Re: [AG Liquid Democracy] Wozu Delegationen?

[Hans Brucker <hb AT anubia.de>]

Hallo Fukami!

On 08.07.2010 16:07, fukami wrote:
> On 08.07.2010, at 15:20, Hans Brucker wrote:
>    
> > Wenn ich also jetzt ein System installiere, das diese 80-90% dazu verführt, 
> > seine Stimme auf global und auf unbestimmbare Zeit an Didi Hallervorden zu 
> > delegieren, weil er so schön grinsen kann, oder an Stefan Raab, weil er so 
> > schöne Zähne hat, oder an Veronika F., weil ... dann machen die 
> > Hallervordens, Raabs und Veronikas das am Ende unter sich aus. Und diejenigen 
> > unter den 'restlichen' Mitgliedern, die sich ja eigentlich inhaltlich(!) mit 
> > Hirn und Rationalität in der Sache engagieren wollten (was ich 
> > 'Partizipation' nenne), sind verarscht.
> >      
> Was mich daran so verstört ist der Versuch der Unterscheidung von "guter" und 
> "schlechter" Delegation. Denn es gibt durchaus Leute, die global delegieren, und zwar, 
> weil sie echtes Vertrauen in die Fähigkeiten von Personen setzen. Von daher verstört mich diese 
> Sicht auch gewaltug muss ich ehrlich sagen.
>    

Das ist harte Kritik.

Werkzeuge beeinflussen das Denken und damit Art und Qualität der 
Ergebnisse. Analog etwa zu einer Geschäftsordnung eines Parteitags oder 
Verfassung und Regierungssystem eines Staates. Da findet immer eine 
Auswahl mit Abwägung und Kompromissen statt.

Global heisst, du vertraust einem Menschen *über alle Themenbereiche*.

Unbefristet (in Berlin momentan 1 Jahr kein Login) heisst, du vertraust 
ihm *ohne Kenntnis darüber zu haben, was er tut*.

Kann das noch irgend ein rationales Fundament haben? Welchen Sinn hätte 
es im Sinne einer konstruktiven politischen Meinungsbildung, falls es 
nicht der Fall sein sollte? Falls der Einfluss nicht konstruktiv ist, 
warum sollte das System dies systemisch fördern, indem eine 
entsprechende Delegationsfunktion angeboten wird, wo eine 
themenbezogene, zeitlich begrenzte Delegationsfunktion konstruktiver 
wäre für die Qualität der erzielten Ergebnisse?

Sicherlich wird es Situationen geben wo das funktioniert mit dem 
Globalvertrauen. Man kennt einen, der ist einfach so toll, dass er alles 
kann und führt und leitet. Nichtmal kontrollieren muss man den. Aber wie 
wahrscheinlich ist das? Klar, man kann auch im Lotto gewinnen, das kommt 
vor.

Aber was bedeutet das im Hinblick auf das Phänomen Populismus?

Ich denke politische Teilhabe a.k.a. Partizipation ist eine Chance, ein 
Angebot.

Und ein System, das Delegationen ohne Diskursteilnahme durch Anbieten 
entsprechender Funktionen fördert ist ein Partizipations-Placebo, das im 
Endeffekt die aktive Teilhabe am Diskurs verringert, weil die Teilnehmer 
von den Nichtteilnehmern sowieso überstimmt werden, und das Ergebnis 
sich aus sachlicher Sicht einem Zufallsergebnis annähert.

Eine grosse Einschränkung hierzu: Zugangsbarrieren zu diesem Diskurs 
dürfen natürlich *in keinster Weise* existieren. Das ist dann eben wie 
beim Parteitag: Wer da ist, stimmt ab. Nur dass das 'da' in diesem Falle 
nur einen Klick entfernt ist.

Beste Grüsse
Hans