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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik"

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik"


Chronologisch Thread 
  • From: Moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ukw <ukw AT berlin.com>, AG Geldordnung Piraten <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>, Arne Pfeilsticker <Arne.Pfeilsticker AT piratenpartei-hessen.de>
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Präzise Buchhaltung, Saldenmechanik und "Eigentumsökonomik"
  • Date: Sun, 20 May 2018 20:10:28 +0200


Achja, zum Thema Bewertung und Eigenkapital: jede Neubewertung eines Vermögensrechts verändert das Eigenkapital um denselben Betrag, per Bilanzidentität, d.h. schlägt direkt auf Gewinn/Verlust durch. 


Aufwertung:

aktiv ............................................ passiv
+ Wertdifferenz X € ..................... + Eigenkapital X €


Abwertung:

aktiv ............................................ passiv
- Wertdifferenz X € ..................... - Eigenkapital X €


Kein Wunder also, daß sich auf den Bewertungsakt diverse Begehrlichkeiten richten.  Allerdings werden so nicht nur Gewinne, sondern auch Risiken geschaffen - u.a. für die Gläubiger.   Daher sind die Bewertungsvorschriften des HGB (im Gegensatz zu den IFRS, die von den Anglos stark beeinflußt sind) sehr am Gläubigerschutz und Vorsichtsprinzip orientiert - an den Tugenden des "ehrbaren Kaufmanns". 

Is nix mit "objektiv" beim Bilanzieren - da hilft keine Bilanzidentität. 

Gruß
Wolfgang


Am 20.05.2018 um 19:51 schrieb Moneymind:


Hallo ukw,

Du sprichst das Thema der Bewertung an. 

Die ist immer subjektiv und nicht vollständig objektivierbar, wenn auch durch (national verschieden gestaltete) Bewertungsvorschriften eingeschränkt (z.B. Vorsichsprinzip des HGB §252). 

Deswegen gibt es Bilanzbetrug und "creative accounting", "cooking the books" (a la Enronomics z.B.), "window dressing" natürlich, seit es Buchhaltung gibt.

Hier ein sehr schönes Buch "Accounting Fraud" dazu (siehe die gratis-slides unten):

https://www.garygiroux.net/contact-me

Bewertungsprozesse sind auch Machtprozesse - daher brauchen wir Stützels Machttheorie von Wert und Preis ("Preis, Wert und Macht" - 1972).  

Gruß

Wolfgang




Am 20.05.2018 um 13:50 schrieb ukw:

Hallo ihr beiden (Arne uns Wolfgang)

Ich lese Eure Ergüsse so mit und stelle fest, dass Ihr Euch recht weit in trockene theoretische Bereiche bewegt habt.

Eine Bilanz ist imo ein kaufmännisches Hilfskonstrukt. Werte (ob negativ oder positiv) sollen in der Bilanz "transparent" dargestellt werden. Da Ihr dieses Thema im Zusammenhang mit Banken diskutiert ist der Bereich der Sachvermögen (Anlagevermögen) nicht mal angesprochen. In den meisten Bilanzen schlummern längst abgeschriebene "Anlagegüter" - ob es nun Autos, Produktionsanlagen oder Gebäude oder Grundstücke sind, (Grundstücke werden in der Regel nicht abgeschrieben - es sei denn ihr betreibt Braunkohle Tagbau/ Abbau ;-) - aber Grundstücke haben z.T. einen stark schwankenden Wert. Allein die Grundstückspreise in den letzten 20 Jahren sind durch den Wechsel von DM zu € und zusammenbrechenden Renten/Rohstoff/Aktienmärkten - einiges "wertvoller" geworden.

Meine Kritik an Eurer Diskussion ist, dass die Bilanz ein Hilfskonstrukt ist. Mit Hilfe kreativer Buchführung lassen sich alle Posten manipulieren. Man kann "scheinbare Forderungen" generieren und  einfach mal eine Rechnung schreiben. Im Zeitalter der Umstellung von Produktion auf Dienstleistung benötigt man dafür ja auch kein Materialeinkauf. Oder man kann Werte verstecken in dem man Anlagevermögen auf null abgeschrieben hat.

Eine Bilanz (und die Umstellung der öffentlichen Haushalte von Kameralistik auf Doppik) dient dem Kaufmann (BWLer) bei der einfachen Feststellung, wie wertvoll denn der käufliche Gegenstand sein könnte. Es geht im Kapitalismus um einfache Dinge: 1. Um die Bewertung der Werte. 2. Um die "Aneignung" der Werte.  Wie ihr sicher beide ahnt, ist besonders der Bereich Gesundheit und Trinkwasser nicht wirklich bilanzierbar und im Grunde auch nicht bezahlbar. Darum werden Dinge wie Wasser, Bodenschätze in bestimmten Kreisen seit geraumer Zeit "angeeignet" , um auf der Zielgeraden des Kapitalismus neben den militärischen / strategischen Druckmitteln, den lebensentscheidenden "Wert" in der Hand zu haben.


Aber macht mal ruhig weiter. Ich bin gespannt welche tiefgreifenden Erkenntnisse Euer Diskurs hervorbringt. Ob ihr den Materialismus überwinden könnt oder ob ihr das nicht könnt - darauf kommt es doch letztendlich an. Alles materielle vergeht. Die Dinosaurier sind längst ausgestorben, sie waren nur eine Epoche in der Zeitrechnung. Der "Dino Kult" seit etwa 25 Jahren ist kein Zufall sondern ein Ausdruck des "Zeitgeist".


Frohe Pfingsten

ukw


Am 19.05.2018 um 22:05 schrieb Moneymind:


Hallo Arne,

nur kurz, da ich unterwegs bin - zu den anderen Punkten, speziell zum Nutzen der Perspektive, die durch den Blick auf Netto- und Geldvermögenssaldo entsteht - melde ich mich später noch: 

Am 18.05.2018 um 13:44 schrieb Arne Pfeilsticker:


Net Worth und Net Financial Assets sind ja rechnerische Größen, denen keine direkten Rechte oder Pflichten und dementsprechend Buchungssätze gegenüber stehen.

Genau so ist es. 

Es sind Salden (engl. "Balances"), die durch pure Tautologien (Gleichungen) konstruiert werden, um beide Seiten einer Bilanz oder eines Kontos gleich "lang" zu bzw. beide Seiten einer Gleichung arithmetisch gleich "groß" zu machen.  Daher ja "Bilanz":  das Bild der Waage suggeriert ein "Gleichgewicht" (natürlich eine Metapher: Vermögenswerte haben mit physischem Gewicht nicht das geringste zu tun, da sie sich auf abstrakt-immaterielle Rechtstitel und damit auf zukünftige Handlungsmöglicheiten, auf "Vemögensmacht" über andere, beziehen). 

Die Bilanz ist - wie jedes Konto - ein geometrischer Beweis für eine algebraische Formel, wie z.B. auch der Satz des Pythagoras oder die binomische Formel.   Luca Pacioli war schließlich Mathematiker, und hatte neben den "Summa de arithmetica, geometria, proportioni et proportionalità" (dem 1494 in Venedig erschienenen Werk, in dem er die doppelte Buchhaltung der damaligen norditalienischen Kaufleute zusammengefaßt systematisiert hat - dem Grundlagenwerk aller doppelten Buchhaltung, das zugleich eine Einführung in die Arithmetik, Algebra, und Geometrie der damaligen Zeit enthielt), 15 Jahre später ein Werk namens "De divina proportione" verfaßt, zu dem ein gewisser Leonardo DaVinci die Illustrationen beigesteuert hatte.  Lies das ruhig mal auf der englischsprachigen Wikipedia nach (die hat Artikel zu den beiden Werken, die deutschprachige leider nicht).

Beginnen wir mit der Gleichung, die Nettovermögen (Eigenkapital) definiert: 
  • Nettovermögen = Gesamtvermögen - Schulden. 
Nun formen wir die Gleichung um, indem wir auf beiden Seiten die Variable "Schulden" addieren:
  • Nettovermögen + Schulden = Gesamtvermögen - Schulden + Schulden 

Auf der rechten Seite der Gleichung kann man jetzt die Schulden rauskürzen:

  • Nettovermögen + Schulden = Gesamtvermögen

Jetzt tauschen wir beide Seiten der Gleichung (sie bleibt dabei natürlich gültig, da ja auf beiden Seiten numerisch identische Werte stehen müssen): 

  • Gesamtvermögen = Schulden + Nettovermögen
Das ist die Grundgleichung der Bilanz. 

Wir wissen ja, daß das Gesamtvermögen aus (a) Eigentum (oft nicht ganz korrekt "Sachvermögen" genannt - nicht korrekt, weil ja auch immaterielle Urheberrechte, Patente, Markenrechte etc. dazuzählen) und (b) Forderungen (oft nicht ganz korrekt "Finanzvermögen") genannt (nicht ganz korrekt, weil auch Warenzahlungsmittelbestände dazuzählen, die aber nicht in die Kategorie "Forderungen" gehören, sondern als spezielle Untergruppe in die Kategorie "Sachvermögen") besteht. 

Also können wir die Bilanzgleichung nun so formulieren: 
  • Eigentum + Forderungen = Schulden + Nettovermögen (Eigenkapital)
Siehe die Grafik hier: 
https://www.dropbox.com/s/fgv24zi5xc9purb/Balance%20Sheets%20in%20Law%20new.jpg?dl=0

Oder, in der grafischen Version von Stützel, die noch den Begriff "Sachvermögen" verwendet, den wir - rechtlich korrekter - durch "EIgentum" ersetzen:
https://www.dropbox.com/s/255z1o1c34fmsa5/Bilanz%20a%20la%20St%C3%BCtzel.jpg?dl=0

Grafisch sieht das so aus, daß
  • die vertikale "Länge" der einzelnen Bilanzposten proportional zu ihrem arithmetischen Wert (angegeben in einer gemeinsamen Recheneinheit, genannt "Währung" oder "money of account"/Rechengeld) ist
  • beide Seiten der Bilanz vertikal gleich "lang" sind - dies entspricht der Gleichheit der Werte beider Seiten in der Bilanzgleichung (E + F = S + NV/EK)
  • die vertikale Länge des Nettovermögens der Länge des Gesamtvermögens (Eigentum + Forderungen) minus der Länge der Schulden entspricht

Hierbei sind Eigentum, Forderungen und Schulden Rechtstitel (in unserer Grafik in roter Schrift).  Eigenkapital ist KEIN Rechtstitel und bis heute ein "unbestimmter Rechtsbegriff" (in unserer Grafik in blauer Schrift).  Eigenkapital ist Resultat einer mathematischen Konstruktion, einer Tautologie - einer Gleichung, die immer wahr ist, weil sie rein definitorischer Natur ist.   DAS ist eine "buchhalterische Identität" innerhalb einer Bilanz.  Zwischen Bilanzen ergeben sich buchhalterische Identitäten (wie:  Nettogeldvermögen der Partialgruppe = negatives Nettogeldvermögen der Komplementärgruppe) durch die Identität von Forderungen und Verbindlichkeiten.

Und genau diese buchhalterischen Idenditäten werden in der "allgemeinen Gleichgewichtstheorie" mit verschiedenen ANDEREN Gleichheitstatbeständen vermischt und verwechselt: Stützel nennt das mit Windelband  "Problemverschlingungen", um diese dann eine nach der anderen durch präzisere Unterscheidungen zu "entwirren").  Letzteres aber erstmal nur am Rande. 

Und jetzt zurück zum Ausgangspunkt:   Eigenkapital ist also KEIN Rechtsbegriff, sondern eine buchhalterisch-mathematische Konstruktion: eine vollkommen immaterielle, nur gedachte (und "unsichtbare", physisch nirgends irgendwie faßbare) Rechengröße: ein SALDO, der zwar aus der "Verrechnung" von übertragbaren, in einer gemeinsamen Recheneinheit "bewerteten" Rechtstiteln entsteht, selbst aber kein konkreter Rechtstitel (Eigentums- oder Forderungsrecht oder Verbindlichkeit) ist, sondern eine ganz eigene, eben vom menschlichen Geist der Renaissance konstruierte Qualität hat.  Eine Qualität, die man vielleicht mit dem Wort "Netto-Vermögensmacht" ganz gut beschreiben kann (den Ausdruck "Vermögensmacht" übernehme ich von Andreas von Tuhr (1910):  Der Allgemeine Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts.  Leipzig: Duncker&Humblot, Kap. 2: Das Vermögen, füge ihm aber das "Netto" hinzu), Text hier:

https://www.dropbox.com/s/wz8nra91csjb734/v.%20Tuhr%20-%20Das%20Verm%C3%B6gen.PDF?dl=0

Siehe Luca Pacioli und Leonardo DaVinci (oben).   Genau deswegen brauchen wir eine Machttheorie des Vermögenswerts (denn es beruht auf Durchsetzbarkeit von Vermögensrechten per staatl. Gewaltmonopol über den Weg eines Zivilgerichts).   Eine Machttheorie von Wert und Preis, wie Stützel sie in "Preis, Wert und Macht" entworfen hat.  

Aber erst dieser Saldo "Nettovermögen/Eigenkapital" stellt überhaupt erst die Verbindung vom Recht zur kaufmännischen, heute "betriebswirtschaftlichen" Praxis her!   Denn das Kernziel aller Betriebswirtschaft: "Profitmaximierung" oder "Gewinnmaximierung" bezieht sich ja genau auf diesen immateriellen Saldo:  "Gewinn" ist definiert als Mehrung von Nettovermögen (Eigenkapital) über einen bestimmten Zeitraum (z.B. Jahresgewinn),"Verlust" als Minderung von NV/EK über diesen Zeitraum. Allgemein: Gewinn/Verlust = delta NV/EK.  

Natürlich ist Gewinn auch definiert als Überschuss der Erträge über die Aufwendungen über einen best. Zeitraum, Verlust als Überschuss der Aufwendungen über Erträge über einen best. Zeitraum.   Beide Methoden der Ermittlung müssen aber zum selben Ergebnis führen, da ja Erträge ebenfalls als Mehrung, Aufwendungen als Minderungen von NV/EK definiert sind.  Das sind rein definitorische Identitäten. 









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