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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG


Chronologisch Thread 
  • From: "Benedikt Weihmayr" <benedikt AT weihmayr.de>
  • To: "'moneymind'" <moneymind AT gmx.de>, <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG
  • Date: Fri, 14 Feb 2014 00:24:35 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hi moneymind,

Danke für deinen Beitrag. Ich würde mich freuen wenn du dich kurz vorstellen
könntest.

Liebe Grüße
Bene

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: ag-geldordnung-und-finanzpolitik-bounces AT lists.piratenpartei.de
[mailto:ag-geldordnung-und-finanzpolitik-bounces AT lists.piratenpartei.de] Im
Auftrag von moneymind
Gesendet: Donnerstag, 13. Februar 2014 18:51
An: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG

Ex-SystemPirat schrieb:
> Viele von euch stellen fest, dass sie in der AG in den letzten Monaten
> und Jahren sehr viel dazu gelernt haben. Das mag durchaus so sein. Man
> sollte dabei aber bedenken, dass das weitgehend wissenschaftliches
> Allgemeingut zu sein scheint. Immerhin kann man das meiste, von dem
> ihr behauptet, dass es nur die wenigsten wüssten, (wenigstens
> sinngemäß) in Wikipedia wiederfinden.
>
> Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen hat das, was ihr fast wie
> Geheimwissen behandelt, jeder erfolgreiche Student der
> Wirtschaftswissenschaften mit entsprechendem Interessenschwerpunkt
> auch in der Vergangenheit spätestens zum "Vordiplom" intellektuell
> durchdrungen. Das dürfte ganz besonders für spätere VWL Professoren
> gelten.

Hallo in die Runde,

ich hab mich zwar noch nicht vorgestellt, werde das aber noch nachholen.
Jetzt möchte ich erstmal direkt auf ExSystemPirat antworten, weil es mich in
den Fingern juckt ... ;-)

Also ... ich würde Dir teilweise zustimmen, aber SEHR teilweise ...

Aus meiner Sicht stellt sich das mit dem "Geheimwissen" in etwa so dar:

Es gibt in den Wirtschaftswissenschaften eine Tradition, in der versucht
wurde, eine Theorie der Geldwirtschaft zu entwickeln.

Der bekannteste damit verbundene Name ist Keynes, der 1933 in einem
(Link->)_*kurzen und berühmten Aufsatz*_
http://de.scribd.com/doc/116955059/Keynes-1933-Program-of-a-Monetary-Theory-of-Production
das Vorhaben formulierte, eine solche Theorie zu entwickeln. Es gab aber
dafür auch Vorläufer (Ralph Hawtrey, Knut Wicksell oder Albert Hahn, Wilhelm
Lautenbach oder Hans Gestrich), und nach Keynes' unvollständigem,
inkonstistenten Versuch einen Strang in der postkeynesianischen Tradition,
die dieses Vorhaben weiterführen wollte (ganz kurzer Einblick in diese
Tradition _*hier*_
http://personer.samf.aau.dk/charlotte-bruun/downloads/working-papers/ -
Kapitel 2 und 3 der Dissertation von C. Bruun, "Logical Structures and
Algorithmic Behavior in a Credit Economy", ganz unten auf der Seite als pdf
einsehbar).

Das geht bis hin zu heutigen Ansätzen wie der "modern monetary theory", dem
Monetärkeynesianismus (Hajo Riese), Heinsohn/Steiger oder dem
stock-flow-consistent modelling (macroeconomic accounting-modelle), die alle
auf Keynes' Satz zurückgehen, daß "Kapitalismus auf
Gläubiger-Schuldner-Verhältnissen beruht".

Einen ganz wesentlichen Schub bekam diese Tradition natürlich durch die
Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre, nur durch "monetary economics"
erklärt werden konnte. Chris Brandstetter hat kürzlich eine (Link->)*_sehr
informative Seite zu den deutschen "Kreditmechanikern"_*
http://www.saldenmechanik.info/index.php/kreditmechanik (Wilhelm Lautenbach,
Hans Gestrich und andere) ins Netz gestellt, wo man einige ihrer Texte
herunterladen kann. Diese Namen fehlen heute in viele VWL-Lehrbüchern, ich
war aber völlig platt, als ich (Link->) *_Gestrichs Buch "Kredit und
Sparen"_* http://www.saldenmechanik.info/index.php/literatur (erschienen
1944) las.
Viele der auch hier in der AG diskutierten Probleme der Geldschöpfung im
zweistufigen Bankensystem, des Zusammenhangs von Kredit und Konjunktur etc.,
hat er dort schon recht verständlich und detailliert analysiert und
beschrieben.

Diese Tradition wurde auch bis in die 70er Jahre hinein in all ihrer
Inkonsistenz allgemein gelehrt - sie schaffte es aber nie, ein kohärentes
Paradigma zu etablieren.

Mit dem Ende der keynesianischen Ära wurde aber die Neoklassik im
akademischen Diskurs wieder dominant, Keynesianer wurden marginalisiert.
Einsichten aus dieser Tradition werden in der VWL daher auch nicht als
systematische Grundlagen gelehrt, sondern nur als irgendwie nebensächliche
oder nicht systematisch einsortierbare Theoriefetzen - selbst noch in
Lehrbüchern von Keynesianern, wie ein Blick in das Lehrbuch von Bofinger
zeigt. Am besten repräsentiert ist die Tradition der monetary economics
vielleicht im Lehrbuch von Heine/Herr ("Volkswirtschaft - eine
paradigmenorientierte Einführung"), das aber wohl nur wenige verwenden.

Geheimwissen ist also "monetary economics" nicht, sondern nur eine seit den
70er Jahren marginalisierte und (bisher) weitgehend theoretisch inkonsistent
gebliebene und deshalb intern zersplitterte Tradition, die deshalb auch erst
mühsam wieder ausgegraben und verarbeitet werden muß.

Die Marginalisierung hat einerseits damit zu tun, daß das Paradigma der
monetary economics inkonsistent blieb; zum anderen einfach mit politischen
Interessenkämpfen, denn die seit Ende der 70er Jahre verfolgte "neoliberale"
Wirtschaftspolitik (Geldwertstabilität wichtiger als Vollbeschäftigung,
Gewerkschaftsmacht brechen, Arbeitsmärkte deregulieren, Staat aus der
Wirtschaft drängen, Unternehmenssteuern senken, Finanzmärkte deregulieren
etc.) ließ sich besser mit dem neoklassischen Modell legitimieren, wobei man
dann die keynesianische Tradition pauschal als "überholt" beiseitewischte,
weil sie den eigenen Zielen nicht dienlich war.

Natürlich hat die Finanzkrise ab 2007 wieder Bedarf für eine "monetary
economics" geschaffen, weil die Neoklassik Finanzkrisen schlichtweg nicht
erklären kann, sodaß jetzt wieder etwas mehr darüber geredet wird (z.B.
greift auch INET diese Tradition auf, etc.).

VWL-Studenten wissen davon vielleicht ein bißchen was - sicher lernen sie
heute wieder mehr dazu als noch vor 20 Jahren. Aber daß sie den vollen
Durchblick hätten, kann ich leider nicht erkennen, zumal die meisten aus
Gründen des beruflichen Weiterkommens ihren Hauptfokus auf das neoklassische
Mainstream-Paradigma legen und Mainstream-Positionen vertreten. Die wenigsten
machen sich meiner Erfahrung nach die Mühe, mit einem marginalisierten
Paradigma zu beschäftigen, das sich noch dazu aufgrund seiner inneren
Inkonsistenz kaum für rhetorische Erfolge nutzen läßt.

Daß viele VWL-Studenten durchaus so TUN, als hätten sie Wirtschaft komplett
verstanden, das vielleicht sogar selbst glauben, ohne daß das in
nennenswertem Umfang tatsächlich der Fall wäre, entspricht dabei auch meiner
Erfahrung ....

Ein ähnlicher Umschwung im Mainstream-Paradigma wie nach der
Weltwirtschaftskrise dürfte erst nach einer noch wesentlich tieferen Krise
durchsetzen, schätze ich mal. Ich sehe aber die Arbeit der AG hier (wie auch
die Arbeit von INET etc.) als erste Etappen auf diesem Weg - als erste
Manifestation des durch die reale wirtschaftsgeschichtliche Entwicklung
(2007ff.) wieder aktuell gewordenen praktischen Bedarfs nach einer Theorie,
die Finanz- und Wirtschaftskrisen erklären kann. Und das kann nur eine
monetär bzw. kreditär fundierte Theorie, die die praktische Realität der
kreditären Vorgänge in den Grundzügen abbildet.

So gesehen sehe ich in der AG einen Weg, diesen Bedarf zu artikulieren und
Leute, die diesen Bedarf sehen und an solchen Modellen arbeiten, zu vernetzen.

Ich denke, daß es insgesamt darum geht, solide Fundamente für ein Paradigma
einer "politischen Ökonomie einer freien Kreditwirtschaft" zu legen, das
bisherige Ansätze fundieren und integrieren kann, und dann auch als
zuverlässiger Ausgangspunkt für wirtschaftspolitische Strategien dienen kann.
Saldenmechanik halte ich für einen unverzichtbaren Baustein dafür.

Was also die Außenwirkung der AG angeht: die Öffentlichkeit vertraut meiner
Einschätzung nach noch immer mehrheitlich auf Mainstream-Ökonomen, die die
üblichen neoklassisch legitimierten Symptomdeutungen bringen und Symptomkuren
verordnen, die seit über 30 Jahren die Wi-Politik bestimmen. Dieses Vertrauen
hat zwar schon Risse bekommen, Bedarf an einer alternativen Deutung wird aber
wohl erst in einer massiv verschärften Krise eintreten, die natürlich wieder
wie in den 30ern nur durch monetary economics erklärbar ist.

Soweit mein "Senf" dazu :-)

--
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