ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Patrik Pekrul <patrik.pekrul AT hotmail.de>
- To: Nicolai Haehnle <nhaehnle AT gmail.com>
- Cc: "ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de" <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel
- Date: Fri, 29 Jun 2012 08:51:41 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hallo Nicolai,
ich denke auch, dass wir das "Wasserrad" unterschiedlich auffassen; für mich
steht das Rad für das Produktionspotential, das im Wesentlichen aus der
Infrastruktur im weiteren Sinne besteht.
Die eigentliche Produktion ist das Drehen des Rades - ich finde es ungünstig
einen Prozess durch einen Gegenstand zu symbolisieren, das führt nur zu
Fehlschlüssen.
Sowohl das Wasser als auch das Rad haben für sich genommen keinen Wert, erst
wenn das Wasser über das Rad fliesst und dieses Leistung abgibt, die in
Produkte umgesetzt wird, wird das Gesamtsystem "wertvoll" - ansonsten ist
alles nur ein Haufen Klump.
Genau diese Verwechslung von Substanz und Prozess ist meines Erachtens die
Kernursache der Problematik.
Wir stauen Wasser und schonen das Rad, weil wir denken, dass beide per se
wertvoll seien; deshalb wollen wir vermeiden, dass Wasser "verloren geht" und
das Rad abgenutzt wird - wir meinen dadurch Wert zu verlieren, tatsächlich
verwehren wir uns auf diese Weise Wert überhaupt zu erzeugen.
Vielleicht ist Musik ein gutes Beispiel; das Instrument hat an sich keinen
Wert, erst wenn es gespielt wird, entsteht Musik, dennoch sind wir bereit für
eine Stradivari Millionenbeträge zu zahlen, während wir die Musik am liebsten
kostenlos aus dem Internet ziehen. Pervers! Dabei bringt uns die Stradivari
alleine erst einmal nichts; erst wenn sie jemand zu spielen weiss, entsteht
Musik - und die ist das eigentlich wertvolle!
Wenn man diesem Zusammenhang verstanden hat, ergibt sich von ganz alleine,
dass es nichts bescheuerteres gibt als Wasser zu stauen und das Rad zu
schonen.
Man darf nicht vergessen, dass das Wasser aktiv und bewusst gestaut wird.
Die Ursache sehen einige irgendwie im Klassenkampf, ich sehe sie eher (wie so
oft) in Irrationalität und Unverständnis, das zu Fehlentscheidungen führt.
Patrik
Am 29.06.2012 um 00:54 schrieb Nicolai Haehnle <nhaehnle AT gmail.com>:
> Hallo Patrik,
>
> 2012/6/29 Patrik Pekrul <patrik.pekrul AT hotmail.de>:
>>>> 1) Das Wasser regnet vom Himmel - kommt sozusagen aus dem Nichts -
>>>> sammelt
>>>> sich in Flüssen und treibt damit ein Wasserrad an. Das Wasserrad steht
>>>> für
>>>> die Volkswirtschaft, der Regen für das Geld.
>>>
>>> Das Geld regnet nicht vom Himmel. Zumindest nicht in der Realwirtschaft.
>>>
>>> Wenn du ein Wasserrad in deinem Bild haben willst, dann nimm doch
>>> bitte ein Bild von Escher. Das Wasserrad ist die Realwirtschaft, es
>>> wird von einem Wasserkanal angetrieben, das Wasser sammelt sich unter
>>> dem Rad und fließt dann durch den gleichen Wasserkanal wieder zum Rad.
>>> [1]
>>>
>>> Jemand, der spart, zwackt einen Teil des Wassers vom Kanal ab, bevor
>>> es auf das Rad fließt. Jemand, der einen Kredit aufnimmt, führt dem
>>> Kanal neues Wasser hinzu.
>>>
>>> Genau in diesem Sinne ist Sparen ein Nachfrageausfall.
>>>
>>> [1] http://www.stroems.de/main/Dark/Images/WaterfallLg.jpg
>>
>> Nein, das Bild von Escher trifft eben nicht zu, und es wundert mich, dass
>> grade du zu
>> der Ansicht neigst, dass das Geld kreist. Das tut es zwar zum Teil in
>> privaten Sektor -
>> und auch da nur bei den Nichtbanken - aber im wesentlichen wird Geld per
>> Kredit aus
>> den Nichts geschöpft, regnet also vom Himmel, und verschwindet auch wieder
>> durch
>> Tilgung ins Nichts, verdunstet also wieder in den Himmel.
>>
>> Die Wirtschaft ist also heutzutage überhaupt nicht auf den "Geldkreislauf"
>> angewiesen -
>> solange immer genug Geld geschöpft wird, um die realwirtschaftlichen
>> Vorgänge zu
>> bedienen, und gleichzeitig immer genug verschwindet, um eine Inflation zu
>> vermeiden,
>> ist alles bestens.
>
> Im regulären Betrieb mag es - je nach Unternehmen - so sein, dass eine
> Kreditlinie bei der Bank existiert, die einmal im Monat ausgereizt
> wird um die Arbeitnehmer zu bezahlen, und die im Laufe des Monats
> fließend zurückgefahren werden, wenn die Einnahmen hereinkommen.
>
> Allerdings ist der Unterschied zum alternativen Szenario, bei dem im
> Laufe des Monats Geld eingenommen wird und dann einmal am Zahltag auf
> einen Schlag ausgezahlt wird nur ein kosmetischer. Es bedeutet nämlich
> lediglich, dass der durchschnittliche Pegel im Geldniveau der
> Unternehmen ein anderer ist.
>
> Im Übrigen ist ja das Wasserrad der Produktionsprozess, während das
> Rückführen des Abwassers zu einem neuen Einströmen ins Wasserrad über
> die privaten Haushalte läuft. D.h. wenn das, was du da vom Himmel
> sprichst, richtig sein sollte, dann müsste es eher so sein, dass das
> Wasser verdampft, wenn es das Wasserrad erreicht, und es dann am
> Abfluss des Wasserrades regnet.
>
> Whatever. Ich habe das Gefühl, das Bild ist einfach bescheuert.
>
>
>> Bei Escher fliesst Wasser aufgrund eines optischen Tricks wieder aufwärts,
>> in der
>> Realität kann es das nicht und tut es deswegen auch nicht
>
> Nein, das Wasser fließt bei Escher die ganze Zeit abwärts und trotzdem
> im Kreis. Das ist der eigentliche Witz: es wird suggeriert, man könnte
> eine nicht-euklidische Geometrie in den normalen Raum einbetten.
>
>
>>>> 2) Bis zu einem gewissen Grad bedeutet mehr Wasser, mehr Leistung - oder
>>>> analog mehr Geld, mehr BIP - dieser Zusammenhang ist empirisch sogar
>>>> nachweisbar.
>>>
>>> Richtig. Und wenn lange genug viel Wasser läuft, dann wird auch das
>>> Wasserrad größer, sprich: die Kapazitäten der Wirtschaft vergrößern
>>> sich - und umgekehrt. Das nennt man dann path dependence oder
>>> Hysterese.
>>
>> Das Wasserrad kann nicht von alleine Wachsen, es wird nur größer, wenn man
>> es aktiv
>> umbaut.
>
> Aber warum sollte man es umbauen, wenn nur wenig Wasser darüber
> fließt? Ich habe das vielleicht nicht besonders klar ausgedrückt, aber
> mir ging es hier um die Anreizmechanismen. Wenn die Nachfrage groß
> ist, dann werden neue Produktionskapazitäten aufgebaut. Wenn die
> Nachfrage klein ist, dann besteht dafür kein Anlass; es werden
> höchstens bestehende Produktionskapazitäten regelmäßig in Stand
> gehalten bzw. je nach Branche immer mal wieder auf den neuesten Stand
> der Technik gebracht.
>
> Ich glaube, ein Problem mit dem Bild des Wasserrades ist, dass ich
> darunter den Produktionsprozess in der freien Privatwirtschaft
> verstehe. Du scheinst darunter irgendwas ganz anderes zu verstehen.
>
>
>> Dies erfordert aktive Arbeit und neues Material. Unser Problem ist, dass
>> heutzutage
>> zwar genug Wasser vorhanden ist, aber keiner mehr an dem Rad bauen will,
>> weil die
>> Leute denken, dass das Wasser an sich schon einen Wert hat.
>
> Nein. Es ist zwar viel Wasser da, aber es fließt verhältnismäßig wenig
> über das Wasserrad. Deswegen besteht wenig Anreiz, an dem Rad zu
> bauen.
>
> Die Anreize sind in einer freien Marktwirtschaft so, dass erst Wasser
> fließen muss, damit an den Rädern gebaut wird. Du kannst dich noch so
> sehr auf den Kopf stellen und vom "Vertrauen" faseln, wie es unsere
> Politiker und "Experten" tun, aber solange das Wasser nicht fließt ist
> den Wasserradbetreibern klar, dass es unsinnig ist, die Räder
> auszubauen.
>
>
>> Du sagst, dass zuwenig Wasser zum vorhandenen Wasserrad fliesst, ich
>> meine, dass
>> es zuwenig Wasserräder gibt, um das vorhandene Wasser aufzunehmen.
>
> Du meinst, die vorhanden Wasserräder würden nicht ausreichen, falls
> sich all das Wasser auf einmal in Bewegung setzen würde? Das ist schon
> richtig. Aber wir leben nun einmal in einer freien Marktwirtschaft,
> und da werden neue Wasserräder erst gebaut, wenn die alten nahe an der
> Kapazitätsgrenze sind und ein Ansteigen des Flusses kurz- bis
> mittelfristig absehbar ist. Wenn man mehr Wasserräder haben will, muss
> man deshalb dafür sorgen, dass mehr Wasser fließt (natürlich nicht auf
> einen Schlag, sondern maßvoll anschwellend).
>
>
>
>> Wir haben heute in Form des Finanzsektors auf der einen Seite einen
>> Staudamm, der
>> überläuft, und auf der anderen Seite verweigern wir uns selbst jede
>> notwenige Investition
>> in Infrastruktur, Bildung und Forschung, weil "kein Geld da ist". Was soll
>> der
>> Schwachsinn?
>
> Naja, das Geldvermögen liegt halt bei Leuten, die keine Investitionen
> machen wollen. Das Wasser in den Staudämmen kann man leider nicht in
> den Bau von Infrastruktur lenken.
>
> Ansonsten hast du natürlich Recht, und wenn der Staat sich in Sachen
> Finanzierung endlich aus der Denkblockade befreien würde, könnte man
> viel erreichen.
>
>
>>>> 4) Das Wasser führt nur noch zu Überschwemmungen und muss abgeleitet
>>>> werden.
>>>> Gibt es aber keinen Fluss, kann es nur noch verdunsten, also zurück in
>>>> den
>>>> Himmel verschwinden. Haben wir also eine Geldschwemme - und die haben
>>>> wir in
>>>> Form eines stetig wuchenden Finanzsektors - muss das Geld also auch
>>>> wieder
>>>> verschwinden, z.B. mittels einer Geldvermögenssteuer und einer
>>>> Finanztransaktionssteuer
>>>
>>> Aber genau hier geht dein Bild kaputt. Denn in der Gegend um das
>>> Wasserrad gibt es eben *keine* Geldschwemme. Vielmehr gibt es irgendwo
>>> anders noch ein Reservoir, das immer voller und voller wird.
>>
>> Woran erkennst, dass das Wasserrad nicht voll ist? Die Unis platzen aus
>> allen nähten,
>> es gibt ei der Gesundheitsversorgung Engpässe auf dem Land, die
>> Schulklassen
>> werden immer größer, auf den Straßen stauen sich die Autos, die Flughäfen
>> laufen am
>> Anschlag, usw., usf.
>
> Das sind alles Beispiele von öffentlicher Infrastruktur, bei denen die
> Entwicklungsdynamik eine andere ist als in der freien Wirtschaft.
>
> Vielleicht ist das auch ein Teil des Problems: ich sehe das Wasserrad
> primär als den Produktionsprozess in der freien Privatwirtschaft. Du
> scheinst da was anderes im Kopf zu haben.
>
> Schöne Grüße,
> Nicolai
> --
> Lerne, wie die Welt wirklich ist,
> aber vergiss niemals, wie sie sein sollte.
>
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, (fortgesetzt)
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, Systemfrager, 27.06.2012
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, Axel Grimm, 27.06.2012
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, Patrik Pekrul, 27.06.2012
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, Axel Grimm, 27.06.2012
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, Patrik Pekrul, 27.06.2012
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, alex, 27.06.2012
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, Nicolai Haehnle, 27.06.2012
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, Patrik Pekrul, 29.06.2012
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, Nicolai Haehnle, 29.06.2012
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, Systemfrager, 29.06.2012
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, Patrik Pekrul, 29.06.2012
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, Rainer Hotter, 27.06.2012
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, Systemfrager, 25.06.2012
- Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel, Piratos, 30.06.2012
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