Zum Inhalt springen.
Sympa Menü

ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] +++Urgent+++ Massenrollout eGK (elektronische Gesundheitskarte) / Staats-Gesundheitstrojaner

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

Listenarchiv

Re: [AG-Gesundheit] +++Urgent+++ Massenrollout eGK (elektronische Gesundheitskarte) / Staats-Gesundheitstrojaner


Chronologisch Thread 
  • From: haarbrandt <haarbrandt AT googlemail.com>
  • To: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] +++Urgent+++ Massenrollout eGK (elektronische Gesundheitskarte) / Staats-Gesundheitstrojaner
  • Date: Wed, 26 Oct 2011 10:25:42 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Hallo Michaela,

ich nehme an, dass du dich mit Deiner Beschwerde auf diesen Post beziehst. Dazu kann ich gerne noch was berichten und auch, warum das ganze für den Patienten nicht verkehrt ist. 

Ich versuche mal wieder im Text zu antworten. 


Am 21. Oktober 2011 11:36 schrieb mb <michaela_bach AT web.de>:

 

 

Wie sollen denn die Daten in das AIS oder KIS vor Ort? Das wirst du mit einem Ordner mit Klarsichtfolien nicht hinbekommen, insbesondere bei CT und MRT-Aufnahmen. Auch müssten beispielsweise genommene Medikamente per Hand ins System eingetragen werden. Eine Fehlerquelle mehr!

 

CT- und MRT-Aufnahmen erhält der Patient heute normalerweise auf einer DVD in die Hand gedrückt , die hat dann locker mehrere Gigabyte an Datenmengen. Es ist heute schon sehr witzig, diesen Datenberg über das DVD-Laufwerk in den PC einzulesen (dauert ewig, zumal es unzählige spezifische Abspielprogamme gibt, die auf der DVD enthalten sind und erstmal installiert werden müssen, um die Bilder überhaupt anzuschauen). Wie willst Du diese Gigabyte-Datenmenge in vernünftiger Zeit online transportieren?

 

Medikamente? Wer sagt denn, dass die Medikamente, die auf dem Server stehen auch tatsächlich eingenommen werden und in welcher Dosierung?

 


Dazu muss man den Patienten natürlich befragen. Eine ordentliche Anamnese kann es nicht ersetzen. Selbst der Patient kann mir was völlig anderes erzählen. Die Compliance ist sowieso ein schwieriges Feld. Ohne Mitarbeit des Patienten geht es nicht. Zu dem Thema Größe der Dateien: wenn wir davon ausgehen, dass die Patientenakten-Funktion der eGK ab 2020 scharf geht (selbst das halte ich persönlich für sehr ehrgeizig), dann sollte auch nach und nach für mehr Bandbreite gesorgt sein. Es ist ja zudem nicht verboten noch DVDs herauszugeben, wenn das ganze auf dem Dorf nicht so gut klappt.  

 

 

Bezüglich des Wiederfindens von Daten: da gibt es verschiedene Techniken. Zum einen haben Daten heutzutage stets einen großen Satz Metadaten bei sich. Das heißt, dass man Zugehörigkeiten abbilden kann. Zudem kann man Web-Retrievaltechniken (also Techniken, wie Google sie benutzt) auf Datensätze anwenden. Klappt erstaunlich gut, seit ich das bei Googlemail habe, sortiere ich meine E-Mails nicht mehr. Ich glaube es gab auch mal eine Studie bei IBM, die das als effektiver klassifiziert haben als das manuelle sortieren.

 

Es ist wahrscheinlich noch relativ einfach, gezielt nach Daten zu suchen, deren Exisistenz man kennt – aber auch hier kann man den Patienten fragen und um den „Klarsichtordner“ bitten. Problematisch sind jedoch gerade diejenigen Daten, über die der Patient nicht berichtet und die möglicherweise dennoch relevant sind. (z.B. wie findest du eine vor Jahren erlittene  Medikamentenunverträglichkeit, über die der Patient nicht berichtet und die du auch nicht konkret vermutest, das Medikament existiert nicht mehr und der Fall ist nicht mit spezifischen Schlagwörtern gespeichert  (typischer Eintrag: Patient hat xy nicht vertragen, Ausschlag, Übelkeit)).


Aus diesem Grund ist es notwendig, dass solche Dokumente mit entsprechenden Metadaten angereichert werden (zum Beispiel Typ des Dokuments, Erstellungsdatum etc.). Die aktuellen Standards geben das her, auch wenn die Implementierung noch ein wenig hinterherhängt (für den Kenner: CDA-Dokumente Level 3 sind ja noch sehr exotisch). Auch hier: die Kommunikation mit dem Patienten lässt sich nicht ersetzen. Im Zweifelsfall kann man aber widersprüchliche Aussagen aufklären. 
 

Bei einem „Klarsichtordner“ wird vom Patienten hingegen aktiv eine Mitverantwortung verlangt und die ist auch aus anderen Gründen sehr wichtig.

Und nochmal: ist der möglicherweise  vorhandene geringfügige Nutzen bei unzähligen Problemen geschätzte 10-15 Milliarden Euro wert?

 



Hatte ich mal erwähnt, dass der Austausch von medizinischen Daten zwischen den verschiedenen Einrichtungen mein Forschungsgebiet ist? Insofern kann ich ja eigentlich nichts anderes behaupten, dass das was bringt :) Es gibt aber tatsächlich viele gute Argumente für EDV. Ich zähle mal auf, was an einem Klarsichtordner total doof ist:

- Geht verloren

- Schlechte Handhabbarkeit (im Vergleich zu einer Karte). Der chronisch Kranke fährt dann bald mit einem LKW vor. 

- Unter Umständen findet sich der Arzt mit den ausgedruckten Dokumenten aus anderen Praxen oder KH nicht zurecht. Medizinische Dokumentation ist von Krankenhaus zu Krankenhaus (und Praxis zu Praxis) unterschiedlich. Bekommt der Arzt die Daten in seinem gewohnten Format auf seinen Bildschirm ist er effektiver. 

- Woher kommen die Daten für den Ordner? Die müssen ausgedruckt werden. Das klappt nicht mit allen Software-Systemen gut (leidvolle Erfahrung). Zudem muss Arzt oder Patient die Druckkosten bezahlen. 

- Medienbruch: beim Abtippen von Daten treten Fehler auf. Ich durfte mal in der Pharmafirma für jeden Probanden einer Studie 3x15 Laborparameter abtippen. Will ich die Daten eines Patienten in mein Praxissystem einpflegen kostet das Zeit

- Ich kann das ganze nicht elektronisch durchsuchen oder verarbeiten.

- Lesbarkeit von handschriftlichen Dokumenten (Dosierung!!!)

- Daten können nur jeweils beim Patienten vorhanden sein oder man muss eine Kopie machen (Zeit). 



Ich zähle mal die Pluspunkte auf, die ich in einer Vernetzung für Patienten sehe (nur Punkte, die sich nicht implizit durch die obige Aufzählung ergeben):

- Patient ist tatsächlich im Besitz seiner Daten. Mündigkeit steigt. 

- Vermeidung von Doppeluntersuchungen

- Transparenz über die Arbeit des anderen Arztes. Eventuell können dort Fehler gefunden und anschließend diskutiert werden.

- Durch Integration der Daten: individuelle Nutzung der EDV (in Zukunft möglicherweise verstärkte Nutzung von Entscheidungsunterstützenden Systemen, Arzneimittelinteraktionen entdecken, Daten-Aggregation durchführen, verschiedene Aspekte näher beleuchten durch verschiedene Perspektiven etc. ). Dadurch möglicherweise höhere Behandlungsqualität

- Insgesamt höhere Behandlungsqualität (ergibt sich aus den einzelnen Vorteilen)



Hoffe, dass Dich das ein Stück weit überzeugen kann.  


Viele Grüße,

Birger 



 

Gruß Michaela


--
AG-Gesundheitswesen mailing list
AG-Gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-gesundheitswesen




Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.

Seitenanfang