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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Patrik Pekrul <Patrik.pekrul AT hotmail.de>
- To: Gerhard <listmember AT rinnberger.de>
- Cc: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff
- Date: Thu, 9 Aug 2012 13:04:05 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Am 9. August 2012 12:30 schrieb Gerhard <listmember AT rinnberger.de>:
Am 02.08.12 15:47, schrieb Patrik Pekrul:
> Bei allem Verständnis für die Kritik am "neoklassischenImmerhin werde ich gehört :-)
> Schlachtschiff" wollte ich nur mal darauf hinweisen, dass wir uns
> als Piraten nicht an dieser Billigpolemik beteiligen sollten.
Sehr schön. Und genau hier sind wir am zentralen Dilemma angelangt. Ich
> Ich empfehle an dieser Stelle mal, Ricardo zu lesen.
versuche es mal mit einer extrem gerafften Darstellung. Bei David
Ricardo findet sich schon das Konzept des 'Numéraire', also des
'unveränderlichen Maß von Wert', das die Diskrepanz zwischen
Gebrauchswert und Tauschwert aufheben soll.
Léon Walras gebührt die Ehre, mit der Entwicklung eines
mikroökonomischen Totalmodells, die methodische Grundlage dafür
geschaffen hat, dass wir heute ökonomische Prozesse analytisch mit Hilfe
von Differentialgleichungen betrachten können. Mit der rein
axiomatischen Festlegung im mikroökonomischen Totalmodell, indem das Gut
Geld auf 1 gesetzt wird,
Das "Gut Geld" - hier liegt der eigentliche gedankliche Fehler, ich bezeichne es als "Goldmünzendenken" und das ist meiner Ansicht nach das zentrale Missverständnis.
und die Preise aller anderen Güter hierzu
relativ bestimmt werden, hat sich Walras der 'Numéraire'-Frage gar nicht
gestellt. Als Allgemeines Gleichgewichtsmodell bildet es heute den
Ausgangspunkt aller auf der Neoklassik beruhenden ökonomischen Schulen
(Monetarismus (z.B. M. Friedman), Neo-Keynesianismus (z.B. P. Krugman)
…), die sich als Mainstream zusammenfassen lassen.
Die Frage ist interessant, aber mir erscheint es wesentlicher, dass man von der völlig falschen Voraussetzung ausgeht, dass Geld ein Gut wäre, ist es das nämlich nnicht, hat es nicht mal einen Wert, auch keinen "numéraire" als den Referenzwert 1.
Quantum Economics (Schmitt, Cencini) und der Behavioral Finance Ansatz
von Keen gehen von sehr unterschiedlichen Seiten an diese Problematik heran.
Da wären einmal die Quantum Ökonomen, die komplett auf eine
Mathematisierung in Form der Differentialrechnung verzichten und
stattdessen Zahlungsvorgänge eingehend analysieren und ihren
Niederschlag in den Bilanzen finden. Indem sie die Zeit in der
Produktion völlig neu interpretieren, können sie einen 'richtigen'
Numéraire, also eine reine Zahl herleiten, welches als Maß von Wert
angesehen werden kann. Walras' relatives Maß kann durch ein absolutes
Maß substituiert werden, das sich unmittelbar aus der Produktion
erklärt.
Halte ich - wie gesagt - für den falschen Ansatz, weil Geld kein Gut im (neo-)klassischen Sinne ist.
Die weitergehende Analyse von Zahlungsvorgängen legen eine
alternative Interpretation zentraler Begriffe wie Einkommen, Kredit und
Kapital nahe. Insbesondere definiert die Forderung, realisierte Profite
von Unternehmen im Bankensektor separat zu verbuchen, mit dem Ziel fixes
Kapital von zirkulierendem Kapital zu trennen, den so registrierten
Kapitalstock als gemeinsame Leistung der gesamten Volkswirtschaft zu
interpretieren.
Klingt vernünftig; ich debattiere im Zuge der Vermögenssteuer auch grade den qualitativ fundamentalen Unterschied zwischen Sachvermögen (eher außerhalb des Bankensektors zu finden) und Geldvermögen (eher im Bankensektor zu finden), denn ich befürworte eine reine Bruttogeldvermögensteuer.
Ich verstehe nicht, warum wir Einkommens- und Ausgabenarten bis ins feinste untergliedern, aber bei Vermögen hauen wir erst einmal alles grobschlächtig in einen Topf, als wenn eine Fabrik für 100 Millionen das selbe wäre wie ein Derivat auf Mais im "Wert" von 100 Mio. Alles Auswuchs des "Goldmünzendenken" - irgendwo, ganz tief in uns drin, ist immer noch der kleine Fritz, für den Geld eine Münze ist. Dieses Denken muss man erst einmal KOMPLETT überwinden!
Der behavioristische Ansatz bei Keen kritisiert wesentliche
Modellannahmen des Mainstreams. Kurz gesagt, die a priori Annahmen in
den neoklassischen Mikromodellen führen zu irrstionalen Resultaten.
Insbesondere die Annahme dass Märkte automatisch einem Gleichgewicht
zustreben, lässt sich empirisch nicht belegen.
Richtig, so ich Zeit habe höre ich mir die Vorlesungen an, ich würde zwar nicht alles 1:1 übernehmen, was er sagt, aber es geht definitiv in die richtige Richtung.
Den rein statischen, bzw.
komparativ statischen Gleichgewichtsmodellen stellt er dynamische
Modelle gegenüber, die auch Nichlinearität berücksichtigen. Solche
Modelle werden z.B auch in Biologie verwendet, um die Populationsdynamik
in Räuber-Beute-Beziehungen zu modellieren (Lotke-Volterra-Modelle).
Sein Simulationsmodell, welches explizit Verschuldung und Spekulation
berücksichtigt, zeigt eine deutliche Übereinstimmung mit den
tatsächlichen Gegebenheiten ('große Moderation' in den 90ern, 'große
Rezession/Depression' in jüngster Zeit).
Nun gut, eine Simulation so zu trimmen, dass sie die Vergangenheit richtig darstellt, ist noch keine Kunst. Simulationen als Ausweis oder gar Beweis für irgendetwas heranzuziehen, halte ich für äußerst fragwürdig - es sei denn, dass ihre PROGNOSE zig-fach richtig war. Dann fängt es an, interessant zu werden.
Beiden Ansätzen gemeinsam ist der Rückgriff auf die verhältnismäßig
junge kreislauftheoretische Auffassung von Geld nach Graziani. Das
zentrale Problem unseres heutigen Geldsystems wird aus der Feststellung
Grazianis deutlich, der sagt, dass eine 'Ökonomie, die Geld als Ware
betrachtet, die aus einem regulären Produktionsprozess stammt, nicht von
einer Tauschwirtschaft (Barterökonomie) unterschieden werden kann.' [1]
Hier liegt meiner Meinung nach der Hase im Pfeffer. Es scheint allerdings für viele einem geistigen Martyrium - oder sollte ich Katharsis sagen - gleichzukommen, dieses Verständnis zu überwinden - man nimmt es mit dem ersten Sparschwein halt auf wie die Muttermilch.
Zusammengefasst könnte man also sagen, wir haben damit das methodische
Rüstzeug um
a) den Istzustand einer Volkswirtschaft transparenter darstellt (QE) und
b) den Sollzustand einer Volkswirtschaft besser modellieren kann (Keen),
indem man lediglich untersucht, ob ein Prozess sich stabil entwickelt
oder in einer Katastrophe mündet.
Ich denke, wir haben damit einen robusten Pfad, an dem sich die weitere
Arbeit der AG orientieren kann.
Da bin ich ganz bei dir. Wir müssen uns aber ebenso stark darauf konzentrieren "vermittelbar" zu bleiben, sonst wird diese AG ein akademischer Debattierverein von "Spinnern" - also ist eine gewisse Vorsicht geboten.
Ob wir auch Thomas Kuhns Feststellung widerlegen können, dass
unbrauchbare Theorien erst dann aussterben, wenn deren Vertreter
ausgestorben sind, wäre eine politische/gesellschaftliche
Herausforderung. Kompetenz und Sachverstand um einen Paradigmenwechsel
herbeizuführen, wäre imho sicherlich vorhanden.
Klarmachen zum Ändern!
Gerhard
--
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- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Gunnar Kaestle, 10.08.2012
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