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Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag)
Chronologisch Thread
- From: Wolfgang Gerstenhöfer <wolfgang.gerstenhoefer AT gmx.de>
- To: "AG Gesundheit" <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag)
- Date: Tue, 23 Oct 2012 21:21:55 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
- List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>
Hallo Thomas,
auch Dir danke ich für Deine Anmerkungen.
Leider habe ich den Eindruck, daß Du mein Konzept nicht vollständig kennst:
http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Wolfgang_Gerstenh%C3%B6fer
Es geht mir nicht darum, die heutige gesetzliche Krankenversicherung
zugunsten der privaten Krankenversicherung - so wie wir sie heute kennen -
abzuschaffen.
Das wäre ja schrecklich. ;-)
Da ich selbst Versicherungskaufmann und Privatversicherter bin und auch noch
fast 25 Jahre in der privaten Krankenversicherung gearbeitet habe, glaube
ich, die Stärken und Schwächen sowohl der gesetzlichen als auch der privaten
Krankenversicherung ganz gut zu kennen.
Deshalb zielt mein Vorschlag darauf ab, aus den positiven Elementen beider
Systeme ein neues System zu machen - nämlich die piratige
Krankenversicherung.
Ich versuche, auch zu Deinen Hinweisen Stellung zu nehmen:
----- Original Message ----- From: "Thomas Luft" <post AT luto.de>
To: "AG Gesundheit" <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
Sent: Tuesday, October 23, 2012 1:31 PM
Subject: Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten?
(der Freitag)
Hallo zusammen,
nachdem ich eine Weile mitgelesen habe, möchte ich mich als
"Leistungserbringer" (Apotheker) in die Diskussion einbringen. Ich
hoffe, ich habe Harrys Zitate (>>) korrekt gesetzt:
Am 23. Oktober 2012 12:28 schrieb Wolfgang Gerstenhöfer
<wolfgang.gerstenhoefer AT gmx.de>:
Wenn man dies konsequent zu Ende denkt, dann stellt sich doch die Frage,
wann man alle Preise oder zumindest die Preise für Waren und
Dienstleistungen, die die Grundbedürfnisse decken sollen,
einkommensabhängig
gestaltet?
???? Eine Entfernung des gereizten Blinddarms ist doch kein
Putenschnitzel
!!! Gesundheit ist keine Ware! Es ist ein Anspruch, der sogar in den
Menschenrechten verankert ist !!
Sorry, aber bei sowas geht mir der Hut 3m weit hoch!
Gesundheit ist keine Ware! Das sehe ich auch so. Um Gesundheit zu
erhalten
oder wiederherzustellen, werden aber von Menschen, die davon leben
wollen,
Sach- und Dienstleistungen erbracht und die müssen irgendwie und von
irgendwen bezahlt werden.
Aus den Menschenrechten ergibt sich auch, daß niemand verhungern und
verdursten darf und jeder menschenwürdig leben soll. Da sind wir dann
wieder
bei den Grundbedürfnissen.
Die Bezahlung ist doch gar nicht das Problem. Das Problem ist die
Festlegung eines "gerechten" Preises. Und hier ist eben das Problem,
z.B. beim Arzneimittelpreis, bei dem sich ja auch einige Piraten und
SPDler eine freie Kalkulation wünschen: ist es sozial gerecht, dass
ein derzeit knappes Gut wie Grippeimpfstoff dann eben den "Marktpreis"
-also z.B. das doppelte als normal- kostet? Was passiert hier mit den
Kosten für die GKV? Wie erstattet die PKV diesen Preis? Kann man das
als Versicherung (egal ob PKV oder GKV) überhaupt kalkulieren?
Eben hier ist doch der Knackpunkt: jeder Bürger soll sich eine
vernünftige Krankenversicherung leisten können. Wenn aber der freie
Markt durch freie Preise eine Achterbahnfahrt der Kosten mit sich
bringt, kann das kein gutes Modell für die "Ware" Gesundheit sein.
Sind denn von Politikern festgelegte Preise wirklich die bessere
Alternative? Zum Thema Arzneimittel habe ich mich in meinem Konzept (noch)
gar nicht im Detail befasst. Das steht tatsächlich noch aus. Grundsätzlich
sehe ich die Tarifautonomie zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften
durchaus auch hier als Vorbild.
Deshalb plädiere ich dafür, daß jeder Mensch die Möglichkeit bekommt,[...]
sich
privat mindestens auf dem heutigen Leistungsniveau der gesetzlichen
Krankenversicherung bei einem Anbieter seiner Wahl zu versichern - und
zwar
zu Marktpreisen, also zu Beiträgen, die alle Faktoren berücksichtigen,
die
sich auf das Risiko Krankheit auswirken.
Marktpreise??? Was für ein Markt?
Es würden die Kalkulationsvorschriften gelten, wie sie heute bei der
privaten Krankenversicherung angewendet werden. Dazu habe ich hier schon
mehrfach Ausführungen gemacht. Bei Bedarf kann ich das gern wiederholen.
Dieser Versicherungsschutz kann dann auch nicht mehr einseitig durch die
Politik eingeschränkt werden, wie wir das in der gesetzlichen
Krankenversicherung dank der diversen Kostendämpfungsgesetze seit über
zwei
Jahrzehnten ständig erleben.
Auf gar keinen Fall! Der Patient oder eine Patientenvertretung ist stets
in
einer schlechteren Verhandlungsposition gegenüber Kassen und den
Leistungserbringern, deshalb muss der Staat auch hier die Hoheit
behalten.
Der Staat, die Politiker legen die Preise fest, die die Erbringer der
medizinischen Leistungen bekommen dürfen. Das Ende der Tarifautonomie? Da
möchte ich nicht im Gesundheitswesen arbeiten. Dann werden wir bald noch
weniger Ärzte und andere Gesundheitsberufe mehr in Deutschland haben.
Wer gestaltet die Preise? Es ist doch bei Deinem Konzept völlig offen,Die Preise für die medizinischen Sach- und Dienstleistungen sind das
wer
eigentlich die Preise macht!
Ergebnis von Verhandlungen zwischen den Erbringern der medizinischen
Leistungen bzw. deren Verbände und den Trägern der Krankenversicherung
und
den Patienten bzw. deren Verbänden.
Lieber Wolfgang, genau so ist es doch bereits heute (zumindest im
Bereich der Apotheken): der Staat legt die Preise fest. Ist die
Kassenlage schlecht, gibt es weniger Geld. Und ich glaube, dass das
auch in anderen Bereichen so ist (Fallpauschale in den Kliniken,
Deckelung des Budgets). Natürlich sollte das die Selbstverwaltung
regeln. Aber weder bei den Ärzten durch die KVen noch bei uns durch
die Verhandlungen mit den Krankenkassen passiert das. Es ist nämlich
ganz einfach: die (gesetzlichen) Kassen haben eine enorme
Verhandlungsmacht und diktieren die Preise. Leistung lohnt sich nicht
mehr, alles muss nur noch billig sein. Und ich sehe nicht, dass sich
das ändert, wenn wir hier die PKV stärken. Dann sind es eben
multinationale Versicherungskonzerne, die noch mehr Macht haben. Heute
sind es immerhin "nur" die unter staatlicher Aufsicht, da Körperschaft
des öffentlichen Rechts, stehenden GKVs.
Das liest sich sehr nach Kapitulation vor den Gegebenheiten. Politik ist die
Kunst des Möglichen. Ich möchte keine monopolartige und zentralistische
Krankenversicherungsbehörde und auch keine Erbringer medizinischer
Leistungen als Angestellte oder Beamte eines staatlichen
Gesundheitsdienstes.
Die Beiträge werden nach den bewährten Kalkulationsvorschriften
versicherungsmathematisch berechnet. Sie berücksichtigen die zu
erwartenden
Versicherungsleistungen und die Lebenserwartung. Die Kalkulation
unterliegt
der Kontrolle einer Aufsichtsbehörde. Auch dazu habe ich hier schon
mehrfach
detaillierte Ausführungen gemacht. Bei Bedarf wiederhole ich dies auch
gern.
Das geht wie ich oben bereits geschildert habe kaum, wenn die Preise
für die Leistungen komplett freigegeben werden. Ich sehe das wie
Harry, dass es für Gesundheit keinen freien Markt geben sollte.
Schließlich möchte ich nicht, dass nur wer sich eine notwendige OP
leisten kann, diese dann auch bekommt. Und wie schon gesagt glaube ich
nicht, dass freie Preise mit Versicherungsmathematik kalkulierbar
sind.
Glauben heißt nicht wissen. Die privaten Krankenversicherer kalkulieren ihre
Beiträge seit mehr als 80 Jahren. Warum soll das nicht funktionieren?
Ich kann nur darum bitten, mein Konzept auch vollständig zu lesen. Niemandem
wird eine medizinisch notwendige Operation verweigert.
Das wird aber mit Blick auf die demographische Entwicklung (immer mehr
Ältere und immer weniger Jüngere) sehr bald geschehen, wenn wir das
Umlageverfahren nicht in naher Zukunft durch neue Elemente - wie z. B. das
Kapitaldeckungsverfahren - ergänzen. Dann werden wir an einer Rationierung -
wie sie in Großbritannien und auch in anderen Ländern inzwischen an der
Tagesordnung ist - nicht vorbei kommen.
Die finanzielle Unterstützung der Menschen durch ein bedingungsloses
Grundeinkommen bzw. den steuerfreien Grundfreibetrag sorgt dafür, daß sich
auch jeder den Versicherungsschutz leisten kann.
Das halte ich für wesentlich besser, als Steuergelder in eine anonyme
Gesundheitsbürokratie zu pumpen: Subjekt- statt Objektförderung, nicht die
Krankenkasse, sondern die Menschen alimentieren.
Der Wettbewerb sowohl auf der Seite der Anbieter des
Krankenversicherungsschutzes als auch auf der Seite der Erbringer
medizinischer Leistungen sorgt für Kundenorientierung, Service und
Wirtschaftlichkeit.
Eben nicht. Heute jedenfalls argumentieren die Ärzte, dass echter
Wettbewerb
unter den Niedergelassenen zulasten der Qualität bei der
Patientenversorgung
ginge.
Warum sollte es bei Deinem Modell anders sein?
Außerdem würde echter Wettbewerb zwangsläufig den Fall der
Zulassungsbeschränkungen bedeuten und das Ende der Freiberuflichkeit es
Arztes.
Deshalb möchte ich einen Leistungs- und keinen Verdrängungswettbewerb. Du
hättest weiter lesen sollen. Ohne Wettbewerb gibt es bestenfalls
Stillstand,
wahrscheinlich eher Rückschritte.
Das derzeit existierende Gesundheitsystem lebt mit dem
Verdrängungswettbewerb. Allerdings gibt es dafür derzeit nur einen
Parameter: den Preis. Nur billig ist gut. Ein Wettbewerb durch
Leistung wird immer wieder gewünscht, scheinbar wollen die
Leistungserbringer das aber nicht, denn Preis ist viel einfacher als
Qualität. Im Moment wird von den Leistungserbringern erwartet, dass
sie Top-Qualität zu sehr kleinem Preis anbieten. Ich weiß nicht, ob
ein komplett privat finanziertes Gesundheitssystem das ändern kann,
wage das aber zu bezweifeln.
So gut die Argumente für die Einführung einer PKV für alle sein mögen,
ich persönlich glaube nicht, dass sowas funktioniert. Denn eines
möchte der private Versicherer doch immer: Geld verdienen. Und da sind
ihm die Versicherten dann herzlich egal. Deshalb bin ich der Meinung,
dass die Gesundheitsversorgung in staatliche Hand gehört. Ob das dann
ganz extrem werden muss (Leistungserbringer als Angestellte der
Kommunen o.ä.) sollte diskutiert werden. Zumindest halte ich es aber
für sinnvoll die Bürgerversicherung zu etablieren. Viele Probleme, die
wir heute haben, könnten dadurch gelöst werden: jeder muss sich
versichern, es gibt keine Ausnahmen für
Beamte/Selbstständige/Whatever. Damit würden auch die Besserverdiener,
die sich heute aus der GKV-Solidargemeinschaft ausgeklinkt haben,
wieder in die Pflicht genommen werden.
Jeder möchte (und muß) Geld verdienen. Du arbeitest doch auch nicht für
Gottes Lohn. Ich denke, daß die Möglichkeit, Geld zu verdienen, noch immer
ein wichtiger Anreiz für Leistung, ein Anreiz dafür ist, sich nicht auf
irgendwelchen Lorbeeren auszuruhen. Idealismus ist schön und gut, aber nur
aus reinem Idealismus können nur wenige arbeiten und arbeiten auch nur
wenige. Das mag uns nicht gefallen, ist aber so.
Auch Krankenkassen müssen Gewinn machen. Dort nennt man es anders. Denn
irgendwie müssen auch dort Gehälter gezahlt und Verwaltungskosten gedeckt
werden.
Wie macht ein privater Krankenversicherer Gewinn? Er macht dadurch Gewinn,
daß er mit der Anlage der Beiträge höhere Zinsen erzielt, als Grundlage der
Kalkulation war - auch von diesen sogenannten Überzinsen steht aber der
überwiegende Teil der Versichertengemeinschaft zu -, und daß er weniger Geld
für die Verwaltung benötigt, als er kalkuliert hat. Das alles wird in einer
Rechtsverordnung geregelt und steht unter der Kontrolle einer
Aufsichtsbehörde.
http://de.wikipedia.org/wiki/Kalkulationsverordnung
http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cberschussbeteiligung#Krankenversicherung
Aus über 25 Jahren Erfahrung kann ich sagen, daß - zumindest solange es noch
das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen gegeben hat (bis zum 30.
April 2002) - die privaten Krankenversicherer strenger überwacht wurden als
die gesetzlichen Krankenkassen durch das Bundesversicherungsamt.
Diesen Zustand will ich mit meinem Konzept auch wieder herstellen. Es gibt
dann eine Bundesaufsichtsbehörde für die Träger der Krankenversicherung -
unabhängig von ihrer Rechtsform - im Zuständigkeitsbereich des
Bundesministeriums für Gesundheit.
Zum Abschluß noch einmal:
Mir geht es darum, die positiven Elemente aus beiden Versicherungssystemen
zu kombinieren. Ich bin davon überzeugt, daß dies möglich ist.
Es geht darum, das Krankenversicherungssystem endlich an die demographische
Entwicklung unserer Gesellschaft anzupassen und für die Zukunft nachhaltig
und damit generationengerecht finanzierbar zu machen und gleichzeitig die
ebenfalls nicht mehr zeitgemäße Trennung von gesetzlicher und damit
quasi-staatlicher Krankenversicherung (GKV) und privater Krankenversicherung
(PKV) aufzuheben.
Kern meines Vorschlags ist die Umstellung des Finanzierungssystems vom
Umlage- auf das Kapitaldeckungsverfahren und gleichzeitig die Verlagerung
des Sozialausgleichs in das Steuersystem und damit auf eine wesentlich
breitere Basis (alle Bürger und Unternehmen), ohne den Menschen eine
Einheitsversicherung oder überhaupt einen bestimmten Versicherungsschutz
aufzuzwingen.
Ich bin gespannt wie wir uns einigen und freue mich auf weitere
Diskussionen.
Beste Grüße
Thomas
Freundlich-piratig-liberale Grüße
Wolfgang
--
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- Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag), Morgan le Fay, 24.10.2012
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- Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag), Wolfgang Gerstenhöfer, 25.10.2012
- Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag), Morgan le Fay, 25.10.2012
- Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag), Bernd Kasperidus, 24.10.2012
- Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag), Morgan le Fay, 24.10.2012
- Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag), Wolfgang Gerstenhöfer, 23.10.2012
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