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ag-gesundheit-reformer - Re: [Ag-gesundheit-reformer] Finanzierung des Gesundheitswesens bzw. der Krankenversicherung

ag-gesundheit-reformer AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Sub-AG der AG Gesundheit der Piratenpartei Deutschland

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Re: [Ag-gesundheit-reformer] Finanzierung des Gesundheitswesens bzw. der Krankenversicherung


Chronologisch Thread 
  • From: Wolfgang Gerstenhöfer <wolfgang.gerstenhoefer AT gmx.de>
  • To: "Sub-AG der AG Gesundheit der Piratenpartei Deutschland" <ag-gesundheit-reformer AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [Ag-gesundheit-reformer] Finanzierung des Gesundheitswesens bzw. der Krankenversicherung
  • Date: Sun, 5 Feb 2012 20:47:09 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheit-reformer>
  • List-id: Sub-AG der AG Gesundheit der Piratenpartei Deutschland <ag-gesundheit-reformer.lists.piratenpartei.de>

Hallo Harry,

hier nun endlich meine Antwort. Vielen Dank für die Geduld.

----- Original Message ----- From: Morgan le Fay
To: ag-gesundheit-reformer AT lists.piratenpartei.de
Sent: Thursday, February 02, 2012 8:35 PM
Subject: Re: [Ag-gesundheit-reformer] Finanzierung des Gesundheitswesens bzw. der Krankenversicherung


Hallo Wolfgang,

jaja, als Admin dieser Mailliste lese ich die Beiträge selbstverständlich alle. Ich lese überhaupt sehr viel, weshalb ich glaube, ein detailliertes Bild vom Gesundheitswesen zu haben, in dem ich übrigens meinen Beruf ausübe. Auch ich bin als Augenoptikermeister ein Leistungserbringer, der nicht nur für Gotteslohn arbeiten kann. Aber so wollte ich das auch nicht verstanden wissen.
Selbstverständlich gehören auch Lebensmittel zu den elementarsten Dingen, die ein Mensch braucht. Dafür gibt es dann ja auch diverse Transferleistungen, wenn jemand "ganz unten" ist. Nur im Gesundheitswesen herrschen Zustände, die jeder Beschreibung spotten. Darüber sind wir uns ja einig.
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Solche Transferleistungen möchte ich über Zuschüsse zu den Beiträgen für eine Basisversorgung auch erreichen. Sicher muss man im Detail noch über den Umfang einer Basisversorgung nachdenken. Für mich gehören Leistungen für Sehhilfen aber in jedem Fall dazu.

Aber wir haben unterschiedliche Ansätze, das sieht man schon an Deiner Einstellung zu gezahlten Beiträgen. Selbstverständlich gehört das Geld den Versicherten und nicht irgendwelchen Versicherungen, es sei denn, es wird dafür eine konkrete und adäquate Gegenleistung geboten. Das ist aber schwerlich der Fall, wenn man mit Teilen der Beiträge Werbung, Provisionen und Bumstouren finanziert. Man müsste mal durch alle Instanzen klagen, ob es bei einer Pflichtversicherung möglich sein kann, Provisionen aus den Beiträgen von Versicherten zu zahlen.

Die Beiträge gehören der Versichertengemeinschaft. Das sehe ich auch so. Darüber hinaus - gibt es in der heutigen GKV nicht - gehört der Versichertengemeinschaft ein großer Anteil der aus der Anlage der Beiträge erzielten Zinsen. Ein Teil dieser Zinsen gehört aber - quasi als Belohnung für eine gute Kapitalanlage und für einen wirtschaftlichen Umgang mit den Versichertengeldern - auch dem Unternehmen.

Nun kann man sagen: O.K. Das Prinzip übernehmen wir in die heutigen Körperschaften des öffentlichen Rechts (= Krankenkassen) und verzichten auf die Belohnung, sodass alle Zinsen der Versichertengemeinschaft zugute kommen.

Klingt zunächst ganz gut und so, dass man noch mehr Geld für die Versicherten/Patienten zur Verfügung hat.

Ich habe nur sehr große Zweifel, ob der Vorstand einer Köperschaft des öffentlichen Rechts tatsächlich ein entsprechend hohes Interesse hat und damit in der Lage ist, mit dem Geld der Versicherten/Kunden die höchstmögliche Rendite zu erzielen.

Da für mich solche Körperschaften quasi staatliche Behörden sind, kommt da meine Skepsis gegenüber öffentlichen Verwaltungen, gegen staatliche Behörden sehr stark durch.

Ich vertraue da einfach mehr auf privatwirtschaftliche Lösungen und einen Wettbewerb um Service, um Kundenorientierung, um möglichst hohe "Überzinsen" für die Kunden.
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Aber nun zum Wettbewerb:
Wir im Augenoptikerhandwerk haben seit Apollo, Fielmann und Co. schärfsten Wettbewerb. Wohin führt nun dieser Wettbewerb? Bei uns hat er dazu geführt, dass Kollegen zuerst in immer kleinere Kommunen ausweichen mussten, wo sie mit "normaler" Kalkulation nicht mehr überleben konnten. In den größeren Kommunen haben die Filialisten alles platt gemacht. Sie locken mit der Billig-Masche, verkaufen aber geschickt hochwertig und sind zugegebenmaßer auch nicht immer schlecht. Aber wehe, man ist kein Standard-Kunde...!
Um nun aber als kleiner Optiker in den kleineren Kommunen überleben zu können, wurde die Leistung zurückgefahren, die stets selbstverständlich gewesen war. "Der Gewinn steckt im Einkauf"..., diese Regel bekam mehr und mehr Gewicht und wir haben heute nicht selten Beschwerden über Kollegen, die billigste Ware mit Riesenspannen kalkulieren (müssen), um zu überleben. Reihenweise gehen Zulieferer, vor allem Fassungslieferanten, in die Insolvenz.
Die Ware und Dienstleistung ist oftmals einfach nur schrottig, aber wenn die Kollegen zumachen würden, wäre die Augenoptik in den meisten ländlichen Flecken verschwunden. Das bedeutet weiterhin, dass die Krankenkassen in der Augenoptik keine flächendeckende Versorgung mehr anbieten können.

Dieses Szenario lässt sich auf die Ärzte und anderen Heilberufe sowie die Zuliefererindustrie, z.B. für HiTech-Medizingeräte, übertragen. Die Rhön-Kliniken sind so ein "Fielmann", der beginnt, alles platt zu machen. Die IGeLeien entsprechen den Riesenspannen der Optikerkollegen, mit denen man auf seinen Schnitt zu kommen versucht. Ist das alles wünschenswert?
Wo soll denn Wettbewerb stattfinden? Unter den Kassen? Wenn ja, mit welchen Leistungsunterschieden, ohne die Menschen trotz gleicher Erkrankung ungleich zu behandeln?
Wieso steigen ausgerechnet in dem Bereich, in dem man annimmt, dass es noch am ehesten Wettbewerb geben könnte, nämlich im Arzneimittelwesen, die Preise am steilsten? Und wieso tut keiner was dagegen (außer vielleicht Ulla Schmidt)?

Ich sage es Dir: Weil das komplette System faul und korrupt ist. Es gibt keinen Markt! Schon deshalb nicht, weil der Patient nicht wissen kann, was er für eine Nachfrage ausrichten wird, wenn er erkrankt. Die Nachfrage stellt erst der Arzt mit seiner Diagnose. Zahlen muss aber der Patient. Und ich vertrete die Philosophie, dass derjenige, der zahlt, sich auch ein paar Rechte damit erwirbt. Das ist mein Credo.
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Sicher ist das mit dem Markt im Gesundheitswesen so eine Sache für sich. Trotzdem beweist Du als Selbstständiger in diesem Bereich, dass es ein Markt ist. Anderenfalls müsstest Du nämlich Angestellter oder Beamter einer Kasse, Behörde oder anderen staatlichen Institution sein, damit beauftragt, Menschen mit Sehhilfen zu versorgen. Möchtest Du das? Ich möchte das nicht - ich möchte im Gesundheitsmarkt eher mehr Selbstständige und Freiberufler haben, die von ihrer Arbeit gut leben können.

Natürlich muss der medizinische Laie als Patient den Fachleuten weitgehend vertrauen. Deshalb setze ich in meinem Konzept auf eine Aufsichtsbehörde mit einem gewählten Gremium, das letztendlich entscheidet, was in welchen Fällen medizinisch notwendig ist, auf die so genannte Leitlinienmedizin und eine bessere Zusammenarbeit/Vernetzung der an einer Behandlung Beteiligten, aber auch auf die Mithilfe der Patienten, die als Beitragszahler wissen, was sie ihre versicherten Leistungen kosten, und als Rechnungsempfänger sehen, welche Leistungen berechnet wurden und was diese kosten.

Auch deshalb lehne ich einkommensabhängige Beiträge ab. Da die Leistungen schon lange überwiegend nicht mehr einkommensabhängig sind (nur noch das Krankengeld), ist es auch nicht mehr sinnvoll, dass die Beiträge einkommensabhängig erhoben werden. Begonnen hat die GKV als reine Krankengeldversicherung, da war ein einkommensabhängiger Beitrag durchaus logisch und konsequent. Das ist aber schon sehr lange her. (Der Sozialausgleich gehört in das Steuersystem.)

Außerdem fehlt bei einkommensabhängigen Beiträgen, jeder Anreiz auf die Kosten zu achten - ganz im Gegenteil. Wenn jemand aufgrund seines Einkommens einen hohen Beitrag zahlt, möchte er auch entsprechende Leistungen haben. Das ist durchaus menschlich.

Und der Wettbewerb findet unter den Krankenversicherungsträgern (deshalb meine Forderung nach gleichen Rahmenbedingungen) und auch unter den Erbringern der medizinischen Leistungen statt - im Interesse der Kunden als Patienten (Service, Kundenorientierung) und als Beitragszahler (Verwaltungskosten, Preise). Aber auch hier ist es Aufgabe der Aufsichtsbehörde darauf zu achten, daß es keinen Wettbewerb zu Lasten der Qualität und damit der Gesundheit der Menschen gibt - übrigens auch der Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten.

Ich bin Verfechter der Marktwirtschaft, die aus sich heraus dank und mit Hilfe eines starken Staates, der die "Spielregeln" für alle Marktteilnehmer festlegt und für die nötige Transparenz und einen konstruktiven Wettbewerb und für die Einhaltung der Regeln sorgt, sozial und auch ökologisch ist und "Wohlstand für alle" bei größtmöglicher Freiheit ermöglicht. (Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Wir haben meiner Meinung nach in Deutschland keine (soziale) Marktwirtschaft - auch wenn das manche glauben oder uns glauben machen wollen.)

Eine Staats-, Plan- oder Zentralverwaltungswirtschaft - oder wie auch immer das Kind genannt wird - kann nach meiner Überzeugung keine bessere Alternative sein - auch nicht im Gesundheitswesen.

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Aber ich wildere hier im Reformer-Lager...; manchmal gehen halt die Emotionen mit mir durch.

Gruß
Harry
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Diese Art von Emotionen sind meines Erachtens für die Diskussion sehr wichtig. Meinetwegen kannst Du so gern weiter "wildern".

Piratig-liberale Grüße und einen guten Start in die neue Woche
Wolfgang





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