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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG


Chronologisch Thread 
  • From: Thomas Weiß <Weiss-Tom AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG
  • Date: Thu, 13 Feb 2014 23:45:00 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Das nenne ich mal einen konstruktiven Beitrag. Ich freue mich auf viele weitere!

Gruß & herzlich willkommen in der AG

Am 13.02.2014 18:51, schrieb moneymind:

Hallo in die Runde,

ich hab mich zwar noch nicht vorgestellt, werde das aber noch nachholen. Jetzt möchte ich erstmal direkt auf ExSystemPirat antworten, weil es mich in den Fingern juckt ... ;-)

Also ... ich würde Dir teilweise zustimmen, aber SEHR teilweise ...

Aus meiner Sicht stellt sich das mit dem "Geheimwissen" in etwa so dar:

Es gibt in den Wirtschaftswissenschaften eine Tradition, in der versucht wurde, eine Theorie der Geldwirtschaft zu entwickeln.

Der bekannteste damit verbundene Name ist Keynes, der 1933 in einem (Link->)_*kurzen und berühmten Aufsatz*_ http://de.scribd.com/doc/116955059/Keynes-1933-Program-of-a-Monetary-Theory-of-Production das Vorhaben formulierte, eine solche Theorie zu entwickeln. Es gab aber dafür auch Vorläufer (Ralph Hawtrey, Knut Wicksell oder Albert Hahn, Wilhelm Lautenbach oder Hans Gestrich), und nach Keynes' unvollständigem, inkonstistenten Versuch einen Strang in der postkeynesianischen Tradition, die dieses Vorhaben weiterführen wollte (ganz kurzer Einblick in diese Tradition _*hier*_ http://personer.samf.aau.dk/charlotte-bruun/downloads/working-papers/ - Kapitel 2 und 3 der Dissertation von C. Bruun, "Logical Structures and Algorithmic Behavior in a Credit Economy", ganz unten auf der Seite als pdf einsehbar).

Das geht bis hin zu heutigen Ansätzen wie der "modern monetary theory", dem Monetärkeynesianismus (Hajo Riese), Heinsohn/Steiger oder dem stock-flow-consistent modelling (macroeconomic accounting-modelle), die alle auf Keynes' Satz zurückgehen, daß "Kapitalismus auf Gläubiger-Schuldner-Verhältnissen beruht".

Einen ganz wesentlichen Schub bekam diese Tradition natürlich durch die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre, nur durch "monetary economics" erklärt werden konnte. Chris Brandstetter hat kürzlich eine (Link->)*_sehr informative Seite zu den deutschen "Kreditmechanikern"_* http://www.saldenmechanik.info/index.php/kreditmechanik (Wilhelm Lautenbach, Hans Gestrich und andere) ins Netz gestellt, wo man einige ihrer Texte herunterladen kann. Diese Namen fehlen heute in viele VWL-Lehrbüchern, ich war aber völlig platt, als ich (Link->) *_Gestrichs Buch "Kredit und Sparen"_* http://www.saldenmechanik.info/index.php/literatur (erschienen 1944) las. Viele der auch hier in der AG diskutierten Probleme der Geldschöpfung im zweistufigen Bankensystem, des Zusammenhangs von Kredit und Konjunktur etc., hat er dort schon recht verständlich und detailliert analysiert und beschrieben.

Diese Tradition wurde auch bis in die 70er Jahre hinein in all ihrer Inkonsistenz allgemein gelehrt - sie schaffte es aber nie, ein kohärentes Paradigma zu etablieren.

Mit dem Ende der keynesianischen Ära wurde aber die Neoklassik im akademischen Diskurs wieder dominant, Keynesianer wurden marginalisiert. Einsichten aus dieser Tradition werden in der VWL daher auch nicht als systematische Grundlagen gelehrt, sondern nur als irgendwie nebensächliche oder nicht systematisch einsortierbare Theoriefetzen - selbst noch in Lehrbüchern von Keynesianern, wie ein Blick in das Lehrbuch von Bofinger zeigt. Am besten repräsentiert ist die Tradition der monetary economics vielleicht im Lehrbuch von Heine/Herr ("Volkswirtschaft - eine paradigmenorientierte Einführung"), das aber wohl nur wenige verwenden.

Geheimwissen ist also "monetary economics" nicht, sondern nur eine seit den 70er Jahren marginalisierte und (bisher) weitgehend theoretisch inkonsistent gebliebene und deshalb intern zersplitterte Tradition, die deshalb auch erst mühsam wieder ausgegraben und verarbeitet werden muß.

Die Marginalisierung hat einerseits damit zu tun, daß das Paradigma der monetary economics inkonsistent blieb; zum anderen einfach mit politischen Interessenkämpfen, denn die seit Ende der 70er Jahre verfolgte "neoliberale" Wirtschaftspolitik (Geldwertstabilität wichtiger als Vollbeschäftigung, Gewerkschaftsmacht brechen, Arbeitsmärkte deregulieren, Staat aus der Wirtschaft drängen, Unternehmenssteuern senken, Finanzmärkte deregulieren etc.) ließ sich besser mit dem neoklassischen Modell legitimieren, wobei man dann die keynesianische Tradition pauschal als "überholt" beiseitewischte, weil sie den eigenen Zielen nicht dienlich war.

Natürlich hat die Finanzkrise ab 2007 wieder Bedarf für eine "monetary economics" geschaffen, weil die Neoklassik Finanzkrisen schlichtweg nicht erklären kann, sodaß jetzt wieder etwas mehr darüber geredet wird (z.B. greift auch INET diese Tradition auf, etc.).

VWL-Studenten wissen davon vielleicht ein bißchen was - sicher lernen sie heute wieder mehr dazu als noch vor 20 Jahren. Aber daß sie den vollen Durchblick hätten, kann ich leider nicht erkennen, zumal die meisten aus Gründen des beruflichen Weiterkommens ihren Hauptfokus auf das neoklassische Mainstream-Paradigma legen und Mainstream-Positionen vertreten. Die wenigsten machen sich meiner Erfahrung nach die Mühe, mit einem marginalisierten Paradigma zu beschäftigen, das sich noch dazu aufgrund seiner inneren Inkonsistenz kaum für rhetorische Erfolge nutzen läßt.

Daß viele VWL-Studenten durchaus so TUN, als hätten sie Wirtschaft komplett verstanden, das vielleicht sogar selbst glauben, ohne daß das in nennenswertem Umfang tatsächlich der Fall wäre, entspricht dabei auch meiner Erfahrung ....

Ein ähnlicher Umschwung im Mainstream-Paradigma wie nach der Weltwirtschaftskrise dürfte erst nach einer noch wesentlich tieferen Krise durchsetzen, schätze ich mal. Ich sehe aber die Arbeit der AG hier (wie auch die Arbeit von INET etc.) als erste Etappen auf diesem Weg - als erste Manifestation des durch die reale wirtschaftsgeschichtliche Entwicklung (2007ff.) wieder aktuell gewordenen praktischen Bedarfs nach einer Theorie, die Finanz- und Wirtschaftskrisen erklären kann. Und das kann nur eine monetär bzw. kreditär fundierte Theorie, die die praktische Realität der kreditären Vorgänge in den Grundzügen abbildet.

So gesehen sehe ich in der AG einen Weg, diesen Bedarf zu artikulieren und Leute, die diesen Bedarf sehen und an solchen Modellen arbeiten, zu vernetzen.

Ich denke, daß es insgesamt darum geht, solide Fundamente für ein Paradigma einer "politischen Ökonomie einer freien Kreditwirtschaft" zu legen, das bisherige Ansätze fundieren und integrieren kann, und dann auch als zuverlässiger Ausgangspunkt für wirtschaftspolitische Strategien dienen kann. Saldenmechanik halte ich für einen unverzichtbaren Baustein dafür.

Was also die Außenwirkung der AG angeht: die Öffentlichkeit vertraut meiner Einschätzung nach noch immer mehrheitlich auf Mainstream-Ökonomen, die die üblichen neoklassisch legitimierten Symptomdeutungen bringen und Symptomkuren verordnen, die seit über 30 Jahren die Wi-Politik bestimmen. Dieses Vertrauen hat zwar schon Risse bekommen, Bedarf an einer alternativen Deutung wird aber wohl erst in einer massiv verschärften Krise eintreten, die natürlich wieder wie in den 30ern nur durch monetary economics erklärbar ist.

Soweit mein "Senf" dazu :-)




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