den Finanzsektor als die "Mutter Theresa" der Volkswirtschaft
zu betrachten - halte ich für etwas gewagt.
Ich glaube, da haben wir uns ziemlich mißverstanden, wohl weil wir
unter dem Begriff "Geldsystem" verschiedene konkrete Dinge verstehen.
Ich meinte: die Prosperitätsphase nach WK II (45-75) lief ja auf der
Basis eines zweistufigen Bankensystems ohne Vollgeldstruktur, also mit
fraktionalem Reservebanking - allerdings auf der Basis eines völlig
anderen internationalen Währungssystems als heute, unter dem
Währungsspekulation schlicht unmöglich und damit die Devisenmärkte
schon mal für Spekulanten geschlossen waren, strikt regulierten
Finanzmärkten, und einer völlig anderen wirtschaftspolitischen
Strategie, als sie heute gefahren wird.
Es fällt mir sehr auf, daß der Fokus hier sehr auf dem "Geldsystem"
liegt, dagegen Wirtschaftspolitik, Arbeitsmarkt,
Finanzmarktregulierung, internationales Währungssystem etc. so gut wie
nie vorkommen.
Bist du sicher, dass es das Geldsystem war, das diesen Wohlstand
gebracht hat? Diese These sollten wir mal intensiver diskutieren.
Können wir gerne machen. M.E. war es eine bestimmte Konstellation
innerhalb des "modernen Geldsystems" (darunter verstehe ich jetzt mal
grob eine "Zivilgesellschaft" mit Eigentums- und Vertragsrecht und
fraktionalem Reservebanking und einer Klasse von Lohnabhängigen),
geprägt durch eine bestimmte, international praktizierte
wirtschaftspolitische Strategie. Also eine "Regulationsform" des
Kapitalismus, wenn Du so willst.
Und wenn wir über Wohlstand reden, dann stellt sich die Frage:
Wohlstand für wen?
Klar. Ich meinte damit, ein relativ hohes Wohlstandsniveau für die
Have-Nots, die Lohnabhängigen (die sich in dieser Zeit zum ersten Mal
in der Geschichte auf breiter Basis z.B. ein Häusle hinstellen und ein
Auto leisten konnten).
Dieser relative Wohlstand wird seit Mitte der 70er in der neuen,
"finanzkapitalistischen" Regulationsform wieder abgebaut (und die
Liberalisierung der Finanzmärkte spielte dafür eine wichtige Rolle).
Ich möchte niemandem die Butter vom Brot kratzen, aber die globalen
Fehlentwicklungen gehen zu einem erheblichen Teil auf das Konto des
Geldsystems.
Da müßte ich genauer wissen, was Du mit "Geldsystem" meinst - und
meine Frage wiederholen: wie kam Deiner Meinung nach die
Prosperitätsphase nach WK II zustande (die ja kaum Finanzkrisen und
Börsenexzesse kannte)?
Die Prosperitätsphase hat m.E. mehrere Väter und Mütter. Das Geldsystem
hat damit zu tun. Siehe weiter unten, aber deine Frage selbst, ist m.E.
eine eigene Diskussion.
sich dann aber in ein Casino-System mit steigender Arbeitslosigkeit
und sich verschärfender Umverteilung von
unten nach oben entwickelt hat,
Die verschärfte und globale Ungleichverteilung des Vermögens hat m.E.
eine entscheidende Wurzel im Geldsystem und dem daraus resultierenden
Finanzsektor.
Nochmals die Frage: wie erklärt sich dann die Prosperitätsphase 45-75?
Hat sich Deiner Ansicht nach das Geldsystem seither entscheidend
verändert oder ist es nach wie vor dasselbe?
Das Währungssystem hat sich m.E. entscheidend geändert. Seit den
1960iger-Jahre hat sich durch die Einführung des Girokontos für
Jedermann die Geldschöpfung von der Zentralbank auf die Geschäftsbanken
verschoben und die Banken haben gemerkt und verstanden, dass man Geld
auch ohne Kredite (an die Realwirtschaft) schöpfen kann.
Interessanter weise waren es die Computer und weniger die
Regeländerungen, die zu dieser entscheidenden Änderung geführt haben.
Gib jemandem eine Gelddruckmaschine und er wird den ganzen Tag nichts
anderes machen als Geld drucken und versuchen die Welt zu kaufen.
Und genau das passiert heutzutage mit den diversen Finanzmarktprodukten.
Unser heutiges Geldsystem hat seine Architektur aus dem 19.
Jahrhundert. Selbst wenn wir heute intensiv Computer einsetzen, ist
es im Kern ungefähr so, wie wenn man versucht einen Ochsenkarren zum
fliegen zu bringen. Ich meine es ist einfacher, wenn man gleich
Flugzeuge baut und genau das versuche ich mit meinem Vorschlag zu machen.
Du redest in Rätseln ...
Die keynesianische Tradition einer "monetären Theorie
der Produktion" kommt einem solchen Verständnis weitaus näher als das
gegenwärtig in den Köpfen dominierende neoklassische Modell, indem
Geld tatsächlich "keine Rolle spielt“.
Egal, ob Keynes oder Klassik, Modelle und Theorien, deren Axiome sich
nicht auf Tatsachen beziehen, können nicht für sich in Anspruch
nehmen, dass mit ihnen logische Schlüsse gezogen werden können.
Ja, da sind wir uns einig - deswegen meine ich ja, daß eine Fundierung
der keynesianischen Einsichten (extrem wichtige makro-Einsichten) in
die Funktionsweise "monetärer Produktion" eine Fundierung in einer
richtigen Beschreibung der tatsächlichen kreditären und monetären
Prozesse brauchen. Das denken auch viele Postkeynesianer - die modern
monetary theorists z.B.
Es erstaunt mich auch, daß innerhalb der AG offensichtlich manche ein
supermonetaristisches Vollgeld, andere dagegen die Abschaffung von
Zentralbanken (wäre m.E. fatal) anstreben. Kann es sein, daß das
Verhältnis zwischen ZB und GBen sowie v.a. die Entstehung, Ziele
(Inflationsziel z.B.) und (gesamtwirtschaftlichen) Funktionen von ZBen
noch nicht wirklich diskutiert wurden?
Diskutiert schon, aber von einem Konsens sind wir weit entfernt.
Aber ich denke solche Diskussionen müssen immer wieder aufgegriffen
werden.
Ok.
Danke erstmal für die Hinweise, Arne - ich muß mich erst nach und nach
reinfinden in Eure AG, und Euch bißchen besser kennenlernen.
Nichts für ungut. Ich dachte, dass eine Mumble-Diskussionsrunde genau
hierfür hilfreich sein könnte.
Viele Grüße
Arne
Die "Vollgeld"-Perspektive ist für mich auch Neuland. In Diesem Sinne,
vielen Dank für den Austausch und das Kennenlernen und auf viele
fruchtbare Diskussionen in der Zukunft :-)
--
AG-Geldordnung-und-Finanzpolitik mailing list
AG-Geldordnung-und-Finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
<mailto:AG-Geldordnung-und-Finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-geldordnung-und-finanzpolitik
- Re: [AG-GOuFP] Währungssystem, (fortgesetzt)
- Re: [AG-GOuFP] Währungssystem, Ex-SystemPirat, 05.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Währungssystem, Arne Pfeilsticker, 05.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Währungssystem, Rudi, 05.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geschäftsbanken an Staatshandeln interessiert, um ZB-Zins zu senken?, Axel Grimm, 05.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geschäftsbanken an Staatshandeln interessiert, um ZB-Zins zu senken?, Arne Pfeilsticker, 05.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld (was: GBe an prozyklischem Staatshandeln interessiert... ?), moneymind, 11.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geschäftsbanken an Staatshandeln interessiert, um ZB-Zins zu senken?, Axel Grimm, 11.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geschäftsbanken an Staatshandeln interessiert, um ZB-Zins zu senken?, Axel Grimm, 05.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Geschäftsbanken an Staatshandeln interessiert, um ZB-Zins zu senken?, Axel Grimm, 05.03.2014
- [AG-GOuFP] "Geldsystem", Finanzsektor, moneymind, 06.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] "Geldsystem", Finanzsektor, Arne Pfeilsticker, 09.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] "Geldsystem", Finanzsektor, Ex-SystemPirat, 09.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] "Geldsystem", Finanzsektor, Arne Pfeilsticker, 10.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] "Geldsystem", Finanzsektor, Ex-SystemPirat, 10.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] "Geldsystem", Finanzsektor, Ex-SystemPirat, 09.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] private Geldschöpfung (was: GBen an prozykl.Staatshandeln interessiert ... ?), moneymind, 12.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Nachtrag (was: private Geldschöpfung), moneymind, 12.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Nachtrag, Ex-SystemPirat, 12.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Nachtrag, Arne Pfeilsticker, 12.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Nachtrag, Ex-SystemPirat, 12.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Nachtrag, Exile (O.Herzig), 12.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Nachtrag, Arne Pfeilsticker, 12.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Nachtrag, Ex-SystemPirat, 12.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] "Geldsystem", Finanzsektor, Arne Pfeilsticker, 09.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Währungssystem, Rudi, 05.03.2014
Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.