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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Privates Gesundheitssystem?

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] Privates Gesundheitssystem?


Chronologisch Thread 
  • From: syna <syna AT news.piratenpartei.de>
  • To: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Privates Gesundheitssystem?
  • Date: Thu, 04 Jun 2015 22:16:36 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Na, da regt sich ja jemand mächtig auf:

swagi666 schrieb:
Man nennt dieses Phänomen, dass man Hypothesen mit propagandistischer Meinungsmache vermengt, Polemik. Auch das erwähnen des gebildet klingenden Beriffes "Fehlallokationen" macht das Argument nicht besser. Und zum guten Schluss natürlich noch der hyperbolisch erwähnte Sterbenskranke, der ja früher starb, weil er nur gesetzlich versichert ist ...

Da scheine ich ja ins Schwarze getroffen zu haben.

Zum Inhalt: Zum Inhalt: Obiges ist falsch. Jeder möge selbst mein Posting
(dieser Thread Seite 8, 3.Text von oben,
Link: http://news.piratenpartei.de/showthread.php?tid=494191&page=8) lesen.

Ich zeige ganz plausibel anhand von Beispielen auf, was die "Duale Vergütung"
im Gesundheitswesen bewirkt - und in welche Schieflage sie die medizinischen
Dienstleister ganz automatisch drängt. Jeder kann das nachvollziehen.

Die zwangsläufigen Konsequenzen, die die Duale Vergütung insgesamt hat,
können in manchen Fällen drastisch sein - das stimmt. Das was Du, lieber swagi
hier machst, ist ungefähr folgendes (Analogie):

----------------------------------------------------------------------------------

Ich behaupte in einer "wall of text", dass ein Schwimmer, der einen Sprungturm
hochklettert, sich auf das 5-Meter-Brett stellt und dann in einen leeren Pool
springt, dass dieser Schwimmer sich arg verletzen wird. Ich mache das plausibel,
indem ich auf die Höhe verweise und den Härtegrad des Beckenbodens angebe.

Allerdings - das muss ich zugeben: Es gibt keine einzige wissenschaftliche Studie,
die besagt, dass jemand, der vom 5-Meter-Brett in ein leeres Becken springt, sich
in gesundheitliche Gefahr begibt.

Du kommst jetzt und behauptest: "Das sind alles Hypothesen mit
propagandistischer Meinungsmache vermengt, Polemik."

-------------------------------------------------------------------------------

Am besten, jeder Leser hier liest sich "the wall of text" selbst durch und bildet
sich sein eigenes Urteil.

swagi666 schrieb:
Der Fehler ist, dass man überhaupt so einen Kram in die Tastatur hackt wie:
- GKV-Patienten sterben, weil sie kein Geld bringen
- Chefärzte operieren keine komplizierten OPs mehr, weil sie bei den PKVlern zum Verbandswechsel sind
- Ärzte haben eine Yacht am Mittelmeer
- Ärzte bekommen für die Behandlung eines PKV-Patienten das doppelte bis dreifache
- Ärzte sind per se geldgeil und konzentrieren sich auf das Umgarnen von PKV-Patienten bzw. das Verkaufen von IGeL
- Städte und Kommunen "drohen Krankenhäusern mit Privatisierung"
- Kliniken richten einen baulich getrennten Bereich für Privatpatienten ein

Schön, dass Du den Text einigermaßen aufmerksam durchgelesen hast. Was bei
Dir hängengeblieben ist, sind allerdings etwas sehr drastische Fragmente. Wenn
ich mal korrigieren darf:

- GKV-Patienten sterben, weil sie kein Geld bringen
----------------------------------------------------------------------

Das ist so arg verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen. Dieser Satz
ist so, wie /Du/ ihn hier formulierst, natürlich falsch.

Richtig ist: Man kann mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass bei bestimmten
ernsten Erkrankungen, die eine komplexe OP erfordern (Beispiel Pankreas-Krebs)
aufgrund von Fehlallokationen in einigen Zentren und
Universitätskrankenhäusern die Überlebensrate von GKV-Patienten signifikant
niedriger ist als die von PKV-Patienten.

- Chefärzte operieren keine komplizierten OPs mehr,
weil sie bei den PKVlern zum Verbandswechsel sind.
----------------------------------------------------------------------

Das ist sehr überspitzt pointiert ausgedrückt. Es zeigt zumindest das Problem
der Fehlallokation auf. Richtig ist: Chefärzte und Spezialisten werden vom
Controlling dazu gedrängt, PKV-Patienten umfassend zu behandeln, auch
wenn die erforderlichen OPs eher Routine-Eingriffe (z.B. Blinddarm-OPs) sind.
Ihre Ressource felht dann natürlich bei den wirklich diffzilen OPs
(z.B. Krebstumorpatienten).

- Ärzte haben eine Yacht am Mittelmeer
----------------------------------------------------------------------

Na, das ist natürlich quatsch. Es gibt sicherlich auch Ärzte, die gerne Segeln
gehn - und denen sei das auch gegönnt!

Richtig ist aber: Etliche niedergelassene Ärzte haben für ihre Praxis-Einrichtung
erstmal Schulden machen müssen. Sie müssen deshalb auch ökonomisch denken
und handeln. Sie werden dadurch automatisch dazu gedrängt, sich eventuell
mehr um PKV-Patienten zu kümmern, denn die bringen ihnen mehr Geld ein.

- Ärzte bekommen für die Behandlung eines PKV-Patienten
das doppelte bis dreifache
---------------------------------------------------------------------

Das ist richtig. Für etliche Punkte im GOÄ-Katalog bekommen Ärzte das 3,4-fache
wie für dieselbe Leistung im EBM-Katalog. Also MEHR als das Dreifache.

- Ärzte sind per se geldgeil und konzentrieren sich auf das
Umgarnen von PKV-Patienten bzw. das Verkaufen von IGeL
----------------------------------------------------------------------

Quatsch. Das habe ich nie behauptet, es wäre auch grundfalsch. Ärzte sind
weder per se geldgeil noch überhaupt geldgeil. Gerade im Beispiel "Shop" und im
"Beispiel "Niedergelassener Arzt" zeige ich auf, dass die Strukturen - nämlich die
Duale Vergütung - selbst den gutmütigsten und idealistischsten Arzt dazu drängt,
sich auf seine Einnahmen zu konzentrieren.

Viele Ärzte kommen dadurch in einen inneren Interessenkonflikt: Einerseits wollen
sie allen Menschen gleichermaßen helfen - sie haben ja den hypokratischen Eid
geleistet oder fühlen sich diesem zumindest verpflichtet. Andererseits drängen
Schulden oder gesellschaftliche Verpflichtungen o.ä. sie dazu, mehr auf die
finanziellen Dinge zu achten - und entsprechend PKV-Patienten zu umgarnen.

Und es gibt auch Ärzte, die der Umgarnung der PKV-Patienten widerstehen, die
wirklich - mit allem Nachdruck und ethischen Bewusstsein - alle Patienten gleich
gut behandeln. Respekt!

Also: Nicht die Ärzte sind schuld. Im Gegenteil: Fast alle haben hohe idealistische
Werte, einen Berufsethos, wollen Menschen helfen. Sie geraten aber im Laufe
ihrer Berufspraxis in dieses Spannungsfeld, in das sie die Duale Vergütung
hineinzieht. Wenn wir den Druck auf die Ärzte verringern wollen, wenn wir ihren
Idealismus bewahren wollen, müssen wir die unsäglichen destruktiven Strukturen
korrigieren, müssen wir also die Duale Vergütung - und also die PKVen -
abschaffen.

- Städte und Kommunen "drohen Krankenhäusern mit Privatisierung"
----------------------------------------------------------------------

Das wiederum stimmt. In den letzten Jahren sind unzählige Krankenhäuser
entweder ganz geschlossen worden - vor allem in ländlichen Gebieten.
Oder an die privaten Unternehmen Asklepios, Helios, Rhön usw. verkauft
worden. Mit der Folge einer noch konsequenteren ökonomischen Ausrichtung.

- Kliniken richten einen baulich getrennten Bereich für Privatpatienten ein
----------------------------------------------------------------------

Das stimmt für einige Kliniken. Bei Asklepios haben diese Bereiche z.B.
den pikanten Namen "Privita".

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Noch ein Wort zu denen, die sich hier so unglaublich aufregen: Viele Ärzte
halten eisern an der PKV fest, denn die PKV-Patienten sind ja diejenigen,
die endlcih etwas Geld einbringen. Deshalb die so aufgebrachte Verteidigung
der PKVen, die permanten Leugnung aller hier vorgebrachten Argumente.

Bis vor kurzem wurden sogar die längeren Wartezeiten bei Fachärzten, die
GKV-ler auf sich nehmen müssen, penetrant als Märchen abgetan. Und das gilt
dann für manche erst recht hier: Die hier aufgedeckten Tatsachen, die Folgen aus
der Fehlallokaton, müssen daher mit allen Mitteln bestritten werden. Und die
Vertreter dieser Thesen als Polemiker abgekanzelt werden ... klar.

Bei jedem fundamentalen Lösungsvorschlag wittern die jeweiligen Profiteure
des Status-Quo-Systems einen Verlust ihrer Pfründe und ihrer Profite. Da ist
zu erwarten, dass sie mit aller Macht, die sie - in fast schon in
mitleiderheischender Verbitterung - aufzubringen vermögen, dagegen vorgehen
werden. Das tun sie rhetorisch, in Grassroots-Projekten und mittels aller
möglicher "Einflusskanäle".

Also swagi, Dein Echauvieren war erwartbar.

Beste Grüße, Syna.




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