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Betreff: AG Gesundheit
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- From: Morgan le Fay <input.output AT freenet.de>
- To: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse
- Date: Tue, 07 Jun 2011 13:00:40 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
- List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>
On 07.06.2011 10:00, Guido Heymann wrote:
Hallo
mit Interesse habe ich die Diskussionen auf dieser Liste
gelesen.
Als Arzt und “Fast-schon-Pirat” finde ich die offene und
teilweise auch sehr kompetente Diskussion sehr gut (wie
übrigens viele andere Ärzte auch).
Allerdings sind einige Beiträge doch zu emotional, was
dem Inhalt abträglich ist.
1) Grundsätzliche Reformen sind erst einmal im SGB V
notwendig.
Dieses bei der Erstellung sehr segensreiche Gesetzeswerk
ist mittlerweile durch die Realität in vielen Teilen
überholt und behindert die ärztliche Tätigkeit.
2) Eng damit verknüpft ist die Frage nach der Zukunft des
KV-Systems.
Die heutige KV ist ein bürokratisches Monstrum, das v.a.
Ärzte, die ohne bösen Willen im Sinne der Patienten handeln,
kriminalisiert und sogar in existenzielle (finanzielle)
Schwierigkeiten stürzt. Hier muss auch im Sinne der
Versicherten zuerst reformiert werden!
3) Eine staatliche Grundsicherung der Gesundheitsfürsorge
ist zu befürworten. Ohne Einschränkung für alle!
Allerdings sind hier Zustände wie im NHS in GB unbedingt
zu vermeiden.
Die Grundsicherung muss jedoch auch “grundsätzlich”
bleiben, sprich, es muss geregelt werden, welche Leistungen
hier tatsächlich abgedeckt sind und welche nicht. Ein guter
Ansatz für eine solche Festlegung ist die
Priorisierungsdebatte in der Ärzteschaft (siehe Deutsches
Ärzteblatt, Stichwort Priorisierung).
Es kann nicht alles vom Staat bezahlt werden.
4) Die Grundsicherung muss durch Einrichtungen realisiert
werden, die untereinander im Wettbewerb stehen. Somit ist
ein gewisser Teil der GKV-Anbieter zu erhalten. Die
Unterschiede dieser “Krankenkassen” bewirken, dass jeder
sich eine Kasse suchen kann, die seinen Bedürfnissen
entspricht.
5) Leistungen jenseits der Prioritätenliste müssen privat
abgesichert werden.
Also, Öffnung der PKV für alle ohne Bedingungen. Dies
ermöglicht die beste Wahlfreiheit für mündige Bürger.
6) Das bedeutet natürlich, dass man sich von der
“Maximalversorgung für alle” verabschieden muss!
Das wäre schlichtweg nur auf Kosten anderer
Sozialleistungen finanzierbar.
Nun beginnt die ethische Debatte: Wie viel Risiko will
ich dem selbstbestimmten Bürger zumuten? Wie viel Einsicht
in seine gesundheitlichen Belange kann ich ihm zumuten?
Oder, mal sehr plakativ: wie viele Todesfälle durch
Unterversicherung will ich akzeptieren?
7) Aktuell gibt es nicht wenige ärztliche Kollegen, die
Patienten versorgen, ohne dafür jemals Geld zu sehen.
Schlimmer noch, die staatliche Gesundheitsvorsorge wird
auf Kosten der Ärzte “finanziert”.
Als Beispiel: Die Impfkampagne gegen die “Schweinegrippe”
verlangte von Niedergelassenen die Vorhaltung von Impfstoff.
Leider hat sich der Bund verkalkuliert, es wurde zu viel
Impfstoff vorgehalten. Kollegen, die ihren Impfstoff nicht
loswurden, erhalten die Unkosten jetzt nicht erstattet.
Ein Gesundheitssystem wird ohne Ärzte (oder andere
Heilberufe) nicht machbar sein.
Wer die Frage der Krankenversicherung diskutiert, muss
auch darüber reden, wie sich die medizinischen Dienstleister
finanzieren sollen.
Das Aufklärungsgespräch muss deutlich besser bezahlt
werden, denn es verlangt viel Zeit und Einfühlungsvermögen
und schafft erst den mündigen Patienten, der dann
Entscheidungen über seine medizinische Zukunft und
Versicherung treffen soll.
8) Das “Doctor-bashing” ist seit langem en vogue.
Es ist aber nicht nur meine Meinung, dass gerade
Mediziner am besten geeignet sind, medizinisch sinnvolle
Maßnahmen von Unsinnigem zu trennen.
Nur ein kleines Beispiel: mit Hilfe eines ausführlichen
“Doctor-hoppings”, wobei bei jedem Arztbesuch der Patient
dazugelernt hat, was er sagen oder besser nicht sagen soll,
schafft es fast jeder, seine Wunschbehandlung irgendwann zu
bekommen, ob sie nun medizinisch sinnvoll ist oder nicht.
Das erzeugt sinnlose Ausgaben von Mitteln, die dann anderen
fehlen.
9) Ein Teilaspekt der Versicherung ist die Versorgung der
Beamten.
Sonder-PKV und Beihilfe etc. sind nur einige Beispiele
für eine Klassenmedizin, die hier mal nicht nur den
“Reichen” zu Gute kommt.
Das Beamtensystem lädt förmlich zum Missbrauch ein –>
siehe Krankenstand bei beamteten Lehrern in Brandenburg,
Frühberentung, Elternzeiten...
Der Beamtenstand gehört generell auf den Prüfstand. Dann
sind auch wieder Finanzmittel verfügbar und Kapazitäten
frei.
Übrigens stammen viele der Anmerkungen auch aus
Gesprächen mit Patienten.
Mfg
Dr. G. Heymann
So long Harry |
- [AG-Gesundheit] mit Interesse, Guido Heymann, 07.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, Jürgen Junghänel, 07.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, Morgan le Fay, 07.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, Morgan le Fay, 09.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, bach, 09.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, Morgan le Fay, 10.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, Privacy, 09.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, Morgan le Fay, 10.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, Guido Heymann, 10.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, Morgan le Fay, 10.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, bach, 09.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, Privacy, 09.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, Morgan le Fay, 10.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, Jörg H, 13.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, Morgan le Fay, 10.06.2011
- Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse, Morgan le Fay, 09.06.2011
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