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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] LQFB: evidenzbasierte Medizin

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] LQFB: evidenzbasierte Medizin


Chronologisch Thread 
  • From: "Martin E. Waelsch" <dr.m.e.waelsch AT t-online.de>
  • To: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] LQFB: evidenzbasierte Medizin
  • Date: Wed, 11 Jul 2012 23:51:03 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Ich stimme dem zu, dass die Evidenz der gültigen Evidenzen noch viel zu oft ein Problem darstellt. Es ist immer noch so, dass der Arzt in der Pflicht ist, sich in dem Dschungel von sehr unterschiedlichen Interessen mit durchzufinden muss, um für seinen patienten das beste Ergebnis erreichen zu können. Ohne Erfahrung, ohne ständiges lernen und Überprüfungen der laufenden Therapie geht es leider noch lange nicht. Deshalb ist das Ziel, eine gute Evidenz zu erreichen nicht falsch. Sie muss soweit verbessert werden, dass sie verläßlich und praktikabel wird. Dazu braucht es u unabhängige Studien, von unabhängigen Instituten. Das Problem ist, dass man sich in der Politik schwer tut, die Unabhängigkeit sich was kosten zu lassen. Ohne diesen Aufwand für die Unabhängigkeit wird es aber nicht klappen. Sie ist das ziel.

Wenn es verfahren oder mittel gibt, die wegen Mangel der erwarteten Gewinnmargen gar nicht erst untersucht werden, dann ist die Evidenz und die Therapiefreiheit in frage gestellt. Therapiefreiheit bedeutet, dass ich unter gesicherten Ergebnissen auswählen kann.

Die Ziele muss man schon mit dem Patienten gemeinsam formulieren. Vom Arzt alleine macht es wenig Sinn, weil die Erfahrung zwischen gesunden und kranken Situationen fehlt, der arzt lernt den Patienten erst dann kennen, wenn dieser ihn wegen einer Krankheit aufsucht, es gibt also zunächst keinen vergleichswert. Deshalb kann es nur mit dem Patienten gemeinsam beurteilt werden. Die objektive und subjektive Wahrnehmung und er Erfahrung müssen gemeinsam ausgewertet werden. Daraus können Ziele auch gemeinsam formuliert werden. Zu solch Art Diagnostik, therapie und begleitung müssen die Ärzte usw. Ausgebildet und trainiert werden. Der Wert der evidenz muss wertvoller und transparenter werden. Nebenbei: der gesetzgeber selbst braucht unabhängige Evidenzen, um gesetzliche Entscheidungen nicht an interessentengruppen alleine zu orientieren.

Dr. M. E. Waelsch von unterwegs

Am 11.07.2012 um 20:00 schrieb "Nils Kohn" <halenils AT gmx.de>:

 

 
Definierte Ziele von Behandlungen ergeben bei den evidenzbasierten Studien, ob die Wirkung und Nebenwirkung in einer für den Patienten akzeptablen Mischung bestehen und die Nebenwirkung jeweils auf das Ziel bezogen toleriert werden können. 
Diese Beschreibung beinhaltet schon einige der Probleme bei diesen Nachweisen.
Was sind definierte Ziele konkret? das mutet banal an, ist es aber keineswegs! Gerade in der Psychotherapieforschung ist das ein großes Problem. (ist aber auch bei somatischen Erkrankungen nicht trivial) Wir haben kein absolutes Maß für psychische Gesundheit oder gar Verbesserung, die ist häufig subjektiv, aber damit eben der Empirie schwer zugänglich. Die etablierten und im Rahmen der "Evidenz" akzeptierten Veränderungsmaße widersprechen aber den Annahmen einiger Therapierichtungen Beispielsweise wird bei einigen systemischen Therapien (die in der KJP anerkannt sind) ein "Label" wie, der Patient ist depressiv, abgelehnt, Studien hierzu müssen sich vorhalten lassen, warum sie kein Depressionmaß wie BDI oder HamD verwandt haben (die nachgewiesenermaßen beide ziemlich mau sind, was ihre Gütekriterien angeht) auch wenn sie andere (gut validierte) Maße verwenden. Die Fehlerhaftigkeit eines Labeling bei psychischen Erkrankungen ist bereits wissenschaftlcih bekannt und ein Grund, dass sich die revidierten Klassifikationssysteme (DSM-V und ICD-11) höchstwahrscheinlich von solchen kategorialen psychischen "Erkrankungen" (zumindest bei der Depression) abwenden und mehr einem dimensionalen Ansatz zuwenden.

Wenn wir die Relation von Wirkung und Nebenwirkung berücksichtigen, müssten wir Placebotherapien bezahlen, da diese nunmal einen Plaeboeffekt haben (der häufig erstaunlich groß ausfällt) und (ohne entsprechende Intervention) häufig kaum bis keine Nebenwirkungen haben.  

Ein weiteres Problem der evidenzbasierten Medizin ist die Finanzierung. Studien, die die hohen Ansprüche an das Studiendesign erfüllen, um in für die Zulassung relevanten Zeitschriften veröffentlichen zu können, sind häufig ohne einen idustriellen Sponsor oder großen Innovationscharakter nicht zu finanzieren. Sprich, die Wirkung eines "Heilkrauts" ist allgemein bekannt, selbst Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese in einer experimentellen Prüfung nachgewiesen werden kann, es findet sich jedoch kein Sponsor, der dies finanziert, weil damit kein Geld zu verdienen ist. Explorative Forschung zur Wirksamkeit bekannter pflanzlicher Produkte ist sowie kaum zu finanzieren. 

Ich weiß, das war jetzt nicht ganz zum Thema, aber ich musste mal einige meiner Bedenken zur "Evidenzbasierung" loswerden. :)
lg, Nils


----- Ursprüngliche Nachricht -----

Von: Martin E. Waelsch

Gesendet: 11.07.12 18:59 Uhr

An: AG Gesundheit

Betreff: Re: [AG-Gesundheit] LQFB: evidenzbasierte Medizin


 
Ich denke auch, dass nur das von der Solidargemeinschaft, von der bürgergemeinschaft bezahlt (getragen) werden soll, wo die Wirkung in freien Studien nachgewiesen ist (Evidenz). 
Definierte Ziele von Behandlungen ergeben bei den evidenzbasierten Studien, ob die Wirkung und Nebenwirkung in einer für den Patienten akzeptablen Mischung bestehen und die Nebenwirkung jeweils auf das Ziel bezogen toleriert werden können. 
Bei allen Methoden und Mitteln ohne solche evidenznachweise muss die Aufklärung, Transparenz, freier Zugang zu Informationen und Daten, entsprechende Info-Blätter bei anlaufstellen usw. dem Pat ermöglichen, eine entscheidung zu treffen. 
Es wird trotzdem Menschen geben, die ihren Homöopathen lieben und lieben werden und die denken, sie sind selbst die Evidenz. Das werden wir denen wohl nicht nehmen wollen. 
Aber da, wo es um Missbrauch und Schädigung geht, wird es genauso bekannt sein, wie heute, oder noch etwas besser aber man sollte eben dann schneller reagieren als heute, wenn die Verbote sozusagen vor der Nase liegen und sich andauernd anbieten. Hier greift schon die Freiheit des einen kann nicht auf kosten der Freiheit des anderen gehen. 

Dr. M. E. Waelsch von unterwegs 

Am 11.07.2012 um 16:43 schrieb Julitschka <Julitschka AT news.piratenpartei.de>: 

> 
> Hallo Nils, 
> 
> ich verstehe deinen Einwand und finde die Unterscheidung auch richtig, dass man auf der einen Seite nur evidente Therapien bezahlt und auf der anderen Seite nur warnen kann, wenn man auch weiß das es schädlich ist. Wobei das alleine zu kurz greift. Unterlassung ist auch schädlich, wenn man sich darauf verlässt das etwas anderes funktioniert, was es nicht tut. Zum Beispiel Malaria Prophylaxe mit Homöopathie. Sicher nicht schädlich, aber nützt eben nichts und es gibt ein bekanntes Mittel was funktioniert. Darum geht es mir. Wir brauchen Aufklärung dafür. 
> 
> Grüße, 
> 
> Julitschka 
> 
> biebobob schrieb: 
> 
>> Nein, aber dafür gibt es Regelungen, diese sind auch abhängig davon abhängig als was der Behandler sich bezeichnet (Arzt, Homopath etc). 
>> Uns muss es doch darum gehen, (1.) wann der Staat eine Behandlung bezahlt (->evidenzbasiert) und (2.) wann eine Behandlung verboten wird oder wann vor ihr gewarnt werden darf/sollte. Hier wird es schwieriger.. Dennoch kann der Staat meiner Meinung nach seinen Bürgern den gesunden Menschenverstand und die Selbstverantwortung für seine Gesundheit nicht abnehmen, er kann ihn nur vor schädlichen Dingen schützen, dies aber auch nur, wenn er sich (evidenzbasiert ;-) ) sicher ist, dass diese Dinge auch wirklich schädlich sind. 
>> lg, Nils 
> -- 
> AG-Gesundheitswesen mailing list 
> AG-Gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de 
> https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-gesundheitswesen 
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