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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Geldschöpfung vs Fristentransformation

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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Geldschöpfung vs Fristentransformation


Chronologisch Thread 
  • From: Rudolf Müller <muellerrudolf AT on22.de>
  • To: Alexander Raiola <a.raiola AT bzv-fr.piratenpartei-bw.de>, ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Geldschöpfung vs Fristentransformation
  • Date: Sun, 25 Jun 2017 20:33:40 +0200

Hallo Alexander,

Deine Sichtweise habe ich in meinen Texten als "Ding-Geld-Welt" bezeichnet. Offensichtlich liegt in dieser Betrachtungsweise auch der Grund für viele Missverständnisse. Geld als ein "Ding" anzusehen ist weit verbreitet und es reicht offensichtlich auch dazu aus, viele volkswirtschaftlichen Vorgänge zu erklären. Deshalb habe ich eine Seite mit den wesentlichen Fakten zu den unterschiedlichen Sichtweisen zusammengestellt.
http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Das_Geldr%C3%A4tsel:_Geld,_Kredite_und_Forderungen
 


Am 18.06.2017 um 19:47 schrieb Alexander Raiola (a.raiola AT bzv-fr.piratenpartei-bw.de via ag-geldordnung-und-finanzpolitik Mailing List):
Hallo Comenius,

@Alexander Raiola
Deshalb wird es wohl am besten sein, dem Sparkassendirektor zu erklären,
dass das, was sich für ihn aus Sicht der Bankbetriebslehre als
Fristentransformation darstellt, aus volkswirtschaftlicher Sicht als
Geldschöpfung gesehen werden kann oder muss. Auch wenn sich beides in
den jeweiligen Begriffswelten ausschließt, bezieht es sich doch auf die
gleichen realen Vorgänge. D.h. das was der Bankdirektor _mit Recht_ als
Fristentransformation sehen kann, kann der Volkswirt _mit Recht_ als
Geldschöpfung bezeichnen, weil es zweifellos die Geldmenge erhöht und
sogar - im Zusammenwirken des Finanzsektors insgesamt - theoretisch
unbegrenzt ausweiten kann. Leider lassen sich jedoch bei einer so
differenzierten Darstellung, die Vorteile des Vollgeldes nicht mehr so
dramatisch aufzeigen, wie mit der Arnes Behauptung, die Banken  würden
Falschgeld produzieren.
Also ich sehe hier schon einen Unterschied. Geldschöpfung ist, wenn eine
Bank einfach so einen Kredit vergibt, ohne das Geld zu haben. Es wird
einfach der Betrag auf dem Konto des Kreditnehmers gutgeschrieben und
eine entsprechende Forderung an ihn erstellt, das Geld wieder
zurückzuzahlen, so dass es sich in der Bilanz wieder aufhebt, abgesehen
von den Zinsen.
Mit der Aussage: "Geldschöpfung ist, wenn eine Bank einfach so einen Kredit vergibt, ohne das Geld zu haben." bewegst Du Dich auf der "Ding-Geld-Ebene". Welches Geld muss die Bank denn haben, wenn sie keine Geldschöpfung betreibt will? Geld von Sparern? Bargeld in der Kasse oder Zentralbank-Buchgeld? Wo kann ich dieses "Geld" in der Bankbilanz bzw. Bankbuchführung finden?

Wie Du schreibst, wird einfach der Betrag auf dem Konto des Kreditnehmers gutgeschrieben. Das dabei entstandene "Giralgeld" ist eine Forderung des Kreditnehmers an die Bank und von der Bank aus gesehen eine Schuld gegenüber dem Kreditnehmer. Um dieses Giralgeld zu erhalten muss der Kreditnehmer sich jedoch auch gegenüber der Bank verschulden. Es sind also zwei Schuldverhältnisse gleichzeitig entstanden, welche sich in ihrer Fristigkeit unterscheiden. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die Schuld der Bank gegenüber dem Kreditnehmer zwar einen Kredit des Kreditnehmers an die Bank darstellt aber auch gleichzeitig ein Zahlungsmittel darstellt, wohingegen die Schuld des Kreditnehmers gegenüber der Bank nur in dem Kredit besteht.
Warum diese umständliche Erklärung?

Unser heutiges "Geld" besteht nur aus Forderungen. Giralgeld ist eine Forderung an die Geschäftsbank und Bargeld eine Forderung an die Zentralbank, welche aber wiederum nur über die Geschäftsbanken realisiert werden kann. Welche "Forderung" muss demnach vorhanden sein, damit ein Kredit ohne Geldschöpfung erteilt werden kann? Es kann sich dann doch nur um einen Vermögenswert auf der Aktivseite der Bilanz handeln.

Problematisch erscheint mir zudem die Beschränkung auf einen einzelnen Vorgang bei Banktransaktionen. Die Bank erteilt einen Kredit und erhöht das Bankguthaben des Kreditnehmers. Damit ist zusätzliches "Giralgeld" entstanden, ohne dass hierzu ein anderes Konto belastet wurde. Diese Einzelbetrachtung spiegelt jedoch den tatsächlichen Ablauf in einer Bank nicht wieder, sondern ist nur auf eine Einzelaktion beschränkt, die keine Aussage über die Bankgeschäfte als Ganzes erlaubt. Genau hierin liegt der entscheidende Fehlschluss. Die Bank betrachtet keineswegs jeden einzelnen Kreditvorgang und die dazu erforderliche Refinanzierung, (Refinanzierung = Beschaffung von Fremdmitteln für Kredite) sondern sieht und bewertet die Gesamtsituation ihrer Fremdmittel und wie diese eingesetzt sind.
Ein Hauptziel der Bank ist, immer zahlungsfähig zu bleiben. Würde sie fristenkongruent arbeiten, also nur einen Kredit ausreichen wenn sie von einem Kunden einen entsprechenden Kredit erhalten hat, wäre sie immer zahlungsfähig. Bereits frühzeitig hat man erkannt, dass diese Vorstellung nur eine rein theoretische ist und sich praktisch nicht umsetzen lässt. Die Forderung nach einer fristenkongruenten Refinanzierung wurde aufgegebenen und durch eine Mischung aus verschiedenen Anforderungen an die Zahlungsfähigkeit einer Bank ersetzt. Das Ergebnis lässt sich grob in der Bankbilanz erkennen.

Die Bank besitzt einen erheblichen Anteil an "täglich fälligen Schulden", das Giralgeld der Nichtbanken. Für diese Schulden hat sie keinen entsprechend großen Anteil an "täglich fälligen Forderungen" auf der Vermögensseite. Dies braucht sie aber auch nicht, da nicht sämtliche Bankkunden ihre "täglich fälligen Forderungen" an die Bank beanspruchen, d.h. sie ziehen ihr "Giralgeld" nur zu einem geringen Teil ab. Diese Erkenntnis wurde 1857 von Adolf Wagner in seiner "Bodensatztheorie" verarbeitet. Hier liegt eine extreme Fristentransformation vor, da nur langfristige Vermögenswerte zur Deckung auf der Aktivseite gegenüberstehen. Hierin ist auch die Schaffung von "Giralgeld" zu sehen, da für die Bodensatz-"Geldmenge" keine gleichfristigen Vermögenswerte vorhanden sind.

Andere Positionen der Schuldenseite wie Spar- und Termingelder, Bankschuldverschreibungen und Schulden gegenüber anderen Banken zeigen, dass die Bank hier Zinsen aufbringen muss, um diese Kunden zu bewegen, ihre Forderungen an die Bank längerfristig auf Eis zu legen.
Diesen längerfristigen Schulden gegenüber Kunden und anderen Banken stehen auch längerfristig angelegte Vermögenswerte auf der Aktivseite gegenüber.

Wenn ich Fristentransformation richtig verstanden habe, dann erschafft
sie kein Geld aus dem Nichts, sondern man verleiht das Geld, das sich
auf Tagesgeldkonten befindet. D.h. die Bank spekuliert darauf, dass
nicht alle Leute ihr Geld auf einmal abheben und es daher ungefährlich
ist, einen gewissen Prozentsatz des Geldes zu verleihen oder damit zu
wirtschaften. Das ist etwas, das könnte man mit einem Vollgeldsystem
auch tun, auch wenn es meiner Meinung nach moralisch zweifelhaft ist. Es
ist eben Zockerei.

Viele Grüße
Alexander
Wenn Du sagst, sie verleiht Geld, dass sich auf Tagesgeldkonten befindet bedeutet dies bankintern, die Bank erschafft keine neue Schuld (neues Geld) sondern verleiht die Schulden, die sich auf Tagesgeldkonten befinden. Dies Aussage macht so natürlich keinen Sinn. Wenn die Bank darauf spekuliert, dass nicht alle Leute gleichzeitig ihr Bankguthaben in Anspruch nehmen und aus dieser Erkenntnis folgend einen neuen Kredit ohne Refinanzierungsmaßnahme herausgibt, betreibt sie Fristentransformation. Sie erhöht ihre langfristigen Vermögenswerte (die Forderung an den Kreditnehmer kommt hinzu) und erhöht gleichzeitig ihre täglich fälligen Schulden, die Erhöhung des Kontostandes des Kreditnehmers. Die Aussage, dass es sich bei dem erteilten Kredit ohne Refinazierungsmaßnahme um Fristentransformation handelt ist zutreffend, jedoch nicht Deine Begründung mit den Tagesgeldkonten.

In einem Vollgeldsystem könnte auch Fristentransformation in der von Dir angedeuteten Weise vorgenommen werden. Die Girokonten wären zwar als Treuhandkonten für die Bank tabu, aber wenn Du der Bank selbst "Geld" überweist, kann sie mit diesem Geld arbeiten. Bankintern hast Du auf Deinem Girokonto "Forderungen an die Zentralbank". Diese Forderungen überträgst Du auf ein von der Bank geführtes Terminkonto (kein Treuhandkonto). Aus der großen Anzahl an Terminkonten bildet sich wie bei den heutigen Girokonten ein Bodensatz an nicht in Anspruch genommenen Forderungen von Kunden. Diesen brauchen deshalb nicht täglich fällige Vermögenswerte gegenüber zu stehen. Es reichen langfristige Vermögenswerte wie Forderungen an Kreditkunden.

Deine moralischen Zweifel zur "Geldschaffung" (oder gleichwertig Fristentransformation) hat bereits der Brockhaus 1896 zum Ausdruck gebracht.
"Aus der ursprünglich von B. zum Teil nur mißbräuchlich geschehenen Verwertung der hinterlegten Beträge entwickelte sich sodann im Laufe der Zeit eine geordnete und erlaubte Verwendung derselben, wodurch die B. in die Lage kamen, nicht nur auf die Einhebung von Gebühren für die Einlagen verzichten zu können, sondern selbst dafür Zinsen zu entrichten."
Hier ging es um die "Auszahlung" von Bargeld an Kreditkunden im Goldwährungssystem. Die Bank erhielt von Kunden Gold- und Silbermünzen und erhöhte diesen im Gegenzug ihr Bankguthaben. Die im Tresor vorhandenen, und sich im Eigentum der Bank befindlichen Gold- und Silbermünzen, wurden für Auszahlungen an Kreditkunden verwandt. Auf der Vermögensseite hatte die Bank nur die längerfristigen Forderungen aus dem Kreditvertrag. Bei einem Bank Run wäre sie zahlungsunfähig geworden. Aufgrund der praktischen Erfahrung des Bodensatzes geschah dies jedoch im normalen Geschäftsbetrieb, bei genügend Vertrauen in die Bank und außerhalb von Kriegszeiten, nicht.
Das Eigentum an dem "hinterlegten Bargeld" war zeitweise ein Streitpunkt. War man der Meinung, dass das hinterlegte Bargeld sich noch im Eigentum der Einlieferer befand, ist die " mißbräuchlich geschehenen Verwertung" offensichtlich. Wenn nicht, kann man nur die Erhöhung des Bankrisikos zugunsten des Profits der Bank beanstanden, da im Insolvenzfall die Kunden die Zahlmeister des Profits sind.

weitere Quellen:
http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Das_Geldr%C3%A4tsel:_Geldarten
http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Das_Geldr%C3%A4tsel:_Bodensatztheorie

Wieder etwas zu lang geworden diese Antwort. Wenn Du, Alexander oder andere Leser noch Fragen habt, bitte diese stellen und mich auch auf unverständliche Stellen hinweisen.

Beste Grüße
Rudi Müller


 



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