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ag-gesundheitswesen - [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag)

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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[AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag)


Chronologisch Thread 
  • From: Wolfgang Gerstenhöfer <wolfgang.gerstenhoefer AT gmx.de>
  • To: "AG Gesundheit" <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag)
  • Date: Mon, 22 Oct 2012 19:52:02 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Für Euch z. K.
Wolfgang

----- Original Message ----- From: "Wolfgang Gerstenhöfer" <wolfgang.gerstenhoefer AT gmx.de>
To: "Hauptmailingliste der Piraten (Achtung: viele Mails pro Tag)" <aktive AT lists.piratenpartei.de>
Sent: Monday, October 22, 2012 9:45 AM
Subject: Re: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag)


Hallo Andreas,

vielen Dank für Deine Mühe.

Deine Idee läuft darauf hinaus, die Versicherungspflicht- und die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung aufzuheben, die Zahl an Krankenkassen zu begrenzen und die private Krankenversicherung abzuschaffen.

Zunächst: Es hat zuerst Privatpatienten/Selbstzahler und dann die private Krankenversicherung gegeben - vor allem in Folge der Hyperinflation Anfang der 1920er Jahre.

Es wird immer Privatpatienten geben. Heute sind es aufgrund der Einschränkung durch die Versicherungspflichtgrenze nur etwa 10 Prozent. (Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß diese 10 Prozent aufgrund der höheren Preise, die sie für ärztliche und andere Leistungen zahlen müssen, deutlich mehr als 10 Prozent unseres Gesundheitswesens finanzieren.)

Nicht vergessen: Es hat bis zu Beginn der 1940er Jahre auch eine Versicherungsberechtigungsgrenze gegeben. Sie wurde von den Nationalsozialisten mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg abgeschafft. Sie sollte sicherstellen, daß Menschen mit höheren Einkommen selbst für ihren Krankenversicherungsschutz sorgen.

Zwingt man alle Menschen in eine staatliche Krankenversicherung und schafft man private Krankenversicherungen ab, werden sich dann wirklich nur noch die Superreichen, die sich dies zusätzlich zu den Zwangsbeiträgen leisten können, privat behandeln lassen (können).

Dann haben wir wirklich eine Zwei-Klassen-Medizin - 1 % erster und 99 % zweiter Klasse.

Erfreulicherweise haben wir unser Grundgesetz, auf das die Piraten sehr stolz sind und das diese Entwicklung wohl verhindern wird.

Denn eine Abschaffung der privaten Krankenversicherung auf einen Schlag oder dadurch, daß man verhindert, daß sich Menschen künftig noch für eine private Krankenversicherung entscheiden dürfen, würde gegen diverse Grundrechte sowohl der Privatversicherten als auch der privaten Krankenversicherer verstoßen
(Grundrechte auf Eigentum, auf Berufsfreiheit, auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf Vereinigungsfreiheit).

Verfassungswidrig wäre es auch, die Beitragsbemessungsgrenze aufzuheben und damit den Beitragssatz auf das gesamte Einkommen - vielleicht sogar noch aus allen Einkunftsarten - anzuwenden. Bereits heute stößt sie - und hier ist nicht die regelmäßige Anpassung an die Einkommensentwicklung gemeint - an eine kritische Grenze. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, daß Beiträge und Leistungen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.

Begonnen hat die gesetzliche Krankenversicherung in den 1880er Jahren als reine Krankengeld-, als reine Verdienstausfallversicherung, da war ein einkommensabhängiger Beitrag durchaus logisch und konsequent. Das ist aber schon sehr lange her. Auch bei der Rentenversicherung kann ein einkommensabhängiger Beitrag rechtfertigt werden, da sich die Leistungen, die Rente am Einkommen orientiert.

Da die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung schon lange überwiegend nicht mehr einkommensabhängig sind (nur noch das Krankengeld), ist es ohnehin schon bedenklich, dass die Beiträge nach wie vor einkommensabhängig erhoben werden.

Wenn man dies konsequent zu Ende denkt, dann stellt sich doch die Frage, wann man alle Preise oder zumindest die Preise für Waren und Dienstleistungen, die die Grundbedürfnisse decken sollen, einkommensabhängig gestaltet?

Dann würde sich aber auch die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen erübrigen.

Ist das piratige Politik? Das ist für mich Sozialismus oder sogar Kommunismus.

Der nächste Schritt bzw. die andere Alternative wäre, daß alle Menschen unabhängig von ihrer Arbeit das gleiche Einkommen bekommen. Das kann man grundsätzlich machen.

Auch das halte ich nicht für piratige Politik.

Eine Finanzierung der Krankenversicherung ausschließlich aus Steuern ist vielleicht möglich. Da es aber - meines Wissens - zweckgebundene Steuern nicht gibt, entscheidet der Gesetzgeber je nach Haushaltslage jedes Jahr neu über das Budget, das für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zur Verfügung steht. Ist das wirklich sinnvoll? Ich meine nicht.

Deshalb plädiere ich dafür, daß jeder Mensch die Möglichkeit bekommt, sich privat mindestens auf dem heutigen Leistungsniveau der gesetzlichen Krankenversicherung bei einem Anbieter seiner Wahl zu versichern - und zwar zu Marktpreisen, also zu Beiträgen, die alle Faktoren berücksichtigen, die sich auf das Risiko Krankheit auswirken.

Dieser Versicherungsschutz kann dann auch nicht mehr einseitig durch die Politik eingeschränkt werden, wie wir das in der gesetzlichen Krankenversicherung dank der diversen Kostendämpfungsgesetze seit über zwei Jahrzehnten ständig erleben.

Dafür daß sich jeder diesen Versicherungsschutz auch leisten kann, sorgt das bedingungslose Grundeinkommen bzw. ein entsprechend hoher Grundfreibetrag.

Dadurch werden das Umlageverfahren der gesetzlichen Krankenversicherung in Form des aus Steuern finanzierten Grundeinkommens bzw. Grundfreibetrags und das Kapitaldeckungsverfahren der privaten Krankenversicherung in Form der versicherungsmathematisch kalkulierten Beiträge miteinander kombiniert.

Das macht die Finanzierung sowohl von der demographischen Entwicklung (immer mehr Ältere, immer weniger Jüngere) als auch von wirtschaftlichen Entwicklungen (Finanzkrise) unabhängiger und damit zukunftssicherer und bezieht tatsächlich alle Steuerzahler, also auch Unternehmen, mit ein.

Gleichzeitig sind weder die Erbringer medizinischer Leistungen (Ärzte und andere) mit ihrem Einkommen noch die Patienten/Versicherten mit ihren Beiträgen und Leistungen nur von einer zentralen "Krankenversicherungsbehörde" abhängig, die wiederum von den Entscheidungen der Politik abhängen würde.

Der Wettbewerb sowohl auf der Seite der Anbieter des Krankenversicherungsschutzes als auch auf der Seite der Erbringer medizinischer Leistungen sorgt für Kundenorientierung, Service und Wirtschaftlichkeit.

Um einen Wettbewerb zu Lasten der Qualität zu verhindern, gehören entsprechende Schutzmaßnahmen zu meinem Konzept - z. B. eine (wieder) deutlich gestärkte Aufsichtsbehörde und ein Gemeinsamer Bundesausschuß, in dem einerseits alle Berufsgruppen des Gesundheitswesens gleichberechtigt und andererseits die Patienten und die Kostenträger vertreten sind und der beschließt, unter welchen Bedingungen welche Untersuchungen und Behandlungen medizinisch notwendig sind - unterstützt durch ein unabhängiges Institut und mit dem Ziel, die Leitlinienmedizin/evidenzbasierte Medizin auszubauen.

Einkommensunabhängige und risikogerechte Beiträge sensibilisieren in Verbindung mit den Rechnungen, die sie über Untersuchungen und Behandlungen bekommen, auch die Patienten/Versicherten.

Beiträge, die sich am Einkommen orientieren und völlig unabhängig von den versicherten bzw. in Anspruch genommenen Leistungen sind, begünstigen eine Mitnahmementalität - vor allem bei denen, die ein hohes Einkommen erzielen und damit auch hohe Beiträge für gleiche Leistungen zahlen müssen.

Mein Konzept stellt den Versuch dar, die positiven Elemente, die Stärken der beiden Versicherungssysteme - GKV und PKV - miteinander zu verbinden und gleichzeitig eine auch verfassungsrechtlich durchsetzbare Lösung zu finden.

Ich gebe nach wie vor die Hoffnung nicht auf, daß auch die anderen Mitglieder AG Gesundheit und der Piratenpartei insgesamt dies nachvollziehen und damit unterstützen können.

Für Fragen und nähere Einzelheiten stehe ich natürlich sehr gern zur Verfügung.

Freundlich-piratig-liberale Grüße
Wolfgang

Bei Interesse mehr zu meinem Konzept und über mich:
http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Wolfgang_Gerstenh%C3%B6fer


----- Original Message ----- From: "Andreas1964" <Andreas1964 AT news.piratenpartei.de>
To: <aktive AT lists.piratenpartei.de>
Sent: Monday, October 22, 2012 12:38 AM
Subject: Re: [Aktive]Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag)



Hallo Wolfgang,

hier nun meine Position zur KV. Dieser Beitrag gehört eigentlich in die AG Gesundheit. Ich habe schlichtweg nicht die Zeit dort mitzuwirken. Habe aber auch den Eindruck, das dort sehr, sehr spannende Anträge herauspurzeln.

Für mich wäre das Ziel der Gesundheitspolitik, dass alle Menschen eine solide medizinische Versorgung erhalten, unabhängig davon wie reich oder arm sie sind und unabhängig davon wie krank sie sind.

Im ersten Schuss würde ich das, was z.B. die Techniker Krankenkasse erstattet, als eine solche solide medizinische Versorgung bezeichnen. Da mag man an einzelnen Stellen (Brillen, Zahnersatz) etwas meckern - im internationalen Vergleich ist es schon ok.

In diesem System muss also ein solidarischer Ausgleich organisiert sein:
- von reich nach arm
- von gesund nach krank

Jetzt könnte ich auf dei Idee kommen, mit dem Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken beim einzelnen Versicherten anzusetzen. Ich denke, das ist die Idee mit dem Kapitalstock. Nun gehe ich davon aus, dass die Kassen keine Brutkästen je Versicherten im Keller haben, in denen sich meine Beiträge aus den Jahren, in denen ich gesund bin, magischerweise vermehren, um genau dann ausreichend zur Verfügung zu stehen, wenn ich alt und krank bin. Die Mittel werden vermutlich über entsprechende Fonds in der Finanzwirtschaft (aka Kasino) gelenkt, so dass es mit den garantierten Mitteln in der Zukunft nicht so weit her ist (garantiert und weg sind die Gebühren!). Ich bin also immer abhängig davon, wie solide Andere jetzt und in Zukunft wirtschaften. Was spricht dann gegen die Umlage von Beiträgen bzw. die Steuer?

Die Zahlungen in das System (ob über Beiträge oder Steuern) sollten korrelieren mit dem Einkommen / Vermögen des Einzelnen (Reiche zahlen mehr als Arme) und, zumindest für die oben angesprochene solide medizinische Versorgung, unabhängig vom gesundheitlichen Zustand oder Risiko des Einzelnen sein.

An dieser Stelle folgt für mich, dass alle Menschen und möglicherweise auch juristische Personen in Deutschland Beiträge in ein gemeinsames, integriertes Gesundheitssystem zahlen sollten. Die Trennung nach Einkommensklassen (GKV versus PKV) und, bei den heutigen PKVs Risikoklassen, lehne ich ab, weil sich damit die reichen Gesunden aus ihrer Verantwortung stehlen.

Ich stimme Dir zu, dass eine monopolistische Superkasse vermutlich nicht das optimale Konstrukt wäre, um die Beiträge der Versicherten effizient einzusetzen. Das andere Extrem hunderter kleiner Kassen wird es auch nicht sein (Risikostreuung, Verwaltungs-Overhead). Was wäre so schlimm, wenn es in D ein Dutzend genossenschaftlich organisierter Kassen gäbe, zwischen denen ich frei wählen kann? Oder zusätzlich eine Reihe privater Kassen, die sich den gleichen Regeln unterwerfen und ihre Vorteile nicht einfach daraus ziehen, Alte und Kranke weg zu mobben.

Fordern würde ich, dass jede dieser Kassen im System jeden Bürger ohne jegliche Voruntersuchung aufnehmen muss - zumindest für die oben angesprochene solide medizinische Versorgung. Darüber hinaus können die Kassen sicher Zusatzversicherungen für "esoterische" oder Luxusleistungen angebieten. Um attraktiv zu werden, sollten sie ihren Mitgliedern auch Leistungen über die solide medizinische Versorgung hinaus anbieten dürfen.

Möglich werden sollte m.E. auch, dass die Kassen selbst Fachärztehäuser betreiben, in denen die von ihnen angestellten ÄrztInnen einem anspruchsvollen Qualitätsmanagement unterworfen sind - mit Weiterbildung der Ärzte und allem, was dazu gehört. Die Kassen sollten bei ihren Mitgliedern dafür werben dürfen - auch mit Rabatten - solange sie die freie Arztwahl des Einzelnen im Standardtarif nicht einschränken.

Das nur so als Gedankenfragmente. Die AG Gesundheit ist da kompetenter.

Beste Grüße
Andreas

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