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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016


Chronologisch Thread 
  • From: Arne Pfeilsticker <Arne.Pfeilsticker AT piratenpartei-hessen.de>
  • To: Martin Finger <kontakt AT martinfinger.de>
  • Cc: dr_k_kraemer AT t-online.de, "ag-geldordnung-und-finanzpolitik@lists piratenpartei. de" <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>, Hajo Köhn Neue Geldordnung <hajo.koehn AT neuegeldordnung.de>, "Dipl.-Physiker Dag Schulze" <schulze AT mobikon.de>
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016
  • Date: Mon, 11 Jan 2016 01:59:26 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>


Am 10.01.2016 um 04:29 schrieb Martin Finger <kontakt AT martinfinger.de>:

Hallo Arne,

ich will nur einige Punkte aufgreifen wo ich denke, dass meine Ausführungen nicht die beabsichtigten Überlegungen aufgezeigt haben, welche ich damit vermitteln wollte. Da es schriftlich recht umständlich ist alle Verständnisunterschiede einzelner Begriffe bis ins Detail zu klären, würde ich die Details dann am 01.02.2016 in mündlicher Form vertiefen.

Unüberbrückbarer Widerspruch
Natürlich läuft meine Überlegung letztlich darauf hinaus, dass es einen unüberbrückbaren Widerspruch gibt. Dafür gibt es dann verschiedene Lösungswege.
Entweder die Theorie hat Grenzen über welche hinweg sie nicht angewendet werden kann. Es handelt sich dann nicht um eine universelle sondern eine spezifische Theorie. Man kann dann prüfen ob die Theorie innerhalb der definierten Grenzen alle beobachtbaren Phänomene ausreichend erklären kann. Der andere Weg ist, ob die Axiome der Theorie verändert werden können und so die Gültigkeit ausgeweitet werden kann.

Aus Deinen Erklärungen wird letztlich deutlich, dass Du zwar den Begriff Recht verwendest, aber auch viel schwächere Formen wie allgemein anerkannte Verhaltensregeln als Grundlage zulässt.

Hallo Martin,
bei einer Rechtsordnung unterscheide ich zwischen dem „Inhalt“ und der Implementierung dieses Inhalts. Im Ergebnis geht es beim Inhalt darum, dass aufgrund von Regeln oder Verträgen von Rechtssubjekten ein bestimmtes Tun, Unterlassen oder Dulden verlangt werden kann und dieses Verhalten gegebenenfalls durchgesetzt wird.

Die Implementierung kann und ist je nach Rahmenbedingungen u.U. sehr unterschiedlich sein. Bei einer kleinen Gemeinschaft kann die Implementierung sehr viel einfacher sein, als in einer Massengesellschaft.

Die Frage ist, wie Du die Aktivitäten z. B. in informellen Bereichen betrachtest. Bei Geschäften mit Hehlern, welche Diebesgut verkaufen, kann explizit weder auf die Rechtsdurchsetzung des Staates zurückgegriffen werden noch kann ein Eigentumsrecht übertragen werden. Trotzdem finden dort Transaktionen statt. Hier wird nur Besitz übertragen. Bei einem Drogenhändler kann eventuell sogar ein Eigentum übertragen werden, da nur der Besitz verboten ist. Wobei es wahrscheinlich eine Anekdote unseres Rechtssystem darstellen würde, einen Dealer auf Erfüllung seiner Geschäftsvereinbarung zu verklagen und nach BGB zu gewinnen, um anschließend selbst nach Strafgesetzbuch eingesperrt zu werden. Liegen diese Handlungen außerhalb Deiner Theorie oder wie kannst Du Transaktionen innerhalb illegaler Strukturen in Deine funktionale Theorie integrieren? Wenn Du ihre Verhaltenskodizes als "Rechtsrahmen" anerkennst, würde jede freiwillige Vereinbarung als Rechtsrahmen fungieren können. Die möglichen Mittel, um vertragliche Gegenleistung einzufordern, sind in diesem Rahmen letztlich unbegrenzt und benötigen keine geordnete Struktur eines Staates. Hier den Begriff Recht zu verwenden, würde nach meinem Empfinden den Rahmen dieses Begriffes sprengen.

Gute Einwände! - Aber:

Rechtsordnungen sind nicht an Staaten gebunden, sondern an wie immer geartete Gruppen von Rechtssubjekten (= Träger von Rechten, Pflichten und Befugnissen). 

Gerade illegale Sub-Kulturen haben i.a. „Rechtsordnungen“ (= Regeln und eine Regeldurchsetzung), die erheblich radikaler sind, als im legalen Bereich. 

Rechtsordnungen sind räumlich und zeitlich begrenzt, können sich überlappen und können auch untereinander eine Rangordnung haben.

Im legalen Bereich heißt das: Europarecht bricht nationales Recht, Bundesrecht bricht Landesrecht und Landesrecht bricht Gemeinderecht. 

Im illegalen Bereich heißt das: illegales Recht bricht legales Recht. - Die Rangfolge steht und fällt mit der Rechtsdurchsetzung und ist auch mal so und mal anders.

Auch und gerade im illegalen Bereich gibt es Eigentum und Eigentumsübertragung. Den Boss zu bestehlen ist gerade im illegalen Bereich keine gute Idee. Wäre der Boss nicht Eigentümer des z.B. Diebesgutes, dann wäre die Wegnahme kein Diebstahl. 

Die große Kunst besteht in vielen Fällen darin, z.B. Eigentum aus einer „illegalen" Rechtsordnung zu Eigentum in einer „legalen" Rechtsordnung zu machen. - Diese Transaktionen sind besser bekannt z.B. unter dem Namen Geldwäsche.

Die Begriffe legal und illegal sind relativ vom Standpunkt einer betrachteten Rechtsordnung zu verstehen.


Kein Eigentumsbegriff
Natürlich gab es die Kodizes schon vorher in mündlicher Form. Bei der Anführung der Beispiele für die verschiedenen Kodizes, ging es mir vor allem darum in welchem Umfang in den ersten Aufzeichnungen der Begriff Eigentum wirklich schon verwendet wurde. Eigentum ist eine theoretische Konstruktion die entwickelt wurde. Von einigen indigenen Völkern gibt es Aufzeichnungen, dass sie persönlichen und kollektiven Besitz kannten und ihnen der Begriff Eigentum vollkommen fremd war. Bis dahin, dass der Besitz von Land unvorstellbar war. Eigentum ist ein Konzept welches sich nicht intuitiv ableiten lässt, sondern gedanklich konstruiert werden muss. Da wir heute mit diesem Konstrukt vertraut sind, neigen wir dazu es auch auf andere Zeiten und Kulturen zu projizieren ohne deren Sprache und Umgang ausreichend zu kennen. Ich denke es ist unzulässig zu unterstellen, dass es schon immer ein Eigentumsrecht gegeben habe und es irrelevant gewesen sei, ob der Begriff verwendet wurde oder nicht.

Besitz ist etwas, was sich intuitiv aus dem Haben entwickeln lässt. Ein Tier welches eine Beute erlegt hat, verteidigt in unseren Augen dann seinen Besitz. Trotzdem denken Tiere nicht in dieser Form, sondern wir projizieren unsere Begrifflichkeiten auf Beobachtungen im Tierreich. Auch unsere Vorstellung von Eigentum ist Wandel unterworfen. Es gab Zeiten, da war Eigentum und Besitz von Menschen ganz normal. Heute ist ein solches Eigentumsrecht in vielen Gesellschaften nicht mehr staatlich durchsetzbar. Deshalb ist die Sklaverei aber nicht verschwunden. Wie lässt sich Menschenhandel erklären, wenn Eigentum an Menschen nicht legal erworben werden kann? Also wiederum keine Rechtsordnung existiert in welche sich der Erwerb verteidigen lässt.

Mein Eindruck ist, dass hier unser Dissens in der Definition der Begriffe Besitz und Eigentum liegt.

Anhand eines Taxis möchte ich die Unterschiede erklären:
  • Besitzer: Der Taxifahrer ist der Besitzer, weil er die tatsächliche Sachherrschaft (= Besitz) über das Taxi hat.
  • Nutznießer: Der Fahrgast ist der Nutznießer, weil ihm der Nutzen aus dem Gebrauch der Sache (= Taxi) zufällt. Er wird von A nach B transportiert.
  • Eigentümer: Das Taxiunternehmen ist der Eigentümer des Taxis. Das Taxiunternehmen kann über das Taxi verfügen, d.h. verkaufen, verschenken, verschrotten oder bestimmen, wer das Taxi fahren soll, u.s.w.
Nach Anglo-Amerikanischen Rechtsverständnis gibt es drei Grade von Eigentum:
  1. possession (= Besitz)
  2. possession and use (= Besitz und Gebrauch)
  3. possession, use, and disposition (= Besitz, Gebrauch und Verfügungsbefugnis)

Es ist nun eine Frage der sprachlichen Festlegung, ob man von drei Graden des Eigentums spricht, oder jeder Komponente (= Besitz, Gebrauch, Verfügungsbefugnis) genau einem Begriff zuordnet.

Ich persönlich halte die nach deutschem Recht gebräuchliche Aufteilung nach einzelnen Komponenten für zweckmäßiger, weil, wie das Taxi-Beipiel zeigt, jede Komponente einem anderen Rechtssubjekt zugeordnet sein kann. Deshalb bevorzuge ich folgende Definitionen:
  1. Besitz: = Tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache.
  2. Gebrauch/Nuntzung := Gebrauch einer Sache 
  3. Eigentum := Verfügungsbefugnis über eine Sache.

Jede Komponente ist nach deutschem Recht ein eigenes subjektives Recht. Auch heute noch ist vielen Menschen diese Unterscheidung nicht bewußt, denn sonst würden sie z.B. nicht von Hunde- oder Pferdebesitzer reden, wenn sie eigentlich Hunde- oder Pferdeeigentümer meinen. Aber ich denke, dass die Unterscheidung schon immer da war und auch sehr sinnvoll ist.

Das Eigentum schließt normalerweise den Gebrauch und den Besitz mit ein, aber diese Teile können durch Verfügungen des Eigentümers abgetrennt und separat übertragen werden. Ein Mieter ist z.B. ein rechtmäßiger Besitzer und Nutzer der gemieteten Wohnung.


Handel auf Basis von Besitz
Ich habe in den Erklärungen oben bereits einige Beispiele verwendet, welche aus meiner Sicht auch heute noch Handel aufzeigen in welchen nur Besitz an einer Sache oder Menschen übertragen wird ohne jedoch ein Eigentumsrecht daran erwerben zu können. Genügen diese Beispiele zunächst für Handel ohne Eigentumsrechte?

Nicht wirklich, weil nur der Eigentümer und nicht der Besitzer das Besitzrecht übertragen kann. 

Mein Vorschlag ist, dass du - analog zu oben - eine präzise Definition von Besitz und Eigentum machst. Wenn z.B. dein Begriff von Besitz die Verfügungsbefugnis beinhaltet, dann bezeichnest du mit Besitz, dass was Juristen Eigentum nennen.

Wenn die Existenz eines Eigentumsrechtes den Handelsbeteiligten gar nicht vorstellbar ist, warum sollte dieses dann für den Handel eine Rolle spielen.

M.E. stimmt deine These nicht, dass ein Eigentumsrecht den Handelsbeteiligten nicht vorstellbar ist. Das Wort Eigentum stammt vom altgermanischen Adjektiv eigen und hatte die Bedeutung „haben, besitzen“. Siehe: http://origin_de.deacademic.com/3753/Eigentum  

Nur weil jemand später das Eigentum erfunden hat, kann dieser Begriff nicht in die Zeit vorher projiziert werden. Für mich ergäbe es auch keinen Sinn, wenn ich sagen würde den Mobilfunk gab es schon im Mittelalter, nur eben mittels berittener Pferde und sie wussten damals noch nicht, dass es Mobilfunk ist.

Was den Mobilfunk anbelangt, stimme ich dir zu, aber so würde ich auch nicht argumentieren. Was ich sagen würde ist, das es auch im Mittelalter eine Kommunikation über entfernte Orte gab.

Wenn im Mittelalter ein Ritter seinem Knappen die Zügel seines Pferdes gibt, um das Pferd in den Stall zu bringen, dann wurde nach heutigem juristischem Sprachgebrauch der Knappe Besitzer des Pferdes, weil er über die Sache Pferd die sog. Sachherrschaft hat. Aber sowohl dem Knappen als auch dem Ritter war klar, dass der Knappe als Besitzer des Pferdes, das Pferd nicht einfach verkaufen konnte, d.h. über die Sache verfügen konnte. - Und das ist der Sachverhalt über den wir diskutieren.


Wenn es das Konzept von Eigentum nicht gibt, kann es auch keinen Eigentümer geben, welcher von einem Besitzer die Herausgabe von etwas verlangen kann. Natürlich kann ein Gläubiger zu einem Schuldner gehen und die Tilgung der Schuld verlangen. Auch dazu braucht es keine Differenzierung von Besitz und Eigentum. Es braucht nur eine Vereinbarung, dass eine Schuld (verleihen eines Gegenstandes) wieder beglichen wird (Rückgabe des Gegenstandes). Egal welche Druckmittel angewendet werden können.

Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Menschen früher - genauso wie heute noch - die Sachverhalte:
  1. Tatsächliche Sachherrschaft (= Besitz)
  2. Nutzung
  3. Verfügungsbefugnis (= Eigentum)
sprachlich nicht sauber getrennt haben, aber der Sachverhalt selbst war m.E. schon immer da und wenn es darauf ankam auch bewusst.


Bitcoin und Urheberrecht
Grundsätzlich muss für ein Urheberrecht eine ausreichende Werkstiefe gegeben sein. Dieses wird von einer Zahl sicher nicht erfüllt werden. Selbst wenn eine ausreichende Werkstiefe unterstellt würde ist es nach UrhG §2 Abs. 2: "Werke im Sinne dieses Gesetzes sind nur persönliche geistige Schöpfungen." (http://www.gesetze-im-internet.de/urhg/__2.html) unwahrscheinlich, dass eine von einem Computer generierte Zahl durch das Urheberrecht geschützt werden kann.

In § 2 UrhG wird eine Form des Werk dargestellt. in § 4 werden Daten explizit genannt.

Wie gesagt bin ich mir selbst nicht sicher, was für ein Recht eine Blockchain ist. Aber nach dem Ausschlussprinzip bin ich auf Urheberrecht gestoßen. 

Was für ein Recht stellt deiner Meinung nach eine Blockchain dar und wie begründest du deine Ansicht?


Inflation - Deflation
Ich habe zwar gesehen, dass Du für die Veränderung letztlich die Preisänderung eines Warenkorbes heranziehen willst. Was sich mir noch nicht erschließt, ist die Motivation hinter dieser Feststellung. Entweder habe ich es überlesen oder Du triffst keine Aussage darüber ob etwas bestimmtes passieren soll, wenn Dein Warenkorb billiger oder teurer wird?
Es geht also nur darum festzustellen, dass sich Tauschverhältnisse verändern?

Genau. Die eventuell unterschiedlichen Ursachen wären der Gegenstand einer anderen Theorie.

Die ganze Berechnung dient nicht dem Zweck in diesen Prozess in irgend einer Form einzugreifen?

Richtig. Welche Schlussfolgerungen man aus einer Messung zieht, sollte man m.E. vom Messvorgang selbst trennen.

Ein Schlussfolgerung welche mit Deinen Berechnungen möglich wäre, ist aus meiner Sicht, nur weil die Geldmenge ständig ausgeweitet wird (Ziel 2% Inflation), haben wir einen fallenden Tauschwert.

Das wäre eine Argumentation entlang der Quantitätsgleichung.

Aus meiner Sicht stellt die Quantitätsgleichung eine expost Trivialität dar, aber die Behauptung sie stelle auch einen funktionalen Zusammenhang zwischen den beiden Seiten der Gleichung dar, ist wie du in deinem Vortrag selbst gezeigt hast, falsch.

Damit will ich nicht behaupten, dass es keinen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation gäbe, aber der Zusammenhang ist noch von weiteren Faktoren abhängig, die sich je nach Konstellation im Ergebnis abschwächen, kompensieren oder verstärken können.

Viele Grüße
Arne

Von Grundverständnis, wie die Produktion von Gütern der Realwirtschaft funktioniert, müssten die Warenpreise grundsätzlich deflationär sein und der Tauschwert stetig steigen. Da unsere Wirtschaft
versucht immer effizienter zu produzieren. Es mag nicht immer funktionieren aber mittelfristig konnte bei allen Produkten die Effizienz in der Produktion verbessert werden. Entsprechend kann der fallende Tauschwert für Waren nicht als Ursache der Produktion angesehen werden. Jetzt kann man sich natürlich überlegen welche Effekte neben der Ausweitung der Geldmenge ebenfalls einen Effekt auf die Minderung des Tauschwertes haben können. Ein Beispiel ist der Anstieg der Löhne über welche die Kostensenkung durch Effizienzsteigerung überkompensiert worden sein könnte.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Finger

Blog: crederechannel.blogspot.de
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Das sind die Weisen,
die durch den Irrtum zur Wahrheit reisen;
Die beim Irrtum verharren,
das sind die Narren.
    Friedrich Rückert
Am 10.01.2016 um 01:04 schrieb Arne Pfeilsticker:
Hallo Martin,
danke für deine Anmerkungen und Einwände. Da ich mir sicher bin, dass dein Beitrag auch für Andere interessant ist, habe ich noch andere und die Mailingliste der AG Geldordnung ins CC. gesetzt.


Am 09.01.2016 um 09:07 schrieb Martin Finger <kontakt AT martinfinger.de>:

Hallo Arne,

ich werde auch bei der Vorbesprechung mit dabei sein. Anbei ein paar Fragen und Überlegungen welche ich beim Durchlesen Deiner Präsentation hatte. Du musst mir diese nicht schriftlich beantworten, es ist in Ordnung wenn wir am 01.02.2016 darüber im Detail sprechen. Wenn meine Ausführungen irgendwo unverständlich sein sollten, können wir dass gerne vorher noch per Mail klären.

Zum Aspekt der Verbindung von Recht, Geld und Handel
Grundsätzlich schließt Du aus, dass Geld/Handel auch in einer Gesellschaft existiert, welche keine Rechtsordnung wie z. B. die Judikative innerhalb unseres Staates hat?

Keine Rechtsordnung wäre zu weit gegriffen. Entscheidend für meine Argumentation ist, ob es ein Eigentumsrecht und ein Schuldrecht gibt.(Siehe Folie 9)

Beispielsweise gibt es in einer Gesellschaft ohne Eigentum keine Vorstellung von Dein und Mein, alle Sachen sind einfach da und werden genutzt oder auch nicht. Innerhalb einer solchen Gesellschaft oder zwischen solchen Gesellschaften kann es kein Handel geben, denn es kann nichts getauscht werden, was den Tauschpartnern nicht bereits „gehört“ bzw. das Rechtsverhältnis zwischen den Tauschpartnern und den Sachen ändern würde.

Entsprechend ist Deine funktionale Theorie selbstreferenziell, da Geld nur in einer Gesellschaft mit Rechtsordnung möglich ist.

Der letzte Satz auf der Folie 8 ist wichtig: Jede andere Argumentation führt zu einem unüberbrückbaren Widerspruch. Der Widerspruchsbeweis erfolgt auf Folie 9-12.


Ein Zahlungsmittel in einer Gesellschaft ohne Rechtsordnung wäre für Dich kein Geld.

Ich glaube hier liegt ein Missverständnis hinsichtlich dessen vor, was eine Rechtsordnung ist. Eine Rechtsordnung besteht auch dann, wenn sie nicht so institutionalisiert ist wie unsere Rechtsordnung. Siehe Folie 28. Hier wird eine Rechtsordnung als ein System von Verhaltensregeln und Verhaltensdurchsetzung definiert. 

Meinst Du in Çatal Hüyük (https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%87atalh%C3%B6y%C3%BCk) hat es Handel gegeben?

Ich kenne Catal Hüyük nicht. Aber nach dem was ich in der angegebenen Referenz gelesen habe, würde ich mich wundern, wenn es dort keinen Handel gegeben hätte. - Aber ich halte es für genauso wahrscheinlich, dass es zwischen diesen sehr autonomen Familien Regeln gab, dass man z.B. nicht einfach das Haus seines Nachbarn besetzen durfte oder dessen Vorräte wegnehmen. - Und genau das ist bereits eine Rechtsordnung, die sogar Gemeinschaftseigentum der Familien kennt. 

Gäbe es diese Rechtsordnung nicht, dann wäre die Wegnahme der Sachen keine Rechtsverletzung und innerhalb einer Gesellschaft oder zwischen Gesellschaften, in der die Menschen sich einfach Sachen nach belieben nehmen können fehlt die Voraussetzung für Handel. Warum sollte der eine mit dem anderen etwas Tauschen, wenn sich jeder die Sachen direkt nehmen kann.


Das Konzept des Rechtes ist eine relativ junge Entwicklung und Eigentumsrechte insbesondere für Grund und Boden wurden erst später ergänzt. Interessant ist hierzu sicher die Historie angefangen vom Codex Hammurapi (https://de.wikipedia.org/wiki/Codex_Hammurapi) bis zum Code Zivil von Napoléon (https://de.wikipedia.org/wiki/Code_civil).

Ich glaube, dass das Konzept des Rechts so alt ist wie die Menschheit selbst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgend eine Gesellschaft überhaupt überleben konnte, ohne Regeln und irgend einer Form von Sanktionen bei einem Regelverstoß.

Es liegt in der Natur der Sache, dass eine schriftliche Fixierung der Rechtsordnung erst entstehen konnte, nachdem die Menschen Lesen und Schreiben gelernt haben. - Das heißt aber nicht, dass es nicht auch vor der schriftlichen Fixierung Regeln und Regeldurchsetzung und damit eine Rechtsordnung gab. Gerade Beispiele wie der Codex Hammurapi oder die 10 Gebote zeigen, dass der schriftlichen Fixierung der Regel in einer Gemeinschaft eine hohe Priorität beigemessen wurde. Und ich glaube nicht, dass man zuerst die Schrift erfunden hat und dann auf die Idee kam, Regeln aufzustellen, damit man was zum Schreiben hat. :-)

Ich bin sicher, dass schon vor dem Eigentumsbegriff Handel stattgefunden hat und das Konzept Besitz dafür ausreichend gewesen ist.

Ich denke, dass die Idee des Eigentums sogar weit in unser tierisches Erbe reicht und bereits dort vielfältige Ansatzpunkte hatte sich zu entwickeln. In einer Welt mit begrenzten Ressourcen ist das Überleben ein Kampf zwischen „Dein“ und „Mein“.  Oder im sozialen Bereich, wenn tierische oder menschliche Eltern „ihre“ Kinder aufziehen und beschützen.

Wenn du dir sicher bist, dass das Konzept des Besitzes für den Handel ausreicht, dann würde mich deine Argumentation sehr interessieren.

Die Begriffe Besitz und Eigentum werden umgangssprachlich zwar gerne durcheinander geworfen, aber der Unterschied ist wichtig, entscheidend und muss von Anfang an da gewesen sein, auch wenn die Unterscheidung eventuell erst später bewußt gemacht wurde.

Was nützt es einem Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache zu haben, wenn der Eigentümer jederzeit die Herausgabe der Sache verlangen kann. - Und er dieses Verlangen gegebenenfalls mit der Macht des Staates durchsetzen kann.
 

Rechtssicherheit verlagert die Kosten welche ein Händler hat, um sich und seine Waren zu schützen, letztlich von der persönlichen Ebene auf die gesellschaftliche Ebene. Statt privatem Wachschutz den nur der Vermögende tragen muss, muss die Polizei von der Gesellschaft getragen werden. Unabhängig vom persönlichen Vorteil des Einzelnen.

Bitcoin
Ich weiß nicht in welchem Detail Du Dich mit Bitcoin beschäftigt hast. Aus meiner Sicht sehe ich die Verwendung des Urheberrecht hier nicht ganz passend.
Solange der Minig Prozess noch läuft, also die eigentliche Schöpfung von Geldeinheiten stattfindet, entspricht der Ablauf der Zuteilung aus meiner Sicht eher einem Bingo Spiel. Wenn mehrere Gleichzeitig die Lösung für die aktuelle Rechenaufgabe gefunden haben, entscheidet das Los bzw. der Zufall darüber wer die neuen Geldeinheiten bekommt. Letztlich kann man es als einen Vertrag sehen. Ich bringe mit meinem Rechner Rechenkapazität ein und wenn mein Ergebnis verwendet wird, werde ich dafür einmalig entlohnt. Ich habe aber keine weitere Einflussmöglichkeit auf die Blockchain. Vielleicht ließe es sich eher noch als Eigentumsrecht titulieren wenn ich einen Hash an die Blockchain "verkaufe“.

Das „Herrschaftsrecht“ an einem Gut, das nicht materiell oder energetisch ist, nennt sich nach meinem Wissen Urheberrecht. Aber ich lasse mich gerne eines besseren durch entsprechende Stellen im Gesetz überzeugen.

Das Problem ist, es gibt keinen Handelspartner zwischen denen dieses Recht übertragen wird. Nach der Abgabe des berechneten Hashwertes wird dieser zur Allmende.

Wertgleichung
Es ist etwas missverständlich, wenn Du sagst, dass bei konstanter Geldmenge

Nicht konstanter Geldmenge, sondern konstanter Infaltions- oder Deflationsrate.

der Exponent über e gleich t=t1-t0 ist. Zuerst habe ich beiden Zeitwerte direkt voneinander abgezogen, da ich eine konstante Geldmenge unterstelle und damit alle Preisänderungen außerhalb der Geldsphäre liegen. Eigentlich müsste der Exponent wenn i(t) konstant ist doch immer gleich Null sein. Also Tauschwert und Nominalwert bleiben im Verhältnis von 1:1.

Gibt es eigentlich einen Grund warum Du die eulersche Zahl verwendest


und nicht PI oder irgend eine andere beliebige positive Zahl? Weil aufgrund der Exponentialfunktion ist das Ergebnis für den Exponenten 0
und unendlich letztlich für alle Rechnungen gleich.

Nein. e^0 = 1, d.h. Nominalwert = Tauschwert. Die Entwicklung der Funktion wird auf Folie 35 dargestellt. (Präsentation neu herunterladen.)

Nur die Steigung der Kurve verändert sich.

Meine Wertfunktion
Wenn ich Deinen Ansatz analog auf meine Überlegungen zum Geld übertrage, ist meine Wertfunktion eine Summe aller subjektiven Wertfunktionen aller Geldkreisteilnehmer. Die subjektive Wertfunktion entspricht dem Aufwand welchen ich habe, um eine Geldeinheit zu erhalten. In der Zuge wäre der Wert der monatlich 1.000 Credere nahezu Null bzw. würde dem Wert der 10 Euro entsprechen. Nur wenn es Menschen gibt, welche mehr als die 1.000 Credere haben wollen und deswegen eine Leistung erbringen, bekommen die direkt ausgegeben Geldeinheit ebenfalls einen Wert. Für mich basiert die Wertfunktion des Geldes vor allem auf der investierten Lebenszeit. Da Kapitaleinkünfte keine Investition von Lebenszeit (mehr) erfordern, sind diese letztlich ebenfalls wertlos. Aus dieser Perspektive wäre die Erklärung, warum unser Geld immer mehr an Wert verliert, weil die nullwertigen Geldeinheiten (Kapitaleinkünfte) einen immer größeren Anteil ausmachen und damit den Durchschnittswert einer Geldeinheit vermindern.

Das habe ich nicht verstanden. Diesen Punkt sollten wir direkt diskutieren.

Nicht bewertbare Rechte
Ich bin mir nicht sicher ob es wirklich ein Recht geben kann, welches keine Bewertung erfährt. Wie viel ein Wahlrecht wert sein kann, sieht man vor allem wenn Bestechung ins Spiel kommt z. B. die Funktionäre bei der FIFA.

Der Begriff „Nicht bewertbare Rechte“ wird im Sinne und Rahmen einer jeweiligen Rechtsordnung verstanden. Man könnte auch sagen, ein Recht, das im Rahmen der Rechtsordnung nicht veräußert werden darf oder kann. Dass natürlich illegal solchen Rechte gehandelt werden und dadurch einen Preis haben ist unstreitig. 

Bei allgemeinen Wahlen fließen diese Bestechungen nicht direkt sondern zunächst in Form von Versprechungen wie Steuersenkungen oder Subventionen und werden vielleicht später nicht eingelöst. Aber aus meiner Sicht erhält auch das Wahlrecht somit einen Preis, wenn auch in abstrakterer Form. Ebenso wie Parteien über Spenden aus ihrem Recht gewählt werden zu können Kapital schlagen.

Bei Deiner Folie 17 ist mir noch ein Fehler aufgefallen in der Überschrift steht Taufverhältnisse und ich nehme an es sollen Tauschverhältnisse sein.

Ich bin auf jeden Fall gespannt auf das Gespräch am 01.02.2016. Über die Details ob und wie Geldschöpfung in öffentlicher Hand oder privater erfolgen soll, darf oder kann gibt es viele Sichtweisen. Aus meiner Sicht, sind diese vor allem von den eigenen Überzeugungen und Werten bestimmt, sowie denjenigen welche man den Beteiligten unterstellt. Daher ist es spannender statt über das Wie? der Infrastruktur eher über das Warum? eines Ansatzes zu sprechen. Hast Du das Projekt Cooperative Currency Infrastructure auf Github wieder eingestellt? In der EPMS Seite ist dieses noch verlinkt.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Finger

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Das sind die Weisen,
die durch den Irrtum zur Wahrheit reisen;
Die beim Irrtum verharren,
das sind die Narren.
    Friedrich Rückert
Am 08.01.2016 um 18:47 schrieb Arne Pfeilsticker:
Hallo Martin,
unter folgendem Link https://www.hidrive.strato.com/lnk/OTAkvW7K kannst du dir die Präsentation zu meinem Vortrag am 1.2.2016 herunterladen.

Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge jedweder Art sind sehr willkommen.

Eine etwas Ausführlichere Darstellung meiner materiellen Geldtheorie findest du hier:

Meinen Vorschlag einer Währungsinfrastruktur in öffentlicher Hand findest du hier: http://wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik/GFO_2.0/EPMS 
Kommst du am 1.2.2016 auch zur Vorbesprechung um 15:00 Uhr? Hier könnten wir in der Runde in die Details gehen.

Viele Grüße
Arne







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