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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Wer macht und pushed ökonomische "Mainstream"-Paradigmen?

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Wer macht und pushed ökonomische "Mainstream"-Paradigmen?


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Wer macht und pushed ökonomische "Mainstream"-Paradigmen?
  • Date: Sun, 16 Feb 2014 00:12:52 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hallo Patrik,

Die Neoklassik ist intern logisch konsistenter als die Tradition der monetary economics ("Keynesianismus" - das Programm einer „monetary theory of production“ stammt von Keynes). Nur geht die Neoklassik von fiktiven Grundannahmen aus, die mit der Wirklichkeit von Kredit- und Geldschöpfung nix zu tun haben, sondern nur ein bestimmtes (fehlgeleitetes) Wissenschaftsideal bedienen (Newton'sche Mechanik als Vorbild).

Deswegen ist die Neoklassik als Erklärungsmodell für das, wie Wirtschaft tatsächlich praktisch funktioniert, komplett für die Tonne. Wozu sie dagegen bestens taugt und auch genutzt wird, ist als scheinwissenschaftliche Legitimationsideologie für eine bestimmte Art von Wirtschaftspolitik - die Politik, die seit den 70er Jahren wieder dominiert. Und genau dafür wird sie auch verwendet und von den entsprechenden Interessengruppen gefördert und gepushed.

Unter "monetary" economists wird selbst innerhalb des Konsenses („money matters“, „Geld ist nicht neutral wie die Neoklassik behauptet“) noch über grundlegendste Fragen ohne breiten Konsens diskutiert, z.B. currency vs. credit, private vs. staatliche Geldschöpfung, die Rolle der rechtlichen Fundamente (Zivilrecht – Eigentums- und Vertragsrecht), etc. Es gibt verschiedene Modelle, aber keinen Konsens. Wäre dem nicht so, würde es ja zu diesen Fragen hier in der AG auch keine Diskussionen geben, oder? Außerdem gibt es unter denen, die Geldsystemveränderungen propagieren, auch Leute gibt, die hahnebüchenen Unsinn verzapfen, wie z.B. den Hörmann (dessen Quark vom "fehlenden Zins" die AG ja glücklicherweise schon gründlich widerlegt hat). ).

Der saldenmechanische Ansatz (macroeconomic accounting – simple makroökonomische Buchführung) – ist z.B. in Bezug aufs Sparparadoxon logisch nicht widerlegbar (wenn alle mehr Geld sparen, vertieft sich die Deflation immer weiter), was die Frau Merkel deswegen längerfristig auch merken wird. Aber er ist bisher immer noch eine marginale Strömung innerhalb der „monetary economics“, hat aber durch die Finanzkrise 2007 wieder Aufwind erhalten und wird jetzt wieder breiter diskutiert (z.B. stock-flow-consistent models, die auf makroökonomischem accounting beruhen). Und welche Erklärung hält er für die Stagflation der 70er Jahre bereit?

Wer macht nun die Paradigmen, und warum dominiert mal das eine, mal das andere? Um darauf Antworten zu finden, fand ich es hilfreich, sich die Geschichte der dominierenden Theorieströmungen im Kontext der realen Wirtschaftsgeschichte anzuschauen – und zu schauen, wer da die großen „Akteure“ sind.

Vorab: ich denke, es ist sinnvoll, zwischen den „Entwicklern“ eines Paradigmas und seinen „Promotern“ unterscheiden. Erstere entwickeln die Theorie, letztere sorgen dafür, daß sie „Mainstream“ wird, also als „wahr“ gilt und als solches in die Köpfe der Leute gepushed wird. Letzteres funktioniert nur in einer historischen Situation, in der die mangelhaften Erklärungsleistungen der bisherigen Mainstreamtheorie offenbar werden und sie keine der Situation angemessene politische Anleitung mehr liefern kann. Dann schlägt die Stunde der theoretischen Konterrevolution.

Wie lief nun die historische Entwicklung?

Grob so, daß „monetary economics“ in der Weltwirtschaftskrise entstand , weil die Neoklassik diese nicht erklären und wirtschaftspolitisch bekämpfen konnte. Sie wurde dann (in Gestalt des „Keynesianismus“) für ca. 30 Jahre (1945-1975), während der langen Nachkriegs-Aufschwungphase, zum „Mainstream“, mit dem „Wirtschaftswunder, „Wohlstand für Alle“ etc. gerechtfertigt wurde. Als sie aber ihrerseits nicht schaffte, das gleichzeitige Auftreten von steigender Arbeitslosigkeit und steigender Inflation („Stagflation“) in den 70er Jahren zu erklären und wirtschaftspolitisch in den Griff zu bekommen, wurde sie in den Hintergrund gedrängt und die Neoklassik wieder zum Mainstream-Paradigma, mit dessen Hilfe wiederum die neue Wirtschaftspolitik (Geldwertstabilität wichtiger als Vollbeschäftigung und Wachstum, etc.) gerechtfertigt werden konnte.

An dieser Stelle mal die Frage an die hiesigen Geldtheoretiker in der AG: wie genau erklärt Ihr eigentlich mit Eurem Modell Stagflation? Natürlich ist das nicht Euer Problem, da wir uns heute, 40 Jahre nach der Stagflation der 70er, in der entgegengesetzten Situation befinden (Deflation). Aber als kleiner Test für die „Logik“ Eures Modells. Oder habt Ihr Euch schon mal gefragt, wessen Interessen Euer Modell bedient, und wessen Interessen eher nicht?

Wer sind nun die „Paradigm Pusher“, diejenigen, die ein Paradigma zum „Mainstream“ machen? M.e. die großen gesellschaftlichen Interessengruppenkoalitionen, die in einer konjukturellen Phase die Oberhand gewinnen.

Marxismus (traditionell Gewerkschafts- und SPD-Ideologie) und katholische Soziallehre (CDU-Ideologie) unterscheiden da nur zwischen 2 großen Interessengruppen, Kapital und Arbeit. Ich finde es realistischer, wie Schulmeister zwischen 3 Interessengruppen zu unterscheiden: Finanzkapital (Banken, Finanzindustrie), Realkapital (produktive Unternehmer) und Arbeit (Lohnabhängige).

Für Schulmeister ist die moderne kapitalistische Wirtschaftsgeschichte also nicht ein dualer Machtkampf zwischen zwei Interessengruppen (Lohnarbeit und Kapital), sondern ein Machtkampf zwischen drei Interessengruppen, deren jeweilige Interessen sich teilweise überschneiden, teilweise aber auch widersprechen.

Diese Perspektive liegt nun quer zu den Blickwinkeln sowohl von Marxismus und katholischer Soziallehre als auch zu dem populärer Verschwörungstheorien. Einige Links dazu habe ich in meiner Antwort an den ExPiraten gepostet:

https://news.piratenpartei.de/showthread.php?tid=416945&pid=2041985&mode=threaded

Schulmeisters These ist: in der langen Aufschwungphase (z.B. 1945-1975) paktiert das Realkapital mit der Arbeit gegen das Finanzkapital, das durch Regulierung - feste Wechselkurse, Trennbankensystem etc. – ruhiggestellt wurde. Die dominierende Theorie ist monetary economics (keynesianische "monetary theory of production"). In der langen Abschwungphase (wie 1975-heute) dagegen paktiert das Realkapital mit dem Finanzkapital gegen die Arbeit (deren Rechte dann sukzessive wieder abgebaut werden). Die Finanzmärkte wurden dereguliert (ein genuines Interesse des Finanzkapitals), die gesetzliche Altersvorsorge wurde privatisiert (eine Quelle für Gewinne fürs Finanzkapital, etc.). Hierfür taugt die Neoklassik besser als Legitimationsideologie, weswegen sie nun von diesen Interessengruppen verstärkt gepushed und propagiert wird.

Monetary economics dagegen wurden und werden z.B. eher von den Gewerkschaften gepushed und unterstützt, weil sie deren Interessen besser bedienen als die des Finanzkapitals. Zum Beispiel ist der von Rudi in diesem Thread zitierte Artikel (Kredit, das unbekannte Wesen), der auf flassbeck-economics.com erschienen ist, von Patrick Lindner verfaßt worden, der für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung schreibt (bzw. wohl von denen ein Promotionsstipendium hat). Auch die (keynesianisch argumentierende) Memorandum-Gruppe ist eher gewerkschaftsnah. Flassbeck selber war für die SPD in der Regierung Schröder tätig, bevor Lafontaine das Handtuch warf und Flassbeck von Eichel entlassen wurde (was die neoliberale Wende der SPD komplettierte und sie endgültig theoretisch heimat- und orientierungslos machte).

Entwickelt dagegen wurden monetary economics eher von Praktikern im Finanzwesen – von Bankern (wie L. Albert Hahn – „Volkswirtschaftliche Theorie des Bankkredits“; auch Wolfgang Stützel hat einige Zeit in einer Bank gearbeitet, Johann Philipp von Bethmann ist Privatbankier) oder Spekulanten (Keynes war Spekulant und Adliger, jedenfalls nicht der Arbeiterklasse zugehörig). Es ist schon eine Ironie der Geschichte. daß die von Bankern und Spekulanten entwickelten Theorien eher von den Gewerkschaften gegen das Finanzkapital verwendbar sind, während das Finanzkapital zur Legitimation seiner Interessen Theorien braucht, die realitätsferne akademische Wurzeln haben. So wird ja auch gegenwärtig die Weiterentwicklung von monetary economics maßgeblich von einem Großspekulanten finanziert, nämlich von George Soros, der großzügig INET unterstützt.

Klar kann man nun immer noch Verschwörungstheorien entwickeln, die nochmals „meta“ zu diesem Erklärungsmodell angesiedelt sind. Darauf will ich aber hier erstmal nicht eingehen, weil es den Rahmen sprengen würde. Auch, weil ich persönlich eine „große allgemeine Weltverschwörung“ persönlich auch nicht für wahrscheinlich halte und mich daher mit solchen Theorien auch nicht näher beschäftigt habe.

Auch setzt Schulmeisters Modell - wie fast alle anderen makroökonomischen Theorien auch - die Existenz einer Lohnarbeiterklasse, die Existenz von Staaten und einer privaten Eigentumsordnung (Zivilrecht, bürgerliches Recht - also Vertragsrecht) als gegeben voraus, obwohl beide natürlich nicht immer existiert haben, sondern irgendwann irgendwie von irgendwem aus irgendwelchen Gründen geschaffen wurden. Auch darüber kann man diskutieren (die Marx'sche Theorie z.B. geht historisch so weit, auch das zu thematisieren), aber das scheint nicht Fokus der AG zu sein, weshalb ich es auch erstmal ausklammern will.

Die Piraten sind ja eine Partei, die sich innerhalb des bestehenden Systems positionieren will, um es zu gestalten, ohne es grundlegend umzuwälzen, wie das der radikale Strang des Marxismus wollte (und getan hat, mit ganz anderen Ergebnissen als denen, die aus der Perspektive der Marx'schen Theorie erwartet wurden).

Mein Hauptpunkt wäre der, daß ich es für sinnvoll halte, die rein theoretisch-systematische Analyse durch eine historische Perspektive der "langen Zyklen" zu ergänzen.




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