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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Geldschöpfung vs Fristentransformation

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Re: [AG-GOuFP] Geldschöpfung vs Fristentransformation


Chronologisch Thread 
  • From: Rudolf Müller <muellerrudolf AT on22.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Geldschöpfung vs Fristentransformation
  • Date: Sun, 18 Jun 2017 16:34:38 +0200

Hallo Alexander,

offensichtlich hast Du wesentliche Textpassagen entweder nicht gelesen oder aber sie blieben für Dich unverständlich. Deshalb nochmals ein Ausschnitt aus der Ursprungserklärung zu Wolfgangs Aussage:

"Als ich vor ca. 3 Jahren mal bei einer Veranstaltung mit Brodbeck und Huber war, in der es um Vollgeld ging, stand der lokale Sparkassendirektor auf und sagte: "ich weiß nicht worüber sie reden mit dieser Geldschöpfung - wir machen Fristentransformation."


Ein typisches Beispiel für die Sprachverwirrung zwischen Volkswirten und Bänkern. Die Volkswirte modellieren sich das Geldsystem und den Bankensektor so zurecht, wie sie ihn für ihre volkswirtschaftlichen Betrachtungen gerne hätten. Was dabei in den Banken tatsächlich insgesamt abläuft, interessiert sie offensichtlich nicht. Die Funktion unseres Geldsystems mit Guthaben und Schulden wird in Sach- und Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre zwar vielfach beschrieben und erklärt, bei der Erklärung von Geld beschränken die Autoren sich vielfach auf die Funktionen von Geld und wie Geld eingesetzt wird. Wie Geld entsteht, wird überwiegend entweder nicht erläutert, oder es wird auf die Entstehung der Tauschwirtschaft verwiesen. Neu wird jetzt wieder die bereits im 19. Jahrhundert bekannte "Geldschöpfungstheorie der Banken" aus der Schublade hervorgeholt und als neue Erkenntnis angepriesen. (z. B. Norbert Häring, Die Bundesbank versucht über Geldschöpfung aus dem Nichts aufzuklären – vergeblich, http://norberthaering.de/de/27-german/news/818-bundesbank-geldschoepfung)

Die Bänker hingegen leben in ihrer eigenen Welt. In der Bankbetriebslehre und den Fachbücher über Banken und das Kreditwesen kommt das Wort "Geldschöpfung" so gut wie garnicht vor.  Das Stichwort „Geldschöpfung“, unter welchem die Entstehung von Geld eigentlich beschrieben werden sollte, sucht man teilweise vergebens. Wird die Geldschöpfung beschrieben, so geschieht dies auf weniger als zwei Seiten in einem Buch mit über 1000 Seiten. Im Wesentlichen beschränken sich die Erklärungen auf folgende Aussage: „Die Geldschöpfung der Geschäftsbanken erfolgt durch Kreditgewährung und Buchung der eingeräumten Kredite auf Konten. Das so entstandene Buchgeld ist seinerseits die Grundlage für weitere Kreditgewährungen durch die Banken.“ Nun kommt noch der Satz des oben erwähnten Sparkassendirektors hinzu: "ich weiß nicht worüber sie reden mit dieser Geldschöpfung - wir machen Fristentransformation."

In der o. g. Veranstaltung trafen offensichtlich die Mitglieder zweier unterschiedlicher Gruppen aufeinander, die nicht die gleiche Sprache benutzten. Sie interessierten sich jedoch auch offensichtlich nicht für den Sprachgebrauch der jeweils anderen Gruppe. Überzeugt von der eigenen Vorstellung über die Funktionsweise des Geldsystems wird die Auseinandersetzung mit der jeweils andern Meinung als unnötiger, nicht zielführender Aufwand angesehen.


Geldschöpfung der Banken aus volkswirtschaftlicher Sicht
Unbestritten ist wohl heute die Aussage, dass in einem Kreditvorgang sowohl eine neue Forderung der Bank an den Kreditnehmer entsteht wie auch gleichzeitig eine neue Forderung des Kreditnehmers an die Bank. Diese Forderungen unterscheiden sich im Wesentlichen in den zugrunde liegenden Fristen. Während die Kreditforderung der Bank erst nach z. B. 2 Jahren fällig ist, besteht für die Forderung des Kreditnehmers an die Bank keine Frist. Die Forderung des Kreditnehmers an die Bank, unser "Giralgeld", ist sofort fällig. Dieser unterschiedlichen Fristigkeit wird von Volkswirten jedoch keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Aus ihrer Sicht schöpfen die Geschäftsbanken im Kreditvorgang neues "Geld" aus dem Nichts.
Die Formulierung "aus dem Nichts" soll andeuten, dass "neues Geld" = "täglich fällige Verbindlichkeit der Bank gegenüber den Kunden" geschaffen wurde, ohne dass die Bank über entsprechende täglich fällige Forderungen (z.B. Bargeld, täglich fällige Guthaben bei der Zentralbank oder bei anderen Banken) verfügt. Das den "täglich fälligen Verbindlichkeiten der Bank gegenüber den Kunden" langfristige Forderungen und Vermögenswerte auf der Aktivseite gegenüberstehen, wird dabei verschwiegen.

Fristentransformation aus Bankensicht
Unter Fristentransformation wird allgemein verstanden, dass ein Kreditnehmer  z. B. einen Kredit über 10.000 € für 5 Jahre benötigt, jedoch kein Sparer bereit ist, diesen Betrag für 5 Jahre festzulegen. Der Sparer möchte den Betrag nur für 1 Jahr festlegen. Die Bank gewährt den Kredit, muss demnach nach einem Jahr einen neuen Sparer finden, der ebenfalls bereit ist, einen Sparbetrag in dieser Höhe für ein Jahr festzulegen. Die Bank benötigt somit zeitlich hintereinander 5 Sparer mit einem Sparbetrag von jeweils 10.000 €, um dem Kreditnehmer den Betrag von 10.000 € für 5 Jahre zur Verfügung zu stellen. 5 Jahresfristen hat sie zu einer 5-jährigen Frist transformiert. In dieser Fristentransformation wird eine wesentliche Funktion unseres Bankensystems gesehen. Was geschieht aber mit dem "Giralgeld", den täglichen Forderungen der Kunden an die Bank? Der einzelne Kunde wird sein Giralgeld für Überweisungen oder aber Barauszahlungen benutzen. Betrachtet man jedoch den gesamten Giralgeldbestand einer Bank stellt man fest, dass dessen Summe sich nur noch unwesentlich verändert, in der Tendenz immer steigend. Obwohl also der Bankkunde sein Giralgeld täglich für Zahlungen verwenden kann und dies auch tut, besitzt jede einzelne Bank einen "Bodensatz" an Giralgeld, der stets vorhanden ist. Dieser wirkt sich wie ein dauerhafter Kredit der Bankkunden gegenüber der Bank aus. In Höhe dieses Bodensatzes kann also die Bank langfristige Kredite vergeben ohne sich der Gefahr auszusetzen, dass es zu Zahlungsengpässen kommt.
Ohne die Erkenntnis über diesen Bodensatz müsste die Bank soviele "täglich fällige Aktiva" besitzen wie sie an Giralgeldern auf den Konten ihrer Kunden verbucht hat. Dann hätte sie fristenkongruent finanziert, dass heißt, den täglich fälligen Forderungen der Kunden an die Bank auf der Passivseite würden auch täglich fällige Forderungen auf der Aktivseite gegenüberstehen.
Aufgrund destatsächlich vorhandenen Bodensatzes ist dies jedoch nicht erforderlich. Die Bank hat tägliche fällige Kredite ihrer Kunden erhalten, deren Giralgelder, und finanziert damit langfristige Kredite an Kreditkunden. Sie betreibt Fristentransformation auf der höchsten Stufe, d. h. aus Krediten ohne Frist generiert sie langfristige Kredite.

Fazit
An Gemeinsamkeiten lässt sich bei beiden Betrachtungen feststellen, dass "täglich fällige Verbindlichkeit der Bank gegenüber den Kunden" neu geschaffen wurden, ohne dass diesen auch "täglich fällige Forderungen der Bank" gegenüberstehen. Die Volkswirte bezeichnen diesen Vorgang als "Geldschöpfung", wohingegen die Banken von "Fristentransformation" sprechen. So einfach lässt sich das anfängliche Sprachproblem zwischen Volkswirten und Bänkern lösen. Die gegenseitige Position muss lediglich ernsthaft wahrgenommen und untersucht werden.
Otto Hübener beschreibt bereits 1853, dass bei der Fristentransformation die Bank etwas verkauft, was sie zum Zeitpunkt der Kreditgewährung noch nicht besitzt. Eine Form von ungedecktem Leerverkauf.

Falls Dich das Thema Fristentransformation näher interessiert kannst Du Details nachlesen unter
http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Das_Geldr%C3%A4tsel:_Fristenspekulation

Noch kurz zu Deiner Frage an Arne:
Du weißt dass Banken Geld aus dem Nichts schöpfen?
Arne kann das beweisen?

Beides halte ich für absolut unbewiesene Thesen die zustande kommen, weil man aus der Betrachtung einzelner Stromgrößen Aussagen über das Gesamtsystem generiert, ohne das Gesamtsystem selbst zu erfassen.

Beispiel "Geld aus dem Nichts"
Was geschieht bei der Kreditvergabe? Die Bank erhält eine Forderung an den Kreditnehmer, d.h. der Kreditnehmer verschuldet sich gegenüber der Bank. Diese Forderung ist nicht "Nichts". Der Kreditnehmer muss nach der vereinbarten Kreditlaufzeit seine Schulden gegenüber der Bank begleichen. Im Gegenzug erhält der Kreditnehmer eine Forderung an die Bank, sein um den Kreditbetrag erhöhtes Bankguthaben. Die Behauptung, dass dieses Bankguthaben aus dem "Nichts" entstanden sei, ist somit hinfällig. Im Kreditvorgang sind zwei neue Forderungen entstanden, wovon die täglich fällige Forderung des Kreditnehmers an die Bank, sein Bankguthaben allgemein als "Geld" angesehen wird. Die andere Seite, die Forderung der Bank an den Kreditnehmer hingegen wird nur als Kredit angesehen und nicht als "Geld". Du kannst also sehen, dass die Entstehung aus dem "Nichts" nur Bestand hat, wenn Du die Forderung der Bank an den Kreditnehmer unterschlägst. Deshalb würde ich nie von einer "Geldschöpfung aus dem Nichts" sprechen, sofern ich auch von Sachkundigen ernstgenommen werden möchte. Während Arne also glaubt, die "Geldschöpfung aus dem Nichts" beweisen zu können, solltest Du mit solchen plakativen Thesen sehr vorsichtig umgehen.
Wenn Banken Geld aus dem Nichts schöpfen können brauchen sie doch auch keine Sparer. Nach Axel sind sie so dumm, unnötige Kosten durch Zahlung von Sparzinsen selbst zu erzeugen. Folglich könnte die ganze Passivseite mit Ausnahme des Eigenkapital, also ihre Schulden, nur aus Bankguthaben ohne Zinslasten bestehen. Unter Kostenminimierungs-Gesichtspunkten die ideale Lösung. Die Bank würde dann die Fristentransformation bis an die mögliche Grenze ausdehnen. Den täglich fälligen Forderungen ihrer Kunden und auch anderer Banken würde nur die Position Barreserve auf der Aktivseite gegenüberstehen. Bereits Auszahlungen über diesen Betrag hinaus würde die Bank zahlungsunfähig werden lassen. Deshalb haben die Aufsichtsorgane festgelegt, wie die Aktivseite strukturiert sein muss und welche Werte hier vorhanden sein müssen, um den allgemein zu erwartenden Auszahlungswünschen der Kunden und auch anderer Banken zu genügen. Erst die Einbeziehung auch dieser Vorgaben erlaubt eine Aussage über die vermeintliche Schöpfungskraft der Banken. Details hierzu siehe auch:
http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Das_Geldr%C3%A4tsel:_Kreditsch%C3%B6pfungskapazit%C3%A4t

Sollten noch Fragen offen bleiben dann bitte nicht zögern diese zu stellen.

Beste Grüße
Rudi Müller

Am 18.06.2017 um 08:22 schrieb Alexander Raiola (a.raiola AT bzv-fr.piratenpartei-bw.de via ag-geldordnung-und-finanzpolitik Mailing List):
Guten Moren zusammen,

da das Thema hier schon so lange aktiv ist, bin ich heute neugierig
geworden, was Fristentransformation eigentlich ist und habe mir die
ersten und die letzten Beiträge dieser Diskussion teils durchgelesen und
teils quergelesen. Eine Frage, die eher praktischer Natur ist, hat sich
mir dabei gestellt, aber falls das irgendwo im Rahmen dieser Diskussion
bereits beantwortet wurde, bitte ich das zu entschuldigen:

Was macht man nun als Vortragender, der einem Publikum etwas über ein
Vollgeldsystem erzählt, wenn ein Manager plötzlich aufsteht und
behauptet, seine Bank mache keine Geldschöpfung, sondern
Fristentransformation?

Es ist sicher nicht allzu geschickt, einem Manager pauschal vorzuwerfen,
dass er keine Ahnung hat, was wirklich in seiner Bank vorgeht oder dass
er gar lügen würde, damit die Menschen nicht herausbekommen, dass Banken
Geld aus dem Nichts schöpfen.

Übrigens:
@Arne: Ich bin deinem YT-Link deines letzten Posts gefolgt und das Video
ist nicht mehr verfügbar. Ich weiß, dass Banken Geld aus dem Nichts
schöpfen, aber ein Beweisvideo würde mich trotzdem interessieren.

Viele Grüße
Alexander





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