Zum Inhalt springen.
Sympa Menü

ag-gesundheitswesen - [AG-Gesundheit] mit Interesse

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

Listenarchiv

[AG-Gesundheit] mit Interesse


Chronologisch Thread 
  • From: "Guido Heymann" <guido AT drheymann.de>
  • To: <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: [AG-Gesundheit] mit Interesse
  • Date: Tue, 7 Jun 2011 10:00:02 +0200
  • Importance: Normal
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Hallo
 
mit Interesse habe ich die Diskussionen auf dieser Liste gelesen.
Als Arzt und “Fast-schon-Pirat” finde ich die offene und teilweise auch sehr kompetente Diskussion sehr gut (wie übrigens viele andere Ärzte auch).
 
Allerdings sind einige Beiträge doch zu emotional, was dem Inhalt abträglich ist.
 
1) Grundsätzliche Reformen sind erst einmal im SGB V notwendig.
Dieses bei der Erstellung sehr segensreiche Gesetzeswerk ist mittlerweile durch die Realität in vielen Teilen überholt und behindert die ärztliche Tätigkeit.
 
2) Eng damit verknüpft ist die Frage nach der Zukunft des KV-Systems.
Die heutige KV ist ein bürokratisches Monstrum, das v.a. Ärzte, die ohne bösen Willen im Sinne der Patienten handeln, kriminalisiert und sogar in existenzielle (finanzielle) Schwierigkeiten stürzt. Hier muss auch im Sinne der Versicherten zuerst reformiert werden!
 
3) Eine staatliche Grundsicherung der Gesundheitsfürsorge ist zu befürworten. Ohne Einschränkung für alle!
Allerdings sind hier Zustände wie im NHS in GB unbedingt zu vermeiden.
Die Grundsicherung muss jedoch auch “grundsätzlich” bleiben, sprich, es muss geregelt werden, welche Leistungen hier tatsächlich abgedeckt sind und welche nicht. Ein guter Ansatz für eine solche Festlegung ist die Priorisierungsdebatte in der Ärzteschaft (siehe Deutsches Ärzteblatt, Stichwort Priorisierung).
Es kann nicht alles vom Staat bezahlt werden.
 
4) Die Grundsicherung muss durch Einrichtungen realisiert werden, die untereinander im Wettbewerb stehen. Somit ist ein gewisser Teil der GKV-Anbieter zu erhalten. Die Unterschiede dieser “Krankenkassen” bewirken, dass jeder sich eine Kasse suchen kann, die seinen Bedürfnissen entspricht.
 
5) Leistungen jenseits der Prioritätenliste müssen privat abgesichert werden.
Also, Öffnung der PKV für alle ohne Bedingungen. Dies ermöglicht die beste Wahlfreiheit für mündige Bürger.
 
6) Das bedeutet natürlich, dass man sich von der “Maximalversorgung für alle” verabschieden muss!
Das wäre schlichtweg nur auf Kosten anderer Sozialleistungen finanzierbar.
Nun beginnt die ethische Debatte: Wie viel Risiko will ich dem selbstbestimmten Bürger zumuten? Wie viel Einsicht in seine gesundheitlichen Belange kann ich ihm zumuten? Oder, mal sehr plakativ: wie viele Todesfälle durch Unterversicherung will ich akzeptieren?
 
7) Aktuell gibt es nicht wenige ärztliche Kollegen, die Patienten versorgen, ohne dafür jemals Geld zu sehen.
Schlimmer noch, die staatliche Gesundheitsvorsorge wird auf Kosten der Ärzte “finanziert”.
Als Beispiel: Die Impfkampagne gegen die “Schweinegrippe” verlangte von Niedergelassenen die Vorhaltung von Impfstoff. Leider hat sich der Bund verkalkuliert, es wurde zu viel Impfstoff vorgehalten. Kollegen, die ihren Impfstoff nicht loswurden, erhalten die Unkosten jetzt nicht erstattet.
Ein Gesundheitssystem wird ohne Ärzte (oder andere Heilberufe) nicht machbar sein.
Wer die Frage der Krankenversicherung diskutiert, muss auch darüber reden, wie sich die medizinischen Dienstleister finanzieren sollen.
Das Aufklärungsgespräch muss deutlich besser bezahlt werden, denn es verlangt viel Zeit und Einfühlungsvermögen und schafft erst den mündigen Patienten, der dann Entscheidungen über seine medizinische Zukunft und Versicherung treffen soll.
 
8) Das “Doctor-bashing” ist seit langem en vogue.
Es ist aber nicht nur meine Meinung, dass gerade Mediziner am besten geeignet sind, medizinisch sinnvolle Maßnahmen von Unsinnigem zu trennen.
Nur ein kleines Beispiel: mit Hilfe eines ausführlichen “Doctor-hoppings”, wobei bei jedem Arztbesuch der Patient dazugelernt hat, was er sagen oder besser nicht sagen soll, schafft es fast jeder, seine Wunschbehandlung irgendwann zu bekommen, ob sie nun medizinisch sinnvoll ist oder nicht. Das erzeugt sinnlose Ausgaben von Mitteln, die dann anderen fehlen.
 
9) Ein Teilaspekt der Versicherung ist die Versorgung der Beamten.
Sonder-PKV und Beihilfe etc. sind nur einige Beispiele für eine Klassenmedizin, die hier mal nicht nur den “Reichen” zu Gute kommt.
Das Beamtensystem lädt förmlich zum Missbrauch ein –> siehe Krankenstand bei beamteten Lehrern in Brandenburg, Frühberentung, Elternzeiten...
Der Beamtenstand gehört generell auf den Prüfstand. Dann sind auch wieder Finanzmittel verfügbar und Kapazitäten frei.
 
Übrigens stammen viele der Anmerkungen auch aus Gesprächen mit Patienten.
 
Mfg
 
Dr. G. Heymann



Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.

Seitenanfang