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Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik
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Re: [Drogenpolitik] Fallbeispiel: Cannabiskonsum als Ausschlusskriterium für Psychotherapie
Chronologisch Thread
- From: TomKarla <TomKarla AT gmx.de>
- To: Mailingliste der AG Drogenpolitik <ag-drogen AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [Drogenpolitik] Fallbeispiel: Cannabiskonsum als Ausschlusskriterium für Psychotherapie
- Date: Tue, 8 May 2012 17:04:00 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
- List-id: Mailingliste der AG Drogenpolitik <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>
Am 08.05.2012 um 16:43 schrieb Christine Zander:
> Leider ein typischer Fall. Solche Erlebnisse haben nicht nur
> CannabisKonsumenten, sondern auch Konsumenten anderer Drogen. 2 Fragen
> interessieren mich zu diesem Bericht:
> • Gilt in so einem Fall nicht die ärztliche Schweigepflicht für eine Klinik?
Nein, nicht gegenüber dem Kostenträger.
> • Kann ein Drogenkonsument (ohne seinen Konssum zu verschweigen) keine
> Psychotherapie machen?
siehe: Richtlinien
des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen
über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinien)
2. Psychotherapie kann neben oder nach einer somatisch ärztlichen
Behandlung von
Krankheiten oder deren Auswirkungen angewandt werden, wenn psychische
Faktoren einen wesentlichen pathogenetischen Anteil daran haben und sich ein
Ansatz für die Anwendung von Psychotherapie bietet; Indikationen hierfür
können nur sein:
2.1 Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten nach
vorangegangener Entgiftungsbehandlung, das heißt im Stadium der Entwöhnung
unter Abstinenz.
Bei Missbrauch oder häufigerem Konsum liegt es im Ermessen des
Psychotherapeuten, die sich leider häufig noch gegen eine Therapie
entscheiden.
Schönen Gruß,
TomKarla
>
> LG, Christine
>
>
>
> Am 08.05.2012 um 14:16 schrieb bettinamail AT arcor.de:
>
>> Hallo AG
>>
>> hier ein weiteres Beispiel (nur interessehalber, für die, die sich gerade
>> mit dem Cannabis + Medizinthema beschäftigen), zum Umgang mit Cannabis in
>> der Medizin - wobei es aber NICHT um die Verordnung eines entsprechenden
>> Präparates geht.
>>
>> Vor ein paar Jahren ist eine Bekannte völlig aufgelöst auf mich zu
>> gekommen, da sie Probleme mit ihrer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
>> hatte.
>> Im Vorfeld hatte sie sich in einer Psychosomatischen Klinik aufnehmen
>> lassen, da ihr Leben aus den Fugen geraten war und sie dringend
>> therapeutische Unterstützung benötigte. Die Überweisung erfolgte durch den
>> Hausarzt. Bei der Aufnahmeurinuntersuchung in der Klinik wurde die
>> Patentin positiv auf THC getestet. Sie wurde zur Rede gestellt, erklärte,
>> dass sie schon länger gelegentlich, auf Partys oder am Wochenende,
>> Cannabis konsumiere, dies aber nicht als problematisch oder
>> behindernd/belastend empfände. Seit es ihr psychisch schlecht gehe sei sie
>> darauf gekommen, dass abendlicher Cannabiskonsum sie entspanne und ihr
>> endlich wieder zu ausreichendem Schlaf verhelfe. Der Grübelzwang lasse
>> deutlich nach. Daraufhin erfolgte eine disziplinarische Entlassung ohne
>> große weitere Erklärungen.
>> Nebenbei bemerkt: Hätte die Patientin jeden Tag vor der Therapie gesoffen
>> bis zum Umfallen, wäre ihr das nicht passiert - das wäre gar nicht weiter
>> aufgefallen.
>>
>> Weitere Bemühungen um eine ambulante Therapie scheiterten, da die
>> aufgesuchten Therapeuten als Voraussetzung für die Aufnahme einer Therapie
>> Cannabisabstinenz forderten. (Auch das wäre bei entsprechendem
>> Alkoholkonsum kaum passiert).
>> Schliesslich blieb es bei einer Behandlung durch den Hausarzt; die
>> Patientin hatte die Suche nach einem Therapeuten aufgegeben, da sie nicht
>> bereit war, eine Psychotherapie (die sie ja wirklich ernsthaft angehen
>> wollte) mit einer Lüge - also dem Verschweigen des gelegentlichen
>> Cannabiskonsums bzw. des Konsums als Selbstmedikation - zu beginnen. Zum
>> Glück besserte sich der psychische Zustand der Patientin soweit, dass sie
>> ihr Alltagsleben bald wieder aufnehmen konnte. In der Rückschau ist sie
>> aber immer noch überzeugt, dass ihr eine Psychotherapie viel Nutzen
>> bringen würde ("familiäre Altlasten")
>>
>> Einige Zeit nach der disziplinarischen Entlassung kam dann ein Schreiben
>> der GKV: Die Versicherte wurde darin aufgefordert, sich binnen einer
>> bestimmten Frist einer Suchttherapie zu unterziehen. Außerdem wurde sie
>> aufgefordert, ihren behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden.
>> Wir haben dann das unten angefügte Schreiben verfasst und konnten so
>> weiteren Schaden abwenden (es fand keine weitere Korrespondenz statt!).
>>
>> In der Medizin geht es also bei weitem nicht "nur" um mangelnde Aufklärung
>> und Akzeptanz der Verordnung von THC aus med. Gründen. Schwierigkeiten
>> bereitet insgesamt die gesellschaftliche Stigmatisierung, die durch
>> Cannabiskonsum entsteht, und die resultierende mangelnde Akzeptanz im
>> Bereich der Medizin.
>> Umgekehrt ist es extrem schwierig (noch schwieriger als sonst) THC aus
>> "psychischen" Gründen verordnet zu bekommen, z.B. bei Schlafstörungen oder
>> depressiven Verstimmungen - auch, wenn die Patienten aus eigener Erfahrung
>> von einer positiven Wirkung berichten können, z.B. berichten, sie kämen
>> mit ihrem Alltag viel besser zurecht etc.. Man wird als süchtig und im
>> Rahmen der Sucht behandlungsbedürftig angesehen - das bedeutet häufig die
>> Erwartung: Abstinenz.
>> Dass Cannabis als - meiner persönlichen Meinung nach sehr
>> aussichtsreiches - Therapeutikum bei einigen psychischen Störungen zu
>> erforschen wäre, haben im bestehenden Milieu die Akteure oft noch gar
>> nicht auf dem Schirm.
>> Und die mangelnde "Verordnungserfahrung", die wiederum als Grund genannt
>> wird, weiterhin der Einfachheit halber nicht zu verordnen, behindert
>> gleich noch das Ansammeln empirischer Erkenntnisse.
>>
>> Grüße
>> Bettina
>>
>> Brief an die GKV:
>>
>> Sehr geehrter Herr xxx,
>>
>> vielen Dank für Ihren Therapievorschlag, den Sie mir mit Ihrem Schreiben
>> vom xxx haben zukommen lassen.
>>
>> Erfreulicherweise kann ich Ihnen mitteilen, dass sich meine
>> gesundheitliche Verfassung bereits wesentlich gebessert und stabilisiert
>> hat. Wie Ihnen offensichtlich bereits bekannt ist, konnte ich meinen wegen
>> einer seit längerem bestehenden depressiven Verstimmung geplanten
>> Therapieaufenthalt in xxx nicht absolvieren, da die Klinik mich von der
>> stationären Therapiemaßnahme aufgrund einer positiven Urinprobe
>> ausschloss. Glücklicherweise konnte ich inzwischen mit Hilfe meines
>> behandelnden Arztes, der mich nach meiner Rückkehr aus xxx auch bezüglich
>> eines möglicherweise bestehenden Suchtproblems kompetent beraten hat, die
>> Depression soweit überwinden, dass ich mich darauf freue, in den nächsten
>> Tagen, nach nochmaliger Konsultation meines behandelnden Arztes, meine
>> Arbeit wieder aufnehmen zu können.
>>
>> Von einer Entbindung meines Arztes von der Schweigepflicht ohne Bestehen
>> einer dringlichen Notwendigkeit möchte ich derzeit Abstand nehmen. Gerne
>> bitte ich ihn jedoch um Erstellung eines ärztlichen Attestes über meinen
>> Gesundheitszustand. Bitte teilen Sie mir mit, ob Sie in Anbetracht der
>> geschilderten Umstände noch ein solches benötigen.
>>
>> Mit freundlichen Grüßen
>> und nochmaligem Dank für Ihre freundliche Unterstützung
>>
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