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Re: [Drogenpolitik] Fallbeispiel: Cannabiskonsum als Ausschlusskriterium für Psychotherapie
Chronologisch Thread
- From: bettinamail AT arcor.de
- To: ag-drogen AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [Drogenpolitik] Fallbeispiel: Cannabiskonsum als Ausschlusskriterium für Psychotherapie
- Date: Tue, 8 May 2012 17:43:07 +0200 (CEST)
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
- List-id: Mailingliste der AG Drogenpolitik <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>
Zur Psychotherapie-Richtlinie:
Darin wird auf 23 Seiten geregelt, unter welchen Umständen bei welchen
Erkrankungen welche Therapieformen von den Kassen übernommen werden müssen.
Der von TomKarla zitierte Abschnitt betrifft besondere Konstellationen, wie
z.B. bestimmte "Sucht"erkrankungen.
Hier ein größerer Abschnitt:
D. Anwendungsbereiche
§ 22 Indikationen zur Anwendung von Psychotherapie
(1) Indikationen zur Anwendung von Psychotherapie gemäß Abschnitt B und
Maßnahmen der Psychosomatischen Grundversorgung gemäß Abschnitt C der
Richtlinie bei der Behand-lung von Krankheiten können nur sein:
1. Affektive Störungen: depressive Episoden, rezidivierende depressive
Störungen, Dysthy-mie;
2. Angststörungen und Zwangsstörungen;
3. Somatoforme Störungen und Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen);
4. Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen;
5. Essstörungen;
6. Nichtorganische Schlafstörungen;
7. Sexuelle Funktionsstörungen;
8. Persönlichkeitsstörungen und Verhaltensstörungen;
9. Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend.
(2) Psychotherapie kann neben oder nach einer somatisch ärztlichen Behandlung
von Krank-heiten oder deren Auswirkungen angewandt werden, wenn psychische
Faktoren einen we-sentlichen pathogenetischen Anteil daran haben und sich ein
Ansatz für die Anwendung von Psychotherapie bietet; Indikationen hierfür
können nur sein:
1a. Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen, im Falle
der Ab-hängigkeit von psychotropen Substanzen beschränkt auf den Zustand der
Suchtmittelfrei-heit beziehungsweise Abstinenz.
Abweichend davon ist eine Anwendung der Psychotherapie bei Abhängigkeit von
psycho-tropen Substanzen dann zulässig, wenn die Suchtmittelfreiheit
beziehungsweise Absti-nenz parallel zur ambulanten Psychotherapie bis zum
Ende von maximal 10 Behand-lungsstunden erreicht werden kann. Das Erreichen
der Suchtmittelfreiheit beziehungsweise der Abstinenz nach Ablauf dieser
Behandlungsstunden ist in einer nicht von der Therapeutin oder von dem
Therapeuten selbst ausgestellten ärztlichen Beschei-nigung festzustellen.
Diese Feststellung hat anhand geeigneter Nachweise zu erfolgen. Sie ist von
der Therapeutin oder von dem Therapeuten als Teil der
Behandlungsdoku-mentation vorzuhalten und auf Verlangen der Krankenkasse
vorzulegen
Kommt es unter der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung zu einem
Rückfall in den Substanzgebrauch, ist die ambulante Psychotherapie nur
fortzusetzen, wenn unver-züglich geeignete Behandlungsmaßnahmen zur
Wiederherstellung der Suchtmittelfreiheit bzw. Abstinenz ergriffen werden.
1b. Psychische und Verhaltensstörungen durch Opioide und gleichzeitige
stabile substituti-onsgestützte Behandlung gemäß Richtlinie Methoden
vertragsärztliche Versorgung", An-lage I, 2. (Substitutionsgestützte
Behandlung Opiatabhängiger), beschränkt auf den Zu-stand der
Beigebrauchsfreiheit.
Die Anwendung von Psychotherapie ist in diesen Fällen nur zulässig bei
regelmäßiger Zusammenarbeit und Abstimmung hinsichtlich der Behandlungsziele
und insbesondere der Beigebrauchsfreiheit mit der substituierenden Ärztin
oder dem Arzt sowie bei etwaigen psychosozialen Betreuungs- oder
Behandlungsmaßnahmen mit den hierfür zuständigen Stellen.
2. Seelische Krankheit auf Grund frühkindlicher emotionaler Mangelzustände
oder tiefgrei-fender Entwicklungsstörungen, in Ausnahmefällen auch seelische
Krankheiten, die im Zu-sammenhang mit frühkindlichen körperlichen
Schädigungen oder Missbildungen stehen.
3. Seelische Krankheit als Folge schwerer chronischer Krankheitsverläufe.
Grüße
Bettina
----- Original Nachricht ----
Von: TomKarla <TomKarla AT gmx.de>
An: Mailingliste der AG Drogenpolitik <ag-drogen AT lists.piratenpartei.de>
Datum: 08.05.2012 17:04
Betreff: Re: [Drogenpolitik]
Fallbeispiel: Cannabiskonsum als Ausschlusskriterium für Psychotherapie
>
> Am 08.05.2012 um 16:43 schrieb Christine Zander:
>
> > Leider ein typischer Fall. Solche Erlebnisse haben nicht nur
> CannabisKonsumenten, sondern auch Konsumenten anderer Drogen. 2 Fragen
> interessieren mich zu diesem Bericht:
> > ? Gilt in so einem Fall nicht die ärztliche Schweigepflicht für eine
> Klinik?
> Nein, nicht gegenüber dem Kostenträger.
>
> > ? Kann ein Drogenkonsument (ohne seinen Konssum zu verschweigen) keine
> Psychotherapie machen?
>
> siehe: Richtlinien
> des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen
> über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinien)
>
> 2. Psychotherapie kann neben oder nach einer somatisch ärztlichen
> Behandlung
> von
> Krankheiten oder deren Auswirkungen angewandt werden, wenn psychische
> Faktoren einen wesentlichen pathogenetischen Anteil daran haben und sich ein
> Ansatz für die Anwendung von Psychotherapie bietet; Indikationen hierfür
> können nur sein:
> 2.1 Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten nach
> vorangegangener
> Entgiftungsbehandlung, das heißt im Stadium der Entwöhnung unter Abstinenz.
>
> Bei Missbrauch oder häufigerem Konsum liegt es im Ermessen des
> Psychotherapeuten, die sich leider häufig noch gegen eine Therapie
> entscheiden.
>
> Schönen Gruß,
>
> TomKarla
> >
> > LG, Christine
> >
> >
> >
> > Am 08.05.2012 um 14:16 schrieb bettinamail AT arcor.de:
> >
> >> Hallo AG
> >>
> >> hier ein weiteres Beispiel (nur interessehalber, für die, die sich gerade
> mit dem Cannabis + Medizinthema beschäftigen), zum Umgang mit Cannabis in
> der Medizin - wobei es aber NICHT um die Verordnung eines entsprechenden
> Präparates geht.
> >>
> >> Vor ein paar Jahren ist eine Bekannte völlig aufgelöst auf mich zu
> gekommen, da sie Probleme mit ihrer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
> hatte.
> >> Im Vorfeld hatte sie sich in einer Psychosomatischen Klinik aufnehmen
> lassen, da ihr Leben aus den Fugen geraten war und sie dringend
> therapeutische Unterstützung benötigte. Die Überweisung erfolgte durch den
> Hausarzt. Bei der Aufnahmeurinuntersuchung in der Klinik wurde die Patentin
> positiv auf THC getestet. Sie wurde zur Rede gestellt, erklärte, dass sie
> schon länger gelegentlich, auf Partys oder am Wochenende, Cannabis
> konsumiere, dies aber nicht als problematisch oder behindernd/belastend
> empfände. Seit es ihr psychisch schlecht gehe sei sie darauf gekommen, dass
> abendlicher Cannabiskonsum sie entspanne und ihr endlich wieder zu
> ausreichendem Schlaf verhelfe. Der Grübelzwang lasse deutlich nach.
> Daraufhin erfolgte eine disziplinarische Entlassung ohne große weitere
> Erklärungen.
> >> Nebenbei bemerkt: Hätte die Patientin jeden Tag vor der Therapie gesoffen
> bis zum Umfallen, wäre ihr das nicht passiert - das wäre gar nicht weiter
> aufgefallen.
> >>
> >> Weitere Bemühungen um eine ambulante Therapie scheiterten, da die
> aufgesuchten Therapeuten als Voraussetzung für die Aufnahme einer Therapie
> Cannabisabstinenz forderten. (Auch das wäre bei entsprechendem Alkoholkonsum
> kaum passiert).
> >> Schliesslich blieb es bei einer Behandlung durch den Hausarzt; die
> Patientin hatte die Suche nach einem Therapeuten aufgegeben, da sie nicht
> bereit war, eine Psychotherapie (die sie ja wirklich ernsthaft angehen
> wollte) mit einer Lüge - also dem Verschweigen des gelegentlichen
> Cannabiskonsums bzw. des Konsums als Selbstmedikation - zu beginnen. Zum
> Glück besserte sich der psychische Zustand der Patientin soweit, dass sie
> ihr Alltagsleben bald wieder aufnehmen konnte. In der Rückschau ist sie aber
> immer noch überzeugt, dass ihr eine Psychotherapie viel Nutzen bringen würde
> ("familiäre Altlasten")
> >>
> >> Einige Zeit nach der disziplinarischen Entlassung kam dann ein Schreiben
> der GKV: Die Versicherte wurde darin aufgefordert, sich binnen einer
> bestimmten Frist einer Suchttherapie zu unterziehen. Außerdem wurde sie
> aufgefordert, ihren behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden.
> >> Wir haben dann das unten angefügte Schreiben verfasst und konnten so
> weiteren Schaden abwenden (es fand keine weitere Korrespondenz statt!).
> >>
> >> In der Medizin geht es also bei weitem nicht "nur" um mangelnde
> Aufklärung und Akzeptanz der Verordnung von THC aus med. Gründen.
> Schwierigkeiten bereitet insgesamt die gesellschaftliche Stigmatisierung,
> die durch Cannabiskonsum entsteht, und die resultierende mangelnde Akzeptanz
> im Bereich der Medizin.
> >> Umgekehrt ist es extrem schwierig (noch schwieriger als sonst) THC aus
> "psychischen" Gründen verordnet zu bekommen, z.B. bei Schlafstörungen oder
> depressiven Verstimmungen - auch, wenn die Patienten aus eigener Erfahrung
> von einer positiven Wirkung berichten können, z.B. berichten, sie kämen mit
> ihrem Alltag viel besser zurecht etc.. Man wird als süchtig und im Rahmen
> der Sucht behandlungsbedürftig angesehen - das bedeutet häufig die
> Erwartung: Abstinenz.
> >> Dass Cannabis als - meiner persönlichen Meinung nach sehr
> aussichtsreiches - Therapeutikum bei einigen psychischen Störungen zu
> erforschen wäre, haben im bestehenden Milieu die Akteure oft noch gar nicht
> auf dem Schirm.
> >> Und die mangelnde "Verordnungserfahrung", die wiederum als Grund genannt
> wird, weiterhin der Einfachheit halber nicht zu verordnen, behindert gleich
> noch das Ansammeln empirischer Erkenntnisse.
> >>
> >> Grüße
> >> Bettina
> >>
> >> Brief an die GKV:
> >>
> >> Sehr geehrter Herr xxx,
> >>
> >> vielen Dank für Ihren Therapievorschlag, den Sie mir mit Ihrem Schreiben
> vom xxx haben zukommen lassen.
> >>
> >> Erfreulicherweise kann ich Ihnen mitteilen, dass sich meine
> gesundheitliche Verfassung bereits wesentlich gebessert und stabilisiert
> hat. Wie Ihnen offensichtlich bereits bekannt ist, konnte ich meinen wegen
> einer seit längerem bestehenden depressiven Verstimmung geplanten
> Therapieaufenthalt in xxx nicht absolvieren, da die Klinik mich von der
> stationären Therapiemaßnahme aufgrund einer positiven Urinprobe ausschloss.
> Glücklicherweise konnte ich inzwischen mit Hilfe meines behandelnden Arztes,
> der mich nach meiner Rückkehr aus xxx auch bezüglich eines möglicherweise
> bestehenden Suchtproblems kompetent beraten hat, die Depression soweit
> überwinden, dass ich mich darauf freue, in den nächsten Tagen, nach
> nochmaliger Konsultation meines behandelnden Arztes, meine Arbeit wieder
> aufnehmen zu können.
> >>
> >> Von einer Entbindung meines Arztes von der Schweigepflicht ohne Bestehen
> einer dringlichen Notwendigkeit möchte ich derzeit Abstand nehmen. Gerne
> bitte ich ihn jedoch um Erstellung eines ärztlichen Attestes über meinen
> Gesundheitszustand. Bitte teilen Sie mir mit, ob Sie in Anbetracht der
> geschilderten Umstände noch ein solches benötigen.
> >>
> >> Mit freundlichen Grüßen
> >> und nochmaligem Dank für Ihre freundliche Unterstützung
> >>
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