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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht)

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht)


Chronologisch Thread 
  • From: Ex-SystemPirat <systempirat AT live.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht)
  • Date: Sat, 10 May 2014 23:24:55 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>



Am 10.05.2014 22:41, schrieb moneymind:
Hi ExP,

Ich würde die Schwerpunkte völlig anders setzen.
Luhmann war ja zu Beginn nicht nur Jurist, sonder auch noch in der
Verwaltung tätig. Auf den ersten Blick könnte man da tatsächlich wenig
Grundlagen für "menschliches" vermuten.

Andererseits kann man gerade in diesen Bereichen sehr deutlich
erfahren, wie unterschiedlich und bisweilen willkürlich die
Beschreibungen von Situationen ausfallen können und welche
(unvorhersehbaren) Folgen sich daraus ergeben.

Sicher, ich denke mal, daß Luhmann aus Frustration mit der "Dialektik
der Gleichheit", die sich aus jeder Anwendung gleichen Rechts auf
unterschiedliche Fälle ergeben muß, dann zur "Soziologie" und
"Epistemologie" übergewechselt ist, um sein Unbehagen sozusagen
aufzuklären. Daß er dann - wie Hegel, an dem er sich ja auch
abgearbeitet hat - bei einer Art von "Dialektik von Identität und
Differenz" gelandet ist (oder nicht?), wundert mich eigentlich nicht.

Gerade als Jurist kann man wissen, wie weit entfernt oft Recht und
empfundene Gerechtigkeit sind. Was ist daran verwerflich bzw.
unmenschlich, wenn man sich bemüht, eine Theorie zu entwerfen, die mit
solchen Widersprüchen umgehen kann.

Daran finde ich überhaupt nichts unmenschlich oder verwerflich, im
Gegenteil. Da hat Luhmann was gemacht, was 99% aller Jurastundenten sich
aus Feigheit und Opportunismus heraus nie trauen, nämlich zu versuchen,
der "Dialektik der Gleichheit" auf den Grund zu gehen.

"Unmenschlich" und fast schon pervers finde ich Luhmanns Sprache, seine
Art der Beschreibung (s.u.), und (u.a.) seine völlig unhistorische (eben
rein begrifflich-"juristische" Herangehensweise.

Soweit ich mich erinnere, bezieht sich Luhmann des öfteren
wertschätzend auf Batesons Erkenntnisse und bringt sie mit seinen
Ausführungen in Einklang. Wenn das zutrifft, könnte das nicht ein
Indiz dafür sein, dass man in der praktischen Anwendung der trockenen
Luhmannschen Systemtheorie auch das Menschliche finden kann und dass
dies auch beabsichtigt ist?

Beabsichtigt sicherlich, andere Absichten würde ich Luhmann nicht
unterstellen wollen. Ich vertrage nur einfach seine Sprache nicht, die
eben seine Perspektive zum Ausdruck bringt.

Der Begriff "Mensch" ist der, bei dem sich offensichtlich jeder, der
sich nicht weiter mit der Systemtheorie Luhmanns beschäftigen will, am
pathetischsten von der Theorie meint distanzieren zu können.

Dass der (ganze) Mensch auf dem Abstraktionsgrad der Luhmannschen
Systemtheorie nicht Bestandteil sozialer Systeme ist, sagt überhaupt
nichts über die Stellung, geschweige denn die Wertschätzung des
Menschen aus.

Es sollte doch jeden wissenschaftlich denkenden Mensch stutzig machen,
dass es eigentlich nicht möglich sein kann, wenn ein Mensch
verschiedenen sozialen Systemen angehören kann, diese gleichzeitig aus
jeweils denselben Menschen bestehen sollen. Die physisch körperliche
Denkweise setzt ja gerade voraus, dass man immer nur an einem Ort sein
kann.


Wer redet von einer "physisch körperlichen" Denkweise? Ich nicht
(Bateson: "Geist", "mental process" etc. - genereller: "Kultur" als in
sozialen Zusammenhängen - in Beziehungen zu anderen Menschen -
produziertes gegenständliches und symbolisches Bedeutungssystem etc.).

Wenn man der Beschreibung folgt, dass das biologisch-physische Gehirn
(viele Nervenzellen) Voraussetzung für materiell völlig andersartige
"Bewusstseinsoperationen" ist, was ist denn dann so verwerflich bzw.
unmenschlich, wenn man dem Zusammenhang dieser
"Bewusstseinsoperationen" Systemstatus verleiht.


Für mich ist "System" einfach eine ... unpassende Metapher, eine
Metapher, die aus meiner Sicht in irreführende Bedeutungszusammenhänge
führt (Kybernetik, Maschinen, Computer). Das ist eine technische
Metapher. Biologische Metaphern (wie Bateson sie z.B. in "Every
Schoolboy" oder "The World of Mental Process" verwendet) finde ich viel
angemessener.

Und Begriffe wie "Geist" oder "Seele" ziehe ich da auch vor - allerdings
schon in präzisierter Form (Bateson sagt, daß "Geist" für ihn u.a. und
v.a. aus "Unterscheidungen" bestehe, ich würde ergänzen, auch aus
analogischen und metaphorischen Korrespondenzen und "Blends"
(Fauconnier/Turner) ... long story.

Daß die "System"-Metapher so populär ist, hat natürlich mit dem
Aufschwung der Kybernetik nach WK II zu tun, und Sozialwissenschaftler
leihen sich immer gern die "neusten" Begriffe aus und stülpen sie dann
der "Gesellschaft" metaphorisch über (und die Naturwissenschaftler
stülpen sie der Natur über). War mit Newton auch nicht anders, da hat
man sich dann sozialmechanische Theorien zusammengestrickt und den
menschlichen Körper als Maschine betrachtet, durch die Brille der
mechanischen Metapher eben. Und jetzt nimmt man halt "Computer", die
auch "Feedbackschleifen" enthalten können, usw.

Die Themen bzw. Grundbegriffe, um die es bei Luhmann dann geht,
Identität und Differenz, haben doch ne lange Tradition im
abendländischen Denken. Hegel redete eben noch vom "Geist" und nicht vom
"System", und das gefällt mir viel, viel besser (schon deshalb, weil mir
"System" viel zu geschichtsvergessen und unhistorisch daherkommt).

Und was daran, wenn man danach fragt, ob nicht vielleicht viele
verschiedene dieser "psychischen" Systeme nicht ihrerseits
Voraussetzung für einen weiteren spezifischen Systemtyp, nämlich den
der sozialen Systeme sein könnten, die dann wieder einen anderen
Operationsmodus haben, der dann Kommunikation genannt wird?

Das ist alles völlig ok und wichtig, nur mag ich wie gesagt nicht die
Sprache und die Metaphern, in denen Luhmann das beschreibt, und ziehe
z.B. Batesons, Koestlers oder Fauconnier/Turners Metaphern da vor.

Man kann dann aus dieser theoretischen Perspektive völlig wertfrei
feststellen, dass der Mensch nicht ein System "ist", sondern zwei
Systeme repräsentiert, nämlich ein "biologisches" und ein "psychisches".

"Repräsentiert" - naja.

Man kann Menschen als "Systeme" beschreiben, also quasi so tun, als
"wären" sie welche, aber welche Bedeutung evoziert das? Es ist eine
bestimmte Perspektive, strukturiert durch die Metapher, die man
verwendet. Wie gesagt, für mich eine zu "technische" Metapher:
Kybernetik, Maschinen, Computer - daher kommt ja das "Systemdenken" und
wurde dann - metaphorisch, aber eben nur implizit metaphorisch - auf
menschliches Zusammenleben und Kultur übertragen. Man sagte dann, das
IST ein soziales System - so wie der Katholik sagt, der Wein IST Jesu
Blut. Man hält 'ne Metapher (implizite Analogie) für eine Identität
(siehe den Bateson-Text: World of Mental Process).

Eine Metapher, die aber eben die Wahrnehmung strukturiert (und die
Beschreibungssprache prägt).

Sagen wir's einfach ganz konkret: wenn ich Luhmann lese, wird mir
unwohl. Da krieg ich 'nen Koller. Bateson - das "ist" Vanilleeis mit
Schokosoße, so wie "der Mensch" "ein System ist", falls Du verstehst,
was ich meine .... ;-)

Ich weiß nicht, ob ich das verstehe. Was ich persönlich nachvollziehen kann ist, dass man sich der Systemtheorie Luhmanns sicher nicht nähern kann, wenn einem beim Lesen unwohl wird. Und mit dem Lesen allein ist es ja auch noch lange nicht getan.

Was ich nach all dem, was du geschrieben hast, glaube sagen zu können ist, dass du mit der Perspektive Luhmanns wahrscheinlich nicht warm werden wirst. Für dich scheint es offensichtlich Alternativen zu geben die dir besser liegen. Unter diesen Umständen ist es bestimmt nicht verkehrt, zuerst einmal das weiter zu verfolgen, womit du schon bessere Erfahrungen gemacht hast. Und es gibt sicher "schlechtere" Vorbilder als Gregory Bateson. Ich selbst habe von ihm auch wertvolle Inspirationen bekommen (Auch wenn mir seine Bücher als noch dicker in Erinnerung sind, als die Luhmanns (ich mag eigentlich keine dicken Bücher), da kann ich mich aber auch täuschen).

Weiter kann man dann die These aufstellen, dass ähnlich, wie aus den
Aktivitäten vieler Neuronen im Gehirn Bewusstseinsoperationen
entstehen, doch aus den Bewusstseinsoperationen unterschiedlicher
psychischer Systeme, soziale Operationen, Kommunikationen genannt,
entstehen können.


Klar, man kann alles mögliche machen. Man kann alles in den
verschiedensten metaphorischen Beschreibungssprachen beschreiben. Und
wie gesagt, bei Luhmanns Sprache wird mir schlecht. Und nicht mal nur
geistig-seelisch ... sogar physisch :-D "Bin" ich jetzt eine
"psychophysische Einheit" oder was ... ;-)

Ich frage mich, was daran unmenschlich sein soll? Die
Neurobiologie/-physologie wäre das dann auch bzw. noch viel mehr.

Die ist Mythologie hoch drei - und unmenschlich in der Tat. Da empfehle
ich mal Thomas Szasz: "The Meaning of Mind". Eine erstklassige Demontage
dieser ganzen affigen Neuro-Mythologie.

Ich frage mich zudem, warum es unmenschlich sein soll, zu behaupten,
dass soziale Systeme nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikationen
bestehen, gleichzeitig aber immer betont wird dass, dass es ohne den
Menschen keine Kommunikation und folglich auch keine sozialen Systeme
geben kann?

"Soziale Systeme" = Leute, die zusammen was machen (und sich darüber
auch verständigen). Ein Team z.B.

Besteht das jetzt "nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikationen"?
Hallelujah!

Was ist daran unmenschlich, wenn man die systemtheoretische
Aufmerksamkeit weg von dem statischen "Ding" Mensch hin zu den
operativen "Produkten", mit denen er im Zeitablauf auf die
unterschiedlichste Weise wirkt (und wie sie dann auch wieder auf ihn
zurückwirken!), lenkt?

Daran ist "unmenschlich", daß das "wesentliche" einfach rausgekürzt wird.

Besser: Diskursform einer Geschichte, erzählt von einem (fiktiven)
"allwissenden Beobachter". Also wie ein Storyteller, ein
Geschichtenerzähler oder Schriftsteller, Drehbuchautor etc. Der kann
dann das "soziale System" (Team z.B.) vom Standpunkt jedes
Team-Mitglieds beschreiben, zugleich jedoch von seinem "allwissenden"
Beobachterstandpunkt auch Zusammenhänge erkennen, die den einzelnen Team
Members verborgen bleiben.

Wenn wir z.B. Makroökonomie machen, machen wir genau sowas (wir nehmen
einen fiktiven Standpunkt eines "allwissenden Beobachters/Erzählers"
ein). Und Luhmann macht im Grunde auch so etwas ähnliches, glaube ich -
nur halt in einer Sprache, die ich wie gesagt als dem Wohlbefinden nicht
sehr zuträglich empfinde ...

Nix für ungut, is vielleicht auch Geschmackssache. Ich sage ja nicht,
Luhmann "hat unrecht", ich sage einfach: seine Perspektive liegt mir
nicht, ich finde sie für meine Zwecke weniger nützlich als andere. Oder
nochmal anders: Luhmanns Sprache / Perspektive geht mir einfach gehörig
auf den Senkel ...





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