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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht)

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht)


Chronologisch Thread 
  • From: Ex-SystemPirat <systempirat AT live.de>
  • To: AG-GOuFP <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Vollgeld als Supermonetarismus (Flaßbecks Sicht)
  • Date: Sat, 10 May 2014 15:57:19 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>



Am 10.05.2014 14:44, schrieb moneymind:
Hi ExP,

Inwieweit ist es nachteilig für eine theoretische Konzeption sozialer
Systeme, wenn man Jurist "ist"?

Insofern, als man als deutscher Jurist dazu tendiert, rein begrifflich
zu denken (Abstraktionsprinzip) und den kompletten Bereich des Denkens
in Metaphern und Analogien zu übersehen und unverstanden zu lassen; aber
auch zu übersehen, welche Kernmetaphern eigentlich das eigene
"systemische" Denken und die eigene Epistemologie strukturieren (von den
Kernmetaphern, die Ökonomen unbewußt verwenden, mal ganz zu schweigen).

Dieses Denken stammt aus der Tradition der westlichen Philosophie (von
Aristoteles bis Kant etc.), die metaphorischer Bedeutungskonstruktion im
wesentlichen ablehnend gegenübersteht ("das is nur "Kunst" und
"Religion" etc.")

Mein Eindruck bei Luhmann war, daß das bei ihm so ist. Bei Bateson
nicht, er war Ethnologe. Und an traditionalen Gesellschaften und deren
Kultur versteht man ohne ein Verständnis des Zusammenhangs von
begrifflich-abstrahierendem und metaphorisch-analogiehaftem Denken
einfach nix.

In other words: Luhmann ist geprägt vom römischen Recht, Bateson vom
genauen Kontrastprogramm, traditionaler balinesischer Kultur. Diese
unterschiedlichen (Jugend-)Primärerfahrungen führen dann eben zu
unterschiedlichen Meta-Konzepten.


Ich würde die Schwerpunkte völlig anders setzen.
Luhmann war ja zu Beginn nicht nur Jurist, sonder auch noch in der Verwaltung tätig. Auf den ersten Blick könnte man da tatsächlich wenig Grundlagen für "menschliches" vermuten.

Andererseits kann man gerade in diesen Bereichen sehr deutlich erfahren, wie unterschiedlich und bisweilen willkürlich die Beschreibungen von Situationen ausfallen können und welche (unvorhersehbaren) Folgen sich daraus ergeben.

Gerade als Jurist kann man wissen, wie weit entfernt oft Recht und empfundene Gerechtigkeit sind. Was ist daran verwerflich bzw. unmenschlich, wenn man sich bemüht, eine Theorie zu entwerfen, die mit solchen Widersprüchen umgehen kann.

Soweit ich mich erinnere, bezieht sich Luhmann des öfteren wertschätzend auf Batesons Erkenntnisse und bringt sie mit seinen Ausführungen in Einklang. Wenn das zutrifft, könnte das nicht ein Indiz dafür sein, dass man in der praktischen Anwendung der trockenen Luhmannschen Systemtheorie auch das Menschliche finden kann und dass dies auch beabsichtigt ist?

Bateson war nicht Jurist, bürokratischer Studierstubenfuzzi wie Luhmann,
sondern hat als Ethnologe begonnen (hat mit seiner ersten Frau Margaret
Mead ethnologische „Feldstudien“ bei den Iatmul und auf Bali gemacht).
Nachdem er dann mit den sozialwissenschaftlichen Methoden ganz zu recht
völlig unzufrieden war, hat er sich immer mehr für Epistemologie
interessiert. Sein Vater war Biologe, auch das hat ihn sehr beeinflußt.

Nicht nur viel lebensnäher als Luhmann, sondern auch sympathischer und
"menschlicher". Einer meiner Lieblingstexte von ihm steht online (zum
reinschnuppern):
Inwieweit ist Luhmann nicht "lebensnah"?

Insofern, als er sein Leben an Universitäten zunächst mit abstrakten
juristischen Texten zugebracht hat.

Wie stehen "Sympathie" und "Menschlichkeit" mit der Bewertung
wissenschaftlicher Konzepte in Beziehung?

Sehr eng. Ein Sozialwissenschaftler muß mich überzeugen und auf mich den
Eindruck machen, daß er ehrlich ist und empfindet, was er sagt. Denn er
redet über Menschen. Ich mag Luhmann nicht. Brrrrr.

Wo Überschneiden sich die Arbeiten Batesons und Luhmann thematisch und
inwiefern widersprechen sie sich dabei fundamental?


Beide reden von "Systemtheorie". Einen fundamentalen Unterschied habe
ich oben beschrieben. Daß bei Luhman die Menschen gar nicht mehr als
Subjekte vorkommen, sondern nur noch "Systeme", halte ich für eine
natürlich mögliche, aber perverse Perspektive der Beschreibung.


Der Begriff "Mensch" ist der, bei dem sich offensichtlich jeder, der sich nicht weiter mit der Systemtheorie Luhmanns beschäftigen will, am pathetischsten von der Theorie meint distanzieren zu können.

Dass der (ganze) Mensch auf dem Abstraktionsgrad der Luhmannschen Systemtheorie nicht Bestandteil sozialer Systeme ist, sagt überhaupt nichts über die Stellung, geschweige denn die Wertschätzung des Menschen aus.

Es sollte doch jeden wissenschaftlich denkenden Mensch stutzig machen, dass es eigentlich nicht möglich sein kann, wenn ein Mensch verschiedenen sozialen Systemen angehören kann, diese gleichzeitig aus jeweils denselben Menschen bestehen sollen. Die physisch körperliche Denkweise setzt ja gerade voraus, dass man immer nur an einem Ort sein kann.

Wenn man der Beschreibung folgt, dass das biologisch-physische Gehirn (viele Nervenzellen) Voraussetzung für materiell völlig andersartige "Bewusstseinsoperationen" ist, was ist denn dann so verwerflich bzw. unmenschlich, wenn man dem Zusammenhang dieser "Bewusstseinsoperationen" Systemstatus verleiht. Und was daran, wenn man danach fragt, ob nicht vielleicht viele verschiedene dieser "psychischen" Systeme nicht ihrerseits Voraussetzung für einen weiteren spezifischen Systemtyp, nämlich den der sozialen Systeme sein könnten, die dann wieder einen anderen Operationsmodus haben, der dann Kommunikation genannt wird?

Man kann dann aus dieser theoretischen Perspektive völlig wertfrei feststellen, dass der Mensch nicht ein System "ist", sondern zwei Systeme repräsentiert, nämlich ein "biologisches" und ein "psychisches". Weiter kann man dann die These aufstellen, dass ähnlich, wie aus den Aktivitäten vieler Neuronen im Gehirn Bewusstseinsoperationen entstehen, doch aus den Bewusstseinsoperationen unterschiedlicher psychischer Systeme, soziale Operationen, Kommunikationen genannt, entstehen können. Ich frage mich, was daran unmenschlich sein soll? Die Neurobiologie/-physologie wäre das dann auch bzw. noch viel mehr.

Ich frage mich zudem, warum es unmenschlich sein soll, zu behaupten, dass soziale Systeme nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikationen bestehen, gleichzeitig aber immer betont wird dass, dass es ohne den Menschen keine Kommunikation und folglich auch keine sozialen Systeme geben kann?

Was ist daran unmenschlich, wenn man die systemtheoretische Aufmerksamkeit weg von dem statischen "Ding" Mensch hin zu den operativen "Produkten", mit denen er im Zeitablauf auf die unterschiedlichste Weise wirkt (und wie sie dann auch wieder auf ihn zurückwirken!), lenkt?


Aus meiner Sicht ist das Ideologie hoch drei, jedenfalls wunderbar dafür
funktionalisierbar - wie auch sonst verschiedene Teile des
"Sozialkonstruktivismus" (wo man auf so unsägliche Gestalten wie den
Heinz von Foerster trifft, der gar nichts mehr rafft).

„The World of Mental Process“ (aus “Angels Fear”)
http://www.oikos.org/angelsfear.htm

Auch sehr gut:
„Every Schoolboy Knows“ (aus „Mind and Nature“, dt. „Geist und Natur“)
http://www.oikos.org/mind&nature.htm

Noch wichtiger für mich war für die Epistemologie bzw.
„Forschungsmethode“ etc. Klaus Holzkamp, bei dem ich in Berlin in seinen
letzten Lebensjahren studieren durfte; und Mark Turner (Mathematiker und
Literaturwissenschaftler) und Gilles Fauconnier (Linguist): "The Way We
Think - Conceptual Blending ...". Die beiden sortieren das, was sie
machen, als "kognitive Linguistik" ein.

Aber diese (sehr wichtige) Diskussion, müssen wir später fortsetzen, muß
dringend weg.

Mich hat das lange beschäftigt (beginnend vor meiner Beschäftigung mit
Ökonomie) - "Wissenschaftstheorie", Epistemologie, Wahrnehmen,
Strategien der Modellbildung, "sozialwissenschaftliche" Methoden etc.,
und bin schließlich zu für mich befriedigenden Klärungen, ausreichend
nützlichem begrifflichem "Handwerkszeug" und Frage-Strategien etc.
gekommen.

Aber ... wie gesagt, ggf. dazu ein andermal.





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