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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
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- Subject: Re: [AG-GOuFP] New Deal mit neuer Spielanordnung statt Vollgeld
- Date: Thu, 08 May 2014 10:17:47 +0000
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- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hallo Axel,
da sind wir uns einig. Ich würde aber noch weiter gehen. Die Fixierung des Blicks auf "Geldmengen" (wie im Monetarismus) halte ich für verkürzt.
Entscheidend sind die Realinvestitionen, die Arbeitsplätze schaffen. Die finden nicht statt, wenn die potentiellen Investoren keine Nachfrage und damit keine Gewinne aus Realinvestitionen erwarten; aus gesamtwirtschaftlicher Sicht entscheidend sind die "Spielanordnung" und die Verschuldungssalden.
Wenn man das Einordnen wollte, wäre es ein keynesianischer statt monetaristischer Blickwinkel. Eine "größere Geldmenge" (ein aus der Quantitätstheorie stammender Begriff, den ich auch aus anderen Gründen für wenig sinnvoll bzw. analytisch ergiebig halte, sondern eher für irreführend) allein führt noch nicht zu positiven Nachfrage- und Gewinnerwartungen. Es kommt primär eher darauf an, wer genau was genau nachfragt - und sekundär natürlich auch, woher die Nachfrager "das Geld dafür haben".
Mein Eindruck beim Vollgeldkonzept ist, daß ihm eine Analyse der Wirtschaft zugrundegelegt wird, bei der dieser entscheidende Punkt gar nicht im Mittelpunkt steht - liege ich da richtig?
Insofern ist mein Eindruck, daß das Vollgeldkonzept einerseits in Bezug auf die Zentralbank einen Superetatismus vertritt, analytisch und wirtschaftspolitisch (in Bezug auf Arbeitsmarkt und auf Nachfrage-/Gewinnerwartungen beruhenden Realinvestitionen als entscheidendem Kern der Wirtschaft) eher noch dem neoliberalen Diskurs nahesteht.
Besonders in einem Punkt sehe ich eine entscheidende Gemeinsamkeit: in der Ausklammerung der zentralen wirtschaftspolitischen Rolle der Fiskalpolitik. Ähnlich wie im Monetarismus konzentrieren sich die Vollgeldler (soweit ich sehe) nur auf die Zentralbank und diskutieren nicht die Rolle staatliche Fiskalpolitik (für Realinvestitionen - und für Geldschöpfung/-Vernichtung).
Der Staat aber ist der stärkste Gläubiger überhaupt, weil er die Steuerhoheit hat. Damit ist er auch der "beste" Schuldner und zahlt im Normalfall (bei einem monetär souveränen Staat) die niedrigsten Zinsen (Risikoprämie), weil seine Anleihen als sehr sicher gelten. Der Staat kann daher als prinzipiell stärkstes Wirtschaftssubjekt jederzeit über zusätzliche Verschuldung Geld schöpfen und damit an prinzipiell beliebiger Stelle in der Wirtschaft Güter oder Dienstleistungen nachfragen. Er kann auch jederzeit über Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen Geld vernichten (mit dann deflationärer Wirkung).
Die herrschende marktfundamentalistische Ideologie will den Staat aus der Steuerung der Wirtschaft heraushalten, weil sie Mißbrauch und Inflation fürchtet bzw. an die Wand malt. Gegenwärtig sieht man jedoch wie in den 30er Jahren, daß der Staat bzw. die Staaten eben auch jederzeit die Wirtschaft in eine deflationäre Depression hinein"sparen" kann (und das momentan auch tut - aber nicht gezielt, sondern aus neoklassisch und monetaristisch begründeten ideologischen Glaubenssätzen heraus).
In other words, der Staat handelt eben nicht per se inflationär, sondern die Politiker orientieren ihre Politik an wirtschaftstheoretischen Konzepten - bzw. eben leider an Ideologien. Eine Theorie müßte ja gerade dazu anleiten, systematisch sinnvolle gesamtwirtschaftliche Ziele anzusteuern und deflationäre Politik zu machen, wenn das nötig ist, um Inflation entgegenzusteuern, inflationäre bzw. reflatonäre dagegen, wenn das nötig ist um Deflation und Arbeitslosigkeit entgegenzusteuern. Antizyklische Politik also, und die kann nur von einer konsistenten Wirtschaftstheorie schlüssig begründet werden.
Bisher sehe ich eigentlich nur bei der Modern Monetary Theory (und Lerners "Functional Finance", auf die Wray etc. sich auch beziehen) diese Einsicht klar vorhanden; in den 30er Jahren wurde sie auch von Lautenbach formuliert (siehe Lautenbach-Plan http://de.wikipedia.org/wiki/Geheimkonferenz_der_Friedrich_List-Gesellschaft_im_September_1931_%C3%BCber_M%C3%B6glichkeiten_und_Folgen_einer_Kre%E2%80%8Bditausweitung#Lautenbach-Plan).
Solche Ziele wurden im Stabilitätsgesetz von 1967 formuliert (magisches Viereck). Das war auch ganz richtig so, nur eben nicht schlüssig theoretisch begründet. Deswegen wurde es wieder ideologisch überwuchert von Monetarismus und Neoklassik (die den Hintergrund des Monetarismus liefert). Das Stabilitätsgesetz galt mal als beste makroökonomische Gesetzgebung der Welt! Und ist heute vergessen und verdrängt durch eine theoretische Konterrevolution ohnegleichen; deren Motiv war die Bekämpfung von Sozialismus, den man in den 70ern fürchtete wie verrückt (starke Gewerkschaften als Ergebnis jahrzehntelanger Vollbeschäftigungspolitik, Linksdrall der Intellektuellen - die 68er - etc.).
Heute ist der Sozialismus tot, die Neoklassik hat gesiegt - und siegt sich jetzt zu Tode, weil sie eben eine Ideologie ist und keine brauchbare Wirtschaftstheorie. Das wird so oder so früher oder später Mega-Etatismus provozieren wie in den 30er Jahren (damals: Faschismus).
*Für absolut entscheidend halte ich jetzt, früh genug auf Basis dieser Einsicht auf eine expansive Strategie umzusteigen, damit diese noch auf friedliche Zwecke gelenkt werden kann. Je länger die Austerität durchgehalten wird, desto mehr verschärfen sich die Spannungen zwischen den Nationen, und es wird wahrscheinlicher, daß expansive Politik dann, wenn sie unausweichlich nötig geworden ist, auf kriegerische Zwecke gelenkt wird (wie ab 1933, um nur das deutsche Bsp. zu nennen). *
Die Situation in den 30er Jahren war ganz ähnlich - hier erinnert sich L. Albert Hahn, einer der Begründer einer kreditbasierten VWL ("Volkswirtschaftliche Theorie des Bankkredits", 1920), an diese Zeit:
http://www.zeit.de/1963/14/bruening-war-an-allem-schuld
Die Situation ist heute ganz ähnlich - auch die Theorie in den Köpfen, die die herrschende Politik legitimiert, ist wieder dieselbe (Neoklassik). Es ist auch kein Wunder, daß heute dieselben Alternativtheorien wieder ausgepackt werden, die schon in den 30ern kursierten oder entwickelt wurden (das Vollgeldkonzept hat Irving Fisher damals entwickelt; die oberflächliche Kritik am "jüdischen Finanzkapital" bar jeglichen Verständnisses des Finanzsystems kochte ebenfalls hoch, Juden - der beliebteste Universal-Sündenbock der Geschichte - wurden wieder mal überall verfolgt, etc.).
Interessant ist heute, daß sich diejenigen "Alternativkonzepte" der größten Beliebtheit erfreuen, die mit dem herrschenden marktfundamentalistischen Diskurs in wichtigen Punkten kompatibel sind - sei das nun die österreichische Schule, Vollgeld, oder Sozialdarwinismus, Fremdenfeindlichkeit unter von Arbeitsplatzverlust und Lohndrückerei bedrohten Lohnabhängigen, etc. Dasjenige Konzept jedoch, das in der Weltwirtschaftskrise entwickelt wurde und die Nachkriegsordnung und -Wirtschaftspolitik bestimmte, bleibt noch immer wirksam verdrängt und ruft unter Marktfundis aller Art sofort spontane, vernichtend aggressive Abwehrreaktionen hervor (meine Erfahrung).
Noch gibt es vielleicht ein Zeitfenster für einen "New Deal" - dagegen stehen nur Barrieren in den Köpfen, verzerrte und irreführende wirtschaftstheoretische Ideen.
Der "New Deal" sollte aber aber nur als "Auftakt" und kurz-/mittelfristige Strategie genutzt werden, um längerfristig eine "realkapitalistische Spielanordnung" auf internationaler Ebene wiederherzustellen, wie von Schulmeister beschrieben:
Schulmeisters New Deal (Teil 2 des Buchs "Mitten in der großen Krise - ein New Deal für Europa") http://de.scribd.com/doc/218788496/Stephan-Schulmeister-Ein-New-Deal-fur-Europa
In den 30er Jahren begann dieser Prozess mit dem New Deal, aber zog sich bis nach WK II hin (1944 - Bretton Woods).
Wir brauchen den Blick in die Geschichte, um besser zu verstehen, was heute passiert.
In dem wenigen Absätzen wird mal wieder nur die Entstehung genannt mit „unbegrenzt“. Das jedoch auch das Vergehen des „Unbegrenzten“ stattfindet und der Schöpfung entgegenwirkt, wird mal wieder nicht mal im Ansatz erwähnt.
Ja, das ist schon richtig, aber mit "unbegrenzt" war hier ja etwas anderes gemeint, nämlich: nicht begrenzt durch vorhandene Goldmengen.
FAIT money ist schon angekommen. MORI money dagegen ist bisher nur in der Veröffentlichung der BoE enthalten und dort auch nur im Text und nicht als Bild.
Wie ändert sich denn eine Geldmenge, wenn 200 Mrd vergehen und 170 MRd „geschöpft, 120 Gespart und 140 Mrd entspart, für 90 Mrd Staatsanleihen von Banken gekauft und für 70 Mrd von Nichtbanken als Geldanlage gekauft werden?
Es sind doch insgesamt 4 Quellen und Senken im System und eben nicht nur Eine!
Ja, alles richtig. Aber immer noch verkürzt, weil "Geldmengen" als solche analytisch nichts hergeben. Auch hier sieht man wieder, wie falsche Werttheorien (Arbeitswerttheorie, Grenznutzentheorie) und Quantitätstheorie verhindern, den Zusammenhang von Geldsphäre, Gütersphäre und subjektiven Erwartungen (bei Keynes: "Veranlassung zur Investition", "Hang zum Verbrauch") so abzubilden, wie er in der Wirtschaftspraxis täglich stattfindet.
In welchem Artikel bzw. von welchem Wirtschafts“wissenschaftler“ hast Du schon mal von mehr als einer Quelle gelesen und von welchen hast Du schon mal was von dem Vergehen gelesen? Ich lese überall nur das Werden mit dem Begriff „Schöpfen“.
Wie gesagt, da sind wir uns einig.
So, sorry für den langen Text ... hoffentlich war für den einen oder anderen etwas nützliches dabei, das einen kleinen Beitrag zum "Umsteuern" leisten kann.
Beste Grüße.
- [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), moneymind, 07.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Axel Grimm, 07.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] New Deal mit neuer Spielanordnung statt Vollgeld, moneymind, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Axel Grimm, 08.05.2014
- [AG-GOuFP] Nash-Gleichgewicht, thomas, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Axel Grimm, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Wert- und Preistheorie - Was ist Geld? (was: Nash-Gleichgewicht), Rolf Müller, 09.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?, Ex-SystemPirat, 09.05.2014
- [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Thomas Weiß, 09.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Rolf Müller, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Ex-SystemPirat, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Systemtheorie [War: Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?], Monika Herz, 10.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Wert- und Preistheorie - Was ist Geld?, Ex-SystemPirat, 09.05.2014
- [AG-GOuFP] Nash-Gleichgewicht, thomas, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Axel Grimm, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] New Deal mit neuer Spielanordnung statt Vollgeld, moneymind, 08.05.2014
- Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht), Axel Grimm, 07.05.2014
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