ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Patrik Pekrul <patrik.pekrul AT hotmail.de>
- To: Nicolai Haehnle <nhaehnle AT gmail.com>
- Cc: "ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de" <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff
- Date: Thu, 2 Aug 2012 23:27:03 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Am 02.08.2012 um 16:05 schrieb Nicolai Haehnle <nhaehnle AT gmail.com>:
> 2012/8/2 Patrik Pekrul <patrik.pekrul AT hotmail.de>:
>> Natürlich kann man kritisieren, dass die Annahme des streng rational
>> handelnden
>> Menschen nicht der Realität entspricht und deshalb bestimmte Prozesse in
>> der Realität
>> zu anderen Ergebnissen führen als es "die reine Lehre" voraussagt - aber
>> kann man
>> untersuchen, was die "optimale" Ressourcenallokation ist, OHNE einen
>> rational
>> handelnden Akteur zu unterstellen? Wohl kaum!
>>
>> Fazit: Die Neoklassik stellt im Kern nur eine Frage und ist deshalb kann
>> sie auch nur
>> diese eine Frage beantworten: Was wäre die optimale Ressourcenallokation?
>
> Ich habe zwei große Probleme damit.
>
> Erstens, die viel grundlegendere Frage ist: "Was bedeutet eigentlich
> 'optimal'?"
>
> Mathematische Optimierung ist mein Promotions-Thema, aber diese Frage
> kann ich dir auch bei den Problemen, mit denen ich mich beschäftige,
> nicht beantworten, weil es keine wissenschaftliche Frage, sondern eine
> politische Frage ist.
Das stimmt, in ökonomischer Sicht ist die Frage sogar noch komplizierter; da
jeder einzelne von uns unterschiedliche Nutzenfunktionen hat, die nicht
einmal qualitativ gleich sein müssen und obendrein unbekannt sind, kann nicht
mal die Politik - oder irgendjemand - sagen, was überhaupt "optimal" ist.
DAS ist ja einer der theoretischen Hauptgründe, diese Entscheidung "dem
Markt" - also allen - zu überlassen. Egal welcher Einzelne oder welche Gruppe
das Optimum definiert, wird GARANTIERT falsch liegen!
Einfacher ist es bei technischen Prozessen ein objektives Optimum, im Sinne
von Gewinnmaximierung, zu finden. Wenn man die Grenzproduktivitäten der
Produktionsfaktoren kennt und weiss wieviel sie kosten, kann man tatsächlich
das Optimum (die Optima) ermitteln.
Ich denke, die Neoklassik ist hier ein wenig dem "Availability Bias"
verfallen; nachdem man nun ein Modell für die Angebotsseite entwickelt hatte,
das ganz nützlich war, hat man probiert, es möglichst eins zu eins auf die
Nachfrageseite zu übertragen, und dieses hat man dann so "hingetrimmt", dass
es passte.
> Wenn die VWL ernsthaft daran interessiert ist, über optimale
> Ressourcenallokationen nachzudenken und wie man dort hinkommt, dann muss
> sie sich der Tatsache stellen, dass "optimal" unterschiedlich definiert
> werden kann, dass es also unterschiedliche Bewertungskriterien gibt. Viele
> Ökonomen machen das auch, aber es dringt nicht an die Öffentlichkeit.
Das kann man so nicht sagen, nur ist man sich der Unmöglichkeit, ein
allgemeingültiges Optimum zu definieren bewusst - zumal sich die Präferenzen
über die Zeit auch noch ständig ändern, deshalb ja auch "der Markt" als
Ultima Ratio.
> Zweitens hat die VWL den Anspruch, Aussagen über die Realität zu machen und
> muss sich deswegen empirischer Überprüfung stellen. Steve Keen moniert
> zurecht, dass die Finanzkrise von den neoklassischen Modellen nicht erklärt
> werden kann. Tatsächlich haben Neoklassiker nur kurz vor Ausbruch der GFC
> behauptet, es gäbe keine Business Cycles mehr. Das ist ein derart
> ultimatives Versagen, dass die sich eigentlich alle vor Schande verziehen
> müssten.
JEDER Ökonom - wie auch jeder Mensch - versagt permanent bei der Vorhersage
der Zukunft, und das ist empirisch nachgewiesen. Das hängt nicht von den
Denkschule ab, sondern schlicht daran, dass die Welt zu komplex ist, um sie
zu prognostizieren.
Ein Ökonom kann mal Recht haben, vielleicht auch ein paar Mal hintereinander,
aber langfristig unterscheidet sich seine Prognosefähigkeit in nichts von
einer zufälligen Prognose, das ist anhand von ca. 65.000 Prognosen diverser
Ökonomen über einen Zeitraum von 20 Jahren untersucht worden. Das ist wie
beim Wetter...
>
> Wie dem auch sei: es gibt durchaus sinnvolle VWL - zumal VWL ja viel größer
> ist als nur die Themen, über die wir hier reden - aber es gibt eben auch
> verdammt viel Bullshit. Und vieles der sinnvollen VWL dringt leider nicht
> an die Öffentlichkeit, weil VWL eine sehr stark von politischen Interessen
> durchsetzte Wissenschaft ist.
Stimmt, nur dass die Politik weniger an den konkreten Erkenntnissen und deren
begrenzter Gültigkeit unter ganz bestimmten Randbedingungen interessiert ist,
sondern lediglich an populistisch verkürzten Phrasen, um ihrem eigenen
Bullshit einen akademisch fundierten Anschein zu verpassen. In dieses Muster
sollten wir nicht verfallen.
Wer die Klassiker nicht gelesen und nachvollzogen hat, sollte sich hüten, im
Brustton der Überzeugung über irgendwelche ökonomischen Denkschulen
herzuziehen - oftmals ist das einfach nur Nachgeplapper besagter populitisch
verkürzter Phrasen; im Moment ist es sehr en vogue auf die Neoklassiker zu
schimpfen, um sich im Nachgang (wie billig) mit intellektueller Überlegenheit
zu schmücken, ganz nach dem Motto: Ich habe es ja schon immer gewusst (und
NATÜRLICH Ende August 2008 alle meine Aktien verkauft - war ja klar...)
>
> Das muss man anerkennen, und von daher finde ich es sehr gut, dass Gerhard
> den Verweis auf Keen hier gepostet hat.
Ich auch, und ich verfolge die Vorlesung mit großem Interesse, aber wir
sollten es uns nicht angewöhnen Ökonomenschelte zu betreiben, als wenn wir es
besser wüssten oder gewusst hätten.
Vielleich sollten wir zum Spaß mal AG-intern unsere Prognosen für den Zustand
der Euro-Zone im August 2013 im Wiki dokumentieren und uns das dann mal
anschauen; da wir keine doofen Neoklassiker sind, müssten wir ja (zumindest
grob) richtig liegen ;-)
- [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Gerhard, 01.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Nicolai Haehnle, 02.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Patrik Pekrul, 02.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Nicolai Haehnle, 02.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Patrik Pekrul, 02.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Nicolai Haehnle, 03.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Patrik Pekrul, 03.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Bodo Thiesen, 10.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, alex, 10.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Patrik Pekrul, 03.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Nicolai Haehnle, 03.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Patrik Pekrul, 02.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Nicolai Haehnle, 02.08.2012
- [AG-GOuFP] gegen das neoklassische Schlachtschiff, The Dude, 03.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Gerhard, 09.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Patrik Pekrul, 09.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Gerhard, 13.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Gerhard, 14.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Gunnar Kaestle, 10.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Patrik Pekrul, 09.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Patrik Pekrul, 02.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] Volle Breitseite gegen das neoklassische Schlachtschiff, Nicolai Haehnle, 02.08.2012
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