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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
- To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016
- Date: Thu, 14 Jan 2016 17:57:42 +0000
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Arne ...
... bei den "expectations" ging es nicht um juristische Begrifflichkeiten, sondern darum, was "Vermögen" und "Vermögenswert" darstellen. Commons bietet hier exzellente Kritiken der Arbeitswert- und Grenznutzentheorie und entwirft immerhin Grundzüge einer weitaus realistischeren Wert- und Bewertungstheorie, die auf der Einsicht fußt, daß Eigentümer und ihre Gläubiger Vermögensrechte nicht nur aufgrund von Zukunftserwartungen über die zukünftig mit diesen Rechten erzielbaren Erträge bilden.
Dann konstruierst Du fernab jeglicher Empirie eine evolutionistische story zurecht, indem du Commons ein "beginnendes Abstraktionsvermögen" zuschreibst, das "heute selbstverständlich" sei.
Arne ... bitte beschäftige Dich mal etwas EMPIRISCH mit Rechtsvergleichung (und Rechtsanthropologie sowieso, beides wehrst Du mithilfe Deiner - nicht nur bei Juristen verbreiteten - willkürlichen Konstruktionen ab).
Commons bezieht sich auf das COMMON LAW (Recht des Angloraums). Dieses Rechtssystem kommt zwar praktisch zu ähnlichen Ergebnissen wie die kontinentaleuropäische Tradition des CIVIL LAW. Es basiert aber nicht auf dem Prinzip der Kodifikation eines Systems abstrakter Rechtssätze, die dann auf Einzelfälle angewendet werden. Sondern auf dem Prinzip des Analogieschlusses, bei dem ein zu entscheidender Fall nicht auf ein System abstrakter Gesetze, sondern auf einen Präzedenzfall bezogen wird, um ihn zu beurteilen.
Deswegen fehlt dem Common Law der Angloländer auch die begriffliche Präzision des CIVIL LAW der kontinentaleuropäischen Tradition. Nicht, weil das common law "unterentwickelt" wäre, sondern weil es einem anderen methodischen Ansatz folgt (epistemologisch kann man Abstraktion, Analogiebildung, Induktion und Deduktion, Herstellung systematischer Entsprechungen und Metaphernbildung als Teilaspekte eines einheitlichen Grundprozesses jeglicher Wahrnehmung und jeglichen Denkens identifizieren, von denen unterschiedliche Traditionen unterschiedliche Aspekte betonen. Die pragmatischen Anglos denken eben lieber in konkreten Analogien zwischen vorliegendem und Präzedenzfall, die europäischen Kontinenalos (und speziell und extrem die Deutschen) in abstrakten Gesetzessystemen (wofür speziell die Deutschen ja zu Recht berühmt-berüchtigt sind).
Das hat nicht das geringste mit einer "Entwicklung von Commons - 1934! - bis heute" zu tun, Du fabulierst Dir das einfach so zurecht. Das deutsche BGB war 1934 genauso präzise wie heute, und das common law genausowenig kodifiziert wie heute.
Ich finde immer wieder atemberaubend, wie Du an Deinen Konstruktionen festhältst und den Blick auf die Empirie konsequent vermeidest, offensichtlich, um diese nicht zu gefährden. Nun ist es ein altbekanntes Denkmuster hegemonialer Zivilisationen, sich selbst als den Höhepunkt der "Evolution" (Geschichte) zu betrachten, zu dem sich alles vorherige zielgerichtet hinentwickelt hätte. Hegel, neben Kant bis heute einer der einflußreichsten Rechtsphilosophen Deutschlands, auf den sich Leute wie Karl Larenz ("Lehrbuch des Schuldrechts", Standardlehrbuch bis heute) berufen. Allerdings ist das pure Ideologie, die zwar dem eigenen Selbstbewußtsein dient und es legitimiert, anderen Kulturen dieses angebliche nonplusultra aufdrücken zu wollen.
Wissenschaftlich ehrlich - nämlich konkret empirisch kulturvergleichend - ist es leider nicht. Und ich bin nicht an ersterem, sondern an letzterem interessiert, nicht an europäischer Selbstbeweihräucherung, die sich dieser Kontinent längst nicht mehr leisten kann und die ihm das Hirn vernebelt und seine Zukunft zusätzlich gefährdet.
Nichts für ungut! Trotzdem glaube ich, können wir (oder jedenfalls ich) per Diskussion zu einer Klärung kommen. Deshalb schon mal danke für die (wenn auch nicht in jedem Fall fruchtbare) Diskussion, die mir trotzdem Denkanstöße liefert und mich neue, präzisere Fragen stellen läßt.
Ich hoffe auch, daß Du mich nicht mißverstehst. Ich halte die begriffliche Präzision der kontinentaleuropäischen Rechtstradition des CIVIL LAW für viel nützlicher und präziser als die Tradition des COMMON LAW, wenn es darum geht, die Fundamente für eine realistische, Neue Europäische Politische Ökonomie zu legen (in dem Punkt sind wir uns bei allen Differenzen glaube ich einig, auch wenn wir den politökonomischen Entwurf dann auf derselben Basis anders anlegen).
Gruß
Wolfgang
P.S. Ich belege mal meine Aussagen zu den Unterschieden zwischen Common Law (in dessen Tradition der Amerikaner Commons aufgewachsen ist und mit der er aus seiner Berufspraxis vertraut war) und dem Civil Law:
/"Systematik und Verallgemeinerungsfähigkeit in der rechtlichen Argumentation sind keine zentralen Anliegen eines Juristen im common law. R_echtliche Entscheidungen sind geprägt vom konkreten Sachverhalt, nicht von allgemeinen, abstrakten Rechtsregeln_. Die Argumentation von Fall zu Fall setzt eine genaue Kenntnis von und ein Arbeiten mit den faktischen Details der Lösung voraus. Das Recht lebt von den Fakten, ja nach klassischer Sicht ergibt es sich letztlich aus den Fakten. Aus englischer Sicht ist dies zwar keineswegs zwingend. Denn englische Juristen weisen gern darauf hin, daß etwa im Recht der torts das englische Rechtssystem sich nie recht hat entscheiden können, ob es eher auf allgemeinen Prinzipien oder auf spezifischen Interessen und Umständen beruhen sollte. _Auch diese allgemeinen Prinzipien aber sind nicht im kontinentaleuropäischen Sinn eines abstrakten, von Fakten abstrahierten Regeldenkens gemeint; zudem wird eingeräumt, daß ein prinzipiengeleiteter Ansatz jedenfalls nicht die alltägliche Sichtweise des praktizierenden Juristen wiedergibt_. Ganz praktisch werden Urteile, ganz anders als im civil law, regelmäßig mit ausführlichem oder gar vollständigem Sachverhalt abgedruckt und vor allem auch von Juristen in dieser Form gelesen. Juristische Diskussionen sind nicht auf den Inhalt und die Formulierung von Normen zentriert, so daß Fälle allenfalls der Illustration dienen, sondern betreffen regelmäßig konkrete Einzelfälle und die Anwendung von Normen in diesem konkreten Kontext, wobei Sachverhaltsfragen auf einer Ebene mit abstrakten juristischen Fragen in die Debatte eingebracht werden können. *_Gleichzeitig spielt die für den civil law Juristen so zentrale Logik keine völlig zentrale Rolle: "The life of the law has not been logic: it has been experience" (Oliver Wendell Holmes, The common law, 1881, 1)_* lautet eines der berühmtesten Zitate zur Charakterisierung des common law, und es sorgt nicht für größte Unruhe, wenn ein Richter am House of Lords eine akademische Rechtsansicht mit der Begründung zurückweist, sie sei "excessively logical". " (Kischel, Uwe: Rechtsvergleichung. München: C.H: Beck 2015, S. 267f.)
"Dieser Abneigung gegen die Abstraktion entspricht das Fehlen übergreifender Systematisierungen. Natürlich lassen sich auch im common law Regeln zu Systemen zusammenfassen, in Hierarchien bringen und aufeinander beziehen. Immer wieder sprechen sich auch einmal Juristen genau dafür aus. Zum üblichen, alltäglichen Standard gehört dieses Denken jedoch nicht. _Eine Abstraktion von Rechtsregeln über enge Bereiche hinaus wird regelmäßig auf größeren Widerstand stoßen._ (...) _Einen allgemeinen Teil des Schuldrechts, der die gemeinsamen Prinzipien etwa von torts und contracts vor die Klammer zieht, gibt es nicht und er würde vor allem aufgrund seines viel zu hohen Abstraktionsgrades auch gemeinhin nicht als wünschenswert angesehen._" (ebd., S. 268)
"Auch der Umgang mit Fällen ist dadurch gekennzeichnet, *_Fälle mit anderen Fällen in Verbindung zu bringen, nicht mit übergeordneten Grundsätzen_*. Fälle werden nicht nur deshalb untersucht, um sie in das Muster aller anderen bislang entschiedenen Fälle einzufügen und aus ihnen allgemeingültige Regeln für alle zukünftigen Fälle abzuleiten; der umfassende Vergleich von Fällen, das Entwickeln der ratio decidendi und das distinguishing etwa, sind vielmehr im Grundsatz auf die Entscheidung eines neuen Einzelfalls gerichtet. _Rechtsnormen stehen nicht in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, bei dem sich sehr spezielle Normen als Ausdruck allgemeiner und diese als Ausdruck noch allgemeinerer Normen erweisen. Die rechtlichen Begriffe und Kategorien werden nicht routinemäßig abgeglichen und geordnet._" (268-269)
"Größte Schwierigkeiten bereitet dem common law ... die Frage, wie die Verbindung von Tatsachen und Recht, also die Entscheidung, ob ein bestimmter Sachverhalt unter eine bestimmte Regel fällt, zuzuordnen ist. Jedenfalls für den deutschen Juristen wäre die Lage klar: Die Frage, ob z.B. ein einmal festgestelltes Verhalten die Voraussetzung der Fahrlässigkeit erfüllt, ist ihrerseits nicht mehr dem Beweis zugänglich; also handelt es sich um eine Rechtsfrage. ..." (270) /
Arne Pfeilsticker schrieb:
Am 14.01.2016 um 15:05 schrieb moneymind <moneymind[at]gmx.de http://mailto:moneymind%5Bat%5Dgmx.de>:
Hallo Arne,
Commons ist in der Tat sehr lesenswert.Ein Commons-Zitat, das ich Dir nicht vorenthalten möchte:
"But these rights and duties, credits and debts, are _only expectations_ (!!!).
Nach heutigem Rechtsverständnis würde man diese Rechtsbeziehungen (Recht —> Pflicht, Forderung —> Verbindlichkeit) *Ansprüche* nennen.
They are “economic quantities” (diesen Begriff benutzt Henry Dunning MacLeod, auf den Commons sich hier bezieht, mm) distinguished from material quantities, simply because they _exist only in the future_ (!!!). But they do not exist only in the mind (!!).
Das nennt man heute Verpflichtungsgeschäft.
_They exist in the present activities and adjustments of plans_ (!!!).
Hier werden die Aktivitäten des Erfüllungsgeschäft angesprochen, um die im Anspruch festgelegte Leistung zu erbringen.
Aus meiner Sicht ist das, was wir hier bei Commons lesen, der Beginn eines Abstraktionsvermögens, das uns heute weitgehend selbstverständlich ist.
Gruß
Arne
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, (fortgesetzt)
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 12.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Arne Pfeilsticker, 12.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 12.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Arne Pfeilsticker, 14.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 14.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Arne Pfeilsticker, 14.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 14.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 14.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 14.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Arne Pfeilsticker, 14.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 14.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Arne Pfeilsticker, 14.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 14.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Arne Pfeilsticker, 15.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 15.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Arne Pfeilsticker, 15.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 19.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 19.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Arne Pfeilsticker, 20.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 28.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Arne Pfeilsticker, 28.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 29.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Arne Pfeilsticker, 15.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 14.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Arne Pfeilsticker, 14.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 14.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 12.01.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Arne Pfeilsticker, 11.01.2016
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