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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

Listenarchiv

Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel


Chronologisch Thread 
  • From: Nicolai Haehnle <nhaehnle AT gmail.com>
  • To: Patrik Pekrul <patrik.pekrul AT hotmail.de>
  • Cc: "ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de" <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Sparen ist nicht der Teufel
  • Date: Fri, 29 Jun 2012 00:54:28 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hallo Patrik,

2012/6/29 Patrik Pekrul <patrik.pekrul AT hotmail.de>:
>>> 1) Das Wasser regnet vom Himmel - kommt sozusagen aus dem Nichts - sammelt
>>> sich in Flüssen und treibt damit ein Wasserrad an. Das Wasserrad steht für
>>> die Volkswirtschaft, der Regen für das Geld.
>>
>> Das Geld regnet nicht vom Himmel. Zumindest nicht in der Realwirtschaft.
>>
>> Wenn du ein Wasserrad in deinem Bild haben willst, dann nimm doch
>> bitte ein Bild von Escher. Das Wasserrad ist die Realwirtschaft, es
>> wird von einem Wasserkanal angetrieben, das Wasser sammelt sich unter
>> dem Rad und fließt dann durch den gleichen Wasserkanal wieder zum Rad.
>> [1]
>>
>> Jemand, der spart, zwackt einen Teil des Wassers vom Kanal ab, bevor
>> es auf das Rad fließt. Jemand, der einen Kredit aufnimmt, führt dem
>> Kanal neues Wasser hinzu.
>>
>> Genau in diesem Sinne ist Sparen ein Nachfrageausfall.
>>
>> [1] http://www.stroems.de/main/Dark/Images/WaterfallLg.jpg
>
> Nein, das Bild von Escher trifft eben nicht zu, und es wundert mich, dass
> grade du zu
> der Ansicht neigst, dass das Geld kreist. Das tut es zwar zum Teil in
> privaten Sektor -
> und auch da nur bei den Nichtbanken - aber im wesentlichen wird Geld per
> Kredit aus
> den Nichts geschöpft, regnet also vom Himmel, und verschwindet auch wieder
> durch
> Tilgung ins Nichts, verdunstet also wieder in den Himmel.
>
> Die Wirtschaft ist also heutzutage überhaupt nicht auf den "Geldkreislauf"
> angewiesen -
> solange immer genug Geld geschöpft wird, um die realwirtschaftlichen
> Vorgänge zu
> bedienen, und gleichzeitig immer genug verschwindet, um eine Inflation zu
> vermeiden,
> ist alles bestens.

Im regulären Betrieb mag es - je nach Unternehmen - so sein, dass eine
Kreditlinie bei der Bank existiert, die einmal im Monat ausgereizt
wird um die Arbeitnehmer zu bezahlen, und die im Laufe des Monats
fließend zurückgefahren werden, wenn die Einnahmen hereinkommen.

Allerdings ist der Unterschied zum alternativen Szenario, bei dem im
Laufe des Monats Geld eingenommen wird und dann einmal am Zahltag auf
einen Schlag ausgezahlt wird nur ein kosmetischer. Es bedeutet nämlich
lediglich, dass der durchschnittliche Pegel im Geldniveau der
Unternehmen ein anderer ist.

Im Übrigen ist ja das Wasserrad der Produktionsprozess, während das
Rückführen des Abwassers zu einem neuen Einströmen ins Wasserrad über
die privaten Haushalte läuft. D.h. wenn das, was du da vom Himmel
sprichst, richtig sein sollte, dann müsste es eher so sein, dass das
Wasser verdampft, wenn es das Wasserrad erreicht, und es dann am
Abfluss des Wasserrades regnet.

Whatever. Ich habe das Gefühl, das Bild ist einfach bescheuert.


> Bei Escher fliesst Wasser aufgrund eines optischen Tricks wieder aufwärts,
> in der
> Realität kann es das nicht und tut es deswegen auch nicht

Nein, das Wasser fließt bei Escher die ganze Zeit abwärts und trotzdem
im Kreis. Das ist der eigentliche Witz: es wird suggeriert, man könnte
eine nicht-euklidische Geometrie in den normalen Raum einbetten.


>>> 2) Bis zu einem gewissen Grad bedeutet mehr Wasser, mehr Leistung - oder
>>> analog mehr Geld, mehr BIP - dieser Zusammenhang ist empirisch sogar
>>> nachweisbar.
>>
>> Richtig. Und wenn lange genug viel Wasser läuft, dann wird auch das
>> Wasserrad größer, sprich: die Kapazitäten der Wirtschaft vergrößern
>> sich - und umgekehrt. Das nennt man dann path dependence oder
>> Hysterese.
>
> Das Wasserrad kann nicht von alleine Wachsen, es wird nur größer, wenn man
> es aktiv
> umbaut.

Aber warum sollte man es umbauen, wenn nur wenig Wasser darüber
fließt? Ich habe das vielleicht nicht besonders klar ausgedrückt, aber
mir ging es hier um die Anreizmechanismen. Wenn die Nachfrage groß
ist, dann werden neue Produktionskapazitäten aufgebaut. Wenn die
Nachfrage klein ist, dann besteht dafür kein Anlass; es werden
höchstens bestehende Produktionskapazitäten regelmäßig in Stand
gehalten bzw. je nach Branche immer mal wieder auf den neuesten Stand
der Technik gebracht.

Ich glaube, ein Problem mit dem Bild des Wasserrades ist, dass ich
darunter den Produktionsprozess in der freien Privatwirtschaft
verstehe. Du scheinst darunter irgendwas ganz anderes zu verstehen.


> Dies erfordert aktive Arbeit und neues Material. Unser Problem ist, dass
> heutzutage
> zwar genug Wasser vorhanden ist, aber keiner mehr an dem Rad bauen will,
> weil die
> Leute denken, dass das   Wasser an sich schon einen Wert hat.

Nein. Es ist zwar viel Wasser da, aber es fließt verhältnismäßig wenig
über das Wasserrad. Deswegen besteht wenig Anreiz, an dem Rad zu
bauen.

Die Anreize sind in einer freien Marktwirtschaft so, dass erst Wasser
fließen muss, damit an den Rädern gebaut wird. Du kannst dich noch so
sehr auf den Kopf stellen und vom "Vertrauen" faseln, wie es unsere
Politiker und "Experten" tun, aber solange das Wasser nicht fließt ist
den Wasserradbetreibern klar, dass es unsinnig ist, die Räder
auszubauen.


> Du sagst, dass zuwenig Wasser zum vorhandenen Wasserrad fliesst, ich meine,
> dass
> es zuwenig Wasserräder gibt, um das vorhandene Wasser aufzunehmen.

Du meinst, die vorhanden Wasserräder würden nicht ausreichen, falls
sich all das Wasser auf einmal in Bewegung setzen würde? Das ist schon
richtig. Aber wir leben nun einmal in einer freien Marktwirtschaft,
und da werden neue Wasserräder erst gebaut, wenn die alten nahe an der
Kapazitätsgrenze sind und ein Ansteigen des Flusses kurz- bis
mittelfristig absehbar ist. Wenn man mehr Wasserräder haben will, muss
man deshalb dafür sorgen, dass mehr Wasser fließt (natürlich nicht auf
einen Schlag, sondern maßvoll anschwellend).



> Wir haben heute in Form des Finanzsektors auf der einen Seite einen
> Staudamm, der
> überläuft, und auf der anderen Seite verweigern wir uns selbst jede
> notwenige Investition
> in Infrastruktur, Bildung und Forschung, weil "kein Geld da ist". Was soll
> der
> Schwachsinn?

Naja, das Geldvermögen liegt halt bei Leuten, die keine Investitionen
machen wollen. Das Wasser in den Staudämmen kann man leider nicht in
den Bau von Infrastruktur lenken.

Ansonsten hast du natürlich Recht, und wenn der Staat sich in Sachen
Finanzierung endlich aus der Denkblockade befreien würde, könnte man
viel erreichen.


>>> 4) Das Wasser führt nur noch zu Überschwemmungen und muss abgeleitet
>>> werden.
>>> Gibt es aber keinen Fluss, kann es nur noch verdunsten, also zurück in den
>>> Himmel verschwinden. Haben wir also eine Geldschwemme - und die haben wir
>>> in
>>> Form eines stetig wuchenden Finanzsektors - muss das Geld also auch wieder
>>> verschwinden, z.B. mittels einer Geldvermögenssteuer und einer
>>> Finanztransaktionssteuer
>>
>> Aber genau hier geht dein Bild kaputt. Denn in der Gegend um das
>> Wasserrad gibt es eben *keine* Geldschwemme. Vielmehr gibt es irgendwo
>> anders noch ein Reservoir, das immer voller und voller wird.
>
> Woran erkennst, dass das Wasserrad nicht voll ist? Die Unis platzen aus
> allen nähten,
> es gibt ei der Gesundheitsversorgung Engpässe auf dem Land, die Schulklassen
> werden immer größer, auf den Straßen stauen sich die Autos, die Flughäfen
> laufen am
> Anschlag, usw., usf.

Das sind alles Beispiele von öffentlicher Infrastruktur, bei denen die
Entwicklungsdynamik eine andere ist als in der freien Wirtschaft.

Vielleicht ist das auch ein Teil des Problems: ich sehe das Wasserrad
primär als den Produktionsprozess in der freien Privatwirtschaft. Du
scheinst da was anderes im Kopf zu haben.

Schöne Grüße,
Nicolai
--
Lerne, wie die Welt wirklich ist,
aber vergiss niemals, wie sie sein sollte.




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