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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag)

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag)


Chronologisch Thread 
  • From: Thomas Luft <post AT luto.de>
  • To: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag)
  • Date: Tue, 23 Oct 2012 13:31:09 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Hallo zusammen,

nachdem ich eine Weile mitgelesen habe, möchte ich mich als
"Leistungserbringer" (Apotheker) in die Diskussion einbringen. Ich
hoffe, ich habe Harrys Zitate (>>) korrekt gesetzt:

Am 23. Oktober 2012 12:28 schrieb Wolfgang Gerstenhöfer
<wolfgang.gerstenhoefer AT gmx.de>:

> Wenn man dies konsequent zu Ende denkt, dann stellt sich doch die Frage,
> wann man alle Preise oder zumindest die Preise für Waren und
> Dienstleistungen, die die Grundbedürfnisse decken sollen, einkommensabhängig
> gestaltet?
>
>> ???? Eine Entfernung des gereizten Blinddarms ist doch kein Putenschnitzel
>> !!! Gesundheit ist keine Ware! Es ist ein Anspruch, der sogar in den
>> Menschenrechten verankert ist !!
>> Sorry, aber bei sowas geht mir der Hut 3m weit hoch!
>
> Gesundheit ist keine Ware! Das sehe ich auch so. Um Gesundheit zu erhalten
> oder wiederherzustellen, werden aber von Menschen, die davon leben wollen,
> Sach- und Dienstleistungen erbracht und die müssen irgendwie und von
> irgendwen bezahlt werden.
>
> Aus den Menschenrechten ergibt sich auch, daß niemand verhungern und
> verdursten darf und jeder menschenwürdig leben soll. Da sind wir dann wieder
> bei den Grundbedürfnissen.

Die Bezahlung ist doch gar nicht das Problem. Das Problem ist die
Festlegung eines "gerechten" Preises. Und hier ist eben das Problem,
z.B. beim Arzneimittelpreis, bei dem sich ja auch einige Piraten und
SPDler eine freie Kalkulation wünschen: ist es sozial gerecht, dass
ein derzeit knappes Gut wie Grippeimpfstoff dann eben den "Marktpreis"
-also z.B. das doppelte als normal- kostet? Was passiert hier mit den
Kosten für die GKV? Wie erstattet die PKV diesen Preis? Kann man das
als Versicherung (egal ob PKV oder GKV) überhaupt kalkulieren?

Eben hier ist doch der Knackpunkt: jeder Bürger soll sich eine
vernünftige Krankenversicherung leisten können. Wenn aber der freie
Markt durch freie Preise eine Achterbahnfahrt der Kosten mit sich
bringt, kann das kein gutes Modell für die "Ware" Gesundheit sein.

> Deshalb plädiere ich dafür, daß jeder Mensch die Möglichkeit bekommt, sich
> privat mindestens auf dem heutigen Leistungsniveau der gesetzlichen
> Krankenversicherung bei einem Anbieter seiner Wahl zu versichern - und zwar
> zu Marktpreisen, also zu Beiträgen, die alle Faktoren berücksichtigen, die
> sich auf das Risiko Krankheit auswirken.
>
>> Marktpreise??? Was für ein Markt?
>
> Es würden die Kalkulationsvorschriften gelten, wie sie heute bei der
> privaten Krankenversicherung angewendet werden. Dazu habe ich hier schon
> mehrfach Ausführungen gemacht. Bei Bedarf kann ich das gern wiederholen.
>
>
> Dieser Versicherungsschutz kann dann auch nicht mehr einseitig durch die
> Politik eingeschränkt werden, wie wir das in der gesetzlichen
> Krankenversicherung dank der diversen Kostendämpfungsgesetze seit über zwei
> Jahrzehnten ständig erleben.
>
>> Auf gar keinen Fall! Der Patient oder eine Patientenvertretung ist stets in
>> einer schlechteren Verhandlungsposition gegenüber Kassen und den
>> Leistungserbringern, deshalb muss der Staat auch hier die Hoheit behalten.
>
> Der Staat, die Politiker legen die Preise fest, die die Erbringer der
> medizinischen Leistungen bekommen dürfen. Das Ende der Tarifautonomie? Da
> möchte ich nicht im Gesundheitswesen arbeiten. Dann werden wir bald noch
> weniger Ärzte und andere Gesundheitsberufe mehr in Deutschland haben.
[...]
>> Wer gestaltet die Preise? Es ist doch bei Deinem Konzept völlig offen, wer
>> eigentlich die Preise macht!
> Die Preise für die medizinischen Sach- und Dienstleistungen sind das
> Ergebnis von Verhandlungen zwischen den Erbringern der medizinischen
> Leistungen bzw. deren Verbände und den Trägern der Krankenversicherung und
> den Patienten bzw. deren Verbänden.

Lieber Wolfgang, genau so ist es doch bereits heute (zumindest im
Bereich der Apotheken): der Staat legt die Preise fest. Ist die
Kassenlage schlecht, gibt es weniger Geld. Und ich glaube, dass das
auch in anderen Bereichen so ist (Fallpauschale in den Kliniken,
Deckelung des Budgets). Natürlich sollte das die Selbstverwaltung
regeln. Aber weder bei den Ärzten durch die KVen noch bei uns durch
die Verhandlungen mit den Krankenkassen passiert das. Es ist nämlich
ganz einfach: die (gesetzlichen) Kassen haben eine enorme
Verhandlungsmacht und diktieren die Preise. Leistung lohnt sich nicht
mehr, alles muss nur noch billig sein. Und ich sehe nicht, dass sich
das ändert, wenn wir hier die PKV stärken. Dann sind es eben
multinationale Versicherungskonzerne, die noch mehr Macht haben. Heute
sind es immerhin "nur" die unter staatlicher Aufsicht, da Körperschaft
des öffentlichen Rechts, stehenden GKVs.

> Die Beiträge werden nach den bewährten Kalkulationsvorschriften
> versicherungsmathematisch berechnet. Sie berücksichtigen die zu erwartenden
> Versicherungsleistungen und die Lebenserwartung. Die Kalkulation unterliegt
> der Kontrolle einer Aufsichtsbehörde. Auch dazu habe ich hier schon mehrfach
> detaillierte Ausführungen gemacht. Bei Bedarf wiederhole ich dies auch gern.

Das geht wie ich oben bereits geschildert habe kaum, wenn die Preise
für die Leistungen komplett freigegeben werden. Ich sehe das wie
Harry, dass es für Gesundheit keinen freien Markt geben sollte.
Schließlich möchte ich nicht, dass nur wer sich eine notwendige OP
leisten kann, diese dann auch bekommt. Und wie schon gesagt glaube ich
nicht, dass freie Preise mit Versicherungsmathematik kalkulierbar
sind.

> Der Wettbewerb sowohl auf der Seite der Anbieter des
> Krankenversicherungsschutzes als auch auf der Seite der Erbringer
> medizinischer Leistungen sorgt für Kundenorientierung, Service und
> Wirtschaftlichkeit.
>
>> Eben nicht. Heute jedenfalls argumentieren die Ärzte, dass echter
>> Wettbewerb
>> unter den Niedergelassenen zulasten der Qualität bei der
>> Patientenversorgung
>> ginge.
>> Warum sollte es bei Deinem Modell anders sein?
>> Außerdem würde echter Wettbewerb zwangsläufig den Fall der
>> Zulassungsbeschränkungen bedeuten und das Ende der Freiberuflichkeit es
>> Arztes.
>
> Deshalb möchte ich einen Leistungs- und keinen Verdrängungswettbewerb. Du
> hättest weiter lesen sollen. Ohne Wettbewerb gibt es bestenfalls Stillstand,
> wahrscheinlich eher Rückschritte.

Das derzeit existierende Gesundheitsystem lebt mit dem
Verdrängungswettbewerb. Allerdings gibt es dafür derzeit nur einen
Parameter: den Preis. Nur billig ist gut. Ein Wettbewerb durch
Leistung wird immer wieder gewünscht, scheinbar wollen die
Leistungserbringer das aber nicht, denn Preis ist viel einfacher als
Qualität. Im Moment wird von den Leistungserbringern erwartet, dass
sie Top-Qualität zu sehr kleinem Preis anbieten. Ich weiß nicht, ob
ein komplett privat finanziertes Gesundheitssystem das ändern kann,
wage das aber zu bezweifeln.

So gut die Argumente für die Einführung einer PKV für alle sein mögen,
ich persönlich glaube nicht, dass sowas funktioniert. Denn eines
möchte der private Versicherer doch immer: Geld verdienen. Und da sind
ihm die Versicherten dann herzlich egal. Deshalb bin ich der Meinung,
dass die Gesundheitsversorgung in staatliche Hand gehört. Ob das dann
ganz extrem werden muss (Leistungserbringer als Angestellte der
Kommunen o.ä.) sollte diskutiert werden. Zumindest halte ich es aber
für sinnvoll die Bürgerversicherung zu etablieren. Viele Probleme, die
wir heute haben, könnten dadurch gelöst werden: jeder muss sich
versichern, es gibt keine Ausnahmen für
Beamte/Selbstständige/Whatever. Damit würden auch die Besserverdiener,
die sich heute aus der GKV-Solidargemeinschaft ausgeklinkt haben,
wieder in die Pflicht genommen werden.

Ich bin gespannt wie wir uns einigen und freue mich auf weitere Diskussionen.

Beste Grüße

Thomas




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