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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

Listenarchiv

Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse


Chronologisch Thread 
  • From: Jürgen Junghänel <junghaenel-hannover AT gmx.de>
  • To: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] mit Interesse
  • Date: Tue, 07 Jun 2011 10:16:29 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Am 07.06.2011 10:00, schrieb Guido Heymann:
> Hallo
>
> mit Interesse habe ich die Diskussionen auf dieser Liste gelesen.
> Als Arzt und “Fast-schon-Pirat” finde ich die offene und teilweise auch
> sehr kompetente Diskussion sehr gut (wie übrigens viele andere Ärzte auch).
>
> Allerdings sind einige Beiträge doch zu emotional, was dem Inhalt
> abträglich ist.
>
> 1) Grundsätzliche Reformen sind erst einmal im SGB V notwendig.
> Dieses bei der Erstellung sehr segensreiche Gesetzeswerk ist mittlerweile
> durch die Realität in vielen Teilen überholt und behindert die ärztliche
> Tätigkeit.
>
> 2) Eng damit verknüpft ist die Frage nach der Zukunft des KV-Systems.
> Die heutige KV ist ein bürokratisches Monstrum, das v.a. Ärzte, die ohne
> bösen Willen im Sinne der Patienten handeln, kriminalisiert und sogar in
> existenzielle (finanzielle) Schwierigkeiten stürzt. Hier muss auch im Sinne
> der Versicherten zuerst reformiert werden!
>
> 3) Eine staatliche Grundsicherung der Gesundheitsfürsorge ist zu
> befürworten. Ohne Einschränkung für alle!
> Allerdings sind hier Zustände wie im NHS in GB unbedingt zu vermeiden.
> Die Grundsicherung muss jedoch auch “grundsätzlich” bleiben, sprich, es
> muss geregelt werden, welche Leistungen hier tatsächlich abgedeckt sind und
> welche nicht. Ein guter Ansatz für eine solche Festlegung ist die
> Priorisierungsdebatte in der Ärzteschaft (siehe Deutsches Ärzteblatt,
> Stichwort Priorisierung).
> Es kann nicht alles vom Staat bezahlt werden.
>
> 4) Die Grundsicherung muss durch Einrichtungen realisiert werden, die
> untereinander im Wettbewerb stehen. Somit ist ein gewisser Teil der
> GKV-Anbieter zu erhalten. Die Unterschiede dieser “Krankenkassen” bewirken,
> dass jeder sich eine Kasse suchen kann, die seinen Bedürfnissen entspricht.
>
> 5) Leistungen jenseits der Prioritätenliste müssen privat abgesichert
> werden.
> Also, Öffnung der PKV für alle ohne Bedingungen. Dies ermöglicht die beste
> Wahlfreiheit für mündige Bürger.
>
> 6) Das bedeutet natürlich, dass man sich von der “Maximalversorgung für
> alle” verabschieden muss!
> Das wäre schlichtweg nur auf Kosten anderer Sozialleistungen finanzierbar.
> Nun beginnt die ethische Debatte: Wie viel Risiko will ich dem
> selbstbestimmten Bürger zumuten? Wie viel Einsicht in seine
> gesundheitlichen Belange kann ich ihm zumuten? Oder, mal sehr plakativ: wie
> viele Todesfälle durch Unterversicherung will ich akzeptieren?
>
> 7) Aktuell gibt es nicht wenige ärztliche Kollegen, die Patienten
> versorgen, ohne dafür jemals Geld zu sehen.
> Schlimmer noch, die staatliche Gesundheitsvorsorge wird auf Kosten der
> Ärzte “finanziert”.
> Als Beispiel: Die Impfkampagne gegen die “Schweinegrippe” verlangte von
> Niedergelassenen die Vorhaltung von Impfstoff. Leider hat sich der Bund
> verkalkuliert, es wurde zu viel Impfstoff vorgehalten. Kollegen, die ihren
> Impfstoff nicht loswurden, erhalten die Unkosten jetzt nicht erstattet.
> Ein Gesundheitssystem wird ohne Ärzte (oder andere Heilberufe) nicht
> machbar sein.
> Wer die Frage der Krankenversicherung diskutiert, muss auch darüber reden,
> wie sich die medizinischen Dienstleister finanzieren sollen.
> Das Aufklärungsgespräch muss deutlich besser bezahlt werden, denn es
> verlangt viel Zeit und Einfühlungsvermögen und schafft erst den mündigen
> Patienten, der dann Entscheidungen über seine medizinische Zukunft und
> Versicherung treffen soll.
>
> 8) Das “Doctor-bashing” ist seit langem en vogue.
> Es ist aber nicht nur meine Meinung, dass gerade Mediziner am besten
> geeignet sind, medizinisch sinnvolle Maßnahmen von Unsinnigem zu trennen.
> Nur ein kleines Beispiel: mit Hilfe eines ausführlichen “Doctor-hoppings”,
> wobei bei jedem Arztbesuch der Patient dazugelernt hat, was er sagen oder
> besser nicht sagen soll, schafft es fast jeder, seine Wunschbehandlung
> irgendwann zu bekommen, ob sie nun medizinisch sinnvoll ist oder nicht. Das
> erzeugt sinnlose Ausgaben von Mitteln, die dann anderen fehlen.
>
> 9) Ein Teilaspekt der Versicherung ist die Versorgung der Beamten.
> Sonder-PKV und Beihilfe etc. sind nur einige Beispiele für eine
> Klassenmedizin, die hier mal nicht nur den “Reichen” zu Gute kommt.
> Das Beamtensystem lädt förmlich zum Missbrauch ein –> siehe Krankenstand
> bei beamteten Lehrern in Brandenburg, Frühberentung, Elternzeiten...
> Der Beamtenstand gehört generell auf den Prüfstand. Dann sind auch wieder
> Finanzmittel verfügbar und Kapazitäten frei.
>
> Übrigens stammen viele der Anmerkungen auch aus Gesprächen mit Patienten.
>
> Mfg
>
> Dr. G. Heymann
>
Super!

Ein ausgewogener und von Sachverstand getragener Beitrag!

Danke!

Jürgen

PS.: Die Sonderstellung der Beamten ist ja auch in Hinsicht auf
Rente/Pension ein besonders problematisches Ding. Der Stand ist ein
Relikt aus dem Obrigkeitsstaat und - leider ist es auch so geblieben -
bei 5% Beamten in der beruftätigen Bevölkerung haben wir ca. 32 % im
Bundestag, die Staatsdiener kontrollieren den Staat.








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