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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht)

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht)


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht)
  • Date: Sat, 10 May 2014 20:41:10 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hi ExP,

Ich würde die Schwerpunkte völlig anders setzen.
Luhmann war ja zu Beginn nicht nur Jurist, sonder auch noch in der Verwaltung tätig. Auf den ersten Blick könnte man da tatsächlich wenig Grundlagen für "menschliches" vermuten.

Andererseits kann man gerade in diesen Bereichen sehr deutlich erfahren, wie unterschiedlich und bisweilen willkürlich die Beschreibungen von Situationen ausfallen können und welche (unvorhersehbaren) Folgen sich daraus ergeben.

Sicher, ich denke mal, daß Luhmann aus Frustration mit der "Dialektik der Gleichheit", die sich aus jeder Anwendung gleichen Rechts auf unterschiedliche Fälle ergeben muß, dann zur "Soziologie" und "Epistemologie" übergewechselt ist, um sein Unbehagen sozusagen aufzuklären. Daß er dann - wie Hegel, an dem er sich ja auch abgearbeitet hat - bei einer Art von "Dialektik von Identität und Differenz" gelandet ist (oder nicht?), wundert mich eigentlich nicht.

Gerade als Jurist kann man wissen, wie weit entfernt oft Recht und empfundene Gerechtigkeit sind. Was ist daran verwerflich bzw. unmenschlich, wenn man sich bemüht, eine Theorie zu entwerfen, die mit solchen Widersprüchen umgehen kann.

Daran finde ich überhaupt nichts unmenschlich oder verwerflich, im Gegenteil. Da hat Luhmann was gemacht, was 99% aller Jurastundenten sich aus Feigheit und Opportunismus heraus nie trauen, nämlich zu versuchen, der "Dialektik der Gleichheit" auf den Grund zu gehen.

"Unmenschlich" und fast schon pervers finde ich Luhmanns Sprache, seine Art der Beschreibung (s.u.), und (u.a.) seine völlig unhistorische (eben rein begrifflich-"juristische" Herangehensweise.

Soweit ich mich erinnere, bezieht sich Luhmann des öfteren wertschätzend auf Batesons Erkenntnisse und bringt sie mit seinen Ausführungen in Einklang. Wenn das zutrifft, könnte das nicht ein Indiz dafür sein, dass man in der praktischen Anwendung der trockenen Luhmannschen Systemtheorie auch das Menschliche finden kann und dass dies auch beabsichtigt ist?

Beabsichtigt sicherlich, andere Absichten würde ich Luhmann nicht unterstellen wollen. Ich vertrage nur einfach seine Sprache nicht, die eben seine Perspektive zum Ausdruck bringt.

Der Begriff "Mensch" ist der, bei dem sich offensichtlich jeder, der sich nicht weiter mit der Systemtheorie Luhmanns beschäftigen will, am pathetischsten von der Theorie meint distanzieren zu können.

Dass der (ganze) Mensch auf dem Abstraktionsgrad der Luhmannschen Systemtheorie nicht Bestandteil sozialer Systeme ist, sagt überhaupt nichts über die Stellung, geschweige denn die Wertschätzung des Menschen aus.

Es sollte doch jeden wissenschaftlich denkenden Mensch stutzig machen, dass es eigentlich nicht möglich sein kann, wenn ein Mensch verschiedenen sozialen Systemen angehören kann, diese gleichzeitig aus jeweils denselben Menschen bestehen sollen. Die physisch körperliche Denkweise setzt ja gerade voraus, dass man immer nur an einem Ort sein kann.


Wer redet von einer "physisch körperlichen" Denkweise? Ich nicht (Bateson: "Geist", "mental process" etc. - genereller: "Kultur" als in sozialen Zusammenhängen - in Beziehungen zu anderen Menschen - produziertes gegenständliches und symbolisches Bedeutungssystem etc.).

Wenn man der Beschreibung folgt, dass das biologisch-physische Gehirn (viele Nervenzellen) Voraussetzung für materiell völlig andersartige "Bewusstseinsoperationen" ist, was ist denn dann so verwerflich bzw. unmenschlich, wenn man dem Zusammenhang dieser "Bewusstseinsoperationen" Systemstatus verleiht.


Für mich ist "System" einfach eine ... unpassende Metapher, eine Metapher, die aus meiner Sicht in irreführende Bedeutungszusammenhänge führt (Kybernetik, Maschinen, Computer). Das ist eine technische Metapher. Biologische Metaphern (wie Bateson sie z.B. in "Every Schoolboy" oder "The World of Mental Process" verwendet) finde ich viel angemessener.

Und Begriffe wie "Geist" oder "Seele" ziehe ich da auch vor - allerdings schon in präzisierter Form (Bateson sagt, daß "Geist" für ihn u.a. und v.a. aus "Unterscheidungen" bestehe, ich würde ergänzen, auch aus analogischen und metaphorischen Korrespondenzen und "Blends" (Fauconnier/Turner) ... long story.

Daß die "System"-Metapher so populär ist, hat natürlich mit dem Aufschwung der Kybernetik nach WK II zu tun, und Sozialwissenschaftler leihen sich immer gern die "neusten" Begriffe aus und stülpen sie dann der "Gesellschaft" metaphorisch über (und die Naturwissenschaftler stülpen sie der Natur über). War mit Newton auch nicht anders, da hat man sich dann sozialmechanische Theorien zusammengestrickt und den menschlichen Körper als Maschine betrachtet, durch die Brille der mechanischen Metapher eben. Und jetzt nimmt man halt "Computer", die auch "Feedbackschleifen" enthalten können, usw.

Die Themen bzw. Grundbegriffe, um die es bei Luhmann dann geht, Identität und Differenz, haben doch ne lange Tradition im abendländischen Denken. Hegel redete eben noch vom "Geist" und nicht vom "System", und das gefällt mir viel, viel besser (schon deshalb, weil mir "System" viel zu geschichtsvergessen und unhistorisch daherkommt).

Und was daran, wenn man danach fragt, ob nicht vielleicht viele verschiedene dieser "psychischen" Systeme nicht ihrerseits Voraussetzung für einen weiteren spezifischen Systemtyp, nämlich den der sozialen Systeme sein könnten, die dann wieder einen anderen Operationsmodus haben, der dann Kommunikation genannt wird?

Das ist alles völlig ok und wichtig, nur mag ich wie gesagt nicht die Sprache und die Metaphern, in denen Luhmann das beschreibt, und ziehe z.B. Batesons, Koestlers oder Fauconnier/Turners Metaphern da vor.

Man kann dann aus dieser theoretischen Perspektive völlig wertfrei feststellen, dass der Mensch nicht ein System "ist", sondern zwei Systeme repräsentiert, nämlich ein "biologisches" und ein "psychisches".

"Repräsentiert" - naja.

Man kann Menschen als "Systeme" beschreiben, also quasi so tun, als "wären" sie welche, aber welche Bedeutung evoziert das? Es ist eine bestimmte Perspektive, strukturiert durch die Metapher, die man verwendet. Wie gesagt, für mich eine zu "technische" Metapher: Kybernetik, Maschinen, Computer - daher kommt ja das "Systemdenken" und wurde dann - metaphorisch, aber eben nur implizit metaphorisch - auf menschliches Zusammenleben und Kultur übertragen. Man sagte dann, das IST ein soziales System - so wie der Katholik sagt, der Wein IST Jesu Blut. Man hält 'ne Metapher (implizite Analogie) für eine Identität (siehe den Bateson-Text: World of Mental Process).

Eine Metapher, die aber eben die Wahrnehmung strukturiert (und die Beschreibungssprache prägt).

Sagen wir's einfach ganz konkret: wenn ich Luhmann lese, wird mir unwohl. Da krieg ich 'nen Koller. Bateson - das "ist" Vanilleeis mit Schokosoße, so wie "der Mensch" "ein System ist", falls Du verstehst, was ich meine .... ;-)
Weiter kann man dann die These aufstellen, dass ähnlich, wie aus den Aktivitäten vieler Neuronen im Gehirn Bewusstseinsoperationen entstehen, doch aus den Bewusstseinsoperationen unterschiedlicher psychischer Systeme, soziale Operationen, Kommunikationen genannt, entstehen können.


Klar, man kann alles mögliche machen. Man kann alles in den verschiedensten metaphorischen Beschreibungssprachen beschreiben. Und wie gesagt, bei Luhmanns Sprache wird mir schlecht. Und nicht mal nur geistig-seelisch ... sogar physisch :-D "Bin" ich jetzt eine "psychophysische Einheit" oder was ... ;-)

Ich frage mich, was daran unmenschlich sein soll? Die Neurobiologie/-physologie wäre das dann auch bzw. noch viel mehr.

Die ist Mythologie hoch drei - und unmenschlich in der Tat. Da empfehle ich mal Thomas Szasz: "The Meaning of Mind". Eine erstklassige Demontage dieser ganzen affigen Neuro-Mythologie.

Ich frage mich zudem, warum es unmenschlich sein soll, zu behaupten, dass soziale Systeme nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikationen bestehen, gleichzeitig aber immer betont wird dass, dass es ohne den Menschen keine Kommunikation und folglich auch keine sozialen Systeme geben kann?

"Soziale Systeme" = Leute, die zusammen was machen (und sich darüber auch verständigen). Ein Team z.B.

Besteht das jetzt "nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikationen"? Hallelujah!

Was ist daran unmenschlich, wenn man die systemtheoretische Aufmerksamkeit weg von dem statischen "Ding" Mensch hin zu den operativen "Produkten", mit denen er im Zeitablauf auf die unterschiedlichste Weise wirkt (und wie sie dann auch wieder auf ihn zurückwirken!), lenkt?

Daran ist "unmenschlich", daß das "wesentliche" einfach rausgekürzt wird.

Besser: Diskursform einer Geschichte, erzählt von einem (fiktiven) "allwissenden Beobachter". Also wie ein Storyteller, ein Geschichtenerzähler oder Schriftsteller, Drehbuchautor etc. Der kann dann das "soziale System" (Team z.B.) vom Standpunkt jedes Team-Mitglieds beschreiben, zugleich jedoch von seinem "allwissenden" Beobachterstandpunkt auch Zusammenhänge erkennen, die den einzelnen Team Members verborgen bleiben.

Wenn wir z.B. Makroökonomie machen, machen wir genau sowas (wir nehmen einen fiktiven Standpunkt eines "allwissenden Beobachters/Erzählers" ein). Und Luhmann macht im Grunde auch so etwas ähnliches, glaube ich - nur halt in einer Sprache, die ich wie gesagt als dem Wohlbefinden nicht sehr zuträglich empfinde ...

Nix für ungut, is vielleicht auch Geschmackssache. Ich sage ja nicht, Luhmann "hat unrecht", ich sage einfach: seine Perspektive liegt mir nicht, ich finde sie für meine Zwecke weniger nützlich als andere. Oder nochmal anders: Luhmanns Sprache / Perspektive geht mir einfach gehörig auf den Senkel ...




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