ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
Listenarchiv
- From: Moneymind <moneymind AT gmx.de>
- To: Arne Pfeilsticker <Arne.Pfeilsticker AT piratenpartei-hessen.de>
- Cc: "ag-geldordnung-und-finanzpolitik@lists piratenpartei. de" <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>, Nicolas Hofer <nicolas.hofer AT gmx.de>
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik"
- Date: Sat, 19 May 2018 22:05:34 +0200
Hallo Arne, Am 18.05.2018 um 13:44 schrieb Arne
Pfeilsticker:
Net Worth und Net Financial Assets sind ja rechnerische
Größen, denen keine direkten Rechte oder Pflichten und
dementsprechend Buchungssätze gegenüber stehen.
Genau so ist es. Es sind Salden (engl. "Balances"), die durch pure Tautologien (Gleichungen) konstruiert werden, um beide Seiten einer Bilanz oder eines Kontos gleich "lang" zu bzw. beide Seiten einer Gleichung arithmetisch gleich "groß" zu machen. Daher ja "Bilanz": das Bild der Waage suggeriert ein "Gleichgewicht" (natürlich eine Metapher: Vermögenswerte haben mit physischem Gewicht nicht das geringste zu tun, da sie sich auf abstrakt-immaterielle Rechtstitel und damit auf zukünftige Handlungsmöglicheiten, auf "Vemögensmacht" über andere, beziehen). Die Bilanz ist - wie jedes Konto - ein geometrischer Beweis für eine algebraische Formel, wie z.B. auch der Satz des Pythagoras oder die binomische Formel. Luca Pacioli war schließlich Mathematiker, und hatte neben den "Summa de arithmetica, geometria, proportioni et proportionalità" (dem 1494 in Venedig erschienenen Werk, in dem er die doppelte Buchhaltung der damaligen norditalienischen Kaufleute zusammengefaßt systematisiert hat - dem Grundlagenwerk aller doppelten Buchhaltung, das zugleich eine Einführung in die Arithmetik, Algebra, und Geometrie der damaligen Zeit enthielt), 15 Jahre später ein Werk namens "De divina proportione" verfaßt, zu dem ein gewisser Leonardo DaVinci die Illustrationen beigesteuert hatte. Lies das ruhig mal auf der englischsprachigen Wikipedia nach (die hat Artikel zu den beiden Werken, die deutschprachige leider nicht). Beginnen wir mit der Gleichung, die Nettovermögen (Eigenkapital) definiert:
Auf der rechten Seite der Gleichung kann man jetzt die Schulden
rauskürzen:
Jetzt tauschen wir beide Seiten der Gleichung (sie bleibt dabei
natürlich gültig, da ja auf beiden Seiten numerisch identische
Werte stehen müssen):
Wir wissen ja, daß das Gesamtvermögen aus (a) Eigentum (oft nicht ganz korrekt "Sachvermögen" genannt - nicht korrekt, weil ja auch immaterielle Urheberrechte, Patente, Markenrechte etc. dazuzählen) und (b) Forderungen (oft nicht ganz korrekt "Finanzvermögen") genannt (nicht ganz korrekt, weil auch Warenzahlungsmittelbestände dazuzählen, die aber nicht in die Kategorie "Forderungen" gehören, sondern als spezielle Untergruppe in die Kategorie "Sachvermögen") besteht. Also können wir die Bilanzgleichung nun so formulieren:
https://www.dropbox.com/s/fgv24zi5xc9purb/Balance%20Sheets%20in%20Law%20new.jpg?dl=0 Oder, in der grafischen Version von Stützel, die noch den Begriff "Sachvermögen" verwendet, den wir - rechtlich korrekter - durch "EIgentum" ersetzen: https://www.dropbox.com/s/255z1o1c34fmsa5/Bilanz%20a%20la%20St%C3%BCtzel.jpg?dl=0 Grafisch sieht das so aus, daß
Hierbei sind Eigentum, Forderungen und Schulden Rechtstitel (in
unserer Grafik in roter Schrift). Eigenkapital ist KEIN
Rechtstitel und bis heute ein "unbestimmter Rechtsbegriff" (in
unserer Grafik in blauer Schrift). Eigenkapital ist
Resultat einer mathematischen Konstruktion, einer Tautologie -
einer Gleichung, die immer wahr ist, weil sie rein definitorischer
Natur ist. DAS ist eine "buchhalterische Identität" innerhalb
einer Bilanz. Zwischen Bilanzen ergeben sich buchhalterische
Identitäten (wie: Nettogeldvermögen der Partialgruppe = negatives
Nettogeldvermögen der Komplementärgruppe) durch die Identität von
Forderungen und Verbindlichkeiten. Und genau diese buchhalterischen Idenditäten werden in der
"allgemeinen Gleichgewichtstheorie" mit verschiedenen ANDEREN
Gleichheitstatbeständen vermischt und verwechselt: Stützel nennt
das mit Windelband "Problemverschlingungen", um diese dann eine
nach der anderen durch präzisere Unterscheidungen zu
"entwirren"). Letzteres aber erstmal nur am Rande. Und jetzt zurück zum Ausgangspunkt: Eigenkapital ist also KEIN
Rechtsbegriff, sondern eine buchhalterisch-mathematische
Konstruktion: eine vollkommen immaterielle, nur gedachte
(und "unsichtbare", physisch nirgends irgendwie faßbare)
Rechengröße: ein SALDO, der zwar aus der "Verrechnung" von
übertragbaren, in einer gemeinsamen Recheneinheit "bewerteten"
Rechtstiteln entsteht, selbst aber kein konkreter
Rechtstitel (Eigentums- oder Forderungsrecht oder Verbindlichkeit)
ist, sondern eine ganz eigene, eben vom menschlichen Geist der
Renaissance konstruierte Qualität hat. Eine Qualität, die man
vielleicht mit dem Wort "Netto-Vermögensmacht" ganz gut
beschreiben kann (den Ausdruck "Vermögensmacht" übernehme ich von
Andreas von Tuhr (1910): Der Allgemeine Teil des deutschen
Bürgerlichen Rechts. Leipzig: Duncker&Humblot, Kap.
2: Das Vermögen, füge ihm aber das "Netto" hinzu),
Text hier: https://www.dropbox.com/s/wz8nra91csjb734/v.%20Tuhr%20-%20Das%20Verm%C3%B6gen.PDF?dl=0 Siehe Luca Pacioli und Leonardo DaVinci (oben). Genau deswegen
brauchen wir eine Machttheorie des Vermögenswerts (denn es beruht
auf Durchsetzbarkeit von Vermögensrechten per staatl.
Gewaltmonopol über den Weg eines Zivilgerichts). Eine
Machttheorie von Wert und Preis, wie Stützel sie in "Preis, Wert
und Macht" entworfen hat. Aber erst dieser Saldo "Nettovermögen/Eigenkapital"
stellt überhaupt erst die Verbindung vom Recht zur
kaufmännischen, heute "betriebswirtschaftlichen" Praxis her!
Denn das Kernziel aller Betriebswirtschaft: "Profitmaximierung"
oder "Gewinnmaximierung" bezieht sich ja genau auf diesen
immateriellen Saldo: "Gewinn" ist definiert als Mehrung von
Nettovermögen (Eigenkapital) über einen bestimmten Zeitraum
(z.B. Jahresgewinn),"Verlust" als Minderung von NV/EK über diesen
Zeitraum. Allgemein: Gewinn/Verlust = delta NV/EK. Natürlich ist Gewinn auch definiert als Überschuss der Erträge
über die Aufwendungen über einen best. Zeitraum, Verlust als
Überschuss der Aufwendungen über Erträge über einen best.
Zeitraum. Beide Methoden der Ermittlung müssen aber zum selben
Ergebnis führen, da ja Erträge ebenfalls als Mehrung, Aufwendungen
als Minderungen von NV/EK definiert sind. Das sind rein
definitorische Identitäten. Durch unseren Disput habe ich mir überlegt, woran es liegen
könnte, dass ich in meiner praktischen Arbeit bei der Zuordnung
der Buchungen zu den Strömungsgrößen der Buchhaltung nach meinen
Erinnerungen nie auf den Saldo zurückgegriffen
habe, sondern die Zuordnung nur auf der Basis der Buchungen
selbst gemacht habe.
Du bist nicht der einzige, der Schwierigkeiten damit zu haben scheint, den Begriff des "Eigenkapitals" von seinem Ursprung (Pacioli) her zu verstehen und sekundäre (ebenfalls wichtige) Bedeutungen dieses Grundverständnis nicht vernebeln zu lassen. Dazu hat Stützels ehemaliger Kollege und Mitautor, BWL-Prof. Michael Bitz, einen sehr guten Artikel verfaßt, den ich Dir sehr empfehlen kann: Schöpfungswille und Harmoniestreben des Renaissancemenschen: Luca Pacioli und die Folgen– Dogmenhistorische und sprachtheoretische Reflektionen zum Begriff des Eigenkapitals, in: Winkeljohann, N., Bareis, P. und Volk, G. (Hrsg.): Rechnungslegung, Eigenkapital und Besteuerung – Entwicklungstendenzen. Festschrift für Dieter Schneeloch zum 65. Geburtstag, München 2007, S. 147-166. Online hier: https://www.fernuni-hagen.de/csf/forschung/veroeffentlichungen_bitz.shtml Direktlink zum Artikel: http://www.fernuni-hagen.de/csf/download/sch__pfungswille_schneeloch.pdf Der Saldo "Geldvermögen" ist für die Makroökonomie noch weitaus wichtiger: mit seiner Hilfe nämlich läßt sich, wie Stützel gezeigt hat, eine ebenso einfache wie schlüssige Konjunkturtheorie formulieren, die eine ganze Reihe von alten Kontroversen auf einen Schlag erledigt und die entsprechenden Theorien korrigiert und bruchlos integrierbar macht, die also echte paradigmatische Qualität hat. Aber dazu später - mich würde sehr interessieren, was der Artikel von Michael Bitz bei Dir auslöst. Einen sehr schönen ergänzenden Text von ihm gibt es in dem von ihm zusammen mit Dieter Schneeloch herausgegebenen Standardwerk, "der Jahresabschluß": der Abschnitt "Abbildungstheoretische Grundlagen". Zu finden hier, ab S. 15 im pdf: https://www.dropbox.com/s/qpdlch9fjgk437t/Bitz_Jahresabschluss.pdf?dl=0 Die Einsichten zum "Ur-Saldo" "Eigenkapital/Nettovermögen" lassen sich dann auch auf den Saldo "Netto-Geldvermögen" übertragen, der definiert ist als Zahlungsmittel + sonstige Forderungen - Verbindlichkeiten. Nettovermögen ist dann definiert als Nettogeldvermögen + Eigentum ("Sachvermögen"): als ein Saldo plus eine Kategorie von Rechtstiteln (Eigentum): ................... Zahlungsmittel ................................. Geld* ................. + sonstige Forderungen ..................... Kredit ................. - Verbindlichkeiten ................ + Eigentum ......................................... Eigentum * kann aus (a) einer Teilmenge von Eigentum: Warenzahlungsmitteln oder (b) Teilmenge v. Forderungen: Kreditzahlungsmitteln oder (b) einer Kombination aus beidem bestehen und sich je nach Hierarchiestufe der Zahlungsmittel-/Kredithierarchie anders definieren! Damit haben wir die Grundbegriffe für eine schlüssige Konjunkturtheorie (die Stützel'sche), die dann Thomas Weiss und Johannes Schmidt in den anschließenden Vorträgen dargestellt haben: https://www.youtube.com/watch?v=X5tmtw8p5MA&index=3&list=PLyRk2yIHSNKl68kve8CufAgNc5cCOvKiy NOTA BENE: All das sind im wesentlichen Einsichten von WOLFGANG STÜTZEL!! Meine Minimal - Leistung besteht ausschließlich darin,
Die Bilanz (beide Seiten immer gleich lang, beide Seiten ergeben
immer dieselbe Bilanzsumme), die durch die "Erfindung" des
Saldenkonzepts als geometrisch-algebraische Analogie ähnlich dem
Satz des Pythagoras und der binomischen Formel überhaupt erst
möglich wurde, ist in ihrer genialen Einfachheit ein Produkt der
europäischen Renaissance und des "Geists des römischen Rechts".
Denn ohne die Wiederentdeckung des römischen Rechts in den
norditalienischen Stadtstaaten des 11./12. Jahrhunderts (die erste
UNIVERSITÄT Europas, die Universität Bologna, ging aus einer
RECHTSSCHULE hervor!) hätten die Kaufleute gar keinen Anlaß
gehabt, doppelte Buchhaltung zu erfinden! Wolfgang |
- Re: [AG-GOuFP] Rechtliche Fundamente der Geldordnung & saldenmechanisch fundierte Konjunkturtheorie, (fortgesetzt)
- Nachricht nicht verfügbar
- Nachricht nicht verfügbar
- Nachricht nicht verfügbar
- Nachricht nicht verfügbar
- Re: [AG-GOuFP] Rechtliche Fundamente der Geldordnung & saldenmechanisch fundierte Konjunkturtheorie, Arne Pfeilsticker, 16.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Rechtliche Fundamente der Geldordnung & saldenmechanisch fundierte Konjunkturtheorie, Moneymind, 16.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Definition "Einnahmen" im Rechnungswesen, moneymind, 16.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Rechtliche Fundamente der Geldordnung & saldenmechanisch fundierte Konjunkturtheorie, Arne Pfeilsticker, 17.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Rechtliche Fundamente der Geldordnung & saldenmechanisch fundierte Konjunkturtheorie, Moneymind, 17.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Rechtliche Fundamente der Geldordnung & saldenmechanisch fundierte Konjunkturtheorie, Moneymind, 17.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Salden in Bilanzen, moneymind, 17.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Rechtliche Fundamente der Geldordnung & saldenmechanisch fundierte Konjunkturtheorie, moneymind, 17.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik", moneymind, 18.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik", Arne Pfeilsticker, 18.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik", Moneymind, 19.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik", Arne Pfeilsticker, 20.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik", Moneymind, 20.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik", Moneymind, 20.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik", Moneymind, 20.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik", Moneymind, 21.05.2018
- Nachricht nicht verfügbar
- Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik", Moneymind, 20.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik", Moneymind, 20.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik", Moneymind, 20.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Rechtliche Fundamente der Geldordnung & saldenmechanisch fundierte Konjunkturtheorie, moneymind, 25.05.2018
- Re: [AG-GOuFP] Geldschöpfungsgewinn, moneymind, 25.05.2018
Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.