ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Ex-SystemPirat <systempirat AT live.de>
- To: AG-GOuFP <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?]
- Date: Sat, 10 May 2014 10:41:51 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Am 09.05.2014 20:15, schrieb Thomas Weiß:
Hi SystemPirat!
Da ich es schade finde, dass es anscheinend nicht recht klappt, die
Ideen eines offensichtlich sehr vernunftbegabten Menschen wie dir
produktiv in unsere AG zu tragen, versuche ich zu vermitteln. Nicht
zuletzt würde es mich selbst, als leidenschaftlichen
Freizeitphilosophen, freuen die Makroökonomie als gewinnbringende
Anwendung der Systemtheorie zu befruchten.
Trotz vieler Mails sehe ich bisher nicht, welcher Nutzen eine
systemtheoretischen Sichtweise in der Ökonomie bringen soll. Anscheinend
sieht man das auch nicht so einfach, wie du hier schreibst:
Der größte Nutzen scheint mir der zu sein, dass man eine völlig neue zusätzliche Perspektive für Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen bekommt.
Die uns von Kindheit an vertraut gewordene "dinghafte" und "istbezogene" Betrachtungsweise geht dabei ja nicht verloren. Ich kann die traditionelle wissenschaftliche Denkweise ja immer noch mitvollziehen. Interessant wird es aber gerade da, wo die überkommenen Ansätze sprachlos werden. Dort wird es die Systemtheorie noch lange nicht. Meist fängt es da erst an, richtig interessant zu werden. Was nicht bedeutet, dass man dann Lösungen traditioneller Art bekommen würde. Das dürfte aber plausibel sein, sonst wäre ja nichts wirklich Neues dabei.
In der Systemtheorie Luhmanns hat Geld z.B. die Rolle eines symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums. Wenn man mit diesem Theoriestück vertraut ist, ergeben sich völlig neue Ansätze, das Thema weiter zu verfolgen. Hier in der Mailingliste wird immer wieder die veraltete Sichtweise des "Dinggeldes" thematisiert, ohne jedoch eine wirklich neue anbieten zu können. Die Systemtheorie Luhmanns könnte eine bieten, die noch dazu nicht isoliert dahsteht, sondern zu anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen (Recht, Politik....) und der Gesamtgesellschaft in Beziehung steht.
Bei mir entsteht der Eindruck, dass die Kritiker Luhmanns nicht bereit sind, die Energie zu investieren, die eine produktive Auseinandersetzung mit seiner Theorie erfordert. Sie scheinen dann als Konsequenz ihrer Resignation eher in Richtung Besitzstandwahrung zu argumentieren, wofür sie wohl auch eher Fürsprecher bekommen werden
Am 25.04.2014 11:44, schrieb Ex-SystemPirat:
Wenn man Inspirationen aus dem Bereich der Systemtheorie so einfach
"ausbreiten" könnte, so dass jemand sofort davon überzeugt wäre oder
etwas damit anfangen könnte, wo wäre denn dann das grundlegend
(paradigmatisch) Neue daran?
Die auf Selbstorganisation und Selbstreferenz beruhende Systemtheorie
kann man sich eigentlich nur auf dem Weg erschließen, den sie selbst
beschreibt, indem man sie nach ihrem Selbstverständnis praktiziert und
reflektiert. Man kann sie nicht "von außen" erlernen, "produktiv"
nutzen und - was vielleicht noch viel schwerer wiegt - kritisieren,
sondern nur, indem man sich (kommunikativ) auf sie einlässt.
Dennoch solltest du einen Weg finden, uns diese Chance zu ermöglichen.
Wenn der einzige darin besteht, sich monatelang mit Systemtheorie zu
beschäftigen, wirst du hier wohl nicht glücklich werden.
Wie wäre es stattdessen mit einem mittellangen Text, selbst- oder
fremdgeschrieben, der für Anfänger verständlich in die Theorie einführt,
sowie deutlich macht, wie man sie im Kontext der Ökonomie anwenden
könnte und v.a. welchen Nutzen man daraus ziehen könnte.
Es gibt genügend Literatur, die in die Theorie Luhmanns einführt. Das ist aber nicht der Knackpunkt. Wenn man nicht wirklich gewillt ist, eine wirklich neue Perspektive zu entwickeln, werden einem diese Werke wenig nützen und man wird nach kurzer Zeit aufgeben. Ich vermute auch, dass viele Kritiker Luhmanns an diesem Punkt des Aufgebens entstehen, indem sie die "vergeblich" investierte Energie wenigstens für eine Kritik verwenden wollen. Nach dem Motto: Wenn schon nicht produktiv, dann wenigstens destruktiv.
Am 25.04.2014 11:44, schrieb Ex-SystemPirat:
Was mich persönlich in der Folge grundlegend desillusioniert hat, ist
die Selbstverständlichkeit, mit der angenommen wurde, dass das Ganze
ohne einen grundlegenden Paradigmenwechsel auch auf der
wissenschaftlichen Ebene beschrieben und vielleicht sogar erklärt
werden kann.
Wirklich neue gesellschaftliche Lösungen wird man nur dann
wissenschaftlich begründen können, wenn man die alten, den
traditionellen Naturwissenschaften entnommenen kausal motivierten
Glaubenssätze über den Haufen wirft. Vielleicht etwas Plastischer
formuliert: Wenn man sich von den Restriktionen der Newtonschen
Mechanik in Richtung auf die Sichtweise der Quantenmechanik bewegt.
Ich sehe die derzeit herrschende Ideologie (Neoklassik) nicht als
Analogon der Newtonschen Mechanik, sondern eher einer
prä-wissenschaftliche Erklärung, in der Blitze entstehen, weil eben Zeus
gerade zornig ist. Anders ausgedrückt: Im Zustand den die
Wirtschafts"wissenschaft" heutzutage hat, sollte man, bevor man
innovative Wege geht (Quantenmechanik), die derzeitigen
"Wissenschaftler" lieber darauf hinweisen, dass ihre Theorie grober
Unfug ist.
Eine systemische makroökonomische Theorie sehe ich daher als ein
wichtiges Projekt in ferner Zukunft an, aber nicht als die derzeit
brennendste Baustelle.
Ich habe das anders gemeint, als du das wahrscheinlich verstanden hast. Das Denken der Newtonschen Mechanik verstehe ich als ein Denken in feststehenden, ein für allemal gültigen Kausalitäten. Diese Kausalitäten sind aber tatsächlich nur in "irdischen" Dimensionen gültig (ich weiß nicht, wie ich das besser formulieren kann). Wenn man darüber hinausgeht (z.B. Universum, Quantentheorie), sind sie oft nur wenig hilfreich.
Der körperliche Mensch (oder Leben überhaupt) kann aber sehr wahrscheinlich nur unter den physischen Bedingungen Erde körperlich überleben. Insofern stellt sich eine Frage einer möglichen Veränderung der Naturgesetze für den Menschen nicht vorrangig, da er sie vermutlich nicht beobachten könnte.
Bei sozialen Systemen ist das anders. Wenn ein soziales System verschwindet, überlebt der physische Mensch in der Regel. Die "sozialen" Konsequenzen wirken sich dann eher auf die Psyche und auf diesem Umweg vielleicht auch auf den physischen Körper aus. Jedenfalls hat er die Möglichkeit, sich auf die neuen Bedingungen einzustellen.
Insofern scheint eine aus den traditionellen Naturwissenschaften "kopierte" Betrachtungsweise besonders in der heutigen Zeit der schnellen Veränderungen und der Virtualisierung eher unproduktiv. Die damit verbundenen Probleme kann man ja immer deutlicher Beobachten.
Die Systemtheorie Luhmanns bietet einen ausgearbeiteten und geschlossenen Theoriezusammenhang, mit dem man sich diesem Problemkreis ohne die Einschränkungen einer, ich nenne es jetzt mal Ursache-Wirkungs-Denkweise, nähern kann. Dort, wo traditionelle Theorien vielfach nur noch Beliebigkeit unterstellen können, kann man mit der Systemtheorie meist noch theoriegelenkt beobachten und argumentieren. Das scheint mir ein zentraler Gesichtspunkt zu sein, den man nicht unterschätzen darf.
Am 09.05.2014 11:42, schrieb Ex-SystemPirat:
Die Wirtschaft bei Luhmann mit den zentralen Begriffen Zahlung, Geld,Kannst du auf einen konkreten Text verweisen, in dem Luhmann die
Preis, Markt... und ihren eher "unkonventionellen" Interpretationen,
ist ein hervorragendes Beispiel, die praktische Relevanz der
Systemtheorie am eigenen Leib zu erleben, wenn man sich erst einmal
auf deren Grundverständnis eingelassen hat. Tut man letzteres nicht,
wird man wahrscheinlich tatsächlich wenig mit ihr anfangen können. Man
verspielt sich damit dann eine Kreativität, die einen zu sehr
überraschenden und unkonventionellen Schlussfolgerungen und
Erklärungen verhelfen kann, die sich dann auch mit neu geschärfter
Aufmerksamkeit in der Realität bestätigen lassen.
Ökonomie systemtheoretisch erklärt?
Er behandelt das gesellschaftliche Subsystem Wirtschaft in seinem Buch "Die Wirtschaft der Gesellschaft". Für einen Anfänger, noch dazu ohne gezielte Motivation, dürfte das aber nicht lesbar sein.
Grundsätzlich gilt, dass man für ein Verständnis Luhmanns mindestens sein Grundlagenwerk "Soziale Systeme" gelesen und in den zentralen Grundgedanken vorläufig (als ob!) akzeptiert (ich sage bewusst nicht: verstanden) haben sollte. Ohne die Akzeptanz von für einen traditionellen westlichen Wissenschaftler (vorläufig) verwunderlichen Standpunkten, wird man diese Systemtheorie wahrscheinlich nicht angemessen und produktiv verstehen können.
Es gibt auch eine Einführung von Fritz B. Simon: "Einfürung in die systemische Wirtschaftstheorie" das für Anfänger verständlich sein dürfte. Aber auch da gilt: Wenn man nicht die Motivation hat, sich einer neuen Betrachtungsweise nähern zu wollen, wird man nur wenig Freude daran haben.
Generell kann man sich dieser Systemtheorie nicht mit Erwartungen nach dem Muster gelesen-plausibel-verstanden nähern. Eher im Gegenteil!
Für den ersten Zugang könnte zudem eine "als ob" Haltung sehrSehr gut. In der Philosophie geht es nicht darum, einer Ansicht
hilfreich sein, nach dem Motto: Lass uns so tun, als ob dies oder
jenes zutreffen würde. Dies könnte bei entsprechender Disziplin die
Diskussion dahingehend entschärfen, dass keiner zustimmen muss, dass
etwas "wirklich" so und nicht anders "ist".
zuzustimmen, sondern eine Argumentationsweise nachzuvollziehen!
Ich bin gespannt auf deine Antwort!
MfG, Thomas
- [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), moneymind, 07.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Axel Grimm, 07.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] New Deal mit neuer Spielanordnung statt Vollgeld, moneymind, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Axel Grimm, 08.05.2014
- [AG-GOuFP] Nash-Gleichgewicht, thomas, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Axel Grimm, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Wert- und Preistheorie - Was ist Geld? (was: Nash-Gleichgewicht), Rolf Müller, 09.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?, Ex-SystemPirat, 09.05.2014
- [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Thomas Weiß, 09.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Rolf Müller, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Monika Herz, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), moneymind, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Monika Herz, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Monika Herz, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Monika Herz, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?, Ex-SystemPirat, 09.05.2014
- [AG-GOuFP] Nash-Gleichgewicht, thomas, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Axel Grimm, 08.05.2014
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