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ag-drogen - Re: [Drogenpolitik] Fallbeispiel: Cannabiskonsum als Ausschlusskriterium für Psychotherapie

ag-drogen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik

Listenarchiv

Re: [Drogenpolitik] Fallbeispiel: Cannabiskonsum als Ausschlusskriterium für Psychotherapie


Chronologisch Thread 
  • From: Michael Demus <cyfarwyddi AT t-online.de>
  • To: Mailingliste der AG Drogenpolitik <ag-drogen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [Drogenpolitik] Fallbeispiel: Cannabiskonsum als Ausschlusskriterium für Psychotherapie
  • Date: Tue, 08 May 2012 18:08:34 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
  • List-id: Mailingliste der AG Drogenpolitik <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>

Eine Bitte:
Richte bitte jemand ein Pad zum vorliegenden Thema ein und kopiere wenigstens die hier erwähnten Vorschriften rein! Auf der Mailliste finden wir das nie wieder!


Am 08.05.2012 17:43, schrieb bettinamail AT arcor.de:

Zur Psychotherapie-Richtlinie:
Darin wird auf 23 Seiten geregelt, unter welchen Umständen bei welchen
Erkrankungen welche Therapieformen von den Kassen übernommen werden müssen.

Der von TomKarla zitierte Abschnitt betrifft besondere Konstellationen, wie z.B.
bestimmte "Sucht"erkrankungen.

Hier ein größerer Abschnitt:
D. Anwendungsbereiche
§ 22 Indikationen zur Anwendung von Psychotherapie
(1) Indikationen zur Anwendung von Psychotherapie gemäß Abschnitt B und
Maßnahmen der Psychosomatischen Grundversorgung gemäß Abschnitt C der
Richtlinie bei der Behand-lung von Krankheiten können nur sein:
1. Affektive Störungen: depressive Episoden, rezidivierende depressive
Störungen, Dysthy-mie;
2. Angststörungen und Zwangsstörungen;
3. Somatoforme Störungen und Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen);
4. Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen;
5. Essstörungen;
6. Nichtorganische Schlafstörungen;
7. Sexuelle Funktionsstörungen;
8. Persönlichkeitsstörungen und Verhaltensstörungen;
9. Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend.
(2) Psychotherapie kann neben oder nach einer somatisch ärztlichen Behandlung
von Krank-heiten oder deren Auswirkungen angewandt werden, wenn psychische
Faktoren einen we-sentlichen pathogenetischen Anteil daran haben und sich ein
Ansatz für die Anwendung von Psychotherapie bietet; Indikationen hierfür
können nur sein:
1a. Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen, im Falle
der Ab-hängigkeit von psychotropen Substanzen beschränkt auf den Zustand der
Suchtmittelfrei-heit beziehungsweise Abstinenz.
Abweichend davon ist eine Anwendung der Psychotherapie bei Abhängigkeit von
psycho-tropen Substanzen dann zulässig, wenn die Suchtmittelfreiheit
beziehungsweise Absti-nenz parallel zur ambulanten Psychotherapie bis zum
Ende von maximal 10 Behand-lungsstunden erreicht werden kann. Das Erreichen
der Suchtmittelfreiheit beziehungsweise der Abstinenz nach Ablauf dieser
Behandlungsstunden ist in einer nicht von der Therapeutin oder von dem
Therapeuten selbst ausgestellten ärztlichen Beschei-nigung festzustellen.
Diese Feststellung hat anhand geeigneter Nachweise zu erfolgen. Sie ist von
der Therapeutin oder von dem Therapeuten als Teil der
Behandlungsdoku-mentation vorzuhalten und auf Verlangen der Krankenkasse
vorzulegen
Kommt es unter der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung zu einem
Rückfall in den Substanzgebrauch, ist die ambulante Psychotherapie nur
fortzusetzen, wenn unver-züglich geeignete Behandlungsmaßnahmen zur
Wiederherstellung der Suchtmittelfreiheit bzw. Abstinenz ergriffen werden.
1b. Psychische und Verhaltensstörungen durch Opioide und gleichzeitige stabile
substituti-onsgestützte Behandlung gemäß Richtlinie „Methoden vertragsärztliche
Versorgung", An-lage I, 2. (Substitutionsgestützte Behandlung
Opiatabhängiger), beschränkt auf den Zu-stand der Beigebrauchsfreiheit.
Die Anwendung von Psychotherapie ist in diesen Fällen nur zulässig bei
regelmäßiger Zusammenarbeit und Abstimmung hinsichtlich der Behandlungsziele
und insbesondere der Beigebrauchsfreiheit mit der substituierenden Ärztin
oder dem Arzt sowie bei etwaigen psychosozialen Betreuungs- oder
Behandlungsmaßnahmen mit den hierfür zuständigen Stellen.
2. Seelische Krankheit auf Grund frühkindlicher emotionaler Mangelzustände
oder tiefgrei-fender Entwicklungsstörungen, in Ausnahmefällen auch seelische
Krankheiten, die im Zu-sammenhang mit frühkindlichen körperlichen
Schädigungen oder Missbildungen stehen.
3. Seelische Krankheit als Folge schwerer chronischer Krankheitsverläufe.

Grüße
Bettina

----- Original Nachricht ----
Von: TomKarla<TomKarla AT gmx.de>
An: Mailingliste der AG Drogenpolitik<ag-drogen AT lists.piratenpartei.de>
Datum: 08.05.2012 17:04
Betreff: Re: [Drogenpolitik]
Fallbeispiel: Cannabiskonsum als Ausschlusskriterium für Psychotherapie

Am 08.05.2012 um 16:43 schrieb Christine Zander:

Leider ein typischer Fall. Solche Erlebnisse haben nicht nur
CannabisKonsumenten, sondern auch Konsumenten anderer Drogen. 2 Fragen
interessieren mich zu diesem Bericht:
? Gilt in so einem Fall nicht die ärztliche Schweigepflicht für eine
Klinik?
Nein, nicht gegenüber dem Kostenträger.

? Kann ein Drogenkonsument (ohne seinen Konssum zu verschweigen) keine
Psychotherapie machen?

siehe: Richtlinien
des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen
über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinien)

2. Psychotherapie kann neben oder nach einer somatisch ärztlichen
Behandlung
von
Krankheiten oder deren Auswirkungen angewandt werden, wenn psychische
Faktoren einen wesentlichen pathogenetischen Anteil daran haben und sich ein
Ansatz für die Anwendung von Psychotherapie bietet; Indikationen hierfür
können nur sein:
2.1 Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten nach
vorangegangener
Entgiftungsbehandlung, das heißt im Stadium der Entwöhnung unter Abstinenz.

Bei Missbrauch oder häufigerem Konsum liegt es im Ermessen des
Psychotherapeuten, die sich leider häufig noch gegen eine Therapie
entscheiden.

Schönen Gruß,

TomKarla
LG, Christine



Am 08.05.2012 um 14:16 schrieb bettinamail AT arcor.de:

Hallo AG

hier ein weiteres Beispiel (nur interessehalber, für die, die sich gerade
mit dem Cannabis + Medizinthema beschäftigen), zum Umgang mit Cannabis in
der Medizin - wobei es aber NICHT um die Verordnung eines entsprechenden
Präparates geht.
Vor ein paar Jahren ist eine Bekannte völlig aufgelöst auf mich zu
gekommen, da sie Probleme mit ihrer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
hatte.
Im Vorfeld hatte sie sich in einer Psychosomatischen Klinik aufnehmen
lassen, da ihr Leben aus den Fugen geraten war und sie dringend
therapeutische Unterstützung benötigte. Die Überweisung erfolgte durch den
Hausarzt. Bei der Aufnahmeurinuntersuchung in der Klinik wurde die Patentin
positiv auf THC getestet. Sie wurde zur Rede gestellt, erklärte, dass sie
schon länger gelegentlich, auf Partys oder am Wochenende, Cannabis
konsumiere, dies aber nicht als problematisch oder behindernd/belastend
empfände. Seit es ihr psychisch schlecht gehe sei sie darauf gekommen, dass
abendlicher Cannabiskonsum sie entspanne und ihr endlich wieder zu
ausreichendem Schlaf verhelfe. Der Grübelzwang lasse deutlich nach.
Daraufhin erfolgte eine disziplinarische Entlassung ohne große weitere
Erklärungen.
Nebenbei bemerkt: Hätte die Patientin jeden Tag vor der Therapie gesoffen
bis zum Umfallen, wäre ihr das nicht passiert - das wäre gar nicht weiter
aufgefallen.
Weitere Bemühungen um eine ambulante Therapie scheiterten, da die
aufgesuchten Therapeuten als Voraussetzung für die Aufnahme einer Therapie
Cannabisabstinenz forderten. (Auch das wäre bei entsprechendem Alkoholkonsum
kaum passiert).
Schliesslich blieb es bei einer Behandlung durch den Hausarzt; die
Patientin hatte die Suche nach einem Therapeuten aufgegeben, da sie nicht
bereit war, eine Psychotherapie (die sie ja wirklich ernsthaft angehen
wollte) mit einer Lüge - also dem Verschweigen des gelegentlichen
Cannabiskonsums bzw. des Konsums als Selbstmedikation - zu beginnen. Zum
Glück besserte sich der psychische Zustand der Patientin soweit, dass sie
ihr Alltagsleben bald wieder aufnehmen konnte. In der Rückschau ist sie aber
immer noch überzeugt, dass ihr eine Psychotherapie viel Nutzen bringen würde
("familiäre Altlasten")
Einige Zeit nach der disziplinarischen Entlassung kam dann ein Schreiben
der GKV: Die Versicherte wurde darin aufgefordert, sich binnen einer
bestimmten Frist einer Suchttherapie zu unterziehen. Außerdem wurde sie
aufgefordert, ihren behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden.
Wir haben dann das unten angefügte Schreiben verfasst und konnten so
weiteren Schaden abwenden (es fand keine weitere Korrespondenz statt!).
In der Medizin geht es also bei weitem nicht "nur" um mangelnde
Aufklärung und Akzeptanz der Verordnung von THC aus med. Gründen.
Schwierigkeiten bereitet insgesamt die gesellschaftliche Stigmatisierung,
die durch Cannabiskonsum entsteht, und die resultierende mangelnde Akzeptanz
im Bereich der Medizin.
Umgekehrt ist es extrem schwierig (noch schwieriger als sonst) THC aus
"psychischen" Gründen verordnet zu bekommen, z.B. bei Schlafstörungen oder
depressiven Verstimmungen - auch, wenn die Patienten aus eigener Erfahrung
von einer positiven Wirkung berichten können, z.B. berichten, sie kämen mit
ihrem Alltag viel besser zurecht etc.. Man wird als süchtig und im Rahmen
der Sucht behandlungsbedürftig angesehen - das bedeutet häufig die
Erwartung: Abstinenz.
Dass Cannabis als - meiner persönlichen Meinung nach sehr
aussichtsreiches - Therapeutikum bei einigen psychischen Störungen zu
erforschen wäre, haben im bestehenden Milieu die Akteure oft noch gar nicht
auf dem Schirm.
Und die mangelnde "Verordnungserfahrung", die wiederum als Grund genannt
wird, weiterhin der Einfachheit halber nicht zu verordnen, behindert gleich
noch das Ansammeln empirischer Erkenntnisse.
Grüße
Bettina

Brief an die GKV:

Sehr geehrter Herr xxx,

vielen Dank für Ihren Therapievorschlag, den Sie mir mit Ihrem Schreiben
vom xxx haben zukommen lassen.
Erfreulicherweise kann ich Ihnen mitteilen, dass sich meine
gesundheitliche Verfassung bereits wesentlich gebessert und stabilisiert
hat. Wie Ihnen offensichtlich bereits bekannt ist, konnte ich meinen wegen
einer seit längerem bestehenden depressiven Verstimmung geplanten
Therapieaufenthalt in xxx nicht absolvieren, da die Klinik mich von der
stationären Therapiemaßnahme aufgrund einer positiven Urinprobe ausschloss.
Glücklicherweise konnte ich inzwischen mit Hilfe meines behandelnden Arztes,
der mich nach meiner Rückkehr aus xxx auch bezüglich eines möglicherweise
bestehenden Suchtproblems kompetent beraten hat, die Depression soweit
überwinden, dass ich mich darauf freue, in den nächsten Tagen, nach
nochmaliger Konsultation meines behandelnden Arztes, meine Arbeit wieder
aufnehmen zu können.
Von einer Entbindung meines Arztes von der Schweigepflicht ohne Bestehen
einer dringlichen Notwendigkeit möchte ich derzeit Abstand nehmen. Gerne
bitte ich ihn jedoch um Erstellung eines ärztlichen Attestes über meinen
Gesundheitszustand. Bitte teilen Sie mir mit, ob Sie in Anbetracht der
geschilderten Umstände noch ein solches benötigen.
Mit freundlichen Grüßen
und nochmaligem Dank für Ihre freundliche Unterstützung

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