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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag)

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag)


Chronologisch Thread 
  • From: Wolfgang Gerstenhöfer <wolfgang.gerstenhoefer AT gmx.de>
  • To: "AG Gesundheit" <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag)
  • Date: Thu, 25 Oct 2012 08:40:07 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Hallo Harry,

es beruhigt mich sehr, daß Du nur fast den Eindruck hast, daß ich den solidarischen Gedanken hinter einer Solidarversicherung nicht verstanden habe. Schöne Formulierung!

Ich habe ihn nicht nur verstanden, sondern habe auch das Ziel, daß die Solidarität auch noch in 50 bis 100 Jahren funktioniert.

Was die Nachhaltigkeit und die Zukunftsfähigkeit "Deines" Konzeptes anbelangt, habe ich da leider erhebliche Zweifel.

Denn Du machst nichts anderes, als das schon lange nicht mehr zeitgemäße, weil dem altersmäßigen Bevölkerungsaufbau nicht mehr entsprechende Umlageverfahren auf noch mehr Menschen auszudehnen - auf mehr Beitragszahler, aber auch mehr Leistungsempfänger.

Das wird nicht funktionieren.

Mir ist auch nicht klar und Du bist mir da auch noch eine Antwort schuldig, wo das von Dir vermutete Solidarprinzip verfassungsrechtlich verankert sein soll.

Es ist ja nicht so, daß es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht schon mehrfach den Versuch gegeben hat, die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung anzuheben - z. B. auf das Niveau der Jahresarbeitsentgeltgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung - oder auch ganz aufzuheben.

Das Steuersystem dient dazu, jeden Bürger nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an den Ausgaben des Staates zu beteiligen.

Das ist unstrittig. Dein "Autobahn-Beispiel" geht also völlig ins Leere. Deshalb sind Steuern auch nie zweckgebunden. Sie stehen dem Staat, den Politikern zur (freien) Verfügung und die entscheiden, was damit gemacht wird (Budgetrecht des Parlaments).

Bei den Sozialversicherungen sieht das anders aus, ob Du es nun glaubst oder auch nicht. Das wird an den Tatsachen nichts ändern.

Ich würde uns als Piraten diese blutige Nase gern ersparen.

Du hast leider auch nicht verstanden, daß es mir nicht darum geht, daß sich Reiche mehr Gesundheit kaufen können, mehr Komfort, vielleicht auch etwas mehr Zeit/Zuwendung.

Mir geht es darum, daß jeder Mensch die Freiheit haben soll, selbst zu entscheiden, welchen Anteil an seinem Einkommen er für seine Gesundheit investieren möchte, er soll wählen dürfen, wo er sich wie versichert, er soll nicht von einem Anbieter abhängig sein, der wegen fehlender Alternativen mit ihm quasi machen kann, was er will.

Die Basisversorgung für jeden ist sichergestellt. Die wird sich jeder leisten können - dank des bedingungslosen Grundeinkommens bzw. eines steuerfreien Grundfreibetrags. Und sie wäre vor allem auch endlich mal vertragsrechtlich garantiert und nicht von Entscheidungen der Politiker abhängig.

Ist das nicht Solidarität genug? Solidarität zwischen Gesunden und Kranken in der Krankenversicherung selbst und zwischen Reichen und Armen über das Steuersystem. Das ist vor allem auch verfassungsrechtlich möglich.

Wo bleiben denn Service, Kundenorientierung und eine wirtschaftliche Verwaltung ohne Wettbewerb, ohne jede Alternative?

Politik ist die Kunst des Machbaren. Visionen und Utopien sind wichtig und richtig, aber in der praktischen Politik geht es auch um Um- und Durchsetzbarkeit.

Sollen die Honorare, Gehälter und Preise, das Wohl und Wehe der "Gesundheitsworker" tatsächlich von dem Willen der Politiker abhängen (Stichwort: Gefälligkeitsdemokratie)?

Ist Dein Vertrauen zu den Menschen, die sich politisch engagieren (= Politiker) wirklich so groß? Was hat das mit Basisdemokratie zu tun?

Sollen nicht die entscheiden, die betroffen sind?

Ich möchte eine optimale medizinische Versorgung auf dem neuesten Stand der Wissenschaft und größtmögliche Wahl- und Entscheidungsfreiheit für alle, und ich bin davon überzeugt, daß dies möglich ist!

Leider nicht mit einer Bürgerversicherung! So schön diese Bezeichnung auch klingen mag.

Um auch Dein anderes Beispiel nicht unerwähnt zu lassen:

Deiner Patientin/Kundin, die eine Brille mit -24 Dioptrien braucht, wird auch mit einer Verstaatlichung des Gesundheitswesens nicht geholfen sein - ganz im Gegenteil.

Mit einem vertraglichen Anspruch auf eine medizinisch notwendige Heilbehandlung, zu der selbsverständlich auch die entsprechenden Hilfsmittel gehören und einem Finanzierungssystem schon, das alle Möglichkeiten nutzt, ohne vor allem die Menschen noch mehr zu belasten, die morgens aufstehen, um zu arbeiten, und ohne die es keine Solidarität gibt.

Es geht mir nicht um die "Besser- und Großverdiener", die dank unseres "tollen" Steuersystems ohnehin kaum Steuern bezahlen müssen, sondern um die Menschen, die man gern als Mittelstand oder -schicht bezeichnet und die heute schon dank der diversen Steuern und Abgaben mehr für den Staat bzw. die Allgemeinheit als für sich selbst und ihre Familien arbeiten.

Wie lange wird das noch funktionieren? Wofür sollen sie noch bezahlen? Wie lange werden diese Menschen dazu noch bereit (und in der Lage) sein? Das hat übrigens auch etwas mit Gesundheit zu tun (Stichwort: Burn-out).

Der Staat ist eben leider keine Kuh, die im Himmel oder wo auch immer gefüttert wird, und auf der Erde gemolken werden kann. Schade.

Freundlich-piratig-liberale und antikommunistische Grüße
Wolfgang

http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Wolfgang_Gerstenh%C3%B6fer


----- Original Message ----- From: Morgan le Fay
To: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
Sent: Wednesday, October 24, 2012 4:13 PM
Subject: Re: [AG-Gesundheit] Fw: [Aktive] Richtungsstreit bei den Piraten? (der Freitag)


Hallöchen Jens!



Am 24.10.2012 09:15, schrieb Jens:


"Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen"

Das ist schon heute nur ein Zahnloser Papiertiger. Die gesetzl. Versorgung hat sich in vielen Bereichen, mit absoluter Unterstützung der Politik, schon längts verabschiedet von dem vermeintlich optimalen. Es geth eher in Richtung “wirtschaftlich, zweckmäßig, ausreichend” und das ist Schulnote 4 Da weder Protest in der Bevölkerung noch wo anders kommt, ist das längst Status Quo (seit Jahren)... weil es wird zu teuer....

Ich weiß das natürlich. Die WANZ-Regel hat obige Vorgabe ausgehöhlt. Dabei kritisiere ich diese WANZ-Regel nicht einmal, aber ich kritisiere die Kriterien und diejenigen, die festlegen, was WANZ ist. Der Patient wird nicht gefragt. Und der Arzt hat trotz Therapie"freiheit" kaum mehr einen Handlungsspielraum, wenn sein Patient keine IGeL möchte oder selbst zahlt.
Ich sagte es schon bei der letzten Mumble-Konferenz: Im Prinzip haben wir weniger einen Handlungsbedarf, das Gesetz zu ÄNDERN, wir haben viel mehr einen dringenden Handlungsbedarf bei der INTERPRETATION des SGB V. Allerdings muss das effektive(!) Mitbestimmungsrecht des Versicherten in allen Instanzen im Gesetz verankert werden.


???? Eine Entfernung des gereizten Blinddarms ist doch kein Putenschnitzel !!! Gesundheit ist keine Ware! Es ist ein Anspruch, der sogar in den Menschenrechten verankert ist !!

Wer in dem Konzept mit Worten wie Effizienz und Erfolgsquoten der Behandlung (Behandlugnseffizientz), also mit sehr wirtschaftlichen Worten arbeitet, darf sich doch nicht wundern,
wenn andere wirtschaftliche Termini ebenfalls Eingang finden oder? Wir sind uns einig, dass es keine Ware ist, aber da es einen Wert hat, muss dieser Wert auch irgendwo bezahlt werden.
Aber... wieviel ist es denn wert?
Wolfgang hatte etwas provozierend angemerkt, dass ja auch Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfes nicht nach dem Einkommen der Käufer preisgestaltet werden....Dieser Vergleich verbietet sich von selbst, auch wenn ärztliche Leistung freilich einen Wert hat. Ich glaube, das muss ich auch nicht nochmals erklären.
Ich habe fast den Eindruck, dass er den SOLIDARISCHEN Gedanken hinter einer SOLIDARversicherung nicht verstanden hat. Übrigens sind ja auch die PKVen Solidarversicherungen: "Einer für alle, alle für einen".
Es gibt sehr viel Leute, die ihre Steuern entrichten, aber niemals eine BAB benützen. Mit dem Argument von Wolfgang könnte nun jeder daherkommen und für sich reklamieren, ein bereitgestelltes (und bereitzustellendes!! Leistungsangebot) nicht abzurufen und deshalb nicht dafür zahlen zu wollen.
"Ich fahr nie auf der Autobahn, wieso soll ich dafür zahlen?" Auch wenn der Reiche mehr Steuern bezahlt als der Ärmere, hat er trotzdem auf der Autobahn keine Sonderrechte. Noch nicht mal dort!
Bei Gesundheit geht es aber sogar um Menschenrechte und nicht nur um Fahrkomfort.

Ja, wieviel ist Gesundheit wert? Das ist eine Frage der Ethik einer ganzen Nation, eines Kulturkreises. Wenn wir mal soweit WANZ sind, dass wir den Leuten zumuten müssen, krank und hilflos, wie jene als blind geltende Frau, die Dr. Roth und ich betreuen, zu fristen, dann brauchen wir uns auch nicht mehr den Kopf über Palliation, Organspenden und lebensverlängernde Maßnahmen zerbrechen. Ich hab Dir die Geschichte wahrscheinlich erzählt.. und dass die Frau inzwischen sogar lieber sterben möchte, als auf diese Weise weiterzuleben.
Und dabei fehlt ihr nur eine Brille mit -24 Dioptrien. Dafür ist anscheinend kein Geld vorhanden, aber wir sollen gutheißen, dass es Leute gibt, die privat in eine Zusatzkasse einzahlen dürfen, damit der Herr Prof. Dr. Dr. Großkopfert geneigt ist, seinem Patienten das Gute-Nacht-Bussi persönlich auf die Backe zu drücken.

Nee, nicht mit mir. Solange es solche Baustellen im Gesundheitswesen gibt, bin ich meinetwegen auch Kommunist. Dann bin ich es gerne.

Gruß
Harry




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