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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: "Christoph Ulrich Mayer" <CU_Mayer AT Menschen-gerechte-Gesellschaft.de>
- To: "'Gerhard'" <listmember AT rinnberger.de>, <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff
- Date: Fri, 10 Aug 2012 11:12:47 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
- Organization: Autor
Hallo Gerhard,
der Volkswirt Bernd Senf ist der Ansicht, dass alle Formeln in der
Volkswirtschaft aus einem Mathematikerneid der VWL kommen ;-)
Nicht eine Formel in der VWL kann in letzter Konsequenz nachgewiesen werden.
Tatsächlich ist das neoklassische Modell eine Vereinfachung der Wirklichkeit,
die sehr gefährliche Trugschlüsse generiert, vor allem den, dass das System
gut beschrieben sei oder eine definierte Wissenschaft.
Die Kreislauftheorie erfasst die Wirklichkeit nicht einmal annähernd, die
Zusammenfassung aller Haushalte in einem Modellteil "Haushalte" ist so falsch
wie manipulativ usw.
Jede Forschung ist maximal so gut wie ihre Grundannahmen.
Gruß
Christoph
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: ag-geldordnung-und-finanzpolitik-bounces AT lists.piratenpartei.de
[mailto:ag-geldordnung-und-finanzpolitik-bounces AT lists.piratenpartei.de] Im
Auftrag von Gerhard
Gesendet: Donnerstag, 9. August 2012 12:31
An: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische
Schlachtschiff
Am 02.08.12 15:47, schrieb Patrik Pekrul:
> Bei allem Verständnis für die Kritik am "neoklassischen
> Schlachtschiff" wollte ich nur mal darauf hinweisen, dass wir uns als
> Piraten nicht an dieser Billigpolemik beteiligen sollten.
Immerhin werde ich gehört :-)
> Ich empfehle an dieser Stelle mal, Ricardo zu lesen.
Sehr schön. Und genau hier sind wir am zentralen Dilemma angelangt. Ich
versuche es mal mit einer extrem gerafften Darstellung. Bei David Ricardo
findet sich schon das Konzept des 'Numéraire', also des 'unveränderlichen Maß
von Wert', das die Diskrepanz zwischen Gebrauchswert und Tauschwert aufheben
soll.
Léon Walras gebührt die Ehre, mit der Entwicklung eines mikroökonomischen
Totalmodells, die methodische Grundlage dafür geschaffen hat, dass wir heute
ökonomische Prozesse analytisch mit Hilfe von Differentialgleichungen
betrachten können. Mit der rein axiomatischen Festlegung im mikroökonomischen
Totalmodell, indem das Gut Geld auf 1 gesetzt wird, und die Preise aller
anderen Güter hierzu relativ bestimmt werden, hat sich Walras der
'Numéraire'-Frage gar nicht gestellt. Als Allgemeines Gleichgewichtsmodell
bildet es heute den Ausgangspunkt aller auf der Neoklassik beruhenden
ökonomischen Schulen (Monetarismus (z.B. M. Friedman), Neo-Keynesianismus
(z.B. P. Krugman) …), die sich als Mainstream zusammenfassen lassen.
Quantum Economics (Schmitt, Cencini) und der Behavioral Finance Ansatz von
Keen gehen von sehr unterschiedlichen Seiten an diese Problematik heran.
Da wären einmal die Quantum Ökonomen, die komplett auf eine Mathematisierung
in Form der Differentialrechnung verzichten und stattdessen Zahlungsvorgänge
eingehend analysieren und ihren Niederschlag in den Bilanzen finden. Indem
sie die Zeit in der Produktion völlig neu interpretieren, können sie einen
'richtigen'
Numéraire, also eine reine Zahl herleiten, welches als Maß von Wert angesehen
werden kann. Walras' relatives Maß kann durch ein absolutes Maß substituiert
werden, das sich unmittelbar aus der Produktion erklärt. Die weitergehende
Analyse von Zahlungsvorgängen legen eine alternative Interpretation zentraler
Begriffe wie Einkommen, Kredit und Kapital nahe. Insbesondere definiert die
Forderung, realisierte Profite von Unternehmen im Bankensektor separat zu
verbuchen, mit dem Ziel fixes Kapital von zirkulierendem Kapital zu trennen,
den so registrierten Kapitalstock als gemeinsame Leistung der gesamten
Volkswirtschaft zu interpretieren.
Der behavioristische Ansatz bei Keen kritisiert wesentliche Modellannahmen
des Mainstreams. Kurz gesagt, die a priori Annahmen in den neoklassischen
Mikromodellen führen zu irrstionalen Resultaten.
Insbesondere die Annahme dass Märkte automatisch einem Gleichgewicht
zustreben, lässt sich empirisch nicht belegen. Den rein statischen, bzw.
komparativ statischen Gleichgewichtsmodellen stellt er dynamische Modelle
gegenüber, die auch Nichlinearität berücksichtigen. Solche Modelle werden z.B
auch in Biologie verwendet, um die Populationsdynamik in
Räuber-Beute-Beziehungen zu modellieren (Lotke-Volterra-Modelle).
Sein Simulationsmodell, welches explizit Verschuldung und Spekulation
berücksichtigt, zeigt eine deutliche Übereinstimmung mit den tatsächlichen
Gegebenheiten ('große Moderation' in den 90ern, 'große Rezession/Depression'
in jüngster Zeit).
Beiden Ansätzen gemeinsam ist der Rückgriff auf die verhältnismäßig junge
kreislauftheoretische Auffassung von Geld nach Graziani. Das zentrale Problem
unseres heutigen Geldsystems wird aus der Feststellung Grazianis deutlich,
der sagt, dass eine 'Ökonomie, die Geld als Ware betrachtet, die aus einem
regulären Produktionsprozess stammt, nicht von einer Tauschwirtschaft
(Barterökonomie) unterschieden werden kann.' [1]
Zusammengefasst könnte man also sagen, wir haben damit das methodische
Rüstzeug um
a) den Istzustand einer Volkswirtschaft transparenter darstellt (QE) und
b) den Sollzustand einer Volkswirtschaft besser modellieren kann (Keen),
indem man lediglich untersucht, ob ein Prozess sich stabil entwickelt oder in
einer Katastrophe mündet.
Ich denke, wir haben damit einen robusten Pfad, an dem sich die weitere
Arbeit der AG orientieren kann.
Ob wir auch Thomas Kuhns Feststellung widerlegen können, dass unbrauchbare
Theorien erst dann aussterben, wenn deren Vertreter ausgestorben sind, wäre
eine politische/gesellschaftliche Herausforderung. Kompetenz und Sachverstand
um einen Paradigmenwechsel herbeizuführen, wäre imho sicherlich vorhanden.
Gerhard
--
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- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, (fortgesetzt)
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Patrik Pekrul, 03.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Bodo Thiesen, 10.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, alex, 10.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Patrik Pekrul, 03.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Patrik Pekrul, 09.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Gerhard, 13.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Gerhard, 14.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Gunnar Kaestle, 10.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Gerhard, 14.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Christoph Ulrich Mayer, 10.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Gerhard, 16.08.2012
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