Zum Inhalt springen.
Sympa Menü

ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Ethische Grundsätze

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

Listenarchiv

Re: [AG-Gesundheit] Ethische Grundsätze


Chronologisch Thread 
  • From: Arnold Schiller <schiller AT babsi.de>
  • To: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Ethische Grundsätze
  • Date: Mon, 19 Apr 2010 19:49:04 +0000 (UTC)
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>
  • Organization: Piratenpartei Deutschland - Testbetrieb

Am Mon, 19 Apr 2010 20:35:28 +0200 schrieb Morgan le Fay:

> Das ist Polemik.

Nein, es ist nur eine Zielsetzung, die man direkt aus
http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:ArnoldSchiller/Menschenrechte
ableiten kann.

> Du musst Dich fragen lassen,

Nicht nur ich muss mich das fragen lassen, es muss sich jeder fragen
lassen, der das Wort Menschenrechte in den Mund nimmt.

> wie Du unter
> Berücksichtigung der demografischen Entwicklung und der Gier der
> Lobbyisten eine _Topversorgung _sicherstellen möchtest, die es
> eigentlich schon heute nicht mehr für alle gibt.
>

Das es schwierig ist Ideale und Wirklichkeit unter einen Hut zu bringen,
brauchst du mir nicht zu erzählen. Allerdings von vorneherein die
Zielsetzung so zu setzen, dass die Ideale verleugnet werden und nur noch
als Heuchelei auf Pressekonferenzen ausposaunt werden, der heuchelt.
Jeden, den ich frage, ob er für die Menschenrechte ist, sagt spontan ja.
Sobald es aber an das konkrete geht, dann frägst du mich obiges.

> Mein Beitrag ist nur die zu Ende gedachte Entwicklung, wenn es nicht
> gelingt, mehr Geld im Gesundheitswesen einnehmen zu können als man zur
> (Top-)Versorgung der Kranken benötigt.
>
Es ist sekundär eine Frage des Geldes. Solange es natürlich wichtiger ist
dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank mehr Geld zu bezahlen als
dem besten Chirurgen oder Mediziner Deutschlands, dann haben wir unsere
Prioritäten natürlich entsprechend gesetzt.

> Schon heute wird "sortiert", in Leute, die hochwertige Zahnkronen haben
> dürfen, die eine Brille tragen dürfen, die anständige Rollstühle
> bekommen und für die man morgen einen Termin frei hat, während die
> anderen all das nicht bekommen.

Und es ist eine Frage der Politik, die diese Sortierung betreibt. Wenn
man dieses Menschenbild will und als notwendig betrachtet, dann kann man
dies tun. Allerdings sollte man dann auch nicht die UNO-Konvention
ratifizieren und gleich zugeben, dass die Menschenrechte einen
Scheissdreck interessieren.

> Die sich wochenlang mit Knieschmerzen
> plagen müssen, die sich damit abfinden müssen, nichts scharf zu sehen,
> die die billigeren Heil- und Hilfsmittel bekommen. Leute, die auf Kosten
> der RV eine Reha durchführen wollen, werden - kein Scherz - am Tropf
> hängend aus der Klinik zwangsentlassen.
>
> Ist das kein Aussortieren?
>
Und halte ich es für richtig? Es ist genügend Geld im System, ja es ist
sogar mehr Geld im System als eine anständige Gesundheitsversorgung
braucht. Ich bin kein DDR-Nostalgiker, da ich erstens in der BRD
aufgewachsen bin und zweitens wirklich nichts davon halte. Allerdings
kann ich mich noch an den Fall erinnern, als ein Student von einem
Regensburger Universitätsklinikarzt zusammengestaucht wurde, dass es ihn
das beinahe das Leben gekostet hat, weil er zu fein war sich in das
Dresdner Klinikum mit einem Blinddarmdurchbruch zu begeben, weil er Angst
vor der Ostmedizin hatte. Der Gag an der Geschichte war nämlich, dass
dort auch die DDR-Bonzen operiert wurden und die Versorgung sogar besser
war als das die Regensburger Klinik und es eine Idiotie war sich in den
Westen deswegen zu retten.

Eine gute Gesundheitsversorgung kann also weit billiger sein, als sie
derzeit in der BRD gehandhabt wird. Hierbei reden wir nicht von einer
Huppeltruppelmedizin ala dritte Welt sondern von einer ganzheitlichen
Gesundheitsversorgung, die im Zweifelsfalle, wenn es die Privatwirtschaft
tatsächlich nicht organisiert bekommt eben staatlich organisiert werden
müsste. Dennoch glaube ich nicht einmal, dass es soweit kommen müsste.


> Ich habe meinen Großvater sehr gemocht. Als er in seinen letzten
> Lebensjahren anfing, Leuten Diebstahl und Mordabsichten zu unterstellen,
> war er privat nicht mehr zu betreuen. Er kam in ein Altersheim, das ich
> hier lieber nicht beschreibe! Übrigens ist das auch eine Art, Menschen
> zu sortieren, indem man Lästige ruhigstellt oder im Kot stundenlang
> sitzen lässt.
> Dort starb er 1988 im Alter von 92 Jahren auch vereinsamt, und obwohl
> ich eine für mich wichtige und überaus geschätzte Person verloren habe,
> war ich mir sicher, dass er es nun "besser" hat. Ich selbst wollte gar
> nicht so alt werden. Trotzdem erlaube ich mir nicht, darüber zu
> befinden, welches Leben mehr Zugeständnisse an medizinischem Aufwand
> erhält und welches weniger. Was "privacy" den "Hahn abdrehen" nennt, ist
> eine sehr individuelle Entscheidung abhängig vom Einzelfall und unter
> Einbeziehung des Seniors oder der nächsten Verwandten.

Eben, aber es ist keine Frage der Gesundheitsversorgung, sondern des
menschenwürdigen Umgangs mit jedem Menschen. Es ist eine
Einzelfallentscheidung, die nichts mit den Kosten des Gesundheitssystems
zu tun hat. Im Gegenteil kann eine würdige Palliativmedizin weit teurer
sein als die heutige Handhabung und insofern ist das "Hahn abdrehen" im
Rahmen der Kosten innerhalb des Gesundheitssystem und einer
"Priorisierung" ob Hellmut Schmidt als Raucher weiterhin behandelt werden
soll einfach indiskutabel.

> Keinesfalls soll hier der Eindruck aufkommen, dass ich vertreten würde,
> dass Leute ab 85 in die Kiste zu verschwinden haben. Auch nicht mit 95
> oder älter, wenn sie Freude am Leben zeigen, selbst wenn sie ihr Leben
> im Bett verbringen müssen.
> Ein Augenarzt hier am Ort (der inzwischen nicht mehr praktiziert) hat
> sich die Freiheit genommen, einer 76 Jahre alten Frau eine
> Katarakt-Operation mit der Begründung zu verweigern, "das lohne sich
> nicht mehr". Ist das kein Aussortieren? Wenn wir Piraten selbst denken
> wollen, wie bereits einer richtig schrieb, dann sollten wir uns bemühen,
> uns nicht selbst in die Tasche zu lügen.
>

Ja aber wenn es um die Politik geht ein System zu gestalten, dann geht es
nicht darum, dass die Freiheit eine Operation nicht in Anspruch zu
nehmen, weil "das lohne sich nicht mehr" beschnitten werden soll, sondern
es geht um die Politik, wie sich das System zu dem Anspruch der Operation
verhält. Und da heisst es im Zweifelsfalle bekommt Helmut Schmidt seine
Behandlung, obwohl er Raucher ist selbst wenn sein Kollege Richard von
Weizsäcker sich mit Schwimmen fit hält. Das hat der Staat nicht zu
entscheiden und keine Priorisierungsregeln diesbezüglich zu erstellen.
Und das war ja die Forderung von 'Privacy' und auch so manch anderer.

Zur Erinnerung der erste Satz der Menschenrechtskonvention:

"Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie
innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die
Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt
bildet, da Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte zu Akten der
Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben,
und da die Schaffung einer Welt, in der den Menschen, frei von Furcht und
Not, Rede- und Glaubensfreiheit zuteil wird, als das höchste Bestreben
der Menschheit verkündet worden ist, da es wesentlich ist, die
Menschenrechte durch die Herrschaft des Rechtes zu schützen, damit der
Mensch nicht zum Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung als letztem
Mittel gezwungen wird, da es wesentlich ist, die Entwicklung
freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Nationen zu fördern, da die
Völker der Vereinten Nationen in der Satzung ihren Glauben an die
grundlegenden Menschenrechte, an die Würde und den Wert der menschlichen
Person und an die Gleichberechtigung von Mann und Frau erneut bekräftigt
und beschlossen haben, den sozialen Fortschritt und bessere
Lebensbedingungen bei größerer Freiheit zu fördern, da die
Mitgliedstaaten sich verpflichtet haben, in Zusammenarbeit mit den
Vereinten Nationen die allgemeine Achtung und Verwirklichung der
Menschenrechte und Grundfreiheiten durchzusetzen, da eine gemeinsame
Auffassung über diese Rechte und Freiheiten von größter Wichtigkeit für
die volle Erfüllung dieser Verpflichtung ist, verkündet DIE
GENERALVERSAMMLUNG die vorliegende Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende
gemeinsame Ideal, damit jeder einzelne und alle Organe der Gesellschaft
sich diese Erklärung stets gegenwärtig halten und sich bemühen, durch
Unterricht und Erziehung die Achtung dieser Rechte und Freiheiten zu
fördern und durch fortschreitende Maßnahmen im nationalen und
internationalen Bereiche ihre allgemeine und tatsächliche Anerkennung und
Verwirklichung bei der Bevölkerung sowohl der Mitgliedstaaten wie der
ihrer Oberhoheit unterstehenden Gebiete zu gewährleisten."

und ich denke, dass es ein Satz aus gutem Grund ist.

Grüße,
Arnold





Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.

Seitenanfang