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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Marco Schmidt <mschmidt.mailbox AT web.de>
- To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik
- Date: Mon, 7 Jul 2014 16:26:13 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hi Wolfgang,
danke für das weiter vorantreiben der Diskussion. Machen wir mal einen
kleinen Exkurs in Mutterland von Kapitalismus und Industrialisierung:
England
Ulrike Herrmann schreibt in "Der Sieg des Kapitals", dass hohe
Löhne gepaart mit billiger, leicht nutzbarer Energie der Stein des
Anstoßes für die weitere Entwicklung waren. Der Einsatz von Maschinen
bewirkte bis dato unbekannte Produktivitätssteigerungen, so dass man
sich die höheren Löhne "leisten" konnte.
Abhängig war man allerdings vom Energieträger Kohle. Wald gab und gibt
es kaum noch auf der Insel, der war u.a. für (Schiff-)Bau verwendet
worden.
Ohne Automatisierung kein Produktivitätsfortschritt, ohne
Energiequelle keine Automatisierung. Die primitivste Form der
Produktivitätssteigerung ist der Einsatz von Nutztieren. Aber auch die
wollen gefüttert werden, damit sie Arbeitsleistung erbringen.
Man könnte sogar noch einen Schritt weiter gehen, dass der Mensch
sich schon immer das Leben leichter machen und nicht selbst auf ihre
eigenen zwei Hände zurückgreifen wollten. Was lag also näher als
andere per Zwang für einen arbeiten zu lassen
(Sklaverei/Leibeigenenschaft).
Welche Verrenkungen ich auch anstelle, mir gelingt es nicht,
Wertsteigerung von der Erbringung von Arbeitskraft (Faktor Mensch - mit
zunehmend größerem technischem Hebel) zu trennen. Beim technischen
Hebel dreht sich aber nichts ohne Energie. Wenn die Turbinen im
Kraftwerk sich nicht drehen, kommt kein Strom aus der Steckdose - etc.
Mir mag es da an Abstraktionsvermögen mangeln oder ich bin einfach zu
pragmatisch veranlagt, keine Ahnung. Nur wenn wir die stofflichen
Kreisläufe außen vor lassen, kann in meinen Augen kein sinnvolles
Modell von Wirtschaft(-swachstum) bei rauskommen. Man kann sich in
virtuelle Gefilde zurückziehen und Modellieren, nur wird man die
Realität damit nicht beschreiben können.
Ich bin da aktuell etwas hilflos, an welcher Stelle würdest Du
ansetzen, um das zu trennen? Macht das wirklich Sinn?
--
Ansonsten weiter beim Thema Energie:
Es geht schlicht und ergreifend darum, die Physik, im speziellen die
ersten beiden Hauptsätze der Thermodynamik mit einzubeziehen. Da
fallen dann so Begriffe wie Entropie und Exergie, sind aber recht
einfach zu verstehen. Energie kann nicht "verbraucht", sondern nur
umgewandelt werden (1. Hauptsatz). Wir können nur einen Teil der vorhandenen
Energie
für (physikalische) Arbeit nutzbar machen, dieser Anteil nennt sich im
Physik-Jargon "Exergie". Der Begriff war mir bis vor Kurzem auch nicht
geläufig... Der nicht nutzbare Anteil nennt sich Entropie.
Ein guter Einstieg ist der Vortrag (englisch) von Steve Keen (die ersten
6-7Minuten) https://www.youtube.com/watch?v=14vVhhNvWX0
Darauf aufbauend habe ich versucht, das allgemein verständlicher zu
beschreiben
http://thewisemansfear.wordpress.com/2014/06/17/hintergrundwissen-zum-thema-energie-entropie-und-exergie/
http://thewisemansfear.wordpress.com/2014/06/18/der-zusammenhang-von-energie-und-wirtschaftswachstum/
Die wertenden Bemerkungen bitte ich ganz einfach mal zu überlesen...
Wenn der Zusammenhang erst einmal klar
ist, dann erscheint "freie Energie" eher als Wunschvorstellung an
unbeschwerte,
quasi paradisische Zustände. "There is no free lunch" gilt aber auch
für die Energieseite.
Selbstverständlich hat auch die Physik nicht auf
alles eine Antwort, z.B. sind die aktuellen Modelle nur noch haltbar, wenn
man ca. 70% aller Materie im Universum als unsichtbare "dunkle Materie"
ansieht.
Man könne sie nur indirekt nachweisen, sie sei halt einfach da. Schon
daran entbrennt quasi eine Glaubens-Diskussion. Kritiker monieren
(zurecht), wie es denn sein könne, dass die Modelle nur weiter
funktionieren, wenn man 70% aller Materie als unsichtbar definiert.
Diese Problematik darf aber nicht dazu verleiten, dass man die bekannten
Zusammenhänge nun vollkommen über Bord wirft, da sie "eh nichts
taugen" würden.
Die Menschheit ist in mehrerer Hinsicht an Wahrnehmungsgrenzen
angelangt und debattiert über die Ergebnisse. Das trägt manchmal
Züge von Kaffeesatzleserei...
Nur auf den nächstbesten Heilsbringer anzuspringen, der mir freie - oder
Licht-Energie verspricht, das ist in meinen Augen grotesk.
Was ist denn schon alles als Substitut von fossilen Energieträgern
angekündigt und umgesetzt worden? Atomenergie? Im Konsens: zu
gefährlich. Kernfusion? Steckt immer noch in den Kinderschuhen,
scheint schwerer handhabbar als gedacht.
Erneuerbare? Angekündigt und eingeführt, dann plötzlich kalte Füße
bekommen. Die Modellrechnungen waren vielleicht auch zu positiv?
PV-Panels und Windturbinen benötigen jedenfalls auch Energie zur
Herstellung.
Fracking? Getreu dem Motto, die Zitrone kann auch noch ein bissl mehr
ausgequetscht werden, da ist noch Saft drin. Eine rein temporäre
Maßnahme, nicht nachhaltig.
Thorium? Als Substitut von Uran gedacht, technische Probleme nach wie
vor ungelöst.
Von Ideen für Vortex-Kraftwerke (wir erzeugen einen Tornado, zapfen
die Energie der Atmosphäre an) habe ich auch schon gelesen.
Viele teils abenteuerliche Ideen, keine im großen Maßstab umsetzbar.
Bisher gab es ein paar solcher Umbruch-Szenarien, hat aber meist keine
komplett neue Infrastruktur benötigt.
Nochmal das Grundproblem vor diesem Hintergrund: Man wird mit noch so
viel (frisch gedrucktem) Geld den Wirtschaftsmotor nicht weiter
antreiben können, so lange der EROEI-Koeffizient konventioneller
Energieträger ständig weiter abnimmt. D.h. wenn der ganze stoffliche
"Unterbau" immer ineffizienter wird.
--
An dieser Stelle nochmal der Verweis auf die Studie:
http://www.fraw.org.uk/files/economics/ayres_2005.pdf
"The standard theory assumes that production of goods and services (in
monetary terms)
can be expressed as a function of capital and labor, yet the major
contribution to growth
had to be attributed to an unexplained exogenous driver called `technological
progress’.
Both casual observation and physical intuition have convinced many
investigators since
Georgescu-Roegen first expounded on the subject, that production in the real
world cannot be
understood without taking into account the role of materials and energy"
Wie Keen oben im Vortrag sind auch die Autoren überzeugt, dass die
aktuell verwendeten ökonomischen Modelle zur Beschreibung von
Wirtschaftswachstum untauglich sind, da nur Kapital und Arbeit
(capital & labour) + Innovation mit einfließen würden. Daher wird der
weitere Aspekt "Energie" ins Spiel gebracht. Unter 2. werden die
Energiebegriffe (u.a. Exergie) auch nochmal erklärt. Bin aber auch
noch nicht dazu gekommen, das Ding komplett durchzuackern.
Dein Wunsch geht in eine andere Richtung, du möchtest die stofflichen
Prozesse am liebsten komplett ausblenden.
Wie kommen wir hier weiter?
Grüße,
Marco
- [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, Thomas Weiß, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, Marco Schmidt, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, Marco Schmidt, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, Marco Schmidt, 03.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 05.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, Marco Schmidt, 07.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 05.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, Marco Schmidt, 03.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, Marco Schmidt, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, Axel Grimm, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 02.07.2014
- Re: [AG-GOuFP] Kritik an der Postwachstumsökonomik, moneymind, 02.07.2014
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