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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] monetary economics = (noch) kein Allgemeinwissen, Blick in die Geschichte hilft

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] monetary economics = (noch) kein Allgemeinwissen, Blick in die Geschichte hilft


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] monetary economics = (noch) kein Allgemeinwissen, Blick in die Geschichte hilft
  • Date: Sat, 15 Feb 2014 18:48:48 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Ich denke, aus meinem Ursprungsbeitrag ist deutlich herauszulesen, dass ich das thematische Wissen der AG gerade nicht als Geheimwissen, sondern weitgehend als wissenschaftliches Allgemeingut betrachte, auch wenn es vielleicht im wirtschaftspolitischen Alltagsgebrauch nicht immer Berücksichtigung findet.

Und ich habe versucht, aus einer historischen Perspektive darzustellen, daß dieses Wissen /weder/ Allgemeingut /noch/ Geheimwissen ist: daß es zwar prinzipiell (wenn auch oft bruchstückhaft) in in der Theoriegeschichte entwickelt wurde, sich aber nie zu einem einheitlichen Paradigma formieren konnte und aus politischen Gründen (seit den 70er Jahren) aus den Köpfen und auch aus vielen (nicht allen) aktuellen Lehrbüchern verdrängt wurde.

Deswegen hat es auch nicht jeder VWL-Student nach dem Vordiplom präsent. Seit 2007 ist aber das Interesse and monetären Produktionstheorien aber verständlicherweise wieder gewachsen, sodaß heutige Vordiplomsstudenten dazu vermutlich immerhin schon mehr wissen als Leute, deren Vordiplom schon 5-6 oder mehr Jahre zurückliegt.

Aus meiner Sicht wäre erst einmal zu diskutieren, warum der Mainstream ein Mainstream ist und was es für Konsequenzen hat, dass es einen Mainstream gibt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das, was man Mainstream nennt, eine gesellschaftliche Funktion erfüllt.

Ja, diese Frage halte ich auch für wichtig und denke, daß es darauf klare historische und politische Antworten gibt. Patrik hat sie ebenfalls gestellt, in meiner Antwort an ihn werde ich dazu auch noch ein paar Gedanken posten.

Der Mainstream erfüllt aus meiner Sicht definitiv eine gesellschaftliche und historische Funktion - einerseits dient er bestimmten Interessengruppen, andererseits hat er m.E. eine wirtschaftspolitische Legitimationsfunktion innerhalb der „langen Zyklen“ der kapitalistischen Entwicklung.

Um das zu zeigen, will ich mal versuchen, die theoriegeschichtliche Skizze meines letzten Postings in einen sozialgeschichtlichen Zusammenhang einzuordnen:

(Mir) sehr einleuchtend beschreibt das Stephan Schulmeister in seinem „lange-Zyklen-Modell“:

Video (Vortrag):
http://www.youtube.com/watch?v=A53BQUq6dtI

Text:
http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/Real-_Finanzkapitalismus_11_13.pdf

Homepage:
http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/index.php?id=5

Ich denke, für die Außenwirkung der AG könnte es fruchtbar sein, „monetary economics“ mal genauer im Kontext des Interessenkampfs der drei großen Gruppen Finanzkapital, Realkapital und Arbeit zu verorten – und in den historischen Prozess der „langen Zyklen“ (aus der Sicht der monetary economics natürlich „credit cycles“) einzuordnen (und dafür ggf. auch Schulmeister mal zu einem mumble-Termin einzuladen).

Laut Schulmeister wird die lange Aufschwungphase (zuletzt 1945 – 1975) dominiert von einem Bündnis zwischen Realkapital und Arbeit gegen das Finanzkapital (das ruhiggestellt wird), ideologisch flankiert von den monetary economics eines Keynes, die in der davorliegenden Krise aus unmittelbarem Problemdruck heraus entwickelt wurden. Er nennt das die realkapitalistische Aufschwungphase, in der schließlich die Gewerkschaften zu mächtig wurden, sodaß die Realkapitalisten (produzierenden Unternehmer) das Bündnis mit ihnen aufkündigten und stattdessen mit dem Finanzkapital gegen diese paktierten.

Die darauf folgende „finanzkapitalistische“ Abschwungphase (ab etwa Mitte der 70er) wird dominiert von einem Bündnis zwischen Realkapital und Finanzkapital gegen die Arbeit, flankiert von der Ideologie des Neoliberalismus (heute Mainstream), von der „monetary economics“ zuerst quantitätstheoretisch „auf den Hund gebracht“ wurden (Friedmans Monetarismus), um dann fast völlig aus dem allgemeinen Bewußtsein und dem wissenschaftlichen Diskurs verdrängt zu werden, weil sich die wirtschaftspolitischen Ziele des neuen Bündnisses besser mit dem neoklassischen Modell rechtfertigen ließen.

Die AG und die Piraten werden sich ja im Interessenkampf dieser Gruppen, den momentan die (Lohn-)Arbeit „verliert“ (Arm/Reich-Polarisierung, Lohnsenkungen, Sozialabbau, Outsourcing in die prekäre Kleinselbständigkeit, etc.), irgendwo positionieren müssen. Mein Eindruck ist, daß der Selbstpositionierung der AG hier noch etwas historisches Hintergrundwissen fehlt und man noch zu sehr rein auf der (wichtigen) abstrakten Ebene des „Geldsystems“ denkt und diese Interessenkämpfe – übrigens ganz wie der Mainstream (Neoklassik) auch – eher ausblendet, wenn natürlich auch die Verteilungsfrage (zunehmende Arim/Reich-Polarisierung - "neue soziale Frage") direkt auf diese Zusammenhänge verweist.

Eigentlich wären die Verteilungs- und Geldsystemthemen, die hier diskutiert werden, m.E. in der SPD (der traditionellen Arbeiterpartei) „richtig aufgehoben“, aber die hat noch immer nicht den Zusammenbruch des Sozialismus und das Scheitern des Keynesianismus Mitte der 70er verarbeitet und dümpelt orientierungslos vor sich hin. Wenn auch nach dem Ende der unsäglichen Ära Schröder nach der Finanzkrise 2007 und der darauffolgenden Euro-Krise ein Kopfkratzen eingesetzt hat. Klarheit über die Situation fehlt aber, und das liegt eben auch daran, daß die analytischen Mittel (monetary economics) nicht in ausreichender Klarheit und Differenziertheit bereitstehen.

Die theoretische Aufgabe besteht aus meiner Sicht daher darin, die „monetary economics“ neu zu beleben, zu fundieren, und zu einem soliden Paradigma auszubauen. Eine systematische Fundierung der politischen Ökonomie in den realen Kredit- und Geldschöpfungsprozessen fehlt halt bisher, das wird gerade erst systematisch erarbeitet: daran arbeiten jetzt ja auch wieder mehr Leute, v.a. auch junge Nachwuchsökonomen, z.B. im Rahmen der „Stock-Flow-Consistent Models“ oder der „modern monetary theory“ etc., die alle aus einer keynesianischen Tradition stammen.

Wenn die AG meint, mit ihren bisher erarbeiteten Erkenntnissen „völlig allein gegen alle“ zu stehen, kann das auch auf Unkenntnis von Teilen der Theorietradition der „monetary economics“ beruhen (wie z.B. Gestrichs „Kredit und Sparen“), aber die sind eben heutzutage nicht immer leicht zu finden. Es ist schon so, daß das ein Feld ist, das eben NICHT VWL-Vordiplom-Allgemeinwissen darstellt, sondern das erst jetzt überhaupt von einer größeren Zahl von Leuten systematisch beackert wird und sich erst neu vernetzen und konstituieren muß.

Das wiederum ist (aus meiner und Schulmeisters Sicht) Teil eines Wendepunkts im längeren historischen Konjunkturzyklus des Kapitalismus, der „Talsohle“ eben, in dem sich auch neue Interessenbündnisse der drei großen Interessengruppen formieren dürften (Realkapital + Arbeit gegen das Finanzkapital).




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