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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- Subject: Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht)
- Date: Sat, 10 May 2014 09:04:39 +0000
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Hallo Rolf,
super Beitrag ... würde gern ein paar Punkte anmerken + ergänzen:
Es gibt in keiner Ökonomischen Schule eine valide Preistheorie. Wenn man genau hinschaut wie die Theorien darüber aussehen auf welche Weise dem Ding ein Wert zugewiesen wird landet man immer bei zirkulären/tautologischen Erklärungen die auf das zurückgeifen was zu erklären sie vorgeben oder im Falle der Arbeitswertlehre bei einer mathematischen Widerlegung. (Bezeichnenderweise entspringt hier die Ausnahme hinsichtlich der Natur des Irrtums, die Arbeitswertlehre, keiner Ökonomischen Lehre sondern einer Ideologiekritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft.
Ja. Und interessanterweise leiten die Marktfundamentalisten (Neoklassiker und Österreicher) ihre Behauptung, daß Märkte immer effizient und optimal seien und jegliches Versagen immer auf Staatseinfluß zurückzuführen sei, aus axiomatischen Setzungen ab (Grenznutzentheorie).
Das Versagen der beiden existierenden Werttheorien haben Jonathan Nitzan und Shimshon Bichler sehr gut rausgearbeitet. Sie erkennen auch, wie eine "praxiskompatible" Werttheorie aussehen müßte, leider bekommen sie auf dieser Basis kein klares und schlüssiges makroökonomisches Modell hin (deswegen werde ich auch das Buch nur noch selektiv lesen):
"Capital as Power" - http://bnarchives.yorku.ca/259/
Der Ansatz der AG, statt mit axiomatischen Setzungen zu beginnen, einfach auf der Ebene der Buchhaltung präzise zu beschreiben, was Wirtschaftssubjekte wirklich tun, kann auch auf die Bewertungs- und Preissetzungsprozesse ausgeweitet werden.
Statt fiktive Arbeitswert- und Grenznutzentheorien zu verwenden, kann man einfach z.B. in ein BWL-Lehrbuch (z.B. Wöhe: BWL) schauen und gucken, welche Ansätze zur "Unternehmensbewertung" es eigentlich gibt. Dann kann man Unternehmer und Spekulanten interviewen und fragen, wie genau sie bei solchen Bewertungsprozessen vorgehen. Und daraus dann eine "Bewertungstheorie" konstruieren. Die muß nicht mal besonders kompliziert sein. Diese individuellen Bewertungsprozesse kann man dann in ein makroökonomisches Modell integrieren.
Wie bewerte ich ein Grundstück? Auch danach, welche späteren Erträge ich damit erwarte, erzielen zu können. Je höher die erwarteten Erträge sind, desto höher werde ich (und ein potentieller Käufer oder Kreditgeber) das Grundstück bewerten.
Ähnlich mit einem Unternehmen. Je höher die Ertragsaussichten, desto höher der Unternehmenswert. Je geringer die Ertragsaussichten, desto geringer auch der Wert des Unternehmens. Ein Unternehmen ohne jede Ertragsaussichten hat einen Wert von Null. Nach der deutschen Vereinigung wurden die DDR-Betriebe, die im Kontext der westlichen Wirtschaft nicht konkurrenzfähig waren (keiner wollte DDR-Produkte, wenn er Westprodukte haben konnte – Null Nachfrage) großenteil von der Treuhand für eine Mark (!) an „Investoren“ verkauft.
Wovon hängen die Ertragsaussichten eines Unternehmens ab? Zunächst von der erwarteten Nachfrage nach seinen Produkten. Eine Rolle spielt auch der Zinssatz: je höher der ist, desto höher die ertragsmindernden Finanzierungskosten. In other words, Nachfrage und Zinssatz wirken sich direkt auf den Unternehmenswert aus. So läuft es in der Praxis – in Grenznutzen- oder Arbeitswerttheorie kommt das nicht vor, das sind rein fiktive Theorien, „stories“ – „stories vom pferd“, um es mal umgangssprachlich auzudrücken. Oder auch: Bullshit.
Keynes hat sich deshalb auf die Erwartungen und Pläne der Wirtschaftssubjekte konzentriert (siehe in der General Theory die Kapitel "Die Veranlassung zur Investition" und "der Hang zum Verbrauch", die bei Keynes dann die "effektive Nachfrage" bestimmen).
Obiger Prozess ist - allerdings leider, ohne ihn zu fundieren mit einer saldenmechanischen Darstellung der zugrundeliegenden Kreditschöpfungsprozesse - z.B. gut beschrieben bei Heine/Herr: VWL – eine paradigmenorientierte Einführung, ab S. 455 und bei George Soros: Alchemy of Finance, im Kapitel „The Credit and Regulatory Cycle“. Ein absoluter must read - genaue Links in einem Kommentar, den ich heute im Blog von Matthias Garscha geschrieben hab, siehe dort:
http://matthiasgarscha.wordpress.com/2014/05/03/money-blood-and-revolution-george-cooper/#comments
Die Bedeutung dieser Einsichten ist enorm, um Konjunktur und Geld- und Fiskalpolitik verstehen zu können. Beide wirken über Zinssatz und Nachfrage- bzw. Kostenbeeinflussung (Besteuerung) direkt auf Ertragsaussichten und damit auf Unternehmenswerte.
Aber auch *bloß rhetorische Beeinflussung von Erwartungen* führt zu Neubewertungen von nonfinancial assets und damit zu höherer oder niedriger Kreditwürdigkeit und Verschuldungsbereitschaft ...
Muß gleich weg, aber das ist DER Kern des Zusammenhangs von nominell fixierten Forderungen (financial assets/liabilities - Grundbegriff der Saldenmechanik) und nominell variablen forderungslosen Vermögenswerten (nonfinancial assets auf den Aktivseiten der Bilanzen), der im Zentrum von Konjunktur, Boom/Bust etc. steht (sowohl auf Güter- wie auf Finanzmärkten).
In other words, DAS ist der begriffliche und praktische Kern jeder Kredit-/"Geld"wirtschaft. Eine monetäre Werttheorie, die über Ertragserwartungen läuft (und deshalb - im Gegensatz zur Saldenmechanik - die "Subjekte" und ihre Pläne, Erwartungen, Befürchtungen, etc. von vorneherein mit drin hat).
Es ist mit der jeweiligen Wert- bzw. Preistheorie, um hier mal ein Bild zu bemühen, so wie der Schnitt in der Perspektive bei den Grafiken von M. C. Escher. Es entsteht ein Abbild einer unmöglichen Realität. Während in dieser Analogie der Betrachter an die Rationalität gewöhnt ist die in der Verwendung perspektivischer Zeichnung liegt - auf der 2-D Oberfläche des Blattes wird ein Abbild der 3-D Welt ermöglicht - dauert es nicht lange bis die Gewohnheit durchbrochen, der Trick durchschaut und der Schnitt in der Perspektive gefunden ist, berührt dieser Fehler einer jeden Ökonomie die ganz tief sitzende /rechnende/ Denkform. Die "Gewohnheit" betrifft die grundlegende Beschränktheit des menschlichen Bewußtseins die in der Abstraktion selbst liegt.
Genau.
Im 20. Jahrhundert gab es einen entscheidenden erkenntnistheoretischen Fortschritt hinsichtlich /begrifflicher/ Abstraktion, der sich als 'linguistic turn' auf breiter Front in den Geisteswissenschaften Geltung verschafft hat. Da der Ökonom aber weniger begrifflich denkt als vielmehr rechnend, ging dies völlig an den Ökonomen vorbei (Karl-Heinz Brodbeck bildet hier eine rühmliche Ausnahme). Das herausgebildete Problembewußtsein macht einen bedeutenden Unterschied: "Die Reflexion des Denkens, vor allem die Philosophie, wird damit zur Sprachkritik; eine Reflexion sprachlicher Formen - auch in der Literatur - kann so gesehen nur unter den Bedingungen des reflektiert Gegenstandes, eben der Sprache, erfolgen." [ http://de.wikipedia.org/wiki/Linguistic_turn ] . Was wir brauchen ist eine Erkenntnis-/Wissenschaftstheorie die nicht nur den 'linguistic turn' sondern auch einen 'math turn' beinhaltet. Also eine Reflektion des rechnenden Denkens.
Genau. Wir brauchen eine (pragmatische) "Epistemologie" - Handwerkszeug fürs "Denken" und "für-wahr-nehmen".
Meineserachtens gibt es diese bereits: die Systemtheorie. Imho ist sie so etwas wie ein Analogon (größtmögliche Aproximation) Buddhistischer Erkenntnislehre für die Wissenschaft, oder hat zumindest das Zeug dazu. Unglücklicherweise ist gerade die Systemtheorie in der Sozialwissenschaft durch Niklas Luhmann dominant. Seine Adaption ist mMn an Absurdität kaum zu überbieten. Das komplexeste System, der Mensch, ist darin völlig eliminiert.
[ http://193.174.81.9/professoren/bwl/brodbeck/luhmann.pdf] .
Ja, mit Luhmann konnte ich bisher auch noch nie viel anfangen. Er war ja Jurist, das liest / spürt man in seinen Texten (leider) raus. Hervorragend dazu fand ich dagegen Gregory Bateson (einen der Väter der sogenannten „Systemtheorie“), speziell in seinem letzten Buch „Angels Fear“ (von seiner Tochter Mary Catherine zusammengestellt, herausgegeben und editiert – deutsch: „Wo Engel Zögern – unterwegs zu einer Epistemologie des Heiligen“).
Bateson war nicht Jurist, bürokratischer Studierstubenfuzzi wie Luhmann, sondern hat als Ethnologe begonnen (hat mit seiner ersten Frau Margaret Mead ethnologische „Feldstudien“ bei den Iatmul und auf Bali gemacht). Nachdem er dann mit den sozialwissenschaftlichen Methoden ganz zu recht völlig unzufrieden war, hat er sich immer mehr für Epistemologie interessiert. Sein Vater war Biologe, auch das hat ihn sehr beeinflußt.
Nicht nur viel lebensnäher als Luhmann, sondern auch sympathischer und "menschlicher". Einer meiner Lieblingstexte von ihm steht online (zum reinschnuppern):
„The World of Mental Process“ (aus “Angels Fear”)
http://www.oikos.org/angelsfear.htm
Auch sehr gut:
„Every Schoolboy Knows“ (aus „Mind and Nature“, dt. „Geist und Natur“)
http://www.oikos.org/mind&nature.htm
Noch wichtiger für mich war für die Epistemologie bzw. „Forschungsmethode“ etc. Klaus Holzkamp, bei dem ich in Berlin in seinen letzten Lebensjahren studieren durfte; und Mark Turner (Mathematiker und Literaturwissenschaftler) und Gilles Fauconnier (Linguist): "The Way We Think - Conceptual Blending ...". Die beiden sortieren das, was sie machen, als "kognitive Linguistik" ein.
Aber diese (sehr wichtige) Diskussion, müssen wir später fortsetzen, muß dringend weg.
Mich hat das lange beschäftigt (beginnend vor meiner Beschäftigung mit Ökonomie) - "Wissenschaftstheorie", Epistemologie, Wahrnehmen, Strategien der Modellbildung, "sozialwissenschaftliche" Methoden etc., und bin schließlich zu für mich befriedigenden Klärungen, ausreichend nützlichem begrifflichem "Handwerkszeug" und Frage-Strategien etc. gekommen.
Aber ... wie gesagt, ggf. dazu ein andermal.
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], (fortgesetzt)
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Monika Herz, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), moneymind, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Monika Herz, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Monika Herz, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Monika Herz, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Anwendungen systemischen Denkens,was: Vollgeld ..., moneymind, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), moneymind, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Ex-SystemPirat, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), moneymind, 10.05.2014
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- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), moneymind, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Ex-SystemPirat, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), moneymind, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), moneymind, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Phänomenologie des Geldes (was: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld? ), Rolf Müller, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), moneymind, 11.05.2014
- [AG-GOuFP] mitfühlender Liberalismus, thomas, 11.05.2014
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