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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik"

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Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik"


Chronologisch Thread 
  • From: Moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: Arne Pfeilsticker <Arne.Pfeilsticker AT piratenpartei-hessen.de>
  • Cc: "ag-geldordnung-und-finanzpolitik@lists piratenpartei. de" <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>, Nicolas Hofer <nicolas.hofer AT gmx.de>
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik"
  • Date: Tue, 22 May 2018 13:45:42 +0200


Hallo Arne,


Am 18.05.2018 um 13:44 schrieb Arne Pfeilsticker:
 
Net Worth und Net Financial Assets sind ja rechnerische Größen, denen keine direkten Rechte oder Pflichten und dementsprechend Buchungssätze gegenüber stehen. Durch unseren Disput habe ich mir überlegt, woran es liegen könnte, dass ich in meiner praktischen Arbeit bei der Zuordnung der Buchungen zu den Strömungsgrößen der Buchhaltung nach meinen Erinnerungen nie auf den Saldo zurückgegriffen habe, sondern die Zuordnung nur auf der Basis der Buchungen selbst gemacht habe.

Da du mich (s.u.) gefragt hast, ob ich eine Idee habe, woran das liegen könnte, habe ich mich das auch nochmal gefragt.   Eine Idee, die ich hatte, möchte ich Dir kurz beschreiben. 

Zunächst mal:  bei Buchungssätzen, die auch Erfolgskonten (Aufwands- und Ertragskonten) betreffen, hast Du schon auf den Saldo "Eigenkapital" zurückgegriffen - allerdings nur implizit.   Denn jede Buchung auf einem Ertragskonto mehrt, jede Buchung auf einem Aufwandskonto mindert ja den Saldo "Eigenkapital", ohne das Eigenkapital explizit zu nennen.  Ertrags- und Aufwandskonten sind aber ja nur Unterkonten des Eigenkapitalkontos, was spätestens beim Jahresabschluß auch wieder explizit klar wird. 

Aufwendungen und Erträge könnten auch in der laufenden (täglichen) Buchhaltung direkt über das Eigenkapitalkonto gebucht werden.  Dann aber ließen sich in der laufenden Buchhaltung Erträge und Aufwendungen nicht mehr übersichtlich verschiedenen Entstehungszusammenhängen zuordnen.  Das ist aber wichtig, um einen Überblick zu haben, wie genau Gewinne (Kernziel des Unternehmens!) und Verluste eines Geschäftsjahrs eigentlich zustandegekommen sind, um eine differenziert geordnete, präzise und übersichtliche Grundlage für die weitere Geschäftsplanung zu haben. 

Daher haben die norditalienischen Kaufleute ab dem 12. Jahrhundert das Eigenkapitalkonto aufgespalten

Zunächst haben sie zwei Kategorien von Änderungen des Saldos "Eigenkapital" unterschieden:

  • (A) Einlagen und Entnahmen von Gesellschaftern, sowie Ausschüttungen an diese. 
  • (B) alle sonstigen Vorgänge, die das Eigenkapital ändern, die sog. Aufwendungen (wie z.B. Lohn-, Miet- oder Zinszahlungen, Abschreibungen auf Anlagevermögen etc.) und Erträge (wie z.B. empfangene Zins-, Miet- oder Pachtzahlungen, Wertzuwächse beim Anlage- oder Umlaufvermögen durch Neubewertung, Wertschöpfung des Unternehmens wie z.B. patentierte Erfindungen etc.).  Nur diese gehen in die Gewinn- und Verlustrechnung ein, sind also erfolgswirksam. 
Eigenkapitalmehrende Einlagen und eigenkapitalmindernde Entnahmen von Gesellschaftern, ebenso eigenkapitalmindernde Ausschüttungen an diese, haben sie weiterhin direkt über das Eigenkapitalkonto verbucht. 

Alle anderen Vorgänge, die den Saldo "Eigenkapital" verändern, haben sie nicht mehr direkt über das Eigenkapitalkonto verbucht, sondern dieses zwecks größerer Übersicht in gesonderte Unterkonten aufgespalten:
  • Ertragskonten, auf denen (im "Haben", also in der linken Spalte)  jeweils besondere Kategorien von Eigenkapitalmehrungen erfaßt werden, und
  • Aufwandskonten, auf denen (im "Soll", also in der rechten Spalte), jeweils besondere Kategorien von Eigenkapitalminderungen erfaßt werden.
Diese Aufwands- und Ertragsbuchungen verändern zwar genauso wie Einlagen/Entnahmen von und Ausschüttungen an Gesellschafter sofort den Saldo/rechnerischen Ausgleichsposten "Eigenkapital" (=Vermögen minus Schulden).  Aber durch Aufwendungen und Erträge erzeugte EK-Änderungen werden eben nicht mehr sofort auf dem Eigenkapitalkonto sichtbar, weil sie der Übersichtlichkeit halber in Aufwands- und Ertragskonten ausgelagert wurden.  Der Sache nach sind dies aber lediglich Unterkonten des Eigenkapitalkontos.   Zusammengefaßt und explizit wieder in den zusammengefaßten Eigenkapitalbestand übertragen werden sie erst beim Jahresabschluß über die Gewinn- und Verlustrechnung, die dann einen Überblick über die Herkunft/Entstehung der Aufwendungen und Erträge des letzten Geschäftsjahres als Planungsgrundlage fürs nächste Jahr bietet. 

Die gesamte Änderung des Eigenkapitals über ein Jahr jedoch setzt sich zusammen aus (B) dem Jahresergebnis der Gewinn-und Verlustrechnung, plus (A) dem Saldo aus den Einlagen und Entnahmen der Gesellschafter während des Jahres, abzüglich der Ausschüttungen an Gesellschafter in diesem Jahr.  Nur letztere wurden aber direkt über das Eigenkapitalkonto verbucht.

Auch, wenn in der in Einzelkonten aufgespaltenen tagesaktuellen Buchführung beispielsweise eine Abschreibung auf Anlagevermögen "nur" das Bestandskonto "Anlagevermögen" und das Aufwandskonto "Abschreibungen" berührt (Buchungssatz:  "Abschreibungen an Anlagevermögen") und hier das Eigenkapitalkonto NICHT explizit auftaucht, sondern lediglich "versteckt" oder implizit in Form seines Unterkontos "Abschreibungen", wurde der Sache nach hier das EK direkt und sofort gemindert. 

Deshalb läßt sich dieser Buchungssatz korrekt auch so darstellen, daß die im Buchungssatz "Abschreibungen an Anlagevermögen" implizit bleibende Minderung des Saldos "Eigenkapital" explizit gemacht wird: 


Beispiel: Abschreibung auf Anlagevermögen

aktiv ......................................................... passiv

- Anlagevermögen .................................. - Eigenkapital
(Bilanzverkürzung)
  • Eigenkapital = Vermögen - Schulden
  • Das Vermögen wurde gemindert, die Schulden blieben unverändert
  • also wurde das Eigenkapital vermindert


Du hattest ja gefragt, ob ich noch eine Idee hätte, warum Du bei Deinen Betrachtungen nur auf die Buchungssätze und nicht auf die Salden zurückgegriffen hast.  Darauf möchte ich jetzt auf der Basis des obigen wieder zurückkommen:

Vielleicht (vielleicht aber auch nicht) ist in Deinem Denken dieser Zusammenhang durch die Aufspaltung des EK-Kontos in direkt dort gebuchte Einlagen/Entnahmen von und Ausschüttungen an Gesellschafter und andere EK-ändernde Vorgänge, die in der laufenden Buchhaltung zwecks größerer Übersicht in Aufwands- und Ertragskonten "ausgelagert" werden, verlorengegangen, weil Du vor lauter Bäumen (viele Aufwands- und Ertragskonten) den Wald (deren Zusammenhang mit dem Eigenkapitalkonto, dessen Unterkonten sie lediglich darstellen) nicht mehr gesehen hast? 


Vielleicht hast du noch eine Idee, denn die Ableitung der Strömungsgrößen aus den Geschäftsvorfällen bzw. Buchungssätzen hat Vorteile auch für das Verständnis.

Ja, die Betrachtung der Buchungssätze hat auch Vorteile - vor allem für die kaufmännische Planung.  Wie jede Perspektive beleuchtet sie bestimmte Aspekte des Gegenstands und beläßt andere im dunkeln.  Ich wollte ja nur darauf hinaus, daß sich unsere unterschiedlichen Auffassungen gar nicht widersprechen, sondern nur unterschiedliche Aspekte desselben Gegenstands beleuchten und insofern widerspruchsfrei integrieren lassen: die Darstellung von Geschäftsvorfällen in Form von Bilanzänderungen läßt sich problemlos in die Darstellung von Geschäftsvorfällen in Buchungssätzen "übersetzen". 

Ich hatte das oben nur anhand eines Beispiels "Abschreibung auf Anlagevermögen" gezeigt.  Das ganze läßt sich nun aber auch explizit und formal widerspruchsfrei integrieren: 
  • Jeder Geschäftsvorfall führt zu einer Doppelbuchung mit zwei Bestandsänderungen
  • Doppelbuchungen lassen sich darstellen
  • (1) als Bilanzveränderungen (Methode Wolfgang)
  • Aktivtausch
  • Passivtausch
  • Bilanzverlängerung
  • Bilanzverkürzung
(2) als Buchungssätze (Methode Arne)
  • Aktivkonto an Aktivkonto
  • Passivkonto an Passivkonto
  • Aktivkonto an Passivkonto
  • Passivkonto an Aktivkonto
(3) kombiniert als Doppelbeschreibung (G. Bateson), bei der beide Perspektiven dargestellt werden:  4 Augen sehen mehr als zwei!
  • Aktivtausch = Aktivkonto an Aktivkonto
  • Passivtausch = Passivkonto an Passivkonto
  • Bilanzverlängerung = Aktivkonto an Passivkonto
  • Bilanzverkürzung = Passivkonto an Aktivkonto
Wie bei zwei Sprachen lassen sich Geschäftsvorfälle in der Sprache (1) - Wolfgang - als Bilanzveränderungen, in der Sprache (2) - Arne - als Buchungssätze darstellen.  Oder eben zweisprachig, was ein vollständigeres Bild ergibt.  

Nun schauen wir uns die spezielle Untergruppe von Geschäftsvorfällen an, die den Saldo "Eigenkapital" (Vermögen - Schulden) verändern, und stellen ihn in beiden "Sprachen" dar: 
  • (1) als Bilanzveränderungen
  • Aktivtausch
  • immer EK-neutral, wenn gleiche Beträge gebucht werden!
Passivtausch
  • - Schulden, + Eigenkapital (z.B. Schuldenerlaß)
  • + Schulden, - Eigenkapital (z.B. Entstehen einer Zins-, Steuer-, Bußgeld- oder Schadensersatzverbindlichkeit)
Bilanzverlängerung
  • + Aktiva, + Eigenkapital (z.B. Wertschöpfung, Schenkung, Zuschreibung/Aufwertung v. Aktiva, Entstehung von Zins-, Miet-, Pacht- oder Schadensersatzforderungen, Einlagen von Gesellschaftern)
Bilanzverkürzung
  • - Aktiva, - Eigenkapital (z.B. Zerstörung v. Aktiva, Verschenkung, Abschreibung/Abwertung v. Aktiva, Entstehung von Zins-, Miet-, Pacht-, Steuer- oder Schadensersatzverbindlichkeiten, Entnahmen von Gesellschaftern, Ausschüttungen an Gesellschafter)
(2) als Buchungssätze
  • per Passiv-Bestandskonto (Schulden) an Ertragskonto
  • per Aufwandskonto an Passiv-Bestandskonto (Schulden)
  • per Aktivkonto an Erfolgskonto
  • per Aufwandskonto an Aktivkonto
(3) "Zweisprachig"
  • Passivtausch
  • - Schulden, + Eigenkapital ------ per Passiv-Bestandskonto (Schulden) an Ertragskonto
  • + Schulden, - Eigenkapital ------ per Aufwandskonto an Passiv-Bestandskonto (Schulden)
Bilanzverlängerung
  • + Aktiva, + Eigenkapital --------- per Aktivkonto an Erfolgskonto ODER (bei Einlagen v. Gesellschaftern) per Aktivkonto an Eigenkapitalkonto
Bilanzverkürzung
  • - Aktiva, - Eigenkapital ---------- per Aufwandskonto an Aktivkonto ODER (bei Entnahmen v. Gesellschaftern) per Eigenkapitalkonto an Aktivkonto
Man sieht, wie bei der Arbeit mit Buchungssätzen der Begriff "Eigenkapital" (als Saldo) für viele Geschäftsvorfälle plötzlich aus der Darstellung (und damit potentiell aus der Wahrnehmung) verschwindet, weil es nun für die meisten Geschäftsvorfälle der Ausdruck "+ Eigenkapital"  durch den Ausdruck "an Ertragskonto" ersetzt wird, der Ausdruck "- Eigenkapital" durch den Ausdruck "per Aufwandskonto".   Trotzdem wird natürlich auch bei jeder Ertrags- und Aufwandsbuchung das EK verändert. 

Der Begriff "Eigenkapital" erscheint in den Buchungssätzen nur noch, wenn Gesellschafter Einlagen oder Entnahmen tätigen - weil dies nach wie vor direkt (nicht indirekt, wie bei den Aufwands-/Ertragskonten) über das Eigenkapitalkonto gebucht wird.  Eine Barentnahme führt also zu dem Buchungssatz, "Eigenkapital an Kasse", eine Bareinlage zu "Kasse an Eigenkapital".  Diese Buchungen sind aber erfolgsneutral und berühren nicht die GuV.   Das ist eine Folge der oben beschriebenen Aufspaltung des EK-Kontos. 

So entsteht möglicherweise auch der Schein, Eigenkapital habe AUSSCHLIESSLICH etwas mit Einlagen von Gesellschaftern (Anteilsrechten) zu tun, würde also AUSSCHLIESSLICH eine Rechtsbeziehung zwischen der Rechtsperson "Kapitalgesellschaft" und ihren Anteilseignern ausdrücken. 

All das ist aber in dem Standardwerk  "Der Jahresabschluß" von Michael Bitz, Dieter Schneeloch und Wilfried Wittstock (auf den Seiten 3-18, " und 31-38: "Das Eigenkapital") weitaus klarer und besser dargestellt, als ich es je könnte. 

Deshalb hier ein Link zu diesem Textauszug:
https://www.dropbox.com/s/qpdlch9fjgk437t/Bitz_Jahresabschluss.pdf?dl=0

Mich würde nun interessieren, ob das für Dich einigermaßen einleuchtend und schlüssig war.

Aus meiner Sicht wären die scheinbaren Widersprüche zwischen unseren Auffassungen des Saldos "Eigenkapital" erstmal weitgehend aufgelöst bzw. unsere Auffassungen widerspruchsfrei integriert, sodaß wir uns jetzt aus meiner Sicht als nächstes den Saldo "Netto-Geldvermögen" und die Vorteile/Nachteile der Betrachtung und der Nichtbetrachtung der Geldvermögenssalden vornehmen und unsere Perspektiven darauf vergleichen könnten:


Betrachtung
Nichtbetrachtung
Vorteile


Nachteile



Aber vielleicht habe ich dich auch noch nicht richtig verstanden?

Mich haben Deine Einwände nochmal dazu gebracht, genauer über das Zustandekommen von Buchungssätzen und über das Gesamtsystem der doppelten Buchhaltung (inclusive Bestands- und Erfolgskonten) nachzudenken. 

Dafür besten Dank, denn dabei habe ich wieder einiges dazugelernt.   Für Korrekturen evt. Fehler oder sonstige Anmerkungen oder Einwände wäre ich dankbar. 

Grüße
Wolfgang






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