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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik"

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Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik"


Chronologisch Thread 
  • From: Moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: Arne Pfeilsticker <Arne.Pfeilsticker AT piratenpartei-hessen.de>
  • Cc: "ag-geldordnung-und-finanzpolitik@lists piratenpartei. de" <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>, Nicolas Hofer <nicolas.hofer AT gmx.de>
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik"
  • Date: Sun, 20 May 2018 19:19:37 +0200


Hallo Arne,

s.u.


Am 20.05.2018 um 09:55 schrieb Arne Pfeilsticker:

Am 19.05.2018 um 22:05 schrieb Moneymind <moneymind AT gmx.de>:


Hallo Arne,

nur kurz, da ich unterwegs bin - zu den anderen Punkten, speziell zum Nutzen der Perspektive, die durch den Blick auf Netto- und Geldvermögenssaldo entsteht - melde ich mich später noch: 

Hallo Wolfgang,
vielleicht sollten wir eine Diskussionsrunde zu diesem Thema machen. Begründung siehe unten.

Das machen wir ja gerade.  Ich beantworte Deine Fragen gerne unten. 


Am 18.05.2018 um 13:44 schrieb Arne Pfeilsticker:


Net Worth und Net Financial Assets sind ja rechnerische Größen, denen keine direkten Rechte oder Pflichten und dementsprechend Buchungssätze gegenüber stehen.

Genau so ist es. 

Es sind Salden (engl. "Balances"), die durch pure Tautologien (Gleichungen) konstruiert werden, um beide Seiten einer Bilanz oder eines Kontos gleich "lang" zu bzw. beide Seiten einer Gleichung arithmetisch gleich "groß" zu machen.  Daher ja "Bilanz":  das Bild der Waage suggeriert ein "Gleichgewicht" (natürlich eine Metapher: Vermögenswerte haben mit physischem Gewicht nicht das geringste zu tun, da sie sich auf abstrakt-immaterielle Rechtstitel und damit auf zukünftige Handlungsmöglicheiten, auf "Vemögensmacht" über andere, beziehen). 

Die Bilanz ist - wie jedes Konto - ein geometrischer Beweis für eine algebraische Formel, wie z.B. auch der Satz des Pythagoras oder die binomische Formel.   Luca Pacioli war schließlich Mathematiker, und hatte neben den "Summa de arithmetica, geometria, proportioni et proportionalità" (dem 1494 in Venedig erschienenen Werk, in dem er die doppelte Buchhaltung der damaligen norditalienischen Kaufleute zusammengefaßt systematisiert hat - dem Grundlagenwerk aller doppelten Buchhaltung, das zugleich eine Einführung in die Arithmetik, Algebra, und Geometrie der damaligen Zeit enthielt), 15 Jahre später ein Werk namens "De divina proportione" verfaßt, zu dem ein gewisser Leonardo DaVinci die Illustrationen beigesteuert hatte.  Lies das ruhig mal auf der englischsprachigen Wikipedia nach (die hat Artikel zu den beiden Werken, die deutschprachige leider nicht).
Beginnen wir mit der Gleichung, die Nettovermögen (Eigenkapital) definiert: 
  • Nettovermögen = Gesamtvermögen - Schulden. 
Nun formen wir die Gleichung um, indem wir auf beiden Seiten die Variable "Schulden" addieren:
  • Nettovermögen + Schulden = Gesamtvermögen - Schulden + Schulden 

Auf der rechten Seite der Gleichung kann man jetzt die Schulden rauskürzen:

  • Nettovermögen + Schulden = Gesamtvermögen

Jetzt tauschen wir beide Seiten der Gleichung (sie bleibt dabei natürlich gültig, da ja auf beiden Seiten numerisch identische Werte stehen müssen): 

  • Gesamtvermögen = Schulden + Nettovermögen
Das ist die Grundgleichung der Bilanz. 

Genau das sollte m.E. in Frage gestellt werden.
Was genau?


Rechte und Pflichten sind nicht transitiv und können daher nicht addiert oder subtrahiert werden. Wenn schon, dann müsste man z.B. schreiben: Wert(Nettovermögen) = Wert(Gesamtvermögen) + Wert(Schulden)

Ja, das ist richtig:  mithilfe einer gemeinsamen Recheneinheit ("money of account", Rechengeld) auf denselben Nenner gebrachte und bewertete Rechte.   Das hatte ich vorausgesetzt und auch mehrfach geschrieben. 


Aber auch das ist m.E. aus mehreren Gründen nicht OK.

Eine Bilanz hat zunächst nicht mit einem Gleichgewicht zu tun,

Mit Gewicht schon mal gleich gar nichts - das ist irreführende Metaphorik. 

sondern eine Bilanz ist eine Aufstellung der bewertbaren Rechte und Pflichten, die einem Rechtssubjekt zugeordnet werden können.

Nein, das wäre ein Inventar:  eine "Bilanz ohne den Ausgleichsposten Eigenkapital" - der Name Bilanz ergibt hierfür auch gar keinen Sinn (bilancio = Waage, impliziert Gleichheit beider Seiten). 

Vor allem aber wäre dieses Inventar ohne den per Saldierung von Vermögen und Schulden ermittelten Ausgleichsposten "Eigenkapital" gar keine durchgängig  "doppelte":  nur manche, aber nicht alle Geschäftsvorfälle würden zu Doppelbuchungen (Aktivtausch, Passivtausch, Bilanzverkürzung, Bilanzverlängerung) führen, andere nur zu einer Einfachbuchung (z.B. die Vernichtung von Warenvorräten, das Abschreiben einer Forderung, der Erhalt eines Bußgeldbescheids oder die Gewährung eines Schuldenerlasses durch einen Gläubiger).  Erst der Ausgleichsposten macht die Buchhaltung zu einer durchgängig doppelten. 

Siehe bitte dazu den Text von Michael Bitz, den ich dir bereits verlinkt hatte, den Du dir aber offensichtlich nicht angeschaut hast:
Ab S. 4 (pdf) unten (letzter Abschnitt) bis S. 6:
https://www.fernuni-hagen.de/csf/download/sch__pfungswille_schneeloch.pdf

Der Wert dieser bewertbaren Rechte und Pflichten ist in der Realität niemals - oder höchstens aus purem Zufall - ausgeglichen.

Der Wert der Vermögensrechte und Pflichten (Schulden) ist NATÜRLICH so gut wie niemals ausgeglichen (wäre dem so, wäre ja das Nettovermögen/EK permanent Null, was vollkommener Unsinn ist).    Das hat doch aber auch niemand behauptet.   Die Rechte und Pflichten allein bilden jedoch eine unvollständige Bilanz. 

Die beiden Seiten der Bilanz sind nur deshalb immer "gleich lang", weil auf der "kürzeren" Seite ein rein per tautologischer Definition ermittelter AUSGLEICHSPOSTEN hinzugesetzt wird: der SALDO. Englisch heißt der "balancing item" - dasjenige, was Bilanzgleichheit herstellt.   Der aber ist, wie Du doch selber geschrieben hast, gerade KEINEM konkreten Rechtstitel zugeordnet.  Er ist eine reine RECHENgröße, konstruiert per mathematischer Definition (Tautologie):  Der Bilanzgleichung.  

Weil Vermögen und Schulden NICHT wertmäßig gleich sind, braucht es doch den Ausgleichsposten überhaupt erst.  Mit jeder Veränderung der Differenz des Werts der Vermögensrechte und der Schulden verändert sich per Definition auch der Ausgleichsposten (Netto- oder Reinvermögen / Eigenkapital).  Oder anders betrachtet: jede Buchung auf einem Erfolgskonto verändert auch den Saldo "EK".

Der Ausgleichsposten führt deshalb IMMER dazu, daß sich auf beiden Seiten dieselbe Bilanzsumme ergibt, weil er genau so definiert ist, daß sich dies immer ergibt, völlig wurscht was mit den Rechten und Pflichten passiert. 

Angenommen, ein Erdbeben zerstört Dein Haus, das du zuvor mit 400 000 € bewertet hattest, und du hast keine Erdbebenversicherung.   Die Trümmer sind vielleicht noch 100 000 wert (deine Bewertung z.B. anhand vergleichbarer Marktpreise).   Was passiert dann in deiner Bilanz?  Die Aktivseite schrumpft im Posten "Wert der Eigentumsrechte" um 300 000 €.   UND: die Passivseite schrumpft im Posten "Eigenkapital" um 300 000 €.   Also bleiben beide Seiten gleich lang, denn es haben sich zwei Bilanzposten verändert, wie bei jeder Buchung. Hier: Bilanzverkürzung. Der Wert des Rechts an deinem Haus wurde per Zerstörung vermindert.  Also hat sich auch dein Nettovermögen (Vermögen minus Schulden, oder: Wert sämtlichen Eigentums + Wert der Forderungen - Schulden) vermindert.  Bilanzverkürzung.

Warum ist das so? Machen wir's konkret: angenommen, vor dem Erdbeben betrug dein Gesamtvermögen 500 000 € und Deine Schulden 100 000 €, dein Nettovermögen also 500 000 € - 100 000 € = 400 000 €.   Nach der Zerstörung beträgt Dein Gesamtvermögen noch 200 000 €.  An Deinen Schulden hat das Erdbeben aber nichts geändert - die betragen nach wie vor 100 000 €.  Also beträgt dein Nettovermögen nun 200 000 € - 100 000 € = 100 000 €.  Mindert sich Dein Gesamtvermögen (Aktiva), während Deine Schulden unverändert bleiben, mindert sich auch dein Nettovermögen, das sich ja aus der Differenz zwischen Gesamtvermögen und Schulden ergibt.  

Ich verstehe nicht, was daran so schwer zu verstehen sein soll?!?

Daher ja doppelte Buchführung: es verändern sich bei JEDEM Geschäftsvorfall 2 Bilanzposten - immer so, daß beide Seiten gleich lang bleiben:

  • Aktivtausch
  • Passivtausch
  • Bilanzverlängerung
  • Bilanzverkürzung
Gäbe es den Ausgleichsposten nicht, würde sich dagegen die Zerstörung deines Hauses in einer nur einfachen Buchung niederschlagen (unvollständiger Buchungssatz).  

Bitte lies dazu - und mache es wirklich - den Text von Michael Bitz zum Begriff "Eigenkapital", den ich Dir verlinkt habe, S. 5-6 (pdf):
https://www.fernuni-hagen.de/csf/download/sch__pfungswille_schneeloch.pdf

Du hattest ja gefragt, wie es sein konnte, daß Du bei deinen Buchungen nie den Bezug zum Eigenkapital hergestellt hattest.  Ich hatte gesagt, mit einem korrekten Verständnis des Begriffs Eigenkapital haben auch andere Probleme, sodaß es eine Reihe typischer Fehlinterpretationen gibt, die Bitz in diesem Text auflistet und klärt. 

Und Anstelle eines Wertes sollte man von Wertebereichen sprechen. Die punktuellen Werte sind das Ergebnis einer bestimmten Art der Rechnungslegung und dabei hat der Ausgleich einen pragmatischen Grund: Man will durch die Ermittlung eines Gewinns/Verlustes die Grundlage für die Besteuerung und Ausschüttung an die Anteilseigner haben.

Die Gesamtmenge der bewertbaren Rechte und Pflichten ist das Vermögen eines Rechtssubjektes. Das heißt, das Gesamtvermögen besteht gerade nicht nur aus den Aktiva, sondern umfasst auch die gesamten Passiva.

Das ist das NETTOvermögen (Eigenkapital), auch REINvermögen genannt.  Gesamtvermögen oder Vermögen = Aktiva.  Gesamtvermögen - Schulden = Nettovermögen (Eigenkapital). 

Die Aktivseite verzeichnete Vermögen (Mittelverwendung), die Passivseite Kapital (Mittelherkunft).  Schulden = Fremdkapital (hat Fristigkeit), Nettovermögen = Eigenkapital (keine Fristigkeit, steht unbegrenzt zur Verfügung).


Und das Eigenkapital ist nur bewertungsmäßig ein Saldo; sachlich bezieht sich das sog. Eigenkapital auf die Beteiligungsrechte (= Aktien, GmbH-Anteile, etc.) der Eigentümer.

Das ist natürlich richtig.  Aber: auch ein Single-Privathaushalt hat Nettovermögen, und hier gibt es keine Beziehung zwischen Rechtsperson "Firma" und Anteilseignern.   Primär ist Nettovermögen (Net Worth, Eigenkapital) ein SALDO - erst sekundär kann es zusätzlich auch Beteiligungsrechte meinen (muß es aber nicht, siehe Einzelkaufmann): 

Primär verändert sich der Saldo "EK" durch Geschäftsvorfälle, bei denen die Rechtsperson "Firma" mit Nicht-Anteilseignern in Beziehung tritt (wie beim Verkauf einer Dienstleistung) - oder mit niemandem in Beziehung tritt (wie bei einer Ab- oder Aufwertung von Aktiva wegen Marktpreisänderungen, Abschreibungen auf Anlagevermögen, etc.).  Sekundär natürlich auch durch Geschäftsvorfälle zwischen der Firma und Anteilseignern, wie z.B. bei der Emission von Aktien (Eigenkapitalerhöhung), der Ausschüttung von Gewinnen, dem Eingang von Sach- oder Finanzeinlagen etc. 

Niemals aber verändert sich das EK ausschließlich durch Geschäftsvorfälle zwischen Firma und Anteilseignern.  Eine solche Firma wäre gar nicht geschäftlich aktiv!  Schon von da her stellt die ausschließliche Interpretation des EK als Beziehung zwischen Firma und Anteilseignern eine verkürzende Fehlinterpretation dar, die die primäre Funktion und Bedeutung des EK als bilanziellem Ausgleichsposten, das Bilanzidendität herstellt (gleiche "Länge" beider Seiten, gleiche Bilanzsumme auf beiden Seiten) übersieht und nicht erkennt, daß erst dieser Ausgleichsposten Buchhaltung zur durchgängig "doppelten" macht. 

Bitte lies dazu den oben verlinkten Text von Michael Bitz zum Eigenkapital, S. 15-17 (pdf):
"Fehlinterpretation 3:  Eigenkapital als unmittelbarer Reflex von Finanzierungsmaßnahmen".
http://www.fernuni-hagen.de/csf/download/sch__pfungswille_schneeloch.pdf

BITTE wirklich lesen, ich möchte hier nicht alles komplett wiederholen, was Bitz besser und ausführlicher sagt. 

So. Und nun wüßte ich von Dir gern, auf welche konkreten Rechtsbeziehungen sich der Saldo "Nettogeldvermögen" (Zahlungsmittel + sonstige Forderungen - Verbindlichkeiten) beziehen soll. 


Wir wissen ja, daß das Gesamtvermögen aus (a) Eigentum (oft nicht ganz korrekt "Sachvermögen" genannt - nicht korrekt, weil ja auch immaterielle Urheberrechte, Patente, Markenrechte etc. dazuzählen) und (b) Forderungen (oft nicht ganz korrekt "Finanzvermögen") genannt (nicht ganz korrekt, weil auch Warenzahlungsmittelbestände dazuzählen, die aber nicht in die Kategorie "Forderungen" gehören, sondern als spezielle Untergruppe in die Kategorie "Sachvermögen") besteht. 
Also können wir die Bilanzgleichung nun so formulieren: 
  • Eigentum + Forderungen = Schulden + Nettovermögen (Eigenkapital)
Mein Vorschlag wäre hingegen:
(Im Folgenden ist das „+“-Zeichen als mengentheoretische Vereinigung und nicht als arithmetisches Pluszeichen zu verstehen.)

Vermögen := bewertbare Rechte (= Aktiva) + bewertbare Pflichten (= Passiva)

Das ist das Nettovermögen (Reinvermögen, Eigenkapital).   Mit Schulden kannst du nicht haften.  Du haftest FÜR Schulden  - mit deinem Gesamtvermögen (Aktivseite), das nennt sich allgemeine Vermögenshaftung, und da ist klar das Gesamtvermögen gemeint.  Kannst du in jedem Lehrbuch des Schuldrechts nachlesen, hier z.B.: 

K. Larenz: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, München 1987:
https://www.dropbox.com/s/qaz9bvxlf2b8zbs/Larenz%201967%20-%20Das%20Verm%C3%B6gen.pdf?dl=0

Oder hier:
Andreas von Tuhr:  Der Allgemeine Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts.  Leipzig 1910.
https://www.dropbox.com/s/wz8nra91csjb734/v.%20Tuhr%20-%20Das%20Verm%C3%B6gen.PDF?dl=0

Siehe dazu bitte auch nochmal den Text von Michael Bitz zum Eigenkapitalbegriff
(1) S. 11-13 (pdf): Fehlinterpretation 1: Eigenkapital als Haftungstatbestand
(2) S. 13 - 15 (pdf), Fehlinterpretation 2:  Eigenkapitalposten als spezielle Vermögensfonds
https://www.fernuni-hagen.de/csf/download/sch__pfungswille_schneeloch.pdf

Bitte WIRKLICH lesen!   Bitz zeigt das glasklar. 


Bewertbare Rechte   := Beteiligungsrechte + Forderungen + Herrschaftsrechte
Bewertbare Pflichten := Beteiligungspflichten (= Eigenkapital) + Verbindlichkeiten

Herrschaftsrechte := Eigentum + Immaterialgüterrechte 

Der Begriff Eigentum bezieht sich eigentlich nur auf Sachen.

Geistiges Eigentum (engl. "intellectual property") besteht nicht aus körperlichen Sachen, es sei denn, du möchtest auch z.B. Patente als "Sachen" bezeichnen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Geistiges_Eigentum#Begriff_des_%E2%80%9Egeistigen_Eigentums%E2%80%9C

Man kann es natürlich so definieren wie Du, es wird aber nicht einheitlich so gemacht.  Aber bleiben wir beim Thema Eigenkapital und klären das - DAS was Thema.  Eins nach dem anderen.  Wir können gerne eine Diskussion zum Eigentumsbegriff und zur Bewertung machen, aber dann bitte, nachdem wir erstmal den EK-Begriff konsensfähig geklärt haben.

Der Begriff Herrschaftsrechte ist der korrekte Oberbegriff.

Ok, wobei dort aber auch nicht bewert- und übertragbare Rechte enthalten sind. Insofern wäre der Begriff m.E. zu weit.  Aber - zurück zum Thema. 


Über die Beteiligungsrechte und -pflichten sind Unternehmen kapitalmäßig verflochten. Beteiligungsrechte sind wie Forderungen und Verbindlichkeiten Rechtsbeziehungen zwischen Rechtssubjekten. Ich rede von Beteiligungspflicht, wenn es sich um ein Beteiligungsrecht eines Dritten handelt: Im Falle einer AG ist das so zu verstehen: Die Aktionäre halten mit den Aktien die Beteiligungsrechte, die sich auf die Beteiligungspflichten des betreffenden Unternehmen bezieht. Ein AG würde keine Dividenden auszahlen, wenn die Aktionäre nicht ein Recht und die AG nicht die Pflicht dazu hätte. Ohne Beteiligungsrechte könnte ein Aktionär weder in der Hauptversammlung teilnehmen noch sein Stimmrecht ausüben.

In der klassischen Gliederung der Bilanz wird diese kapitalmäßige Verflechtung nicht wirklich deutlich, obwohl sie für unser Wirtschaftssystem von entscheidender Bedeutung ist.

Ist alles richtig, ändert aber nichts daran, daß Eigenkapital primär ein bilanzieller Ausgleichsposten, ein Saldo ist - und damit eine per tautologischer Definition konstruierte reine Rechengröße (s.o.).


Beteiligungsrechte := Beteiligungen an anderen Unternehmen bzw. juristischen Personen

Forderungen := Ansprüche auf Geld an Dritte
Verbindlichkeiten := Ansprüche auf Geld von Dritten

Und wie im vorangegangenen Email beschrieben würde ich Forderungen und Verbindlichkeiten immer zum Barwert ansetzen und auch Zinsforderungen bzw. -verbindlichkeiten bilanzieren.

Bewertung ist ein eigenes Thema.  Laß uns erstmal das Thema Eigenkapital befriedigend abschließen. 

Bewertung ist immer subjektiv, aber auch eingeschränkt durch Bewertungsvorschriften.  Und da sind die Vorschriften des dt. HGB andere als die der IFRS.  Zinsforderungen werden z.B. in D wg. § 252 HGB (Vorsichtsprinzip: Realisationsprinzip aus Gründen des Gläubigerschutzes) nicht sofort als Ertrag gebucht, sondern erst, wenn der Zinsgewinn realisiert ist.  Das könnte man auch anders machen.  

Laß uns das gesondert diskutieren, und jetzt erstmal beim Eigenkapital bleiben.  

Grüße
Wolfgang



Viele Grüße
Arne

Siehe die Grafik hier: 
https://www.dropbox.com/s/fgv24zi5xc9purb/Balance%20Sheets%20in%20Law%20new.jpg?dl=0

Oder, in der grafischen Version von Stützel, die noch den Begriff "Sachvermögen" verwendet, den wir - rechtlich korrekter - durch "EIgentum" ersetzen:
https://www.dropbox.com/s/255z1o1c34fmsa5/Bilanz%20a%20la%20St%C3%BCtzel.jpg?dl=0
Grafisch sieht das so aus, daß
  • die vertikale "Länge" der einzelnen Bilanzposten proportional zu ihrem arithmetischen Wert (angegeben in einer gemeinsamen Recheneinheit, genannt "Währung" oder "money of account"/Rechengeld) ist
  • beide Seiten der Bilanz vertikal gleich "lang" sind - dies entspricht der Gleichheit der Werte beider Seiten in der Bilanzgleichung (E + F = S + NV/EK)
  • die vertikale Länge des Nettovermögens der Länge des Gesamtvermögens (Eigentum + Forderungen) minus der Länge der Schulden entspricht

Hierbei sind Eigentum, Forderungen und Schulden Rechtstitel (in unserer Grafik in roter Schrift).  Eigenkapital ist KEIN Rechtstitel und bis heute ein "unbestimmter Rechtsbegriff" (in unserer Grafik in blauer Schrift).  Eigenkapital ist Resultat einer mathematischen Konstruktion, einer Tautologie - einer Gleichung, die immer wahr ist, weil sie rein definitorischer Natur ist.   DAS ist eine "buchhalterische Identität" innerhalb einer Bilanz. 

In meiner Gliederung wäre „Eigenkapital“ ein Rechtstitel, nämlich die Pflichten gegenüber den Eigentümern. Und die Bewertung dieser Bilanzposition erfolgt durch Saldenbildung. Das ist ja nicht ganz verkehrt, weil theoretisch bei einer Auflösung der Gesellschaft dieser Wert an die Eigentümer geht.

Das ist schon richtig -- aber es können sich Diskrepanzen zwischen der Wertsumme der ausgegebenen Anteilsrechte  und dem bilanziell (per Saldierung bewerteter Vermögensrechte und Schulden) ermittelten Eigenkapital ergeben.  Hier wird dann - siehe wiederum bitte  Michael Bitz - erneut ein Ausgleichsposten benötigt, um dies zu berücksichtigen.

Siehe ab S. 18 (pdf) unten: 
https://www.fernuni-hagen.de/csf/download/sch__pfungswille_schneeloch.pdf
 

Viele Grüße
Arne

Zwischen Bilanzen ergeben sich buchhalterische Identitäten (wie:  Nettogeldvermögen der Partialgruppe = negatives Nettogeldvermögen der Komplementärgruppe) durch die Identität von Forderungen und Verbindlichkeiten.

Und genau diese buchhalterischen Idenditäten werden in der "allgemeinen Gleichgewichtstheorie" mit verschiedenen ANDEREN Gleichheitstatbeständen vermischt und verwechselt: Stützel nennt das mit Windelband  "Problemverschlingungen", um diese dann eine nach der anderen durch präzisere Unterscheidungen zu "entwirren").  Letzteres aber erstmal nur am Rande. 

Und jetzt zurück zum Ausgangspunkt:   Eigenkapital ist also KEIN Rechtsbegriff, sondern eine buchhalterisch-mathematische Konstruktion: eine vollkommen immaterielle, nur gedachte (und "unsichtbare", physisch nirgends irgendwie faßbare) Rechengröße: ein SALDO, der zwar aus der "Verrechnung" von übertragbaren, in einer gemeinsamen Recheneinheit "bewerteten" Rechtstiteln entsteht, selbst aber kein konkreter Rechtstitel (Eigentums- oder Forderungsrecht oder Verbindlichkeit) ist, sondern eine ganz eigene, eben vom menschlichen Geist der Renaissance konstruierte Qualität hat.  Eine Qualität, die man vielleicht mit dem Wort "Netto-Vermögensmacht" ganz gut beschreiben kann (den Ausdruck "Vermögensmacht" übernehme ich von Andreas von Tuhr (1910):  Der Allgemeine Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts.  Leipzig: Duncker&Humblot, Kap. 2: Das Vermögen, füge ihm aber das "Netto" hinzu), Text hier:

https://www.dropbox.com/s/wz8nra91csjb734/v.%20Tuhr%20-%20Das%20Verm%C3%B6gen.PDF?dl=0

Siehe Luca Pacioli und Leonardo DaVinci (oben).   Genau deswegen brauchen wir eine Machttheorie des Vermögenswerts (denn es beruht auf Durchsetzbarkeit von Vermögensrechten per staatl. Gewaltmonopol über den Weg eines Zivilgerichts).   Eine Machttheorie von Wert und Preis, wie Stützel sie in "Preis, Wert und Macht" entworfen hat.  

Aber erst dieser Saldo "Nettovermögen/Eigenkapital" stellt überhaupt erst die Verbindung vom Recht zur kaufmännischen, heute "betriebswirtschaftlichen" Praxis her!   Denn das Kernziel aller Betriebswirtschaft: "Profitmaximierung" oder "Gewinnmaximierung" bezieht sich ja genau auf diesen immateriellen Saldo:  "Gewinn" ist definiert als Mehrung von Nettovermögen (Eigenkapital) über einen bestimmten Zeitraum (z.B. Jahresgewinn),"Verlust" als Minderung von NV/EK über diesen Zeitraum. Allgemein: Gewinn/Verlust = delta NV/EK.  

Natürlich ist Gewinn auch definiert als Überschuss der Erträge über die Aufwendungen über einen best. Zeitraum, Verlust als Überschuss der Aufwendungen über Erträge über einen best. Zeitraum.   Beide Methoden der Ermittlung müssen aber zum selben Ergebnis führen, da ja Erträge ebenfalls als Mehrung, Aufwendungen als Minderungen von NV/EK definiert sind.  Das sind rein definitorische Identitäten. 


Durch unseren Disput habe ich mir überlegt, woran es liegen könnte, dass ich in meiner praktischen Arbeit bei der Zuordnung der Buchungen zu den Strömungsgrößen der Buchhaltung nach meinen Erinnerungen nie auf den Saldo zurückgegriffen habe, sondern die Zuordnung nur auf der Basis der Buchungen selbst gemacht habe.

Du bist nicht der einzige, der Schwierigkeiten damit zu haben scheint, den Begriff des "Eigenkapitals" von seinem Ursprung (Pacioli) her zu verstehen und sekundäre (ebenfalls wichtige) Bedeutungen dieses Grundverständnis nicht vernebeln zu lassen.  Dazu hat Stützels ehemaliger Kollege und Mitautor, BWL-Prof. Michael Bitz, einen sehr guten Artikel verfaßt, den ich Dir sehr empfehlen kann: 
Schöpfungswille und Harmoniestreben des Renaissancemenschen: Luca Pacioli und die Folgen– Dogmenhistorische und sprachtheoretische Reflektionen zum Begriff des Eigenkapitals, in: Winkeljohann, N., Bareis, P. und Volk, G. (Hrsg.): Rechnungslegung, Eigenkapital und Besteuerung – Entwicklungstendenzen. Festschrift für Dieter Schneeloch zum 65. Geburtstag, München 2007, S. 147-166.

Online hier:
https://www.fernuni-hagen.de/csf/forschung/veroeffentlichungen_bitz.shtml
Direktlink zum Artikel:
http://www.fernuni-hagen.de/csf/download/sch__pfungswille_schneeloch.pdf
Der Saldo "Geldvermögen" ist für die Makroökonomie noch weitaus wichtiger:  mit seiner Hilfe nämlich läßt sich, wie Stützel gezeigt hat, eine ebenso einfache wie schlüssige Konjunkturtheorie formulieren, die eine ganze Reihe von alten Kontroversen auf einen Schlag erledigt und die entsprechenden Theorien korrigiert und bruchlos integrierbar macht, die also echte paradigmatische Qualität hat.  Aber dazu später - mich würde sehr interessieren, was der Artikel von Michael Bitz bei Dir auslöst. 

Einen sehr schönen ergänzenden Text von ihm gibt es in dem von ihm zusammen mit Dieter Schneeloch herausgegebenen Standardwerk, "der Jahresabschluß": der Abschnitt "Abbildungstheoretische Grundlagen".  Zu finden hier, ab S. 15 im pdf:

https://www.dropbox.com/s/qpdlch9fjgk437t/Bitz_Jahresabschluss.pdf?dl=0

Die Einsichten zum "Ur-Saldo" "Eigenkapital/Nettovermögen" lassen sich dann auch auf den Saldo "Netto-Geldvermögen" übertragen, der definiert ist als Zahlungsmittel + sonstige Forderungen - Verbindlichkeiten.   Nettovermögen ist dann definiert als Nettogeldvermögen + Eigentum ("Sachvermögen"):  als ein Saldo plus eine Kategorie von Rechtstiteln (Eigentum):

................... Zahlungsmittel ................................. Geld*
................. + sonstige Forderungen ..................... Kredit
................. - Verbindlichkeiten
................ + Eigentum ......................................... Eigentum
* kann aus (a) einer Teilmenge von Eigentum: Warenzahlungsmitteln oder (b) Teilmenge v. Forderungen: Kreditzahlungsmitteln oder (b) einer Kombination aus beidem bestehen und sich je nach Hierarchiestufe der Zahlungsmittel-/Kredithierarchie anders definieren!
Damit haben wir die Grundbegriffe für eine schlüssige Konjunkturtheorie (die Stützel'sche), die dann Thomas Weiss und Johannes Schmidt in den anschließenden Vorträgen dargestellt haben:
https://www.youtube.com/watch?v=X5tmtw8p5MA&index=3&list=PLyRk2yIHSNKl68kve8CufAgNc5cCOvKiy

NOTA BENE: All das sind im wesentlichen Einsichten von WOLFGANG STÜTZEL!!  Meine Minimal - Leistung besteht ausschließlich darin,
  • den von ihm verwendeten üblichen Begriff "Sachvermögen" durch den Begriff "Eigentum" zu ersetzen und den Rechtscharakter von Forderungen ("Finanzvermögen") und Verbindlichkeiten ("Schulden") explizit zu machen, und systematisch auf den juristischen Vermögensbegriff zurückzubeziehen (Larenz, v. Tuhr ...)
  • die Bilanz als mathematischen "Beweis" der algebraischen Formel, die "Nettovermögen/Eigenkapital" definiert, zu betrachten

Die Bilanz (beide Seiten immer gleich lang, beide Seiten ergeben immer dieselbe Bilanzsumme), die durch die "Erfindung" des Saldenkonzepts als geometrisch-algebraische Analogie ähnlich dem Satz des Pythagoras und der binomischen Formel überhaupt erst möglich wurde,  ist in ihrer genialen Einfachheit ein Produkt der europäischen Renaissance und des "Geists des römischen Rechts".   Denn ohne die Wiederentdeckung des römischen Rechts in den norditalienischen Stadtstaaten des 11./12. Jahrhunderts (die erste UNIVERSITÄT Europas, die Universität Bologna, ging aus einer RECHTSSCHULE hervor!) hätten die Kaufleute gar keinen Anlaß gehabt, doppelte Buchhaltung zu erfinden!  

Gruß
Wolfgang



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