ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- To: AG-GOuFP <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?
- Date: Fri, 9 May 2014 11:42:22 +0200
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- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Am 09.05.2014 08:36, schrieb Rolf Müller:
Am 08.05.2014 15:09, schrieb thomas:
Hallo RolfDanke Thomas! Habe davon im Bezug auf das Gefangenendilemma gehört, mich
weil wir's gestern hatten, vom:
Nash-Gleichgewicht
aber nie richtig damit beschäftigt.
Nochmal mein Ausgangspunkt unseres Gesprächs - Es gibt in keiner
Ökonomischen Schule eine valide Preistheorie. Wenn man genau hinschaut
wie die Theorien darüber aussehen auf welche Weise dem Ding ein Wert
zugewiesen wird landet man immer bei zirkulären/tautologischen
Erklärungen die auf das zurückgeifen was zu erklären sie vorgeben oder
im Falle der Arbeitswertlehre bei einer mathematischen Widerlegung.
(Bezeichnenderweise entspringt hier die Ausnahme hinsichtlich der Natur
des Irrtums, die Arbeitswertlehre, keiner Ökonomischen Lehre sondern
einer Ideologiekritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft.
Es ist mit der jeweiligen Wert- bzw. Preistheorie, um hier mal ein Bild
zu bemühen, so wie der Schnitt in der Perspektive bei den Grafiken von
M. C. Escher. Es entsteht ein Abbild einer unmöglichen Realität. Während
in dieser Analogie der Betrachter an die Rationalität gewöhnt ist die in
der Verwendung perspektivischer Zeichnung liegt - auf der 2-D Oberfläche
des Blattes wird ein Abbild der 3-D Welt ermöglicht - dauert es nicht
lange bis die Gewohnheit durchbrochen, der Trick durchschaut und der
Schnitt in der Perspektive gefunden ist, berührt dieser Fehler einer
jeden Ökonomie die ganz tief sitzende /rechnende/ Denkform. Die
"Gewohnheit" betrifft die grundlegende Beschränktheit des menschlichen
Bewußtseins die in der Abstraktion selbst liegt. Im 20. Jahrhundert gab
es einen entscheidenden erkenntnistheoretischen Fortschritt hinsichtlich
/begrifflicher/ Abstraktion, der sich als 'linguistic turn' auf breiter
Front in den Geisteswissenschaften Geltung verschafft hat. Da der Ökonom
aber weniger begrifflich denkt als vielmehr rechnend, ging dies völlig
an den Ökonomen vorbei (Karl-Heinz Brodbeck bildet hier eine rühmliche
Ausnahme). Das herausgebildete Problembewußtsein macht einen bedeutenden
Unterschied: "Die Reflexion des Denkens, vor allem die Philosophie, wird
damit zur Sprachkritik; eine Reflexion sprachlicher Formen - auch in der
Literatur - kann so gesehen nur unter den Bedingungen des reflektiert
Gegenstandes, eben der Sprache, erfolgen." [
http://de.wikipedia.org/wiki/Linguistic_turn ] . Was wir brauchen ist
eine Erkenntnis-/Wissenschaftstheorie die nicht nur den 'linguistic
turn' sondern auch einen 'math turn' beinhaltet. Also eine Reflektion
des rechnenden Denkens.
Meineserachtens gibt es diese bereits: die Systemtheorie. Imho ist sie
so etwas wie ein Analogon (größtmögliche Aproximation) Buddhistischer
Erkenntnislehre für die Wissenschaft, oder hat zumindest das Zeug dazu.
Unglücklicherweise ist gerade die Systemtheorie in der
Sozialwissenschaft durch Niklas Luhmann dominant. Seine Adaption ist mMn
an Absurdität kaum zu überbieten. Das komplexeste System, der Mensch,
ist darin völlig eliminiert.
[ http://193.174.81.9/professoren/bwl/brodbeck/luhmann.pdf] .
Für mich ist der letzte Absatz wieder ein (trauriger) Beleg dafür, dass selbst diejenigen, die einen fast unüberwindbaren Systemfehler zu proklamieren scheinen, nicht bereit sind, sich mit grundlegend neuen wissenschaftlichen Sichtweisen auseinanderzusetzen, geschweige denn anzufreunden.
Für mich ist nicht nachvollziehbar, wie man auch nur ansatzweise davon ausgehen kann, dass eine Lage, in der man eigentlich nur noch Krieg oder sonstige Katastrophen als Schaffung neuer Grundlagen sieht, mit der überkommenen westlichen Denkweise auch nur ansatzweise erfasst werden könne.
Ich gehe einmal davon aus, dass die meisten Kritiken der Luhmannschen Systemtheorie von Leuten kommen, die gar nicht gewillt sind, den enormen "geistigen" Aufwand zu bewältigen, der nötig ist, um sich auch nur ansatzweise das Konzept dieser Systemtheorie nutzbringend erschließen zu können. Ich habe Anfangs auch gezweifelt und mich regelrecht verarscht gefühlt, als ich die ersten Texte Luhmanns lesen und interpretieren sollte. Nach meiner persönlichen Erfahrung muss man die Grundlagentexte Luhmanns mehrmals lesen, um einen fruchtbaren Zugang dazu zu bekommen. Hierbei war es für mich nützlich, immer dann, wenn mir etwas unverständlich oder absurd vorgekommen ist, mit dem Lesen an dieser Stelle aufzuhören und nachzuforschen, warum es für das Gesamtkonzept notwendig ist, so einen "Blödsdinn" zu behaupten.
Wer nicht bereit ist, sich mit Paradoxien, Tautologien und Selbstreferenz zu beschäftigen und sie als zu überwindende und überwindbare Sachverhalte ansieht, wird, das muss ich zugeben, wahrscheinlich nur sehr wenig mit dieser Systemtheorie anfangen können.
In dem verlinkten PDF (ich habe es bis jetzt nur überflogen) stehen keine wirklich nützlichen Kritikpunkte. Vieles ist einfach falsch wiedergegeben in dem Sinne, dass es (beabsichtigt?) auf eine völlig falsche Spur führt. Man kann natürlich vieles, auch zu Recht, an der Theorie kritisieren aber nicht in der Art, Aussagen im Lichte eines wie selbstverständlich herkömmlichen Verständnisses zu diskreditieren.
Wenn ich es nach langjähriger intensiver Beschäftigung mit der Luhmannschen Systemtheorie, in der ich alle vorstellbaren (und nicht vorstellbaren) Höhen und Tiefen erlebt habe, für einen Anfänger auf den Punkt bringen will: Man hat es nicht mit einer gegenstandsbezogenen sondern mit einer auf operative Aspekte bezogenen Theorie zu tun. Wenn man das nicht verinnerlicht, wird man vermutlich keinen verstehenden Zugang zu der Theorie finden. Für Gegenstandsdenken ist sie erst dann geeignet, wenn man es einmal überwunden hat.
Kritiker Luhmanns behaupten beispielsweise vielfach, dass bei ihm soziale Systeme nicht aus Menschen (Gegenständen), auch nicht aus Handlungen sondern aus Kommunikationen (Operationen/Ereignissen) bestehen, was einfach absurd wäre. Wenn man Luhmanns Entwicklung kennt, kann man wissen, dass das in dieser Deutlichkeit nicht von Anfang an so war, sondern dass seine Systemtheorie diesbezüglich eine Entwicklung, wenigstens eine Konkretisiereung, durchgemacht hat, die man aufgrund seiner zahlreichen Veröffentlichungen nachvollziehen und auch verstehen kann. Als (lesender) Begleiter dieser Entwicklung ist mir vieles von dem, was auf den ersten Blick tatsächlich absurd klingt, aus systemischer Perspektive erst verständlich geworden.
Die Wirtschaft bei Luhmann mit den zentralen Begriffen Zahlung, Geld, Preis, Markt... und ihren eher "unkonventionellen" Interpretationen, ist ein hervorragendes Beispiel, die praktische Relevanz der Systemtheorie am eigenen Leib zu erleben, wenn man sich erst einmal auf deren Grundverständnis eingelassen hat. Tut man letzteres nicht, wird man wahrscheinlich tatsächlich wenig mit ihr anfangen können. Man verspielt sich damit dann eine Kreativität, die einen zu sehr überraschenden und unkonventionellen Schlussfolgerungen und Erklärungen verhelfen kann, die sich dann auch mit neu geschärfter Aufmerksamkeit in der Realität bestätigen lassen.
Für den ersten Zugang könnte zudem eine "als ob" Haltung sehr hilfreich sein, nach dem Motto: Lass uns so tun, als ob dies oder jenes zutreffen würde. Dies könnte bei entsprechender Disziplin die Diskussion dahingehend entschärfen, dass keiner zustimmen muss, dass etwas "wirklich" so und nicht anders "ist".
Und zum Schluss möchte ich mich noch einmal wiederholen. Die Systemtheorie hat etwas sehr angenehmes an sich. In ihrem Lichte wird das meiste "Alte" nicht (einfach) falsch, sondern es bekommt eine spezielle Funktion, die es einmal gut bedienen konnte, im neuen Kontext (oder einem anderen Kontext) aber nicht (mehr) leisten kann. Man muss also Andersdenkende oder diejenigen, die einem (wissenschaftlichen) "Zeitgeist" gefolgt sind, nicht pauschal als "dumm" bezeichnen, wie das hier in der Vergangenheit offensichtlich gerne und reichlich getan wurde.
- [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), moneymind, 07.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Axel Grimm, 07.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] New Deal mit neuer Spielanordnung statt Vollgeld, moneymind, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Axel Grimm, 08.05.2014
- [AG-GOuFP] Nash-Gleichgewicht, thomas, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Axel Grimm, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Wert- und Preistheorie - Was ist Geld? (was: Nash-Gleichgewicht), Rolf Müller, 09.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?, Ex-SystemPirat, 09.05.2014
- [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Thomas Weiß, 09.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Rolf Müller, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Monika Herz, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), moneymind, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Monika Herz, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Monika Herz, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 11.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?, Ex-SystemPirat, 09.05.2014
- [AG-GOuFP] Nash-Gleichgewicht, thomas, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Axel Grimm, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] New Deal mit neuer Spielanordnung statt Vollgeld, moneymind, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Axel Grimm, 07.05.2014
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